Da die Audax Randonneé solstizio d’inverno, organisiert von Fabio Albertoni, leider in diesem Jahr (vorübergehend) nicht stattfindet, habe ich mir überlegt, ob wir an diesem besonderen Tag nicht trotzdem auf die nächtliche Fahrt um den Gardasee gehen.
Was machen wir genau? Mit einer Radfahrt um den Gardasee feiern wir die Winter-Sonnwend-Nacht, die längst Nacht des Jahres.
Wir starten in Arco und fahren zunächst auf dem Radweg Richtung Norden. Der Radweg überwindet einige Höhenmeter.
Vorbei am Toblino See geht es ein Stück auf der Straße bis nach Santa Massenza. Dann rollen wir auf demselben Weg hinunter und zurück nach Arco. Dieser Streckenabschnitt könnte je nach Witterung etwas kühler sein. Falls es zuvor geschneit hat, könnte der Radweg auch schneebedeckt sein, in diesem Falle weichen wir auf eine Nebenstraße aus, vorbei am Lago di Cavedine. Auf jeden Fall ist auf dem Radweg etwas Vorsicht geboten, besonders bei den Abfahrten, denn um diese Jahreszeit könnte es auch mal glatte Stellen geben.
Zurück in Arco stärken wir uns kurz mit heißem Getränk😂 . Dann staraten wir zur Gardasee-Runde und zwar im Uhrzeigersinn.
In Peschiera kann man sich kurz aufwärmen und die Reserven auffüllen (McDonald’s hat bis 2:00 Uhr geöffnet), dann geht es entlang der Gardesana Occidentale zurück nach Arco.
Die Fahrt ist ein Lichter-Spektakel, durch die weihnachtlich geschmückten Gardasee-Orte. Da der See temperaturausgleichend wirkt, ist es gar nicht sooo kalt.
Das solltest du wissen! Die Runde ist gut 200 km lang mit ca. 1200 Höhenmetern.
Maximale Teilnehmerzahl: 10 Personen; es könnten sich aber auch spontan weitere Radfahrer*innen anschließen Spezielle Anforderungen: Das Tempo wird an die Kern-Gruppe angepasst Uhrzeit & Dauer: Abfahrt um 20:00 Uhr – Die Dauer ist abhängig vom Tempo (+/- 9h Bewegungszeit) Treffpunkt / Ort: Arco, der genaue Treffpunkt ist noch zu definieren. Evtl. am Parkplatz, Parcheggio alla Sarca oder am Weihnachtsmarkt 😋 … Rad der Wahl/ Ausrüstung: Rennrad oder Gravelbike (die Straßen könnten im Süden des Sees etwas rutschig sein vom gefrierenden Nebel; ich bin die nächtliche Strecke schon mit allen Radtypen (RR, MTB, Gravel) gefahren). Die Kleidung bitte an die erwarteten Temperaturen und die Witterung anpassen!
Möchtest du Gabi begleiten? Dann melde dich direkt bei ihr unter lumacagabi@gmail.com oder auf Instagram lumaca.gabi Teilnahme auf eigene Gefahr!
2016 gab es sogar einen Bericht von Manuel Jekel Tour Magazin. (Hauptdarstellerin darin: ich – hahhahaaaa!)
Von Hundebissen und mitternächtlichen Schneestürmen …
Mit dem MTB von der Côte d’Azur nach Thonon-les-Bains am Genfer See – 1050 Kilometer und 32.800 Höhenmeter über die Berge entlang alter Militärwege, der Via del Sale, in Angesicht des Königs der Berge, des Mont Blanc, über mehrere namhafte Pässe – das ist Alps Divide. Die Herausforderung nahm ich als Solo-Fahrerin an und machte mich mit meinem Trek Prokaliber und meinem Mini-Zelt auf den Weg. Nach Panceltic Ultra und Lakes ’n‘ Knödel sollte das der krönende Saisonabschluss werden. Der Start in Menton, dem entzückenden Côte d’Azur Örtchen, fühlte sich so harmlos an. Niemand konnte vorausahnen, welche Schwierigkeiten sich den rund 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmern in den Weg legen würden und wie wenige das Ziel sehen sollten … (hier meine Gedanken vor dem Rennen & Planung)
Bei sommerlicher Hitze geht es pünktlich um 16:00 nach einem kurzen Briefing los, zunächst polizeibegleitet an der palmenbestandenen Küste entlang, dann in der prallen Hitze, bei über 30 Grad den Hang hinauf. Ich fühle mich wie kurz vor einem Hitzekollaps. Das Wetter verspricht zumindest im Moment stabil zu sein, das Feld zieht sich bald auseinander und ich radle allein dahin.
Das erste Mal schaue ich hoch zum Himmel, als Donnergrollen zu hören ist, dunkle Gewitterwolken hatten sich da zusammengebraut. Und das schon kurz vor Sospel. Das hatte ich nicht erwartet. Ebenso nicht die ruppige Abfahrt über einen steinigen und gefurchten Weg. Die Bäume bieten scheinbar Schutz, zumindest vor dem Regenguss, der nun einsetzt. Regenzeug raus. Am Brunnen in Sospel trifft sich eine größere Gruppe. Also bin ich doch nicht allein. Ich radle weiter. Im Regen. Es dämmert langsam. Die Strecke führt -was ich im Dunkeln erkennen kann- schön am Fluss Roia entlang.
Bis die Strecke abzweigt und nach unmenschlich steilem Anstieg an Verrandi vorbei schlussendlich einem alten nicht gepflegten Militärweg folgt. “Achtung, felsig!” schreiben Katie und Lee, die Organisatoren. Ich schiebe mein vollbepacktes Rad einige Kilometer nach oben, da es mich immer wieder ungnädig aus dem Sattel wirft. Als Leona mich fahrenderweise überholt, versuche ich es auch wieder.
Immer wieder aber hike & bike Passagen. Das hatten wir doch kürzlich schon mal beim Lakes ‘n’ Knödel. Es geht auf Mitternacht zu. Mein Entschluss auch in der ersten Nacht zu biwakieren, setze ich in der Nähe eines verfallenen Stallgebäudes in die Tat um. Ich stelle mein Zelt auf, verliere aber viel Zeit damit, einen Hering im tiefen Gras zu suchen, den es aus der Verankerung gerissen hatte und weg katapultiert. Ohne diesen könnte ich mein Zelt nicht mehr aufstellen. Mein Tun muss ansteckend sein, denn innerhalb kurzer Zeit wird das Gebäude bevölkert und stehen weitere zwei Zelte in der Nähe. Ein Campingplatz sozusagen.
Sonntag, 8. September 24
Schon vor Dämmerung fahre ich weiter. Rechts im Wald ein Geräusch. Was war das? Eine Art Grunzen. Bevor ich mir weiter Gedanken machen kann, galoppiert vor mir von Links nach Rechts ein jugendliches Wildschwein über den Weg. Schnell weg! Bevor Wildschwein-Mama mir Böses will.
Nachts auf der alten Military Road ist es manchmal richtig unheimlich. In Pfützen spiegelt mich mein Vorderlicht und irrlichtert durch die Bäume. Mir fallen ein paar Gedichtzeilen von Droste Hülshoff ein: O schaurig ist’s über’s Moor zu gehn … bei mir hier: schaurig ist’s allein durch denn Wald zu fahrn … Irgendwann ist auch der schlechte Militärweg zu Ende, nur um von einer noch steinigeren Abfahrt abgelöst zu werden. Kurz vor Pigna holt mich Jo ein und wir wechseln ein paar Worte. Wir werden uns in den nächsten Tagen noch mehrmals treffen.
In Pigna, einem kleinen italienischen Dörfchen, ist glücklicherweise die Pasticceria geöffnet. Heute ist ja Sonntag. Ich decke mich Brioche und anderem Gebäck ein, bestelle zum Mitnehmen was Herzhaftes, Pizza. Frisch gepresster Orangensaft und der übliche Latte Macchiato (ihr wisst schon: mit zwei Zucker) runden das Ganze ab. Ich komme mit Chris, einem deutschen Radfahrer, ins Gespräch. Für ihn ist das Rennen hier schon zu Ende. Ihm war am Abend zuvor sein Rad gestohlen worden. Schock! Ich bin unterwegs nämlich meist nachlässig, was Rad-Abschließen betrifft. Ich habe sowieso nur eine “Wegfahrsperre” mit, sprich ein dünnes Kabelschloss. Wohl kein Hemmnis für ernsthafte Diebstahlambitionen.
Auf Teer geht es nun viele Kilometer und Höhenmeter hoch. Regen ist angesagt. Ich quatsche mit Jo und Martin und achte kaum auf das Wetter. Regen ist vorausgesagt und schon fallen die ersten Tropfen. Diese arten bald aus in einen ordentlichen Regenguss. Dann der erste Blitz. Krampfhaft zähle ich die Sekunden. Das Gewitter ist nur wenige Kilometer entfernt. Ich bekomme “Beine” und beeile mich. Die schützende Hütte ist nicht mehr sehr weit weg. Außer Atem muss ich bald mein Tempo drosseln und füge mich in mein Schicksal. Vielleicht sieht der Blitz mich nicht, noch bin ich unterhalb der Waldgrenze. Trügerisch.
Am Ende der Teerstraße ein Ristorante. Hierhin haben sich einige Leute hin gerettet. Torsten und Stuart sind schon wieder beim Aufbrechen. Der Chef des Hauses hält davon nicht viel, die kommenden etwa 80 Kilometer über die Alta Via del Sale führt in Höhen über der Waldgrenze und bietet keinerlei Unterstandmöglichkeiten. Und es regnet weiter und lokale Gewitter sind vorausgesagt. Die Zimmer sind allerdings ausgebucht. Ich könnte es in der benachbarten CAI-Hütte versuchen. Bingo! Das Rifugio Allavena hat verfügbare Lager. Mir schwebt nämlich vor den Nachmittag über zu schlafen und gegen Abend, bei Nachlassen des Regens, wieder loszufahren.
Die netten Hüttenwirtsleute kümmern sich sehr nett um uns, eine Gruppe, die inzwischen auf über 10 Leute angewachsen ist. Es gibt Duschen und dann leckeres Mittagessen. Am fröhlich knisternden Bollerofen trocknen inzwischen kiloweise durchnässte Kleider und Schuhe. Dann Mittagsschlaf. Oder besser Mittagsruhe, denn schlafen kann ich um diese Zeit nicht.
Wie vorausgesagt hört der Regen gegen 18 Uhr auf und ich mache mich fahrbereit. Die Hüttenleute versuchen mir mein Vorhaben auszureden, denn in der Dunkelheit diese Strecke zu fahren sei riskant. Sie müssen es wissen. Ich aber bin uneinsichtig und entschwinde vollbepackt in die Dunkelheit. Ich bin noch keine 500 Meter weit gekommen, da mündet der Fahrweg in einen steilen steinigen Weg und verspricht einiges an Schieben. Das hatte Stuart vorausgesagt, als er nach seinem Aufstieg zum Passo Tanarello nochmal zur Hütte zurück musste, weil er seine Dokumente unterwegs verloren hatte. Der Arme! Ein ungemütlicher Wind bläst mir entgegen und im Lichtkegel meiner Helmlampe kann ich erkennen, dass es wieder angefangen hat zu regnen. Ein Spruch kommt mir in den Sinn: “Man soll nichts machen, um andere zu beeindrucken, sondern nur das, was einen selbst glücklich macht”. Kurzerhand wende ich mein Rad. Applaus der Hüttenleute und der anderen Alps Dividler brandet mir entgegen, als ich wieder durch die Tür trete.
Ich bin grad zurecht für das mehrgängige Abendessen und dann schließe ich den Reißverschluss meines Schlafsackes.
