Wer kommt bloß auf die Idee, sich DAFÜR freiwillig anzumelden?
Zunächst mein kleines Video …
Ich als mittelmäßige bis schlechte Mountainbikerin hatte zwar schon mal was von diesem Event gehört, aber Genaueres wusste ich nicht, als ich von Sportler vor vollendete Tatsachen gestellt wurde mit der Frage: „Wir hätten da von Gore einen Startplatz bei der Sella Ronda Hero zur Verfügung …Möchtest du den?“ Unbedarft, wie ich war, schlug ich gleich ein. Gerne würde ich dafür einige Blogeinträge machen und mein neues Gore-Bike-Outfit beim Rennen tragen. Eingeschlagen war schnell … informieren konnte ich mich immer noch. Zwei verschiedene Strecken gab es auch noch: eine 60km lange mit 3400 Hm und eine 87km lange mit 4700Hm. Großspurig meldete ich mich natürlich für die 87km –sind für eine Rennradfahrerin schließlich nicht so viele. Ich machte mir noch keine Gedanken, warum auf fast 2000 gemeldete Männer nur 26 Frauen kamen. An meiner MTB-Fahrtechnik wollte ich allerdings noch feilen. Die Augen geöffnet wurden mir dann aber, als ich mit meinem Mann Hermann die erste Testfahrt auf der Rennstrecke absolvierte. Viel Gelände – im Auf- und Abstieg – für mich eine Mega-Herausforderung. Und als wir dann das „Herzstück“ von Arabba über Ornella und der Porta Vescovo zum Pordoi-Joch abfuhren, da wurde mir schon ganz anders … Jeder der vier Pässe für sich ging ja, aber alle im Vierfachpack??? Die Aufstiege sorgten mich nicht, aber was, wenn ich bei den Abfahrten andauernd Staus verursachte mit meinem wenig draufgängerischen Abfahrtsverhalten? Ein Kollege hatte mich ja ganz charmant darauf hingewiesen, dass seiner Meinung nach sich viel zu viele anmelden, ohne die technischen Fähigkeiten mitzubringen und mehr oder weniger drauf aus sind, einen netten Radtag unter Gleichgesinnten zu verbringen und unterwegs ein paar nette Bilder fürs Familienalbum zu schießen. Und er gab mir den Rat, die Runde lieber mal gemütlich für mich zu machen … War sehr aufbauend und motivierend für mich und vor allem zu spät, denn Ummelden auf die kurze Strecke ging nun auch nicht mehr. Aber ich hatte mir das ja selbst eingebrockt. Auf jeden Fall sorgte der rasch sich nähernde Termin für schlaflose Nächte. Wenn ich die Abfahrten unfallfrei überlebte, stellte sich nun noch die Frage: Da mein Startblock einer der letzten ist, schaffe ich die gesamte Strecke überhaupt in der vorgesehenen Zeit? Schaffe ich einzelnen Zeitlimits? Noch nie war ich so unsicher vor einem Start, aber ich würde mein Bestes geben – jetzt erst recht … Ich wollte mich doch auch nicht blamieren … zudem, weil vielleicht einige Leute meine Blogs auf mysportler gelesen hatten.
Die Nacht vor dem großen Tag machte ich kaum ein Auge zu, aber das hatten wir ja schon öfters… So stehe ich pünktlich eine halbe Stunde vorher in meinem pinkfarbenen „beherzten“ Gore-Outfit gar nicht so beherzt in meinem Startblock Nr. 14 unter gefühlten Hunderten von Radfahrern.
So, jetzt gibt es kein Zurück mehr … Der Count down … die Musik und der Sprecher – ergreifend. Es treibt mir irgendwie die Tränen in die Augen.
