Zuerst das Video – prima la video – first the video
Paris Brest Paris 1230km/ 11.000Hm
Paris-Brest-Paris 1230 Kilometer – 4 Nächte, 3h Schlaf Angefangen hat es mit der Schultersache. Die OP Ende 2014 – mit Triathlon ist mal nix … Ersatz muss her, und wenn, dann was Besonderes. Auf unseren Brevets (das sind organisierte Langstrecken-Rad …) geisterte immer wieder der Begriff *PBP* herum, Randonneure mit einem T-Shirt oder einer Signalweste mit Aufschrift Paris-Brest-Paris wurden äußerst ehrfürchtig beäugt. PBP? Könnte das was sein? Unsere Recherche ergab, die PBP war sozusagen die Olympiade der Randonneure: 1230 km, 11000 Hm, das alles wahlweise innerhalb 80, 84 oder 90 Stunden. Um da mitmachen zu dürfen bedarf es vierer Qualifikations-Brevets: 200, 300, 400 und eine zu 600 km. Diese könnten wir ja mal ganz unverbindlich absolvieren, schlug ich Hermann vor, denn ein Startplatz ist auch dann noch nicht leicht zu ergattern. Eins zum anderen … irgendwann stand es dann fest, wir sind dabei … Jetzt gab es keinen Rückzieher mehr. In 90 Stunden sollten wir das Ding wohl rocken, sogar ein paar Schlafstunden wären doch locker drin … dachten wir … ein genaues Programm hatten wir nicht … irgendwie wollten wir alles mal auf uns zukommen lassen, Erfahrung hatten wir ja keine mit so langen Strecken. Einzig die erste Nacht wollten wir durchfahren und in der zweiten und dritten etwas schlafen…. dachten wir … Ein paar längere Trainingsfahrten, die Zeit bis Mitte August verflog … und schon war es soweit … Wie ein Lastenesel aufgepackt gehe ich an den Start … Viele der Randonneure haben kaum was dabei, das waren diejenigen, die ein Supportfahrzeug mithatten, das zwar nicht auf der Strecke mitfahren durfte, aber an den Kontrollstellen war es erlaubt, Athleten zu unterstützen. Ich mit meinem gefühlten + 20-Kilo-Rad und den aufgezogenen 25er pannensicheren Reifen mache jedenfalls niemandem Konkurrenz. Hermann meint, ob ich ihm *SO* überhaupt nachkommen würde. Also stehen wir in der sengenden Sonne am späten Nachmittag in Paris am Start, genauer beim Velodrom in Versailles. Pünktlich geht es los in unserem Startblock *G*. An der Strecke stehen Menschenmengen und jubeln. Die Laune ist ausgezeichnet, es gibt viel zu sehen – sei es landschaftlich, denn im hügeligen Umland von Paris geht es durch Wälder und Felder, durch malerische Dörfer, die in ihrer Steinbauweise eher englisch anmuten (so stelle ich mir das jedenfalls vor, denn die LEL steht auch noch auf dem Programm, ob das nach der PBP – vorausgesetzt wir finishen das Ding – auch noch so sein wird?). Viel zu sehen aber auch bezüglich unserer Mitfahrer, bunt gemischt durch die gesamte Weltbevölkerung, da fahren Koreaner, Philippinen, Japaner neben Briten, Amis, Russen, Brasilanern, Bulgaren, … nicht zu vergessen die drittstärkste Gruppe, die Italiener und darunter eineinhalb Handvoll Südtiroler. Die erste Nacht ist recht kurzweilig, Müdigkeit kommt keine auf. Allerdings habe ich bei etwa Km 120 eine kleine Krise, der Allerwerteste schmerzt irgendwie und die Oberschenkel brennen. Jetzt schon? … nach nicht mal einem Zehntel Fahrt? Das kann ja heiter werden … Bei jeder Kontrollstation machen wir gut Halt, nach dem obligatorischen Stempeln der *Randocard* – wehe da fehlt ein Stempel, dann war die ganze Mühe umsonst- gehen wir was essen. Hier treffen wir meistens auf die Meraner, die fast das ganze Südtiroler Kontingent ausmachen. Die Kontrollstellen sind mit allem ausgestattet, was ein Radlerherz begehrt: Essen, Schlafplätze, Mechaniker. Und es gibt etwa alle 80 Km eine solche Station. Zeit bleibt hier gleich mal eine Menge liegen, auch wegen des Schlangestehens. Aber man gönnt sich ja sonst nichts … Stehen ist immerhin schon mal gut. Vormittags höre ich ein fröhliches „Hallo, da ist ja die Lumi, Juhu!