Montag, 9. September 24
Ich wache gegen ein Uhr auf und begebe mich ans Frühstücksbuffet, das die Hüttenwirtsfamilie netterweise hergerichtet haben, damit jeder starten kann, wann er will. Das Pair Kate und James und zwei Mädels sind schon aufbruchbereit. Ich folge ihnen eine Stunde später. Vor dem Wegfahren habe ich die glorreiche Idee meinen Reifendruck etwas zu vermindern. Klasse Fahrgefühl! (Die knapp 3 Bar waren viel zu viel; am ersten Tag mit einigen Teer-Kilometern vielleicht nicht schlecht, aber im Gelände … kein Wunder, dass es mich wie einen Prellball rumgeworfen hat).
Nach dem ersten Berg folgt eine längere Abfahrt über Almgelände, was ich am gelegentlichen Glockengeläute höre. Hundegebell. Etwas Braunes schießt vor mir aus dem Wald und verschwindet sofort auf der anderen Seite. Einige Kilometer weiter muss ich vom Rad steigen. Ein mittelgroßer brauner Hund pirscht sich von hinten knurrend an mich heran, die Nackenhaare aufgestellt. Keine Schafe oder Kühe weit und breit, aber leere Stallungen.
Ich spreche mit dem Tier und begebe mich auf die andere Seite meines Rades. Der Hund ebenso. Dann wieder zurück. Hund auch. Ich rede freundlich weiter und nestle einen Keks aus meiner Tasche, halte es ihm hin als Beweis meiner friedlichen Absichten. Hund schnuppert nur kurz daran, verschmäht die Leckerei allerdings. Ich mache nach Minuten einen vorsichtigen Schritt nach vorne und spüre was an meinem linken Knöchel, so als wäre ein kleiner Stein gegen mein Bein geprallt, aber da waren keine Steine … das werden wohl die Hundezähne gewesen sein. Ich begebe mich wieder auf die andere Seite. Hund auch.
Ein weiterer zaghafter Schritt nach vorn und die Zähne graben sich tief in mein Bein. Mein Angreifer springt gleichzeitig nach hinten und lässt mich gehen. Mit zitternden Knien verschwinde ich hinter der nächsten Kurve, dort packe ich erst mal mein Erste-Hilfe-Set aus und desinfiziere die blutende Wunde. Aua! Ein Pflaster darüber. Glücklicherweise bin ich gegen Tollwut und Tetanus geimpft und mache mir im Moment keine Gedanken. Aber immer, wenn ich in der Ferne Bellen höre, steigt Panik in mir auf und das wird in dieser Nacht und am nächsten Tag noch oft passieren. In der Dämmerung komme ich wieder mal bei Schafen vorbei. Kein Hund. Weiter unten eine Ziegenherde, aber der Hirte ist auch da.
Beim Mauthäuschen am Beginn der Alta Via del Sale stellt mir der freundliche Kassier seinen SOS-Notfall-Set zur Verfügung und ich kann die Wunde, die immer noch stark blutet, nochmal reinigen und abdecken. Durch die andauernde Bewegung beim Pedalieren hat die Biss-Stelle keine Ruhe. Der Mann erzählt mir, dass in der Nähe kürzlich erst noch wer gebissen wurde.
Ich fahre weiter und freue mich auf die Alta Via del Sale bei wunderschönem Wetter. Die Sonne geht grad auf. Mein Hochgefühl dauert nicht lange, dann wieder Hundegebell, von vielen Hunden. Und schon springt eine ganze Meute riesiger weißer Tiere der Gattung pastore maremmano auf mich zu. Ich in Windeseile vom Rad. Erleichterung, als die Tiere zurückgerufen werden.
Die nächsten vielen Kilometer auf dem berühmten alten Militärweg sind atemberaubend schön. Das Rifugio Don Barbera lasse ich rechts liegen in der Annahme, es sei nur eine kleine Almhütte. Aber ich habe eh noch Wasser und Proviant genug.
Bei einer kurzen Ess-Rast entdecke ich, dass meine Lenkertasche “geflutet” ist vom Regen am Vortag. Meine Powerbank liegt komplett im Wasser. Die ist wohl “hinüber”. Ich kann zwar meine Geräte mit dem Pufferakku, der vom Nabendynamo gespeist wird, laden, aber das ist nicht so einfach. Bei Dunkelheit geht das nicht, da der Dynamo die Vorderlampe speist und beim Bergauffahren wird zu wenig Strom erzeugt. Ich muss also den ganzen Tag gut planen, wann ich ein Gerät anschließen kann zum Laden. Und jetzt ist auch noch meine eiserne Stromreserve futsch …
Dann wieder belebtere Gegend bei Limone Piemonte. Hier war ich vor einigen Jahren zweimal bei einem Berglauf, dem Grand Raid Cro-Magnon, das einmal abgebrochen wurde wegen Schlechtwetters und nächtlichem starken Schneefall auf der Strecke. Ich erinnere mich zurück, nichts ahnend, was auf mich noch zukommen sollte ein paar Tage später.
Dann Abfahrt nach Tende. Aber nicht auf der spektakulären Colle di Tenda – Pass-Straße, sondern auf einer sehr sehr ruppige Schotterpiste und mich ziemlich durchrüttelt. Die Handgelenke schmerzen bald sehr.
Section 2 von Tende zum CP1 Refuge Hotel de Bayasse (196 km/ 5650 Hm)
Ab Tende aber belohnt eine 20 Kilometer lange schnelle Asphaltabfahrt mit Rückenwind. Eis- und Latte Macchiato-Pause an der Tankstelle und dann rein nach Saint Dalmas de Tende. Hier gibt es einen Supermarkt und eine Apotheke. Die Apothekerin verarztet mich nochmal, meint aber, ich solle doch besser zum Arzt wegen der Infektionsgefahr. Sie ist so nett und verschafft mir einen Termin. Bald bin ich aus dem Hospital wieder raus mit einem Rezept für ein Anti- und einem Probiotikum.
Nachtrag zur Verständigung in Frankreich. Ich kann kein Französisch, beispielsweise die Angestellten in der Apotheke können nur Französisch. Sie konnten auf jeden Fall nicht gut genug Englisch, um mein nicht gut ‘genuges’ Englisch zu verstehen. Aber der Translater tut gute Dienste. Ich spreche auf Deutsch rein, es kommt auf Französisch raus und umgekehrt sie sprechen auf Französisch rein und es kommt auf Deutsch raus und alles ist paletti.
Im Supermarkt treffe ich auf die meisten der lustigen Hüttenrunde einen Tag zuvor. Gemeinsam radeln wir Richtung Col Turini. Als ich Jo meine Verarztung zeige, erzählt sie, dass sie ebenfalls gebissen wurde. Sie wird erst am nächsten Tag beim Arzt vorbei schauen.
Ich entsorge meinen Müll und schweren Herzens meine Powerbank. Ein Straßenschild weist nach Rechts, Sospel, Menton. Wie verführerisch. Mindestens 5 Tage habe ich noch vor mir. Wenn die so ähnlich sich zeigen, wie die letzten beiden Tage, dann wird das wohl eines der härtesten Events werden. Wie gut, dass ich hier noch nicht weiß, wie sich das Ganze entwickeln wird … Am besten nur schrittweise vorausdenken, also jetzt mal nur bis zum nächsten “Zeltplatz”.
Samstag und Sonntag war ich so mit dem Fortgang des Rennens beschäftigt, dass ich mir nicht vorstellen konnte irgendwann mal etwas in die Aufnahme-App zu sprechen, nun ist aber alles etwas ruhiger und gemütlicher, schneller geht es eh nicht und ich kann nebenbei etwas quatschen. Die Erinnerungen an die einzelnen Tage verblassen nämlich sehr schnell.
Meine Gedanken schwadronieren. Ich überlege mir, ob ich nicht auch Wolfsgegnerin werden sollte. Denn die Wölfe sind Schuld, dass ich heute so viel Zeit im Hospital verplempert habe. Gäbe es keine Wölfe, bräuchte es keine Hirtenhunde …
26 Kilometer und 1700 Höhenmeter lang ist der Aufstieg. Es wird langsam Nacht. Ich habe noch keine Idee, wo schlafen. Unterwegs entdecke ich das Zelt von Kate und James, dem Pair. Schlagartig merke ich, wie müde ich auch schon bin. Seit meinem Aufbruch im Rifugio Allavena sind nun gut 19 Stunden vergangen, allerdings mit nur 130 Kilometer und 4000 Höhenmetern, was wohl auf den nicht einfachen Untergrund zurückzuführen ist.
Aus dem Bikepackerleben gegriffen: Abfahrt, alles anziehen, dann wenn die Sonne kommt, wird es warm, Ärmlinge und Beinlinge weg und irgendwo hinstecken. Easy zu merken, Beinlinge kommen dahin, Armlinge dorthin, es gibt ja nicht viele Möglichkeiten, die Lenker-Rolle, die Tasche hinten oder seitlich. Ich merke mir morgens, die Ärmlinge sind in der Rolle links, Beinlinge in der Rolle rechts. Am Nachmittag suche ich zuerst in der hinteren Tasche, dann in der Seitentasche und dann fällt mir ein, ich könnte auch in der Rolle schauen. Ich muss mir unbedingt ein System ausdenken, dass gewisse Sachen immer an denselben Ort gepackt werden.
Wider Erwarten mündet der geschotterte Fahrweg (“Fahr”???) in einer asphaltierten Straße. Weit ist es nicht mehr auf den Colle. Und hier DER ideale Schlafplatz. Eine kurze steile Böschung muss ich erklimmen, darüber ein wunderbarer ebener Platz unter einer Lärche. Ich entscheide spontan, hier zu bleiben und stelle mein Zelt auf.Über mir ein herrlicher Sternenhimmel. Eine leichte Brise führt dazu, dass auch keine nasskalten Nebel sich über meine Schlafstatt legen. Es ist wirklich gemütlich.
Dienstag, 10. September 24
Nach kurzem erholsamem Schlaf breche ich wieder auf. Bald bin ich auf dem Col Turini und gehe in die Abfahrt ins Vésubie-Tal. Die ist allerdings nicht so cool. Es ist ungemütlich kalt, der Weg zum Teil auf nassem und rutschigem Waldboden. Es ist zappenduster, wenn mir hier die Lampe ausfallen würde, nicht auszudenken, ich habe ja auch die Powerbank nicht mehr. Irgendwo Hundegebell. Mir sträuben sich schon die Nackenhaare. Es dämmert endlich. Lissa überholt mich. Ich fahre abwärts eher verhalten. Um kurz vor sieben treffen wir uns vor der Boulangerie in La Bollene. Gut getimt, diese sperrt gerade auf. Und wie leckere Dinge es hier gibt. Ich decke mich fürs Frühstück und untertags ein. Lissa erzählt, dass ihr Smartphone ähnlich wie meine Powerbank die Regengüsse vom Sonntag nicht überlebt hat und nicht mehr funktioniert. Nicht auszudenken.
Mein Zeitplan hat sich durch die unvorhergesehenen Ereignisse beträchtlich verschoben. Ich hoffe, dass ich es heute noch über den Col de la Bonette schaffe, denn der CP1 unterhalb des Gipfels schließt um 1 Uhr heute Nacht. Vielleicht könnte ich dort schlafen und meine Sachen mal waschen. Riecht nämlich alles nicht mehr ganz gut, besonders die Socken.
Weiter taleinwärts mache ich nochmal einen kurzen Supermarktstopp. Ich habe unheimliche Lust auf Yoghurt. Dem muss ich sofort nachgeben, wahrscheinlich braucht mein Körper das gerade. Dann ist das falsopiano, die falsche Ebene, wie der Italiener sagt wieder vorbei und auf traumhaftem Splitt geht es hoch auf den ersten ernsten Berg heute, den Col du Suc. Ich hole Jo und Martin ein. Kurz vor dem höchsten Punkt ist der feine Weg schlagartig vorbei. Große Baumaschinen verlegen den Weg und wir müssen äußerste Vorsicht walten lassen, dass die Arbeiter unsere Anwesenheit merken. Und wieder lange Abfahrt zuletzt lässig über eine Teerstraße und hinein ins Tal des Flusses Tinneé. Mittagessen-Zeit mit Jo.