Startschuss, die Biker-Masse setzt sich in Bewegung. Schön brav bleibe ich ganz rechts. Ich will ja alles richtig machen und niemandem im Weg sein. Gleich zu Anfang komme ich fast schon unter die Räder. Ein Ungeduldiger drängt sich ganz eng an mir vorbei und unsere Lenker verhaken sich. Beide schlingern wir nach rechts und links, mich hebelt es fast vom Rad, dann sind wir wieder frei. Boah … noch mal gut gegangen. Kurz darauf der nächste Vorfall: Die Radler wälzen sich dicht an dicht über steilsten Schotterweg nach oben. Vor mir schafft es einer nicht mehr in den Pedalen zu bleiben und er kippt vom Rad. Ich habe keinen Spielraum mehr auszuweichen und kippe mit, reiße dabei meinen Lenker nach links. Aua, irgendeine Schraube schrammt mein Knie auf, die Wunde fängt gleich stark an zu bluten. Aber: Helden kennen keinen Schmerz und das Blut mischt sich bald mit dem Staub, den die Radler-Herde aufwirbelt. Dantercepies ist mit einigen unfreiwilligen Schiebepassagen bald erreicht. Der Aufstieg ist kurzweilig, da ich quatschen darf. Ja, welch Wunder – man (Mann) kennt mich … Ein weiß-blau bikeweargewandeter Bergradler: „I bin da Michael … gell du bisch di Gabi? I hon a an Startplatz von Sportler“ – das ist nicht zu übersehen… Wir ratschen eine Weile – kann man bei dem gezwungenen Aufstiegstempo sogar, ohne die Puste zu verlieren. Dann von der Seite: „Hallo Gabi!“ Wer ist das denn? Auf meine fragenden Blicke: „Ich bin der Patrick“, „Patrick?“ „Ja, der Patrick von Gore!“. „Hei, Patrick, habe dich gar nicht erkannt, mit Bart, Helm und so …“ Den Patrick von Gore … den kenne ich schon vom letzten Jahr von der viertägigen Gore-Tex Experience Tour „Alpine Quattrathlon“ – war ein super tolles Event. Den Patrick werde ich über den gesamten Tag immer wieder treffen, er ist auch nicht leicht zu übersehen mit seinem gelb-grünen Radtrikot der Alp X Pro- Linie … Naja, wer an der Quelle sitzt … So ein Shirt sollte es auch für Frauen geben …
Dann überhole ich Maria Rosaria, meine Konkurrentin. Wir sind nur zu zweit in der Altersklasse der über xy-jährigen Verrückten. Sie tut sich diese Tortur schon zum vierten Mal an – dann kann es doch nicht so schlimm sein, oder?
Je höher wir kommen, desto unruhiger werden meine Gedanken: die Abfahrt mit so vielen Leuten rund um mich herum. Der breite Weg zum Grödner Joch mit teils tiefen Schotterhaufen sorgt mich schon. Es überholen mich zwar viele, aber das ist mir ganz egal. Der folgende Downhill ist anfangs etwas holperig und löchrig, dann aber lustig zu fahren mit seinen Steilkurven. Naja, fahren ist hier nicht ganz der richtige Ausdruck, denn die Kolonne steht vor einigen Kehren. Nein, ich bin zum Glück nicht der Auslöser der Kolonnen … Dann geht es aber zügig weiter nach Corvara, wo die erste Verpflegungsstelle wartet. Ich brauche noch nichts und fahre gleich weiter. Es geht gleich steil zur Sache. Ich bleibe im Sattel, bis kurz unter dem höchsten Punkt, ganz im Gegensatz zu vielen anderen, die schon lange schieben. Hat sich das Training doch gelohnt … Zum Glück teilt sich hier die Strecke. Und dann mal Tschüss! Angenehm, jetzt sind wir 87er unter uns. Die Erleichterung währt nur kurz, dann haben wir sie wieder unter uns die Kurzstreckler. Es geht abwechslungsreich rauf und runter über den Kamm bis zur Bergstation der Pralongiá-Bahn und dann auf einem wunderbaren Wanderweg zum Campolongo-Pass. Alle Fahrer benehmen sich sehr gesittet und es erfolgen keine wahnwitzigen Überholmanöver. Einen Teil der Abfahrt nach Arabba mache ich zu Fuß, leichter fällt mir das auch dadurch, da nicht wenige auf der Strecke unfreiwillige Bodenberührung haben. Lieber nichts riskieren. (Ich will ja im August zur PBP (Randonneé Paris-Brest-Paris), ich muss mir bei Sportler nur noch eine geeignete Radhose für die 1200km besorgen J) … Es fängt nun auch noch an zu tröpfeln. Hat der Wetterbericht doch recht hat mit seinen angekündigten nachmittäglichen Gewittern? Aber doch nicht jetzt schon! Die paar Wasserspritzer sind ganz angenehm und bald ist es auch wieder trocken.