“, das waren Untergang und CLD (=Crazy Little Daisy), zwei der „verrückten“ CabnautenTruppe zu denen ich, Lumacagabi, auch gehöre (www.caba.de), auch Karijambo war irgendwo auf der Strecke. Untergang und CLD sind mit einem Titan-Tandem unterwegs, sagenhaft. Überhaupt überholen wir (oder wir werden überholt) von den verschiedensten Spezialfahrzeugen: viele Tandems, Klappräder, Liegeräder in allen Variationen und ich staune, da sind Läufer auf der Strecke … Ja, die laufen auf Rädern, schaut aus wie eine Kreuzung zwischen Roller und Crosstrainer. In einer Abfahrt erschrecke ich durch ein undefinierbares Geräusch, so wie von einer rollenden Bowlingkugel … Hä? Was schießt denn da an mir vorbei? Genau, das exotischste der Spezialbikes: ein Velomobil, ein aerodynamisches Karbongehäuse auf drei Rädern. Irgendwo obenauf lugen zwei Radleraugen hervor. Spaßig, aber bei denen geht die Post ab: Schuss den Berg runter und dann mithilfe der kinetischen Energie den Berg wieder rauf. Und – das hatten wir nicht gedacht- die gesamte Strecke ist ein dauerndes Auf und Ab, Hügel rauf und runter, rauf und runter, … Auch etwas Gegenwind hemmt unsere Fahrt, es könnte aber schlimmer sein … Was muss man aber drauf haben, um diese Anforderungen mit einem Drahtesel von 1901, ohne Gänge und in historischer Wollradkluft zu meistern? Wir kurbeln wie vorgehabt 526 Kilometer durch und machen eine Dusch- und dreistündige Schlafpause in Carhaix-Plouguer. In der Turnhalle ist es allerdings ziemlich kühl und ich mache kein Auge zu. Wir lassen uns um drei Uhr wecken und nach kleinem Frühstück geht es auf die letzte Etappe vor Brest. Vor unserem Halbzeitziel liegt auch die einzige ernstzunehmende Erhebung. Der Straßenrand ist in Abständen gesäumt von roten Lichtern, daneben kleine Erhebungen, meist gold- oder silberfarben. Beim näheren Hingucken entpuppen sie sich als in Rettungsdecken gehüllte Radler, die bis zum Umfallen radeln und sich, bevor sie der Sekundenschlaf ereilt, am Straßenrand zur Ruhe betten. Nicht grad angenehm bei nebeligfeuchten 8 bis 9 Grad. A propos Sekundenschlaf. Schon in der ersten Nacht hörten wir plötzlich einen Schrei im Dunkeln. Ein Radfahrer vor uns war im Sattel von der Müdigkeit überwältigt worden, hatte die Gegenfahrbahn überquert und war unsanft im Straßengraben gelandet. Zum Glück nur ein paar Schrammen und eine kaputte Hose. Nicht auszudenken, wenn ein Auto entgegengekommen wäre … Unsere lange Abfahrt bis Brest ist ziemlich fröstelig. Neidisch gucke ich auf die andere Straßenseite, die Entgegenkommenden sind schon auf dem Rückweg … Es irgendwann wird es Tag, der Atlantik rückt ins Bild und vor uns ragt die Brester Schrägseilbrücke halb aus Nebelschwaden. Juhu, Halbweg ist geschafft. Nur niemandem erzählen, wegen eines Brückenfotos 600 Kilometer mit dem Rad hin und dann dieselbe Strecke zurückgefahren zu sein … – die könnten frau wohl etwas verrückt halten … Frühstück in Brest und ich kann es noch kaum glauben, dass es schon zurück geht, war eh nicht so schlimm … Auch die Meraner machen sich auf den Rückweg, leider muss
einer wegen Kniebeschwerden abbrechen. Und auch CLD und Untergang fahren mit uns. Der berüchtigte *Berg* ist harmlos, motivierend, dass nun wir die Zurückfahrenden sind und von der Gegenseite müde beäugt werden. Wir passieren wieder unser Nachtlager und haben vor noch zwei Etappen zu je 80km zu fahren und dann endlich zu schlafen. In vielen Dörfern haben es sich die radsportbegeisterten Franzosen am Straßenrand gemütlich gemacht und feuern die Fahrer an. Und nicht nur das, an Tischen bieten sie Kaffee, Getränke und Kuchen, … an. Ich habe, glaube ich, insgesamt in meinem Leben noch nicht so viel Kaffee getrunken, wie in diesen dreieinhalb Tagen … Ich denke, das hat mich aber über die Nächte gerettet. Wir schließen uns einem Grüppchen Deutscher an. Beim Quatschen … mit Manuela, Martin, Jörg und Charlie vergesse ich, dass nun die dritte Nacht ohne Schlaf für mich anbricht. Unterwegs machen wir Kaffeepause an der Straße, die Leute sind phänomenal, bleiben die ganze Nacht auf. Beim nächsten Halt ist der Schlafraum überfüllt und so bleibt uns nichts anderes übrig, weiter zu fahren, Müdigkeit hin oder her. Vor uns erwischt es wieder einen, ein Spanier touchiert den Bordstein und geht zu Boden. Jörg spricht zum Glück etwas Französisch und telefoniert mit der nächsten Kontrollstelle. Für den Athleten ist die PBP leider zu Ende. Gegen drei Uhr morgens wir dann endlich in Tinteniac. Auch hier kein Schlafplatz mehr. Aber Schlafen muss ich jetzt