Es ist heute sehr heiß. Am parallel fließenden Fluss würde ich mich gerne erfrischen, aber davon raten überall große Schilder ab. Meine Rettung ist ein Spielplatz mit einer Wasserzapfstelle. Mit einem Schwengel kurbelt man den Wasserfluss an. Ich wasche meine gesamte Kleidung. Wie ich das technisch mache, um nicht splitterfasernackt dazustehen wird nicht verraten. Eine Weile trocknen die Sachen am Zaun, noch feucht angezogen kühlt mich das bei meiner Weiterfahrt.
In Saint Etienne de Tinneé ein letzter Supermarkt-Stopp mit Feta, Gurke und Datterini-Tomaten, mein griechischer Salat, Yoghurt (ekelhaft, schmecken chemisch und man muss immer mindestens ein Viererpack kaufen), Obst und Kekse für unterwegs.
Es gibt lange nichts mehr und ich muss meine Reserven auffüllen und wohl über den nächsten Berg schleppen. Dort werde ich wohl viel Zeit haben, meine Vorratshaltung zu überdenken. Mein am Samstag in Menton beim Frühstücksbuffet gehamsterte Brot hatte ich erst kürzlich weggeworfen, nachdem ich es zwei Tage über die Berge geschleppt hatte. Auch meine Quinoa-Fertigmahlzeit aus dem Supermarkt landete grad im Müll, auch das hatte ich mitgeschleppt, bis es nicht mehr genießbar war. Und den Apfel, rundherum voller brauner Flecken vom Gerüttel, sollte ich vielleicht auch nicht mehr so lange aufheben.
Auch Wasser trage ich sparsam verwendend immer wieder über die Gipfel, um es beim nächsten Brunnen auszuschütten. Ich treffe Kris W., er muss hier leider aufgrund eines technischen Defekts aufgeben und erzählt, wie kompliziert es ist, hier wieder weg zu kommen. Seine Banane nehme ich dankend an, ich sollte sie noch über drei Berge tragen – nur soviel zur sinnvollen Vorratsplanung *lach* …
Auch Lissa startet nun in Richtung Col de la Bonette, dessen Gipfel auf 2700 m liegt. Später Nachmittag, ich muss mich das erste Mal mit einem Hörbuch motivieren. Weit kann man auf einer geteerten Straße fahren. Die Bergwelt rundherum ist in ein magisches Licht getaucht. Meine Motivation ist seit es dämmert mit dem Tageslicht irgendwie abhanden gekommen. Es scheint mir sehr schwer zu fallen. Ein Blick auf das Höhenprofil erklärt alles: Es hat stellenweise über 15% Steigung. Uffa!
Nun fahre ich auf einem naturbelassenen Weg. Der Aufstieg ist mühsam. Es wird dunkel. Vor mir sehe ich die Radbeleuchtung von Jo, weiter unten auch ein Licht, das muss Lissa sein. Hier muss ich auch wieder runter. Da muss ich besonders aufpassen, um nicht zu stürzen. Hoch über mir sehe ein Licht herumgeistern. Emily kommt vom Gipfel herunter. Ein kurzer Wortwechsel. Kalt soll es sein da oben.
Überraschung. Ich gelange auf eine Teerstraße, die in einer großen Runde um die Gipfelerhebung führt. Als ich auf dem höchsten Punkt bin, ist Jo schon weg. Ich merke auch, warum. Ungeschützt greift der Sturm voll zu. Schnell anziehen und weg von hier.
Die Abfahrt auf dem Aufstiegsweg ist nicht so schlimm, wie befürchtet, aber das was nun kommt, möchte ich niemandem zumuten. Weiter unten sehe ich Jos Lampe irrlichtern. Sie kommt da unten genau so langsam weiter, wie ich hier oben: Der “Weg” gleicht einem Bachbett. Fahren ist unmöglich. Also ist Runter-Schieben angesagt. Und auch dabei muss man hier noch höllisch aufpassen zwischen den Steinen sich mit den Radschuhen nicht umzuknicken und vom Gewicht des Rades nicht umgerissen zu werden. Die Schiebe-Zeit kommt mir ewig vor. Irgendwann ein Auto am Rand geparkt. Wie kommt hier ein Auto hoch. Unvorstellbar. Aber der Untergrund ist etwas besser geworden. Ich versuche es auch auf dem Sattel. Halsbrecherisch überholt mich Lissa.
Endlich da. Im Refuge Hôtel de Bayasse, dem CP1, dem ersten Kontrollpunkt. Es ist schön warm. Katie und ihre Mutter empfangen uns. Es gibt noch ein warmes Gericht: Quinoa mit Gemüse, so lecker! Im Wohnraum eine (fast) reine Mädelsgruppe. Mein Hirn ist nach den Strapazen der letzten Stunden wohl etwas daneben. Ich erinnere mich an die einfachsten englischen Phrasen und Wörter nicht mehr und gebe wohl ein erbärmliches Bild ab. Was ich aber verstehe, fast die Hälfte der Teilnehmer sind schon ausgestiegen. Eine heiße wohltuende Dusche und rein in die Federn meines Schlafsackes. Der Wecker vibriert viel zu früh, 5 Uhr. Ich stelle ihn 10 Minuten weiter. Dann packe ich. Meine Berechnungen ergeben, dass ich zum Frühstück in Barcelonnette viel zu früh sein werde. Und dort muss ich bei Öffnungszeit hin, da die nächste Möglichkeit einzukaufen erst bei meinem DNF sein wird, aber das weiß ich im Moment zum Glück noch nicht. So lege ich mich nochmal hin. Einige Leute schnarchen laut, die Luft ist sehr schlecht, ich kann nicht mehr einschlafen und gebe entnervt auf. Wieder mal eine Fehlplanung. Hätte ich den Wecker nicht so früh gestellt …
Section 3 von CP1 nach Bardonnecchia (210 km/ 5300 Hm)
Mittwoch, 11.September 24
Die 20 Kilometer bergab rollen sind bitterkalt. Die Boulangerie in Barcelonnette will ich gar nicht mehr verlassen. Erst nach zwei pain au chocolat und zwei Cappuccinos kann ich mich aufraffen. Duncan hat sich an den Nebentisch gesetzt, wir quatschen etwas. Später werde ich sehen, dass er in Embrun aus dem Rennen aussteigt. Wieder einer von so vielen, die bisher aufgegeben haben. Die Strecke führt nun auf einer alten Bahntrasse. Der erste Tunnel ist fast 2 Kilometer lang. Ich wusste nicht, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Aber hier nochmal zurück … oje!
Dann kommt der riesige türkisfarbene Stausee in den Blick, der Lac de Serre-Ponçon, an dessen anderem Ende ich Embrun erreichen werde. Von hoch oben sehe ich die lange Brücke über den See, die ich vor einigen Jahren beim Three Peaks Bike Race überquert habe auf unserem Weg von Wien nach Barcelona. Aber zunächst geht es noch über zwei Berge und durch lange Abfahrten auf Schotter. Ich treffe auf Marc und Webster. Die Aufstiege sind kurzweilig mit Erfahrungsaustausch, dann trennen sich die Wege wieder – ich bin einfach in den Abfahrten eine Schnecke. Kurz vor Embrun treffen wir uns dann wieder im La Cantine, einem supercoolen Burger-Restaurant in der Nähe von Embrun. Das liebe ich an diesen Events. Man trifft viele Gleichgesinnte, fährt mal mit dem einen oder der anderen ein Stück gemeinsam. Mein Nabendynamo lädt irgendwie nicht richtig, auch das noch. Ich werde erst später merken, dass ich den ganzen Tag das Vorderlicht angelassen habe.
Bevor ich mein Nachtlager wieder aufschlage, muss noch ein langer Aufstiege bewältigt werden. Die Strecke über einen Forstweg hoch über Embrun muss ein touristisches Highlight für Geländewagenfahrer sein. Immer wieder kommen allradbetriebene Fahrzeuge, oft Belgier, im Pulk entgegen, Staub und Abgase nebeln mich ein.
Ich lese mit Schrecken auf einer meiner Medikamenten-Schachteln das Wort complément alimentaire. Nahrungsergänzung? Wie? Ich hatte angenommen, diese Tabletten seien das Antibiotikum. Ich hatte bisher also das Antibiotikum einmal am Tag und das Probiotikum dreimal genommen. Wie blöd kann man denn sein! Hoffentlich hatte das keine Auswirkungen.
Das Skigebiet von Risoul ist erreicht und bis zur Dämmerung schaffe ich es hinunter nach Guillestre. Der Ort ist über einen Hügel angelegt, ich möchte da zwar nicht hinauf, aber ich muss, da ich kaum noch Wasser habe.
Dann radle ich dem Kajak-Wildwasserfluss, Le Guil, entlang. Schade, dass man im Dunkeln nichts sehen kann. Bei Château Queyras mit seinem lila-pink beleuchteten Schloss treffe ich Webster wieder. Er hat ein Challet gebucht, er weiß aber nicht genau, wo die Ortschaft liegt. Ich bin jetzt gegen 23:00 Uhr schon bettreif und suche ab hier einen geeigneten Platz mein Zelt aufzustellen.
Das ist gar nicht so leicht. Rechts unzugänglicher Wald, links fällt die Straße steil zu einem, wie man hört, reißenden Bach ab. Es fängt zudem an zu tröpfeln. Irgendwann zweigt ein steiler Weg ab. Am Wegesrand kann ich eine scheinbar ebene Fläche ausmachen. Ich baue mein Zelt auf und als ich endlich im Schlafsack liege, merke ich, dass es doch nicht so eben ist, wie es den Anschein hat. Ich rutsche immer wieder runter von der Matte. Aber die Müdigkeit und die Geräuschkulisse, Wasserrauschen von Bach und das Ploppen der Regentropfen auf das Zelt wirken einschläfernd.
Donnerstag, 12.September 24
Am Morgen ist es sehr ungemütlich feuchtkalt. Ich stelle den Wecker auf vier. Dann weiter auf fünf und starte dann kurz vor sechs. Das Zelt war klatschnass und auch Ausschütteln hilft nicht wirklich. Der Schlafsack ist außen feucht. Zum Glück regnet es nicht mehr. Ich schütte noch etwas Wasser in meine gefriergetrocknete Mahlzeit von Firepot, Geschmack „Baked Apple Porridge” – lecker. Das Päckchen ist mit mir schon durch das Panceltic Ultra und Lakes ‘n’ Knödel gereist. Wie blöd kann man sein. Im Anstieg Richtung Brunissard wird mir wenigstens warm. Bei einem kleinen Dörfchen gucke ich mal, wo die anderen sind und was mich im nächsten Dorf, in Brunissard erwartet.
Kaffeé und Frühstück? Websters Trackingpunkt scheint dort auf, oje, der Arme wird sicher erst weit nach Mitternacht in der Unterkunft gewesen sein. Vor besagtem Ort empfängt mich sehr starker kalter Wind, der talauswärts fegt und leider ist Brunissard wohl schon im Winterschlaf, es gibt gar nichts. Nächste Möglichkeit sich zu versorgen, wird wohl Briançon sein. Aber ich muss noch über den Ayes Pass. Und um dorthin zu gelangen gibt es noch eine längere Schiebestrecke, wie die Beschreibung der Veranstalter androht.
Ein Schild weist zum Col d’Izoard. Ich muss leider links ab ins Gelände. Ein Stück weiter ein Campingplatz und davor ein Brunnen. Mindestens genug Wasser werde ich haben. Das Rezeptionszelt wird gerade aufgesperrt. Einen Kaffeé könnte ich haben, aber das Brot ist leider reserviert für die Campinggäste. Ein Mann mit Hund holt sich gerade sein Baguette ab, reißt spontan ein Drittel davon ab und gibt es mir. Der Mann vom Empfang schenkt mir noch ein Stück Butter dazu. Der Kaffee ist köstlich und ich sitze im Warmen, auch mein Smartphone kann ich laden.