Ich bin nun schon 3 Stunden unterwegs. In Arabba machen sich die 60er direkt zum Pordoi-Joch auf. Wir biegen nach links und „dürfen“ unser happigstes Teilstück in Angriff nehmen. 1300Hm liegen in etwa vor uns. Davon so ungefähr gefühlte drei Kilometer Schiebestrecke. Machen aber alle. Und wenn einer meint, Schieben ist unter der Würde eines MTB-Fahrers, dann probiert er halt ein paar Meter mehr im Sattel zu bleiben. Meine Rechnung ist die: Wenn das Fahren anstrengender ist als Gehen, dann schiebe ich lieber. Ich überhole sehr viele Biker. Irgendwie geht es bei mir ganz leicht, ich habe auch das richtige Schuhwerk, denn ich fahre mit Berglaufschuhen von Adidas und mit Flat Pedals. Ich hasse es beim Mountain-Biken in den Click-Pedalen gefangen zu sein. Irgendwann ist die Waldgrenze erreicht und jetzt kann man wieder fahren. Ich steige auf: Aua, was ist denn das? Ein Krampf zieht sich über meinen linken Oberschenkel. Das tut so weh! Ich versuche das Bein zu strecken, biege es, der Krampf will nicht nachlassen. Ist das das Ende des Sella Ronda? Hero bin ich ja noch lange keiner, nicht mal die Hälfte der Strecke ist erledigt. Der Schmerz lässt nach, aber bei der kleinsten unbedachten Bewegung ist er wieder da. Was mache ich bloß? Ich schraube mein Tempo zurück. Und nun kommt die nächste Passage in Sichtweite, die mir schlaflose Nächte bereitet hat: der Wanderweg, der uns zum Pordoi-Joch führt. Anfangs sehr steinig und mit Tiefblicken. Aber auch hier verhalten sich die Mitstreiter sehr diszipliniert, aber einige Schnellere lasse ich vorbei und füge mich dann in die Reihe der Fahrer ein. Es geht wider Erwarten sehr gut. Ich schaffe fast den gesamten Weg im Sattel zu bleiben. Die Stellen, an denen ich absteigen muss, mache ich das überaus vorsichtig, denn mein Oberschenkelmuskel meldet sich immer wieder. Ob ich wohl bei der nächsten First Aid Station mal fragen soll, ob es da was gibt gegen Krämpfe? Puh, Pordoi erreicht. Ich treffe auch meinen Hermann wieder, der die Runde mit dem Rennrad auf der Passstraße macht und Fotos schießt. Er ist erstaunt, dass ich schon da bin. Ich klage ihm mein Leid, dann geht es weiter.
