Vorausgeschickt: Norseman – als das härteste Ironman-Distanz-Rennen gewertet- hat zwei Kategorien von Finishern: die black-shirt-winner, die das Rennen auf dem Gipfel des Gaustatoppen beenden und die withe-shirt-finisher, die ab Kilometer 32,5 das Rennen in hügeligem Gelände zuende laufen. Der Spreu vom Weizen wird an eben diesem Punkt 32,5km getrennt. Ist man innerhalb der Cut-off-Zeit von 14,5 Stunden und an 160. Stelle der Mitstreiter, dann darf man den Berg hoch …
Zunächst unser kurzes Video:
Briefing, Freitag, 5.August 2011: Die Hiobsbotschaft schlägt voll ein … Die Wassertemperatur im Fjord bei Eidfjord hat aktuell nur 11°. Grund: „Aida“, das
Riesenkreuzfahrtschiff, das den Ort am Vortag „heimgesucht“ hatte, hatte das eiskalte Tiefenwasser aufgewirbelt. Ein Schwimmstart wie gewöhnlich von der Fähre „Melderskin“ war unmöglich. Er musste weiter nach Westen verlegt werden und erfolgte von einer kleineren Fähre aus. Der Kurs erfolgte in einiger Entfernung parallel zum Ufer bis zu einem Wendepunkt und dann in Ufernähe zurück bis zum Ausstieg beim Campingplatz RingØy. Die Änderung bedeutete früher aufstehen UND VOR ALLEM – die Raddistanz verlängerte sich auf 200 Kilometer.
Meine Berechnungen wurden über den Haufen geschmissen – wie sollte ich so die Cut-off-Zeit für das schwarze Shirt schaffen? Unmöglich! Naja, so wurde mir die Entscheidung abgenommen und ich würde halt ein White-Shirt-Gewinner – auch das noch hart genug … Auch das Wetter sollte nicht das Beste sein …
SWIM: Kribbelig das Vorstart-Feeling auf der Fähre, gemeinsam mit an die 260 neogewandeten und giftgrün behaupteten Gleichgesinnten, die sich die Aufregung mehr oder weniger anmerken ließen. Fast unmerklich die Fortbewegung der Autofähre. Viertel vor fünf, die Landeklappe geht auf und ließ uns auf die Reise in den längsten Tag des Jahres … Es dämmert leicht. Knapp 200 m sind es meiner Meinung nach bis zur Startlinie, markiert durch beleuchtete Kanus. Ich dränge mich nicht vor beim Sprung in die Tiefe (sollte sich nachträglich als Fehler rausstellen …), denn ich denke, ich sei eh noch lange genug im Wasser (das allerdings sollte ein wahres Wort sein …). Das Wasser hat eine erträgliche Temperatur, trotzdem bin ich froh über meine Neosocken und die zweite Kappe. Irgendwann auf meinem Weg zur immaginären Startlinie habe ich das unangenehme Gefühl, dass ich dieser gar nicht näher komme … nanu? Mein Blick zurück: kaum grüne Köpfe. Ich schwimme wie verrückt, bin längst eingewärmt, aber besagte Linie will einfach nicht näher kommen. Und da dröhnt es schon durch die Nacht, das Schiffshorn … Der Start, ohne mich, das war mir auch noch nie passiert … Na gut, dann halt 200m mehr, darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an. Ich finde meinen Rhythmus und scheine ziemlich alleine zu sein. Ich muss bald feststellen, dass Anhaltspunkte am entfernten Ufer stillzustehen scheinen … Was bedeutet das? Starke Strömung? Ich fange an stärker reinzuhauen. Ich überhole einige Leute, aber am Weiterkommen ändert sich nicht viel … Gedanken wirbeln in meinem Kopf herum: Was, wenn ich nicht mal den Schwimm-cut-off schaffte und das Rennen schon vor dem Bike-leg beenden musste??? (gar kein so abwegiger Gedanken, wie sich später herausstellen sollte). Also noch mehr Kraft in die Kraulzüge legen. Das Wasser vor mir scheint zu schäumen … (???). Es stürmt und Regentropfen schlagen auf dem Wasser auf, die Sicht wird schlechter durch dichten Nebel. Eine seltsame Stimmung … Auch Wellen schwappen mir plötzlich entgegen – der Wendepunkt jedoch kommt und kommt nicht näher. Irgendwann bin ich aber doch dort. Ab jetzt muss es theoretisch doch leichter gehen … Aber das ist ein typischer Fall von „Denkste“. Die Bewegungen fallen mir inzwischen immer schwerer und von einem Ausstieg noch kein Anzeichen. Auf der Grafik hatte diese Strecke ab Wendepunkt im Verhältnis doch kurz ausgesehen … Das Zeitgefühl habe ich inzwischen gänzlich verloren. Aber endlich vor mir eine Landzunge. Dahinter wird doch wohl … jaaaa, der Schwimmausstieg!! Hermann, meine bessere Hälfte und Supporter nimmt mich in Empfang und führt mich am Arm (der Boden schwankt komischerweise) zum Wechselplatz, den er (nachdem er mich am Fährhafen abgeliefert hatte) einrichten hat müssen (seltsam – denn sonst mache ich das ja immer selbst). Meine Frage nach der Schwimmzeit lässt meine schlimmsten Befürchtungen wahr werden und entsetzt mich schon ein wenig viel: 1:43h, das ist mehr als eine halbe Stunde länger, als ich sonst für diese Distanz brauche. Aber mein Blick auf die Räder zeigt, dass nahezu die Hälfte (!) noch dasteht. Ich erfahre später, dass starke Wellen und Strömung 26 Athleten die Cut-off-Zeit von 2.30h nicht schaffen ließ … leider, denn für sie ist das Ende des Rennens schon da, bevor es richtig anfängt.