Dann muss ich weiter. Es wird heftig. Weiterhin starker kalter Wind. Sehr steil geht es auf einem Zick-Zack-Weg hoch. Ich schiebe. Wenn das die angekündigte Schiebestrecke ist, ist das nicht so schlimm. Im Hinterkopf schwant mir aber, dass das nicht alles sein kann. Und wie wahr: Hinter der nächsten Biegung weist ein Wanderschild auf einen schmalen Pfad und zum Ayes-Pass. Knapp zwei Kilometer sollen es sein. Es geht gleich zur Sache, es ist sehr steil und steinig. Schieben geht zwar langsam, aber es geht. Je weiter nach oben ich komme, desto mühsamer wird es. Irgendwann bleibe ich außer Atem stehen, vor mir einige höhere Steinstufen. Wie soll ich mein Rad da drüber wuchten? Die insgesamt 20 Kilo fühlen sich an wie eine Tonne. Tragen wäre vielleicht besser. Ich versuche mich seitlich am Rad so zu positionieren, dass ich es huckepack nehmen kann. Fehlanzeige. Das Rad kippt und ich klappe darunter zusammen. Vielleicht geht es mit einer Tragehilfe? Ich verknote meine lange Regenhose und lege eine Schlinge um den Sattel. Diese Lösung ist auch nicht das Wahre, mein Bike reißt mich fast mit in die Tiefe. Also wie zuvor, schieben, Vorderrad hochwuchten und mit Schulter den Rest nachdrücken. Irgendwann nach ein paar sehr hohen klettersteigähnlichen Stufen bin ich doch oben. Und hinten runter ist ein alpiner Weg mit tiefem Schotter. Ein fahrbarer Weg ist noch lange nicht in Sicht.
Briançon erreiche ich am späten Vormittag. Das Gewimmel in den Straßen erschlägt mich fast. Die Einsamkeit ist mir doch lieber. Also nur schnell das Frühstück nachholen und weiter. In der Boulangerie gibt es leider keinen Kaffee, aber ein Abkommen mit der daneben liegenden Bar: ich kann meine Pain au chocolat dort verspeisen bei heißem Tee und Latte Macchiato im Warmen. Die wenigen Gäste, die draußen sitzen verfolgen interessiert und verwundert, wie ich inzwischen mein Zelt auspacke und zum Trocknen über mein Rad hänge. Ich sehe inzwischen sicher ähnlich aus wie ein Clochard, wie die Wohnsitzlosen, die mit ihrer Habe durch die französischen Großstädte ziehen. Naja, mindesten fühle ich mich so, auch nachdem ich mich im WC-Bereich etwas frisch gemacht habe. Ein blick auf die Dotwatcher-Seite, immer mehr Leute fallen hinter mir weg. Irgendwann werde ich wohl die Letzte sein.
Der Weiterweg ist cool. Ohne viel Steigung führt die Strecke immer parallel zum Fluss Durance. Sehr schön. Das Gelände wäre wunderbar geeignet für einen netten Sonntagsnachmittags-Singletrail-Ausflug. Sehr unterhaltsam, aber für 20 Kilo nicht so geeignet. Ich verfahre mich, da ich mir nicht vorstellen kann, dass es auf der Asphaltstraße weiter geht und den Geländeweg bergauf wähle.
Dann ist nur noch der Col de l’Echelle zu erklimmen – auf einer gepflegten Teerstraße, ein Übergang von Frankreich nach Italien und Bardonecchia ist erreicht. Ich habe mir von unterwegs ein Appartment gebucht und das steuere ich erst mal an. Ich lasse dort mein immer noch nasses Zelt und den Schlafsack zum Trocknen, esse schnell meine Gefriermahlzeit, die ich hier, welch Luxus, mit heißem Wasser aufbereiten kann. Auch diese Mahlzeit ist im Sommer schon Tausende Kilometer mit mir unterwegs gewesen. Irgendwas mache ich bei meiner Planung wohl falsch und kein Wunder sind die über 20 Kilogramm. Tactical Foodpack, Geschmack Meat Soup. Sehr sehr lecker!
Section 4 von Bardonnecchia zum DNF in Modane,Valfréjus (87 km/ 3100 Hm)
Dann mache ich mich auf den Weg zum Col de Sommeiller. Es ist inzwischen schon später Nachmittag, etwa 16 Uhr. 1800 Höhenmeter auf knapp 30 Kilometer – am späten Abend sollte ich wohl wieder zurück sein. Noch weiß ich jedoch nicht, was auf mich zukommt. Sonst hätte ich mich vermutlich nicht entschieden loszufahren. (Die Alternative wäre jetzt etwas zu schlafen und gegen Mitternacht zum Col zu starten. Das hätte im Nachhinein getrachtet allerdings dazu geführt, dass ich den Berg gar nicht geschafft hätte). Vor mir sind gerade noch zwei Fahrer beim Aufstieg, etwa 9 Kilometer vor mir, Torsten und Petr.
Die ersten 8 Kilometer und etwa 700 Höhenmeter sind feinster Teer. Das nun folgende flache Schotterstück wird allerdings unterbrochen von einer Umleitung über einen Wanderweg, erst steil runter, dann zusätzliche Höhenmeter hoch. Beim Stausee kommt mir eine vermummte Radfahrerin entgegen: Leona. Oben absolut winterliche Bedingungen, so etwa 3 Stunden werde ich wohl für den Anstieg brauchen. Mir scheint das viel und motiviert fahre ich weiter. Der Schotterweg steigt nun kräftig an, ist aber gut fahrbar. Es dämmert. Noch aber kann ich die Aussicht auf die faszinierende Bergwelt genießen. Glockengebimmel gibt den passenden Rahmen, Kühe gibt es hier oben auf fast 2600 also auch noch. Es wirft mich vom Rad … Upps! Große Steine zeugen davon, dass sich der Untergrund schlagartig geändert hat. Zum Teil recht unwegsam wechsle ich zwischen Schieben und Fahren. Dann irgendwann ist fast nur noch Schieben angesagt. Ein argwöhnischer Blick auf mein GPS-Gerät, es sind noch fast sechs Kilometer und nur noch etwa 400 Hm bis zum höchsten Punkt. Ich schalte meine Lupine-Helmlampe zu, da die nabendynamobetriebene Vorderlampe bei dieser „Geschwindigkeit“ zu wenig helles Licht gibt. Die dicke Lupine-Batterie dürfte noch genügend geladen sein – hoffentlich.
Waren die Temperaturen unter der Waldgrenze recht angenehm, so ist es hier bitterkalt. Der starke Wind tut sein Übriges, um den Körper auszukühlen. Ich ziehe Regenhose und -jacke an. Über die kurzen Radhandschuhe streife ich die dünnen Merinohandschuhe und darüber noch welche mit langen Fingern. Recht dick ist das alles zusammen aber nicht und der kleine Finger fühlt sich schon kalt und taub an. Wie wird das weiter oben werden und auf der Abfahrt? Werden meine klammen Finger es noch schaffen zu bremsen? Meine Skinfit Primaloft Fäustlinge liegen gut in der Schublade zuhause. Sie sind beim Packen dem Minimierungsversuch zum Opfer gefallen.
Durst! Ich bleibe wieder einmal stehen, um einen Schluck aus dem Trinkrucksack zu nehmen. Aber was ist das? Nichts geht mehr. Schon leer? Nein, im Schein der Helmlampe sehe ich das Eis im Schlauch, auch die Trinkflasche ist eingefroren. Ein Blick auf meine Garmin … Minus 6°C!!
Warum kommen die beiden vor mir nicht entgegen? Mir schwant Böses – das Terrain wird wohl nicht einfacher werden. Endlich ein Licht vor mir. Torsten. Ich klage ihm mein Leid, dass ich in der letzten halben Stunde unzählige Male beschlossen habe umzukehren, ich sei doch nicht lebensmüde. Es wird zwar nicht besser auf dem Weg nach oben, aber mir fehlen doch nur noch etwa 2 Kilometer. Wenn ich es bis hierhergeschafft hätte, soll ich doch das bisschen noch hochwandern. Mit einem Bein am Boden holpert Torsten -er hat warme Fäustlinge sehe ich neidisch- weiter abwärts. und ich ein paar Meter mit leicht erhöhter Motivation schiebe weiter, bis zur nächsten Kurve. Soll ich doch zurück? Zwei ICHs disputieren. Sofort umkehren!! Nein, weiter gehen, mir wird das sonst leidtun, so kurz vor dem Gipfel klein beigegeben zu haben. Petr kommt entgegen. Noch etwa eine halbe Stunde und ich hätte es geschafft. ABER: Dann bin ich oben und dann? An den Rückweg sollte ich auch denken. Weiter hike & bike? Noch lange in dieser lebensfeindlichen Höhe? Ich wage gar nicht daran zu denken, was alles passieren könnte. Das ganze Unternehmen – Leichtsinn pur!!
Wieder mal muss ich über einen Schuttkegel steigen. Erdrutschmaterial? Ich kann es nicht gut erkennen, nur, dass der Fahrweg immer wieder unterbrochen ist. Dann nur noch ein paar Meter und ich bin oben. Hier stürmt es gewaltig. Raus aus den Handschuhen und das Pflicht-Foto der Tafel mit den vielen Aufklebern schießen. Das ist wohl ein Fehler, ich habe in Sekunden kein Gefühl mehr in den Fingern. Ich drehe um und bewege mich abwärts. Meine warme Windjacke kann ich erst etwas weiter unten anziehen im Schutz eines großen Steines. Den Reißverschluss bekomme ich kaum zu mit meinen eingefrorenen Fingern. Wie konnte ich mich bloß in so eine Situation bringen? Jetzt nichts wie weg hier!
Ich senke meine Sattelstütze ab und versuche so gut es geht über den unwegsamen Pfad abwärtszurollen. Es geht stückeweise besser als gedacht, manchmal genügt es mit einem Fuß auf dem Boden das Gleichgewicht zu halten, dann wieder muss ich runter vom Rad und schieben. Es ist anstrengend, aber das ist auch gut, so ist mir nicht so unheimlich kalt und ich werde auch nicht schläfrig.
Ich bin schon fast wieder auf besserem Untergrund, da sehe ich ein Licht. Eine Fata Morgana? Die gibt es doch nur bei großer Hitze … Es ist Webster. Inzwischen treibt der Sturm dicke Flocken vor sich her. Und der Schnee bleibt schon liegen auf dem Weg. Ich halte und spreche kurz mit Webster. Informiere ihn, dass hier die Schiebestrecke beginnt und dass es eisigkalt ist. Ich wünsche ihm viel Glück. Er stapft weiter, ich rolle weiter. Inständig hoffe ich, dass Webster vernünftig ist und bei diesem Schneetreiben nicht weiter geht. Ich werde weiter unten Katie, der Veranstalterin schreiben, sie solle ihn in dieser Nacht im Auge behalten. Auch Hermann informiere ich, dass ich bei der Waldgrenze sei und nun nur noch leichtes Gelände vor mir liegt. Gegen ein Uhr bin ich in meiner Unterkunft. Eine heiße Dusche belebt meine eingefrorenen Körperteile. Ich sinke ins Bett und sofort in Tiefschlaf. Bei Öffnung der Boulangerie wollte ich vor Ort sein, das heißt ich muss nicht so früh raus.
Freitag, 13.September 24 – schlechtes Omen????
Um 7 klopft es Sturm. Eine aufgeregte Hotelmanagerin steht vor der Tür. Weil ich verbotenerweise das Rad mit in den Wohnbereich genommen habe? Nein, sie wollte nur wissen, ob ich „safe“, wohlbehalten im Zimmer sei. Denn es werde nach mir gesucht. Langsam verstehe ich. Meine Tracker Position ist noch oben am Berg. Mein Smartphone ist aus und niemand kann mich erreichen. Große Aufregung bei Veranstaltern und Hermann, die sich alle Sorgen machen und kurz davor sind, eine Rettungsaktion zu starten.