Die Abfahrt nach Pian Schiavaneis fordert meine ganzen Technikkünste. Bei der Versorgungsstation haben sie natürlich nichts gegen Krämpfe. Ich bekomme aber von einem Biker, der hier aufgibt, ein „Pülverle“, das ich in meine Trinkflasche schütte. In der Aufregung vergesse ich die Flasche ganz zu füllen. Weiter geht es Richtung Canazei. Auch hier bilden sich manchmal Biker-Schlangen. Gibt es hier was umsonst, dass so viele Leute anstehen? Canazei ist erreicht, jetzt ist „nur“ noch ein Anstieg vor uns und dann geht es ins Ziel … Zum Glück bin ich die Strecke vorher schon mal abgefahren und weiß, was da auf mich zukommt. Und das ganz ohne Wasser? Ich habe wieder mal Glück und finde in Campitello einen Brunnen. Viel Trinken oder das Wundermittelchen haben geholfen und die Krämpfe melden sich nicht wirklich arg zurück. Das Durontal zieht sich nach ein paar sehr steilen Rampen unendlich in die Länge. Und was mir noch mehr Sorgen bereitet: Richtung Mahlknechtjoch ist der Himmel kohlrabenschwarz. Ich lege einen Gang zu und auch die letzten Steigungsmeter sind rasch zurückgelegt. Mir geht es super, nur die Angst vor einem Gewitter hemmt meine Euphorie. Vom Joch geht es erst mal rasant abwärts und dann nur noch läppische 300 Höhenmeter bis zum Zallinger. Jetzt fängt es an zu regnen und das nicht wenig. Immer wieder schweift mein Blick ängstlich nach oben. In der Ferne hat es schon längst zu grollen begonnen. Ich versuche etwas schneller zu treten. Bei der tiefer gelegenen Versorgungsstation war uns ans Herz gelegt worden, ja nicht unter einem Baum Schutz zu suchen. Na, toll! Bald kommt die Zallinger-Hütte in Sicht. Der erste Blitz. Ich zähle ängstlich: 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 – Knall. Also ganz nah ist das Gewitter noch nicht. Soll ich trotzdem in der Hütte Schutz suchen? Besser weiter. Nur noch ein paar Meter weiter zum höchsten Punkt. Da steht ein Bergrettungsmann mit einem SCHIRM. Er beruhigt mich, dass der Blitz mir nichts mache auf dem Rad. Von wegen … Ich sause abwärts. Blitz, 1, 2, Rums! Aber wie. So, jetzt wird es brenzlig. Eine Hütte. Da stelle ich mich unter und will den nächsten Blitz abwarten. Der kommt und kommt nicht, dafür fahren massenhaft Radler vorbei. Auch Patrick, und so beschließe ich, nun doch weiter zu fahren. Ich möchte schnell die Waldgrenze erreichen. Der Untergrund ist glitschig, große Steine erfordern ein großes Maß an Fahrtechnik. Inzwischen bin ich schon von oben bis unten dreckverschmutzt. Hinter mir kommt es wieder zu einem bösen Sturz. Ich bleibe stehen. Da kommt aber auch schon der BRD-Mann, der seinen Platz auf dem Joch wohl doch geräumt hat. Ich fahre weiter. Der Unfall hat mir wieder einen Dämpfer gegeben und ich besinne mich darauf, dass ich mich nicht von meiner Hektik treiben lassen darf. Das Gewitter scheint eh mal eine Pause zu machen. Bald wird der Weg leichter und flott geht es Richtung Ziel. Noch zwei kleine Anstiege. Ich quere die Saslong. Der Ausblick auf die drei Kamelbuckel sagt mir heute gar nichts.
Noch ein Kilometer einen Spazierweg entlang und ich höre schon die Stimme des Speakers im Ziel. Gänsehautfeeling – es treibt mir fast die Tränen in die Augen- das hatten wir heute doch auch schon mal. Die letzte Kehre und ich fahre durch den Zielbogen. Blitzlichtgewitter. Ich bin einfach nur glücklich. Hermann ist auch da. Erleichtert möchte ich ihm in die Arme fallen, besinne mich aber darauf, wie schmutzig ich bin. Strahlend öffne ich meine Regenjacke und zeige auf das Gore-Herz auf dem Bike-Shirt. Wäre Gore nicht, dann wäre ich wahrscheinlich nie im Leben ein Sella Ronda Hero geworden oder besser eine HEROINE …
Nebensächlich in diesem Moment, dass ich in meiner Altersklasse gewonnen habe, dass ich an 11. Stelle von den 26 Frauen ins Ziel kam und an die 800 Männer hinter mir gelassen habe. Ich bin einfach nur glücklich und erleichtert, es geschafft zu haben. Fazit: Der Sella Ronda Hero ist wirklich kein gemütlicher Radlausflug. Es gibt auf den 87km kaum mal ein paar Meter, an denen man nicht voll konzentriert sein muss … Aber ein tolles Feeling … vielleicht bin ich 2016 wieder mit dabei …
Danke Gore! Danke Sportler!