BIKE: Das fängt ja gut an – strömender Regen von oben, aber auch von der Seite bekomme ich immer wieder einen Schwall von den vorbeifahrenden Supporterwagen ab, so dass das Wasser bald auch aus meinen Radschuhen läuft. Durch die Radbrille sehe ich überhaupt nichts mehr. Nach 30km schraubte sich dann die alte jetzt autofreie Straße steil nach oben. Einige dunkle Tunnel gilt es noch zu durchfahren, fast im Blindflug so ohne Licht … Dann hinauf zum Voringfossen (Wasserfall, der sich über 200m in die Tiefe stürzt) mit bis zu 10% Steigung. Jetzt noch einige Höhenmeter bis auf die Hardangervidda – und hier bei der Hütte Dyranut oben auf dem Fjell warten die Supporter, denn eine Jacke ist auf der baumlosen Hochfläche ganz brauchbar. Mehr noch, ich wechsle bei diesem Boxenstopp meine nassen Sachen, denn der Regen hat nachgelassen. Nun geht es bis G eilo etwa 40km recht flott voran. Glücklicherweise werden wir dieses Jahr von steifem Gegenwind verschont- das ist ja mindestens mal was Positives. Nach Geilo vier Steigungen, drei moderate und die berüchtigte vierte etwa 600 Höhenmeter lange, die auf das Immingfjell in der Region Telemark führt. Die Sonne brennt mittlerweile vom Himmel. Die Abfahrten dazwischen lassen mich wieder Kräfte tanken. Hermann wartet ein letztes Mal, da er nun vorausfahren muss, um den zweiten Wechselplatz einzurichten. Von diesem letzten hohen Punkt sollte es nur noch abwärts gehen … Zunächst ziehen sich aber noch 10km flach bzw. leicht wellig über die Hochfläche. Wie auf großen Teilen der Radstrecke bin ich hier so ziemlich einsam. Die Gefahr ausversehen in den Windschatten geraten besteht beim Norseman sicher nicht. Ich freue mich auf die jetzt folgenden 30km Abfahrt … ABER, zu früh gefreut: Asphaltschäden, wellblechartige Strukturen, Schlaglöcher, Steilstücke … fordern volle Konzentration. Von Erholung vor dem Run keine Spur. So freute ich bald nur noch vom Rad steigen zu dürfen. Irgendwann, nach endloser Abfahrt bin ich dann da – Austbygde, idyllisch am Tinn-See gelegen. Mit 8:17h war ich sogar etwas schneller als erwartet. Aber wo ist bloß mein Supporter? Und mein Wechselplatz? Aber glücklicherweise kommt er da schon, hat nur noch frisches Wasser geholt, da er mich noch unterwegs glaubte. Schnell Laufsachen an und weg!
RUN: Beim Verlassen der Wechselzone zeigt man mir ein handgeschriebenes Schild: 173??? Nanu, ich bin doch Nummer 53! Erst Minuten später geht mir ein Licht auf – ich bin an 173. Stelle!! Das hatte ich ja schon vermutet, dass ich nicht weiter vorne sein würde … Was nun? Auf den ersten paar Kilometern (fairly flat – Betonung aber auf „fast“ – denn es geht so ziemlich wellig dahin), also auf den ersten Kilometern sehe ich weit vorne einen Läufer, den ich einholen kann – Platz 172 nun, werde dann von einer Frau überholt und bin wieder auf 173. Was soll ich tun? Mit „sich vorkämpfen“ ist wohl nix … Alle 2 km steht ein Schild mit der Kilometerangabe. Ich laufe die 1000 Meter so zwischen 5:20 und 6:30. Wenn es weiter so gut geht, schaffe ich sogar locker die Cut-off-Zeit von 14:30 bei Km 32,5 … Aber was soll mir das bringen? Auf den Gipfel darf ich ja sowieso nicht. Ich überhole zwar ziemlich einige, werde aber von etwa ebenso vielen Männern überholt … Alle zwei Kilometer wartet Hermann auf mich mit Verpflegung, dabei mag ich schon gar nichts mehr, außer Wasser mit Apfelsaft oder etwas Cola. Da das mit dem Gipfel eh aussichtslos ist, bleibe ich zum Trinken kurz stehen … – es stresst mich nun ja nichts mehr. Mir geht es gut, ich genieße den Lauf entlang des Seeufers … Hätte ich nur gewusst …