Im Nachhinein betrachtet – eine Rettungsaktion wäre wohl zu spät gekommen, hätte ich mich dort oben verletzt. Ausgekühlt ist man schnell und bei vermutlich mehr als 6° unter Null droht wohl der Erfrierungstod. Wie der kanadischen Frau, die am selben Wochenende in der Nähe meines Heimatortes bei einer harmlosen Wanderung erfroren ist. Webster war übrigens vernünftig genug nicht mehr weiterzugehen und gelangte wohlbehalten ins Tal.
Am Morgen ist Bardonecchia wie ausgestorben, die Sommersaison ist vorbei und fast alles zu. Kein Bäcker, kein kleiner Shop im Ort. Ich finde eine Boulangerie, die aber keinen Kaffee hat und nur süße Sachen. Heute sollte ich nicht so schnell eine weitere Versorgungsmöglichkeit erreichen.
Der alte Militärweg hinauf zum Colle Rho ist nicht gepflegt. Sehr holprig, steinig und ziemlich steil geht es bergauf. Für mich und mein schwer bepacktes Rad bedeutet das fast 6 Kilometer hochschieben. Die Gipfel rundum sind in eisige Nebel gehüllt, die Sonne kommt zwar ab und zu durch, meine Wasserreserve ist allerdings schon wieder zu Eis geworden. Zudem bringt der stramme Wind immer mal wieder einen Schub Schneeflocken.
Meine Motivation schwindet. Alle paar Minuten suche ich einen Grund stehen zu bleiben. Foto. Was essen. Auf Followmychallenge schauen, wo die anderen noch Verbliebenen sind. Mit Hermann telefonieren, ob es nicht gescheiter sei, abzubrechen. Wetterbericht konsultieren. Meine Lage bemitleiden. Der Gründe anzuhalten, gibt es viele.
Dann bin ich auf Km 67, hier sollte das hike & bike beginnen. Nanu? Das begann bei mir ja schon 4 Kilometer früher … Aber hier geht der Militärweg in einen schmalen Wanderweg über. Ein Schild informiert mich, dass ich auf dem Pian dei Morti bin. Hallelujah. So weit ist es schon, auf der Hochfläche der Toten. Ein Fingerzeig? Nein, in diese Liste möchte ich noch nicht aufgenommen werden. Hier ist der Untergrund ganz gut schiebbar. Soll ich doch noch ein bisschen weiter gehen? Falls das Gelände sich so entwickeln würde, wie beim Col de Ayes zwei Tage zuvor, das würde ich körperlich nicht mehr schaffen: mein Rad über Steinstufen hochheben. Wieder muss ich mich gegen eine Sturmböe stemmen. Jetzt ist es aber genug! Ich wuchte mein Rad um 180° in die Richtung, aus der ich gekommen bin. Jetzt umdrehen und ich käme von Bardonecchia vermutlich ganz unkompliziert mit dem Zug weg, auf der Gegenseite runter und ich wäre schon wieder in Frankreich.
Da! Eine orange gewandete Gestalt. Torsten. Hat er mich auf dem Sommeiller schon zum Weitergehen überredet, so schlägt er nun in dieselbe Kerbe: Gabi, du bist jetzt ja schon fast oben, nur noch weniger als 2 Kilometer bis auf die Passhöhe. Überredet, ich schiebe weiter, nachdem wir uns gegenseitig beim Fotografieren fotografiert haben. Ähnlich wie beim Witz „Treffen sich zwei Jäger. Beide tot!“ – treffen sich zwei Mountainbiker bei der AlpsDivide … naja, noch nicht ganz schachmatt, aber beide haben auf dem Beweisfoto das Smartphone vor dem Gesicht … Im Ernst der Situation muss ich doch ein wenig lächeln.
Den Pass kann ich vor mir schon erkennen. Zwei E-Biker sind vor uns. Und die schieben. Warum wohl? Der letzte halbe Kilometer verlangt alles ab. Der Schneematsch ist geschmolzen und hat einen schmalen äußerst steilen Schlammpfad hinterlassen. Unter meinen Schuhen habe ich in Kürze 10 Zentimeter-Stöckel. Um die Reifen wickelt sich die Masse und macht das Rad zentnerschwer.
Die Fortbewegung erfolgt in Zeitlupentempo: Rad einen Viertel-Meter vorschieben, Bremsen drücken, einen Schritt nach vorne machen, einen halben Schritt auf der seifigen Masse zurückrutschen. Alles von vorne. Ein rascher Blick zurück, Torsten ist auch nicht schneller.
Ich bin fix und fertig, als ich endlich oben bin. Hier ist der Sturm, der ungebremst von Norden durch das Tal hochweht gewaltig. Schnell alles anziehen, was ich habe und versuchen das Rad notdürftig vom Schlamm zu befreien. Sogar auf dem Bremssattel hat sich ein Haufen Matsch angehäuft. Dieser ist jedoch stocksteif gefroren und lässt sich leicht wegschnippen. Das tiefgefrorene Material auf den Reifen fällt beim Runterschieben weg.
Runterschieben. Das Gelände ist hier hochalpin. Höchste Vorsicht ist geboten, damit man sich nicht verletzt oder das schwere Bike irgendwo runterkugelt. Eine Windböe erwischt mich seitlich, mir wird das Bike aus der Hand gerissen und die Hinterseite wird gegen einen Stein geschleudert. Schock. Ein Kontrollblick, ob noch alles heil ist. Anscheinend. Nur die Seitentasche, meine Tailfin Panier Bag, hat einen Riss abgekommen. Schade!
Ich mache mich weiter an den Abstieg. Irgendwo ganz weit unten kann ich wieder fahren. Ich komme vorbei an Almen und dann am Skidorf Valfrejus. Wie ausgestorben natürlich. Weiter unten im Tal dann ein Supermarkt im Örtchen Modane. Ich friere so von der Abfahrt und bin ausgehungert. Ich verplempere viel Zeit mit Überlegungen, was nun tun. Warte auf Torsten, um zu erfahren, was er vorhat. Aber ich treffe ihn nicht mehr. Ein Blick auf meine Skizzen zeigt, dass ich in den nächsten Tagen immer wieder lange auf über 2000 m Meereshöhe unterwegs sein würde. Die WhatsApp-Nachricht von Katie, dass es einige Ausweichstrecken gebe, geht irgendwie an mir vorbei. Verfroren wie ich bin, möchte ich das nicht noch weitere zwei Tage haben.
Ich gebe meinem Vernunft-Ich nach: Ab ins nächste Hotel und unter die heiße Dusche! Ich verschwende an den nächsten Tagen zwar (fast) keinen Gedanken mehr, wie „hätte ich doch … wäre ich …“ , aber die Info, dass Torsten einen Berg weiter ausgestiegen sei und Leona auch, hat mich doch darin bestärkt, richtig gehandelt zu haben.
Stolz bin ich doch, so weit gekommen zu sein. Von an die 100 Starterinnen und Startern haben sehr viele das Rennen vorzeitig beendet. Ganz grob gesagt, pro 100 Kilometer jeweils ein Ausfall von 10. Und ich bin immerhin bis km 700 gekommen und habe über 20.000 Höhenmeter zurückgelegt.
Samstag, 14.September 24
Heimfahrt: Am nächsten Tag fahre ich über den wunderschönen Mont Cenisio runter ins Susa-Tal. Mein Plan die 600 Kilometer über den Comer See, Maloja Pass und das Vinschgau heim zu radeln hat sich allerdings in Susa beim Anblick des wartenden Zuges in Luft aufgelöst. Nach Mitternacht bin ich so wieder zuhause.
Eine Rechnung habe ich offen mit der Alps Divide, jetzt nach meinem ersten DNF. Werde ich dort nochmal starten? Das Rennen ist durch die vielen Höhenmeter sehr hart, aber machbar. Die Gegenden auf jeden Fall wunderschön. Aber das Wetter muss mitspielen. Mal sehen …
Frau allein im Wald. Kaum ist der Reißverschluss meines kleinen Zelts zu und ich eingemummelt in den Schlafsack, höre ich seltsame Geräusche. Ich halte die Luft an und lausche schockstarr mit weit aufgerissenen Augen. Was ist das da draußen? Das und warum ich am zweiten Tag mit dem Schimpfen gar nicht mehr aufhören kann – lest nach dem Video weiter …
Premiere von Lakes ’n‘ Knödel: 730 km/ 15.200 Hm von Fuschl nach Bregenz graveln … Durch den Wortlaut in der Ausschreibung habe ich das Ganze etwas unterschätzt … wahrscheinlich nicht nur ich …
Tag 1: Start – CP1 Blecksteinhaus: 233,11 km/ 3.302 m Bewegungszeit: 14:09:59
Pre-Start. So viele Leute, schauen alle so jung und professionell aus, es wird gefachsimpelt. So wie es aussieht werde ich da wohl im hinteren Drittel mitfahren werden. Besonders auch deshalb, weil meine Beine nicht ganz erholt sind nach den Strapazen des Panceltic-Ultra Race, das ich zwei Wochen zuvor gefinisht hatte; 2300 Kilometer der Küste Schottlands entlang mit unsäglich steilen Aufstiegen – das wird mir hier wohl erspart bleiben, DENKE ICH …
Ich freue mich auf ein paar Tage Radeln durch schöne Landschaften, Knödel essen, mit netten Leuten Erfahrungen austauschen, einfach eine feine Tour fahren, so wie es in der Ausschreibung irgendwie rüberkam. Wie ich mich da getäuscht habe …
Der erste Tag von Fuschl bis zu den ersten Bergen verspricht einfach zu werden. Ich fahre über 200 Kilometer, bis zur ersten Schlafpause. Naja, ganz so leicht ist es dann doch nicht. Ich erinnere mich an die Aussage Bastians beim Briefing: „Ihr werdet mich manchmal hassen …!!“ Immer wieder gibt es Abstecher ins Gelände und da wird es meist mega schlammig durch den Regen der vergangenen Tage und es gibt ein paar Schiebepassagen, mit 20 Kilo Rad & Gepäck ziemlich anstrengend. Am Tag zuvor hatte ich ein Problem mit der Schaltung, die Clemens vom Hotel Jakob wohl durch Entfernen eines Kettengliedes behoben hatte, weiters war viel Luft aus meinem Hinterreifen entwichen und Finn von der Rezeption half mir Milch nachfüllen. Erst, als der Reifen richtig in die Felge sprang schien der Reifen dicht zu halten. Unterwegs merke ich jedoch, dass etwas Luft wieder raus war. Ich habe eine kleine Pumpe mit, feiner wäre halt eine ordentliche Standpumpe. Meine Nachfrage über einen Gartenzaun ist erfolglos. Ich frage noch, ob es einen Gartenschlauch gäbe, mit dem ich Rad und Taschen säubern könnte. Ja! Mit blitzblankem Rad fahre ich weiter, merke aber bald, dass das vergebliche Liebesmüh war, denn die Strecke führt fröhlich weiter durch Matsch. Eitelkeit ist hier wohl fehl am Platz.
Nach dem Chiemsee und Eis- und Kaffeepause radle ich weiter. Im Westen drohen dunkelgraue bleischwere Wolken. Ich habe Glück und fahre immer in die Richtung, in der es etwas heller ist. Dann aber eine riesige gelb-graue Wolkenwalze aus der es schon blitzt. Die Donner erschrecken mich, panisch suche ich einen Unterstand und finde ihn in einem Bushäuschen, bevor es voll anfängt zu schütten. Hier hocken schon zwei weitere Teilnehmer. Eine Stunde etwa müssen wir das Unwetter aussitzen.
Nun geht es etwas auf dem Inn-Damm weiter und in Raubling biege ich ab von der Strecke zu einer Tankstelle. Es gibt auf den nächsten etwa 100 Kilometern keine weitere Verpflegungsmöglichkeit. Eine fröhliche Runde trifft sich hier.