unbedingt und wir legen uns in einen zügigen Korridor. Ich habe meine Taschen komplett ausgeleert und auf dieser Unterlage versuche ich mich in meine Rettungsdecken zu wickeln. Fehlmeldung. Ziehe ich das knisternde Material vorne über die Schulter, fehlt es an der Rückseite und so weiter. Nach einer halben Stunde habe ich noch keine annehmbare Schlafhaltung gefunden und langsam klappern mir die Zähne vor Kälte. Kurz entschlossen stehe ich auf, raffe meinen Krempel zusammen und wanke zur Schlange der Schlafplatzsuchenden. Und siehe da, es gibt einen Schlafplatz für mich und auch für Hermann. Ich frage mich, ob mein desorientierter erbärmlich zitternder Anblick wohl Wunder gewirkt hat. Es gibt sogar Zimmer und eine warme Decke. Auf die Dusche verzichte ich. Um sieben wollen wir geweckt werden. Sofort umhüllt mich tiefer Schlaf als mich schon wieder jemand am Bein schüttelt und das Zeichen zum Aufstehen gibt. Ich deute ungläubig zurück „sechs?“ – „nein, sieben!“ Schlaftrunken wursteln wir uns aus den Decken. Um halb Acht sind wir zum Frühstück verabredet, dann geht es weiter. Es ist schön sonnig und ich habe das Gefühl es geht recht flott. Vielleicht ist in der kommenden Nacht noch eine kleine Schlafpause drin? Ich denke nicht an die verbleibende Kilometerzahl, sondern an die fehlenden Etappen und die ware n überschaubar: 89, 56 und 140 und noch ein Tag, eine Nacht und ein halber Tag Zeit. Geht doch locker. Der Schock sitzt tief, als Hermann mir sagt, dass wir die nächste Nacht wahrscheinlich durchfahren müssten, um in der Zeit ins Ziel zu kommen … mir war beim Rechnen eine Etappe mit etwa 80km entgangen. Wie sagte Untergang noch? Nach ein paar schlaflosen Nächten hat man/frau nur noch Wolle im Kopf … Und ein Tag geht so schnell um … da ist es auch recht kurzweilig, wir ratschen mit dem einen oder anderen, unterhalten uns beim Gucken (Überholende und Überholte) und machen eine unterhaltsame Esspause mit den Freiburgern. Und fahren schon wieder in die Nacht. Die Müdigkeit fährt mit. Hermann und ich *verlieren* uns kurzzeitig, *Wolle im Kopf* lässt grüßen. Die vielen Lichter der am Straßenrand Schlafenden lassen mich auch danach sehnen, die Augen zuzumachen. In einem Dorfpark versuchen wir es auch. Hermann schafft es einzuschlafen, ich wälze mich wieder schlaflos in meiner Folie. Ich gehe einen Kaffee trinken und wecke Hermann. Weiter geht es, bis nach einer Weile meine Augen wieder überkreuz gehen. Ein weiterer vergeblicher Schlafversuch. Weiter. Jetzt wird es zumindest hell und die letzte Station winkt. Und dann nur noch überschaubare 60 Kilometer. Wir treffen auf Paolo, der uns eine traurige Geschichte erzählt: vor Brest war ein Athlet in den Straßengraben gefahren, er hatte ihn versucht wiederzubeleben, aber wahrscheinlich ohne Erfolg. Herzinfarkt. Ich brauche nochmal eine kurze Rast und dann ist der Schlaf überwunden, denn es beginnt auf den letzten 20 Kilometern kräftig zu regnen und es ist ziemlich kalt. Hatten wir aber auch ein Glück, unvorstellbar, wenn es einen Großteil der PBP geregnet hätte … Glücklich fahren wir ins Ziel nach 87h und 59Minuten. Untergang und CLD sind schon längst da, ebenso die Meraner und auch die beiden mit den historischen Rädern sind schon drei Stunden vor uns da gewesen. Hatten wir auf der ersten Hälfte einen recht flotten Schnittgehabt, so hatten wir auf dem Rückweg ziemlich an Schwung verloren und sind im Nachhinein erstaunt, wo überall Zeit liegen bleiben kann … Vermutlich hatten wir gemäß dem Motto auf dem Shirt eines Athleten „Radeln, essen, schlafen“ die Mitte am meisten gewichtet … Das kann allerdings nur eines bedeuten: NOCHMAL … oder vielleicht doch die London – Edinburgh – London, kurz LEL, die ist nur 200km weiter …, die Mille Miglia ist aber eher in unerreichbare Ferne gerückt. Auch Hermann ist nach den unvergesslichen Erfahrungen bei der PBP doch nicht ganz abgeneigt weiterhin Rad zu fahren, heute wollte er sich ein Rad ganz unverbindlich anschauen gehen