In Richtung Rjukan, die Straße steigt nun stetig an, laufe ich um eine Kurve und da steht er vor mir: King Gausta, der Gipfel des Gaustatoppen, ein gewaltiger Koloss. Ein atemberaubender Anblick. Noch 6km und die Abzweigung ist da: Ab hier geht es in 10%iger Steigung bergauf. Darauf hatte ich mich schon gefreut, denn das heißt für mich „Marschieren angesagt“. Von denen, die ich überhole läuft niemand mehr … Ich bin nun an Platz 169 – immer noch zu weit hinten … Mit weit ausholenden Schritten komme ich recht schnell weiter (die 2km in etwa 20 Minuten) und fühle mich gut dabei. Ich habe mich eigentlich schon damit abgefunden, dass ich in wenigen Kilometern links abbiegen muss … Trotzdem gebe ich alles, denn mindestens das Cut-off will ich schon in der Zeit erreichen … Ein letztes Mal kommt mir Hermann von oben entgegen und sagt mir, dass kurz vor mir eine Gruppe Leute mit einem Crewmitglied gesprochen habe und dann plötzlich wie von der Tarantel gestochen losgelaufen sei …(???). Ich beschleunige auch, denn vielleicht …??? Bei der Abzweigung sagt mir eine Dame dann aber, es täte ihr sehr leid, aber ich müsse nach links … ICH BIN DIE ERSTE, DIE NICHT MEHR AUF DEN GAUSTATOPPEN DARF – AUF PLATZ 169, ABER IMMER NOCH INNERHALB DES ZEITFENSTERS! Ich hätte heulen können … Ich hätte es leichter ertragen, wenn vor mir schon jemand umgelenkt worden wäre. Hinter mir kommen nur noch 2 Leute, dann ist die Zeit eh abgelaufen … Sie hätten doch mindestens uns drei noch hinauf lassen können … Ich fühle mich noch so fit … Ich versuche die Crew umzustimmen … Aber nein, das seien die „rules“. Die Regel sagt aber, dass ab 160 niemand mehr auf den Gausta darf. Wie bitter ist es zu wissen, dass etwa 5 Minuten vorher noch eine ganze Gruppe weiter gelassen wurde … Wie leicht hätte ich diese paar Minuten aufholen können, wenn ich nur gewusst hätte, dass das mit den „rules“ nicht so genau genommen wird … Ich versuche der Crew noch mal in bruchstückhaftem Englisch mitzuteilen, wie ungerecht ich alles fände … aber nix da! Ich stehe enttäuscht da … erwäge, alles hinzuschmeißen oder … was wäre, wenn ich die Startnummer abgäbe und einfach auf den Gausta gehe? Aber dann hätte ich gar kein finish … Einige Läufer, äh Geher, biegen ohne Murren nach links ab, ich stehe immer noch „motschend“ da … (Südtirolerisch: schmollend). Hermann ruft mich in die Wirklichkeit zurück und fragt, was ich zu tun gedenke? Also blieb mir nichts weiter übrig, als den Marathon zuende zu laufen … Und jetzt packt mich der Ehrgeiz, das Ziel zumindest als erste withe-finisherin zu erreichen … wenn schon- denn schon! Ich renne los und überhole wieder alle diejenigen, die mich in meiner etwa viertelstündigen „Pause“ überholt haben. Die meisten gehen nur noch … Hermann kommt mir entgegen und begleitet mich auf den letzten Kilometern. Ich rede mir meinen Frust von der Seele, schimpfte, stellte Mutmaßungen an, den Tränen fehlt die Flüssigkeit – und beim Weinen bekommt man ja eh so schlecht Luft … Eine gut 3km lange Strecke ist 3mal zu laufen, aber nicht etwa flach … Auch das noch – nicht wenige Höhenmeter waren auch hier noch zu überwinden, bis ich mit gut 10 Minuten Vorsprung das Ziel erreiche – für mich im ersten Moment ein „Loser“-Sieg, zudem bemerkte auch gar niemand, dass die Erste ins Ziel gekommen war, die Vorbereitungen liefen noch – ich konnte mich sowieso nicht freuen.
Am nächsten Tag darf ich mein weißes Finisher-Shirt in Empfang nehmen, schämen muss ich mich dafür wirklich nicht, denn auch das „zweithärteste“ Triathlon-Finish musste erst mal erkämpft werden … Zielte am Tag zuvor meine Wut noch auf die nicht eingehaltenen „rules“, so suchte ich inzwischen die Schuld doch bei mir … „Hätte ich …“ oder „Warum hab ich nicht …“, es war Pech, denn wie gut hätte ich schon auf Radstrecke, beim Wechsel usw. die wenigen Minuten gutmachen können, die mir am Ende fehlten …
Der Gaustatoppen wollte mich nicht, auch am nächsten Tag nicht, denn es regnete in Strömen …
Ich frage mich, was er mir damit sagen will … Meint er vielleicht: „Komm wieder und versuche es nochmal“ …?
Hier geht es zu Norseman Nr, 2 ein Jahr später