Bei Dämmerung fragte ich in einem Berggasthof nochmal um eine Pumpe. Erfolg. Der Chef des Hauses verschwindet nebenan im Haus, kommt mit einer altertümlich anmutenden Pumpe zurück und macht sich, bevor ich einen Einwand machen kann, an meinem Hinterrad zu schaffen, haut mit Gewalt die Pumpe auf das Ventil, pumpt etwas und zieht das Ding wieder ab. Oh, Schreck, Das Absperrventil sitzt nun schräg, es ist stark verbogen. Wenn ich das nun vorsichtig zurückbiege, bricht es womöglich ab … Also lasse ich es so, wie es ist, bekomme aber die Ventilkappe fast nicht mehr aufgeschraubt.
Weiter fahre ich in die Dunkelheit. Ich hatte laut Plan eigentlich vor, vor dem nächsten Berg zu schlafen, aber ich bin früher dran als gedacht und überquere diesen noch. Vor Bayrischzell finde ich einen kleinen Spielplatz, wie geschaffen für mein Nachtlager. Mein Zeltchen stelle ich auf und merke erst, als ich mich darin einrichte, dass das Gelände nicht eben ist. Ich rutsche immer wieder von der Matte, die Nachtruhe ist dementsprechend unruhig.
Früh, gegen drei Uhr, packe ich. Viel zu lange brauche ich, um meine Siebensachen zu systemieren, wo ist bloß der zweite Socken und wo nur der Handschuh? Das Stirnband finde ich auch erst nach langem Kramen. Hier im Zelt ist anziehen sowieso eine Bauchmuskelübung, da es so nieder ist. Ich fahre weiter. Der Bäcker im nächsten Ort hat natürlich noch nicht auf.
Tag 2: CP1 – CP2 Plumsjoch-Hütte 145,57 km/ 4.303 m Bewegungszeit: 14:10:29
30 Kilometer sind es noch bis zum CP1 auf dem Blecksteinhaus nahe dem Spitzingsee.
Landschaftlich ein Traum, es geht über Almen, durch eine Schlucht bis ins Valepp. Hier war ich dieses Jahr bei der Watzmann-Arber-Rundfahrt (600km/ über 10.000Hm mit dem Rennrad) schon mal. Die schmale Straße führt in angenehmer Steigung durch ein Tälchen nach oben. Dachte ich, denn mein Track führt parallel dazu, immer in Sichtweite der Straße über groben Schotter. Immer wieder muss ich absteigen, denn es sind geröllgefüllte Gräben zu durchschiebe. Zu allem Überfluss fängt es nun auch noch an zu schütten. Regenzeug raus. Die Füße sind im Nu klatschnass. Durchnässt komme ich bei CP1 an. Es gibt einen leckeren Knödel auf Salatbeet. Ein ungewöhnliches Frühstück, gibt aber Kraft für die Weiterfahrt. Und es gibt eine Luftpumpe!
Inzwischen hat es aufgehört zu regnen und ich breche wieder auf. Über den Spitzingsattel bis zum Schliersee natürlich nicht bequem über die Teerstraße, sondern im Gelände. War am Tag zuvor einiges auf Asphalt, so dreht sich das Verhältnis heute um, angenehmen Teer gibt es nur noch selten. Das Wetter ist durchwachsen. Immer wieder nieselt es
In Gmund am Tegernsee fülle ich meine Reserven auf für die nächsten einsamen 100 Kilometer etwa. Auf einem schmalen Fußgängerbrückchen kreuze ich einem Spaziergänger mit Hund: „Wer hotn sich dera Streckn ausgsuacht? De Radler schindn sich olle wie di Verrucktn. Wo miaßtn es hin? Ja, des gang jo do untn viel leichter ibr di Stroßn!“ Ich frage: „Ist es verboten?“ – „Na, obr do isch jo kniehoach Sumpf!“
Heute wird es laut Plan mega „böse“, Einsamkeit, viele Berge, große Steigungen. Wo ich wohl am Abend landen werde? Das Karwendel darf man jedenfalls nur tagsüber befahren, Disqualifikation, wer sich zwischen 20 Uhr und 6 Uhr früh zwischen Pertisau am Achensee und Scharnitz aufhält.
Die Strecke führt nun durch dichten Wald der bayrischen Voralpen. Sehr steile Steigungen zwingen mich zu ziemlich einigen langen Schiebepassagen. Wegen Holzschlägerungsarbeiten war die Strecke kurzfristig umgeleitet worden. Ich hatte den neuen Track auf meiner Garmin. Es ist inzwischen sehr heiß, im Wald angenehm. Nach einer steilen Abfahrt nach Bad Wiessee am gleichnamigen See lege ich eine Mittagspause auf einer Bank ein. Während ich mein Sandwich verspeise, schaue ich zufälligerweise mal auf der Trackerplattform nach. Komisch, da wo ich bin, ist kein Teilnehmer, alle sind etwas weiter oben im Wald.
Verwirrt rufe ich Bastian an, der kann sich das auch nicht erklären. Meine Garmin zeigt mir an, ich sei richtig, laut Livetracking bin ich aber abseits der Strecke. Zu allem Unglück blockiert meine Garmin und ich muss erst googeln, wie ich sie ganz ausschalten und neu starten kann. Das gelingt zum Glück. Bastian hat mir angesagt, ich müsste kurz zurück zur Strecke. Kurz, ja, aber die 20% Teerstraße in der prallen Sonne hochschieben, ist kein Vergnügen.
Im Wald dann fädle ich vermeintlich richtig ein. Garmin scheint einverstanden zu sein. Ich schiebe ein überaus steiles Tal hoch, als ich bemerke, dass die Linie auf meinem Navi, der ich folgen muss, nicht dunkelviolett ist, sondern heller. Schreck! Das bedeutet, das Navi zeigt eine Ausweichstrecke. Was, wenn die mich nicht richtig leitet? Es wird immer steiler, manchmal rutsche ich mit meinen Schuhen zurück. Wenn ich nun die ganzen Höhenmeter wieder runter muss? Das würde ich wohl nicht packen. Und was, wenn das zur Disqulifikation führen würde, weil ich ja offensichtlich falsch bin. Fast bin ich den Tränen nahe, da sehe ich vor mir einen anderen sein Rad schieben. Erleichterung! Dann bin ich wohl doch auf der korrekten Spur.
Weiter oben fädle ich in den dunkelvioletten Track ein. Gerettet! Bei einer Hütte treffe ich auf mehrere Leidensgenossen. Die sind alle das Tal hochgeschoben.
Es geht nun bergab. Bald auch hier eine Schiebestrecke. Einige mutige Gravelbike-Fahrer überholen mich halsbrecherisch. Etwas weiter aber hole ich sie wieder ein. „Ich habe grad meine Hose geschräddert!“, berichtet der eine. Zum Glück ist nicht viel passiert, nach Desinfektion der Wunde am Oberschenkel fahren die beiden auch weiter. Mich bestärkt das darin, vorsichtig, wenn dadurch auch langsamer zu fahren.
An der Grenze zu Österreich ist es nach weiteren zermürbenden Schiebestrecken und gegenseitigem Leidklagen schon später Nachmittag. Ein Grüppchen begibt sich in die nächsten beiden Anstiege. Was da wohl auf mich noch zukommen würde? Ich beschließe ein paar Hundert Meter von der Strecke ab in einem Gasthof noch eine Suppe zu essen und mich dann an den Aufstieg zu machen.
Zehn Kilometer geht es nur auf eine Alm hinauf. Wider Erwarten ist (fast) alles fahrbar. Dann hinunter nach Steinberg am Rofan und wieder hoch, steiler nun. Nach einer Alm wird es noch steiler. Der Weg ist ausgewaschen und führt über faustgroße Steine. Am höchsten Punkt verliert sich der Weg auf einer Almwiese. Irgendwie bleibe ich auf der vom Navi vorgegebenen Spur und finde den Weg wieder. Schiebestrecke, dann ab einer Alm wieder fahrbar, in Richtung Achensee. In Österreich ist es strengstens verboten zu biwakieren, auch Notbiwaks sind nicht erlaubt.
Meine Idee, irgendwo am Ufer des Achensees zu schlafen, gebe ich auf. Ich finde aber auf der Almstraße kurz vor Achenkirch ein Plätzchen neben dem Almweg. Der Schlaf ist kurz, aber erholsam, ich stelle den Wecker noch zweimal um 10 Minuten weiter, ich habe ja keinen Stress, ob ich um 6 Uhr Richtung Plumsjoch starte oder etwas später, ist egal.
Packen, was diesmal schon schneller geht, fast jeder Handgriff sitzt. Bis ins Ziel werde ich wohl Profi.
Vorgangsweise am Abend: Platz finden, Zeltutensilien raus aus der Cyclite-Lenkerrolle, Unterlage ausbreiten, Zelt aufstellen, ordentlich spannen, Schlafsack raus, Matte aufblasen, Kopfkissen ebenso. Umziehen und alles in den Schlafsack stopfen, Schlaf-Shirt an, Jacke darüber und Primaloftjacke darüber, frische Socken an, dünne Hose an, Pflegecreme auf Allerwertesten, Regenhose auch an, Zähne putzen, in Schlafsack schlüpfen, Zelt zu, Licht aus.
Vorgangsweise am Morgen: Zeug aus Schlafsack rausfischen, in richtiger Reihenfolge neben mir hinlegen, im Zelt aufsitzen, Schlafzeug ausziehen, Radzeug an, Matte und Kopfkissen aufstöpseln, alles in die richtigen Hüllen stecken, Zelt aufreißverschlussen, in die Schuhe steigen, Schlafzeug in Beutel und in die richtige Tasche stecken. Zelt abbauen und mit Matte, Unterlage und Kopfkissen sowie mit dem Schlafsack in die Lenkerrolle packen. Schauen, ob alles aufgeräumt ist. Taschen richtig vertäuen, nochmal kontrollieren, ob alles festsitzt und losfahren.
Tag 3: CP2 – CP3 Vilsalpe 180,04 km/ 4.190 m Bewegungszeit: 16:51:19
Am Achensee in die Morgendämmerung hineinzufahren ist sagenhaft schön. Am anderen Ufer kann ich auch Pertisau schon sehen, von wo es dann bitterböse werden sollte – bis zur Plumsjochhütte.
Tankstellenstopp mit Kaffee und Brioche. Noch ein paar Brote gekauft und los geht es.
Bald nach Pertisau geht es dann wirklich hoch. Bekannte hatten mich schon vorgewarnt, hier sei mit Fahren wirklich nichts mehr.
Am Fuß des Berges hält mir ein Bergsteiger ein Gatter auf. Zusammen machen wir uns an den Aufstieg. Mit etwas Quatschen vergehen die Zeit und die Strecke schneller. Mein Begleiter meint, solange ich reden könne, sei es auch nicht so anstrengend … Auf etwa Halbweg lasse ich meine Begleitung ziehen. Hinter mir kommen auch weitere Radschieber nach. Wir klagen uns etwas unser Leid, ich schiebe weiter. Richtig schwer fällt es mir eigentlich nicht, denn ich wusste ja, was auf mich zukommt. Trotzdem schlaucht die Strecke ganz schön: etwa 7 Kilometer mit gut 700 Höhenmetern. So steil teilweise, dass mich das Gewicht meines Rades mehrmals fast umwirft. Dann weiter oben einige Gestalten. Lakes ‚n‘ Knödel – Fotografen. Schweiß von der Stirn wischen, gute Miene zum bösen Spiel machen und einen Schritt zulegen. Als sie wieder aus Sichtweite sind, schleppe ich mich weiter. Nun ist aber die Plumsjochhütte, die zweite Kontrollstelle, nicht mehr weit. Und Kaspress-Knödel in der Suppe gibt es und Kuchen. Karte gestempelt und schon bin ich wieder in der Abfahrt.
