Nachts um den Gardasee am Wintersonnenwend-Tag
„Winter-Randonneè? 200km mit dem Rennrad rund um den Gardasee?? Mami, du bist ‚durchgeknallt‘!!“
Naja, irgendwie musste ich den Apokalypse Tag 21.12.2012 doch stilgemäß beenden und Freitagabend versäumte ich ja nichts … Also los – anmelden! Da hatte Francesco B. mir wohl einen Floh ins Ohr gesetzt … Start in Arco, dann gegen den Uhrzeigersinn um den Gardasee und von Arco aus noch eine 50km-Schleife durch das Sarca-Tal
Der Vorabend vergeht mit Packen – keine Ahnung, was ich alles mithaben sollte. Beleuchtet würde ich jedenfalls wie ein Christbaum sein … Am Nachmittag des Vortages hatte es geschneit, aber der Wetterbericht verspricht Temperaturen zwischen 0 und 4 Grad.
10 Minuten vor dem Start: Das konnte ja heiter werden – Schei …, beim Aufpumpen sehe ich, dass der Reifen den Druck nicht hält … schnell Schlauch wechseln …
Am Treffpunkt sind von den 16 Angemeldeten nur 8 – ich die einzige Verrückte … Wir bekommen noch einige Infos zum Roadbook und die Stempelkarte. Wir wollten so lange wie möglich in der Gruppe fahren.
Die ersten Kilometer – entlang des Gardasee-Westufers- ist die Welt für mich noch in Ordnung; das Ding würde ich schon rocken … Die Temperatur ist erträglich. Ich habe schön warm bekommen: Tunnel nach Tunnel folgt. Ich habe inzwischen das Gefühl, dass es nur bergauf geht. Mein Puls rast … Immer wieder muss ich abreißen lassen. Die Gruppe wartet immer wieder, bis ich nachkomme. Auch im Windschatten geht es schwer. Ich bin klitschnass geschwitzt, dabei fahren wir gar nicht sooo schnell … Tausend Gedanken gehen mir durch den Kopf. Wenn ich jetzt nach 30 Kilometern schon schlapp mache, wie soll ich die verbleibenden 170 dann schaffen???
Kurz vor Saló dann wird die Lücke zu den anderen immer größer. Franz bleibt bei mir, das finde ich ganz nett. In der Stadt verlieren wir dann auch noch die richtige Route. Irgendwann sind wir dann beim ersten Kontrollpunkt. Mc Donalds … Die anderen sind auch noch da und warten. Wir lassen schnell abstempeln und weiter geht es. Ich, fix und fertig. Das habe ich nun davon, ich hätte nicht so leichtfertig zusagen sollen. Die vergangenen zwei Monate hatte ich mehr oder weniger pausiert, ein bisschen Spinning und Fitness-Training ist wohl zu wenig … Das rächt sich jetzt wohl. Wieder ist die Gruppe weg und Franz und ich „schleichen“ durch die Nacht. Hier im Süden des Gardasees ist es nebelig. Auf der Straße liegt Reif, es ist zum Teil sehr glatt und die Feuchtigkeit kriecht überall hinein. Wieder mal haben wir bei einem Kreisverkehr die falsche Ausfahrt genommen und bleiben stehen. Kurz vorher glaubte Franz bei meinem Hinterrad etwas Seltsames bemerkt zu haben … Wir kontrollieren. Der Hammer: Das Hinterrad läuft nicht von alleine, es wird permanent gebremst. Ich falle aus allen Wolken: Deshalb habe ich auf den letzten 70 Kilometern so gelitten …
Bei der Weiterfahrt glaube ich zu fliegen. Das Rad läuft nahezu von alleine … Der nächste Kontrollpunkt wieder ein Mc Donalds. Es ist inzwischen schon 1 Uhr nachts. Die anderen verlassen gerade das Fast-Food-Restaurant. Franz und ich gönnen uns eine Pause.
Mir geht es auf dem Rest der Fahrt nur noch gut … Kein einziges Mal überkommt mich Müdigkeit. Franz hat mit Müdigkeit und einer nur scheinbar überwunden Magen-Darm-Infektion zu kämpfen. Er war zuvor so nett mit mir zu fahren, so lasse ich ihn jetzt auch nicht alleine. Es geht in angenehmem Tempo durch die wunderbar weihnachtlich geschmückten Ortschaften: Bardolino, Garda, Malcesine und schon sind wir wieder am Ausgangspunkt in Arco. Drei Mitstreiter sind schon weiter gefahren, zwei entschließen sich hier aufzuhören, darunter Franz, und zu dritt beschließen wir auf die letzten 50 Kilometer zu gehen. Ich fahre vor, die anderen werden mich wohl bald einholen. Beim Auto lasse ich ein paar Sachen hinten. Windjacke, zack weg! Reserveschläuche, bis auf einen zack, weg! Im Sarca-Tal ist es empfindlich kalt, Schnee liegt am Straßenrand, hier fehlt die ausgleichende Wirkung des Sees. Auch steigt die Straße stetig leicht an. Aber mir geht es immer noch blendend. Ich kann ein schönes Tempo halten. Etwas Angst habe ich vor den immer wieder vorbeifahrenden LKWs, die Straße ist hier recht eng. Der Berufsverkehr Richtung Trient hat wohl jetzt gegen 6 Uhr schon eingesetzt. Nicht mehr weit zum Wendepunkt, der Kirche Santa Massenza beim Toblino-See. Nanu, was ist das? Langsam geht bei meinem Hinterreifen die Luft aus … Schnell die Felge ausgebaut … Nanu, wo ist denn die kleine Satteltasche mit dem Pannenset? Verloren … Wie kriege ich denn jetzt den Schlauch raus? Ich bastle am Reifen rum, nichts geht … Ich versuche die Reifenheber zu ersetzen mit Autoschlüssel und Taschenmesser. Irgendwann habe ich dann den Schlauch raus, aber dann keine Chance mehr … Wo bleiben denn meine beiden Kollegen? Jetzt nach fast 30 Minuten habe ich schon ganz klamme Hände, die Windjacke aus dem Auto wäre jetzt auch ganz brauchbar. Was, wenn die beiden auch umgedreht sind … Nicht auszudenken … Dann nach weiteren bangen Minuten die erlösenden Stimmen nicht weit weg: Marco und Umberto!!! Ich bin gerettet, schnell sind die nötigen Handgriffe mit dem passenden Werkzeug erledigt. Beim Wendepunkt müssen wir noch schnell einige Lösungsworte auf die Stempelkarte schreiben und zurück geht es nun sehr flott. Es wird langsam Tag – herrlich in den neuen schönen Wintertag hineinzufahren. Im Ziel habe ich dann das Gefühl ohne weiteres noch einmal einen Teil der Strecke anhängen zu können, vielleicht die ersten 70 Kilometer, die ich so gelitten hatte in der Nacht …
So eine Winternacht-Randonneè – das ist eine ganz spannende Sache!! Ich bin sicher wieder dabei im nächsten Jahr.