Wie immer muss man höllisch aufpassen. Erholsam sind die Abfahrten kaum mal: große Steine, ausgewaschene Rinnen, feine Steinhaufen, alles Fallen, die schnell zum Sturz führen, wenn man unkonzentriert ist und nicht aufpasst.
Im Talgrund angelangt geht es ein paar feine Teer-Kilometer der Riss entlang, bevor es wieder ernst wird. Nun gegen Mittag ist der steile Forstweg zum Kleinen Ahornboden schweißtreibend heiß. Dort angelangt gibt es Kühlung am Brunnen.
Gefürchtet hatte ich mich vor dem Weg zum Karwendelhaus. Diesen war ich zweimal abgefahren und hatte dabei meine Probleme. Wie sollte ich da hochkommen? Es waren noch 4 Kilometer und einige Höhenmeter zu überwinden. Ich schiebe auf dem gerölligen Weg los. Nach etwa 200 Metern merke ich, dass ich schiebenderweise, wohl am Abend noch nicht beim Karwendelhaus angelangt sein würde. Ich steige auf mein Bike und es geht etwas trickreich, aber im Sattel langsam bergauf.
Die Hütte klebt wie ein Adlerhorst ausgesetzt auf einer Felsnase. Sagenhafter Platz. Nach einer Linsensuppe nach Omas Art mache ich mich an die Abfahrt nach Scharnitz. Die 18 Kilometer könnten rasante Abfahrt sein, aber man darf sich nicht verleiten lassen zu unbedachter Schnelligkeit. Der Forstweg birgt Gefahren, wie Rinnen, lose Steine, … Am Tag danach sollte der Hubschrauber zu mehreren Einsätzen in das Tal fliegen müssen. Unterwegs holt mich die Müdigkeit ein. Ich gönne mir 10 Minuten Powernap. Dann weiter. Kurz vor Scharnitz habe ich einen kleinen „Umfall“. Nach Fotopause will ich aufsteigen, der rechte Fuß steckt schon in den Klickpedalen. Ich bekomme das Übergewicht, kippe nach rechts und das gesamte Gewicht meines Körpers, des Rades und des Gepäcks landet auf meinem Knie. Auaa!!!! Die Kniescheibe scheint seltsam eingedellt. Ist die immer so? Es schwillt auch gleich etwas an und schmerzt in Folge bei jeder Kurbelumdrehung und besonders auch beim Laufen kann ich das Knie nicht ganz durchstrecken.
Nach dem unvermeidlichen Tankstellenstopp, hier gibt es aber nichts Gescheites, geht es in der Hitze weiter. Etwas kupiertes Gelände. Ich entdecke, dass sowohl Smartphone- als auch Garmin-Akku fast leer sind. Auch die Powerbank gibt keine Power mehr her. Da ich nirgends schnell fahren kann, geht das Laden unendlich langsam bis gar nicht. Oje, was wenn ich plötzlich ohne Navi dastehe und ohne Möglichkeit zu kommunizieren. Ich stecke den Ladekabel immer wieder um und beobachte argwöhnisch das Laden. Wasser habe ich auch fast keines mehr.
Ein Lichtblick. Bei Lermoos am Anfang des sehr schönen Aufstieges der Leutascher Ache entlang gibt es ein WC-Häuschen – und frisches Wasser. Kurz etwas Körperpflege und Vorräte in Trinkrucksack ergänzt und eingefädelt in das Tal. Die Steigung ist angenehm und meine Geräte bekommen etwas mehr Strom und ich Motivation auch dadurch, dass ich erkenne, hier schon mal gewesen zu sein. In umgekehrter Richtung bei der Schottergaudi.
Irgendwann bin ich dann an der Abzweigung zum „Gegenverkehrsbereich“ Richtung Seebensee. 4 Kilometer musste man hoch, dann wieder runter. Am Anfang treffe ich auf ein Paar, das da wohl schon oben war. Haben die es gut. Warum mussten wir überhaupt da hoch?
Als ich ankomme, weiß ich warum … Der See, der gegenüber der Zugspitze in die Felsen eingebettet ist, ist eines der schönsten Plätze der Tour. Hier treffe ich wieder auf einige Leidensgenossen, die sich grad anziehen. Gute Idee! Ein Bad. Schnell aus den Kleidern geschält und in die kühlen Fluten. Traumhaft. Und nachts musste ich nicht so schmutzig-klebrig in den Schlafsack klettern. Das Beweisfoto habe ich dann doch wieder aus meinem Video entfernt … nackig im See …
Abfahrt nach Ehrwald. Sehr steil. Und da war ich schonmal hochgefahren …
In Ehrwald geselle ich mich zu einem lustigen Grüppchen bei einer Pizzeria al Taglio und verspeise eine Margherita, bevor ich in die Dämmerung starte. Flott geht es durch die Dunkelheit zum Heiterwanger See. Dort wird es spannend. Am Ufer entlang führt zunächst einsam ein Forstweg. Nach Überquerung des Sees und Änderung des Namens in Plansee, warum auf immer, denn das Gewässer hängt zusammen, führt ein schmaler Wanderweg weiter am Ufer entlang. Rechts kann man das Wasser nicht erkennen, nur dass es steil nach unten geht. Vorsichtig „eiere“ ich weiter. Hier allein ein Fahrfehler und niemand würde mich finden, wenn ich den Abhang runter stürzte und/ oder gar ins Wasser fiele.
Irgendwann treffe ich wieder auf ein paar Kollegen, es geht an deinem Campingplatz vorbei. Was nun? Dort einchecken ist nicht mehr möglich. Die Gruppe will noch bis Reutte fahren, das hatte ich eigentlich auch vor. Aber es war schon fast Mitternacht und es ging noch über zwei Berge. Ich ließ die Gruppe ziehen.
In feiner Steigung führte der geschotterte Radweg durch den Wald. Da! Ein ebener Platz neben dem Weg. Der Boden ist jedoch angepresst und steinig, ob ich da wohl meine zelt-Heringe reinbekäme. Ich nehme einen aus der Rolle. Nichts zu machen. Mit dem Hering in der Hand fahre ich weiter. Immer wieder steige ich ab und kontrolliere den Boden. Bis ich einen passenden Platz gefunden hatte, etwas abseits vom Weg war der Boden nicht so verdichtet.
Frau allein im Wald. Kaum ist der Reißverschluss meines kleinen Zeltes zu und ich eingemummelt in den Schlafsack, höre ich seltsame Geräusche. Ich halte die Luft an und lausche schockstarr mit weit aufgerissenen Augen. Was ist das da draußen? Immer wieder diese komischen Geräusche. Mucksmäuschenstill lausche ich weiter … da, wieder! Auf einmal muss ich lachen … ich komme nämlich drauf, was das für Töne sind: mein Magen grummelt vor sich hin; er ist wohl noch mit der Pizza Margherita beschäftigt … Erleichterung. Jetzt kann ich beruhigt einschlafen und das mache ich.
Tag 4 & 5: CP3 – Finish in Bregenz 173,08 km/ 3.415 m Bewegungszeit: 13:29:50
Kurz vor der Morgendämmerung bin ich wieder im Sattel. In Reutte wartet Frühstück. Ein Bäcker hat schon ab 5:15 Uhr auf. Ich bin froh, in der Nacht nicht mehr weiter gefahren zu sein, denn eine tiefe Schlucht musste durchquert werden. Runter schieben und aufpassen, dass man nicht links den Abgrund runter kippt, über eine kleine Brücke und auf der anderen Seite über unregelmäßige Stufen das Rad nach oben hieven. Eine fast unmenschliche Anstrengung bei DEM Gewicht.
Aber geschafft und auf dem Weiterweg ins Tal schieße ich noch ein Biwak-Foto zweier Radler.
Es ist fast 8 Uhr, als ich Reutte erreiche. Der Bäcker hat eine sagenhafte Auswahl, ich schlemme und lasse mir einiges einpacken, denn auch jetzt folgt eine lange Strecke durch die Einsamkeit. An den Weiterweg kann ich mich kaum erinnern. Meine Schaltung, die in den letzten Tagen wieder Probleme zeigte, hängt immer wieder. Ich habe den leichtesten Gang zur Verfügung – zum Glück. Aber die nächsten drei sind ausgefallen. Erst die höheren Gänge kann ich wieder schalten. Wenn das nur gut geht. Hoffentlich ist das nicht Anzeichen, dass mit dem Schaltkabel etwas nicht in Ordnung ist, dass dieser irgendwann bricht.
Einige Höhenmeter sind zu erledigen, bis zum CP3 am Vilsalp-See.
Dort gibt es wieder Knödel und in der Mittagshitze gönne ich mir ein Bad. Beim Wegfahren, oh Schreck! Ist kaum mehr Luft im Hinterreifen. Ich krame die Luftpumpe raus. Nach der schnellen Abfahrt nach Tannheim pumpe ich nochmal nach. Auf dem Weiterweg scheint die Luft zu bleiben. Schlauch einlegen wäre keine Option, denn ich würde es nicht schaffen, den Reifen von der Felge zu bekommen, der war völlig festgeklebt, das hatte ich am Tag vor dem Rennen gemerkt. Blödes Gefühl so hilflos im Falle einer Panne zu sein. In der Gegend gab es seltsamerweise nicht mal einen Radverleih.
Die folgenden Kilometer sind sehr schnell auf einem geschotterten Radweg. Fast 30 Kilometer, bis auf meinem Planungsprofil ein steiler Aufstieg ins Auge stach. Und wie steil der sein sollte. 5 Kilometer mit 500 Höhenmetern reine Schiebestrecke in der sengenden Sonne. Ich schimpfe wieder mal über die Streckenführung. Denn es geht hoch zur Kappeler Alm, nur um auf der anderen Seite steil wieder runterzufahren.
In Oy Supermarktstopp. Endlich komme ich zu meinem geliebten Kefir und etwas Obst. Herrlich. Dann weiter. Der Rottachsee lädt wieder zu einem kühlen Bad ein. Dann nochmal eine Schiebestrecke.
Wegen eines Erdrusches gibt es nun eine Umleitung bis fast Sonthofen. Viele Kilometer rasante Abfahrt auf Asphalt. Hatte ich mir vorgestellt in Sonthofen gemütlich was essen zu gehen, so werde ich enttäuscht. Ich finde nahe der Strecke nur eine Imbissbude. Dort allerdings gibt es einen riesigen Salatteller und die Welt ist wieder in Ordnung.
Etwas auf und ab geht es nun durch Allgäuer Dörfer. Ich möchte mir nun langsam einen Schlafplatz suchen. Aber nichts Geeignetes in Sicht. Irgendwann beginnt eine für den normalen Autoverkehr gesperrte Mautstraße. Links und rechts der Straße nur dichtes Kraut. Oje und ich bin müde. Unerwartet eine kurze Stichstraße nach links. Sie führt hinter einen Baum und sichtgeschützt kann ich hier mein Zelt aufbauen. Neben mir Flussrauschen. Ich schlafe gut, bin aber auch heute am letzten Tag wieder früh auf.
Es sollten nur noch knapp 80 Kilometer zum Ziel sein. Die führten erst über eine Hochfläche, dann vorbei an ein paar Weilern. Frühstück keines in Sicht. Und als ich wieder in die komplette Einsamkeit abtauche, bin ich etwas unmotiviert, denn immer wieder muss ich schieben. Wie langsam die Kilometer herumgehen. Grenze zu Österreich, Vorarlberg, die Gegend heißt Sibratsgfäll. Nach der Abfahrt ein Lichtblick, ein Spargeschäft in Großdorf, das ich auf meiner Planung nicht auf dem Schirm hatte. Dann eine schöne Fahrt der Bregenzer Ach entlang, bis der vorletzte Berg vor mir liegt.
Aber alles nicht so schlimm, man kann wider Erwarten alles fahren. Vor der Abfahrt verfranze ich mich im Blaubeerwald. Viele kleine Wege und keiner scheint der richtige zu sein. Ich schiebe zurück auf die Straße, falsch, also doch durch den Wald. Zu allem Übel fängt es auch an zu regnen. Ich fädle wieder in die richtige Spur ein, fahre talwärts. Ein Donnergrollen. Jetzt erst sehe ich die schwarzen Wolken. Der Regen wird stärker. Sturmböen. Weiter vor sehe ich glücklicherweise eine Ortschaft und rette mich unter ein schützendes Dach.
Als das Schlimmste vorüber ist, fahre ich weiter. Ein Anruf Bastians. Ich solle Straße weiterfahren und nicht ins Gelände. Die Straße solle ich aber noch „genießen“. Bei der Weiterfahrt merke ich, was er damit meinte: über 18% Steigung, lange. Der Ehrgeiz lässt mich aber nicht absteigen, bald sei ja alles vorbei.
Dann die letzte Abfahrt. Unter mir liegt der Bodensee und Bregenz. Am Ufer noch ein obligatorisches Bild, dann muss ich durch die Fußgängerzone schieben. Auch das noch. Die Strecke verlief parallel zur Uferpromenade.
Mittwoch Mittag. Nicht mehr viele Meter und ich bin da. Eine Reise gemischter Gefühle ist zu Ende. Wie immer ganz plötzlich und ich stehe etwas verloren da … Erleichtert, die Strapazen hinter mir zu haben und irgendwie traurig, dass alles schon vorbei ist …
Ich bin super zufrieden: 4 Tage/ 3 Stunden/ 46 Minuten Platz 5 Damen Platz 40 overall (111 Solo-Starter*innen)
~ We Who Travel Have Stories To Tell ~ ~ Wir, die reisen, haben Geschichten zu erzählen~
Und wie viel es wieder zu erzählen gibt, konnte ich mir im Vorfeld des Panceltic Ultra, kurz PCR, nicht vorstellen …
Panceltic Ultra Race in Kürze: Eine rund 2400 Kilometer lange Radstrecke mit Start und Zeitfahren auf der Isle of Man, um dann die schottische Küste mit Isle of Mull und Isle of Sky abzufahren bis zum Ziel in Inverness. Veranstalter Web-Site
Nur wenig Zeit zum Lesen? Britta von Skinfit hat eine wunderbare Zusammenfassung meines Abenteuers erstellt.
Mein Roman …
Auftakt: Zeitfahren auf der Isle of Man:
Bekannt ist die Insel wegen des im Motorsport berühmtberüchtigten TT, der Tourist Trophy, bei der die Motorradfahrer eine Runde von gut 60 Kilometern 6-mal bewältigen müssen. Schnellste Rundenzeit sind unglaubliche 17 Minuten. Trauriger Rekord von bisher über 250 tödlich Verunglückten. Wir Radfahrer gehen das gemütlicher an.
Für mich ist es schon im Vorfeld des Rennens aufregend. Der Hinflug: Kommt mein Rad rechtzeitig an bzw. wird es mit der Lithium-Batterie in der Sattelstütze überhaupt mitgenommen … (ich bin gebranntes Kind von meiner GBDuro- Heimreise )
Kann ich mich bei meiner Gastfamilie Jaqui und Richard überhaupt verständigen mit meinen mageren Englischkenntnissen? Beim Rad-Zusammenbauen dann der Schreck: Die Schaltung funktioniert nicht, die Shimano DI2 ist „tot“. Richard fährt mich über die Insel zum Mechaniker, das Rennen kann kommen! Die Aufregung wird immer größer … Hier tausend Dank an Jaqui und Richard für die herzliche Aufnahme, die Taxidienste und und und …, auf Revanche!!!
Nacht eins: 157 km/ 2900 Hm: über die Isle of Man
Am Samstag, 6. Juli ist es dann soweit. Die Teilnehmer versammeln sich bei Douglas. Registrierung und ein Schwätzchen da und dort. Meine Aufregung wächst. Sie ist aber vorbei, als es endlich losgeht. Wir werden nach einem Briefing (bei dem ich ehrlich gesagt nicht alles verstehe) in Gruppen auf die Strecke geschickt. Glücklicherweise darf ich in einer der ersten Gruppen starten, ich muss die 157 Kilometer lange Runde bis spätestens halb acht Uhr am nächsten Morgen geschafft haben, denn dort treffen sich alle wieder auf der Festlandfähre.
Schon auf den ersten Kilometern bekomme ich einen ersten Geschmack über das, was mich in den nächsten Tagen erwarten wird: steilste Anstiege. Oje, bei meinen etwa 20 kg Rad & Gepäck eine Herausforderung. Die Landschaft auf der Insel und das Zusammentreffen mit netten Gleichgesinnten lässt mich das vergessen und noch sind die Beine ja frisch. Auf Halb-Weg ein etwa 400m hoher Berg. Das Wetter hält sich nicht an die Wettervoraussagen, hier auf der Nordseite der Insel beginnt es zu regnen; ich lege meine Regenkleidung an und fahre weiter.
Auf dem höchsten Punkt schüttet es wie aus Kübeln und da es hier baumlos und ungeschützt ist, greift noch dazu der Wind scharf an, es ist eisig kalt -nicht mehr als 5°C, und ich zittere wie Espenlaub. Ich sehe kaum mehr etwas auf der steilen Abfahrt und der Lenker überträgt mein Schlottern auf das Rad. Ich schlingere vorsichtig bergab. Warm wird es mir erst wieder, als ich die Meeresquote erreicht habe und die nächsten Anstiege warten. Mein Garmin gerät glaubt mich wieder mal auch hirnmäßig fordern zu müssen.
Auch das noch: Die Karte mit der Strecke zeigt sich wieder mal als genordet. Das heißt, ich muss bei jeder Richtungsänderung denken, wohin ich nun abbiegen muss, nicht einfach, da ich ja schon mit dem Linksverkehr sehr gefordert bin jetzt an den ersten Tagen. Mehrmals verfahre ich mich. Aber ich bin gut in der Zeit und kann den Tagesbeginn um etwa 3:30 Uhr genießen. Die Aussicht auf der Küstenstraße ist genial. Gegen 5 Uhr habe ich mein Ziel erreicht. Sachen trocknen, frühstücken, dann geht es auf die Fähre. Die 4 ½ Stunden auf der Fähre kann ich etwas ausruhen, aber an viel Schlaf ist im Kinder-Spielbereich leider nicht zu denken. Zudem stelle ich meinen Wecker viel zu früh, die Fähre war verspätet abgefahren und somit verzögert sich die Ankunft.
Tag eins (128 km/ 1800 Hm): Heysham – Ambleside
Am Festland gibt es nochmal eine Versammlung aller Teilnehmer*innen und dann die sehnlichst erwartete Ansprache des „Clan-Chefs“ Mally. Und endlich dürfen wir los, getrennt nach MO (Magnum Opus Rider hatten im Vorfeld schon einen herausfordernden Bewerb hinter sich gebracht und mussten pünktlich beim Start sein, berechtigt waren Fahrer, die mindestens zwei PCR gefinisht hatten), und dann kamen die Fahrer der kurzen und langen Strecke dran, der Short Route (1736km/ 19.546 Hm) und Full Route (2393 km/ 26.931 Hm).
Endlich geht es los. Es ist schon fast 15:00 Uhr und ich hatte im Vorfeld schon die Vermutung, dass ich an diesem ersten Renntag nicht sehr weit kommen würde. Allerdings war mein Plan der, dass ich noch über den Hardknott-Passs hinter mich bringen wollte und dann eine Schlafpause einlegen. Mein Plan wurde also schon hier am ersten Tag durcheinandergebracht. Eine durchfahrene Nacht reichte mir, ich switchte um, möchte nun in einem Hotel übernachten und nehme die Buchung unterwegs vor. Das ist eine der PCR-Regeln, man darf Unterkünfte nicht im Vorfeld buchen und man darf keine Hilfe von anderen annehmen, die nicht auch für alle anderen Teilnehmer*innen verfügbar ist. Mein Ziel an diesem Tag ist Ambleside, ein Ort im wunderschönen nordenglischen Lake District. Ganz leicht gehen die etwa 130 Kilometer nicht herum, da mir eine kräftige Brise entgegenweht.
In Ambleside checke ich ein, lasse verbotenerweise mein Zelt und Proviant hinten und gehe noch auf die 18 Kilometer lange Runde. Die 440 Höhenmeter bringen mich in eine sehr schöne Gegend, die fast alpin anmutet und unseren Almregionen ähnelt. Die Steilheit der Anstiege tut ganz schön weh. Zurück im Ort stocke ich im Supermarkt noch meine Vorräte auf. Die Supermärkte haben in UK glücklicherweise von frühmorgens bis meist 23:00 Uhr geöffnet und das 7 Tage in der Woche.
Schon kurz vor dem Wecker um 3:00 Uhr wache ich auf, packe, esse eine Kleinigkeit und sitze bald wieder im Sattel. Wrynose Pass und Hardknott stehen an. Das Kopfzerbrechen, eine Morgen-Bergtour vor mir zu haben, bewahrheitet sich: Die Straße auf den Wrynose Pass ist mit einer Steigung von bis zu 30 Prozent eine der steilsten in England. Die Steilheit zwingt mich nicht nur an einer Stelle vom Rad. Und an der steilsten Stelle komme ich -kaum zu glauben- auch zu Fuß kaum hoch, immer wieder rutschen meine MTB-Schuhe auf dem glatten Asphalt ab. Sowas hatte ich vorher noch nie erlebt. Auf dem höchsten Punkt wunderbarer Sonnenaufgang. Dasselbe gilt für den Hardknott Pass: auch hier ist Wandern angesagt. Auf den sehr steilen Abfahrten halte ich meinen Lenker sehr verkrampft. Erleichterung dann am Bergfuß, meine Motivation steigt wieder. Erst recht, als ich dann wenig später in einem kleinen Supermarkt einen Latte Macchiato und frisch gepressten Orangensaft bekomme. Ab und zu ein kleines Schwätzchen mit anderen gut bepackten Radfahrern. Nicht alle glauben mich zu verstehen oder verstehen mich wirklich nicht: wahrscheinlich rede ich einen schönen Quatsch mitunter, aber es geht immer leichter mich „aufzudeutschen“, äh „aufzuenglischen“ – gibt es das?
230 Kilometer liegen vor mir, ich habe vor, in der Kontrollstelle ein paar Stündchen zu schlafen, im Freien ist es unerwartet kalt, zum Teil nur 3-4°C
Sind die Steigungen über 15-16% knarzt irgendwas an meinem Rad ganz fürchterlich. Was ist das? Die Kurbel? Ist vielleicht das Tretlager kaputt? Komme ich überhaupt bis nach Inverness? Radläden gibt es nur wenige an der Strecke. Würden meine Beine auch so knartzen, gäbe es ein ganz schönes Konzert. Die Steigungsangaben auf meinem Navi sind teils erschreckend: meine Beine sind schon froh, wenn als Farbe nur ein Mittel-Dunkelrot angezeigt wird und nicht ein Dunkel-Dunkelrot. Immer wieder ein paar Meter zu Fuß. Schenkt mir ja niemand was, wenn ich mich im Sattel hochquäle. Ich bin froh um meine MTB-Schuhe. Im Laufe des Rennens sehe ich bei einigen Teilnehmern völlig ruinierte Rennrad-Schuhprofile.
Nach einigem Auf und Ab komme ich nach Braithwaite. Ab hier gibt es wieder eine Schleife durch die Berge. Im Dorf kommen mir Fahrer entgegen. Die Glücklichen haben die Runde wohl schon absolviert. Zwei hohe Berge sollten es sein. Beim ersten, dem Newlands Pass sehe ich schon von Weitem, dass dort Leute hochwandern. Oje! Und dieser sollte noch der gnädigere Pass sein. Hatte ich mich vor Wrynose und Hardknott gefürchtet, so hatte ich diese beiden gar nicht so auf dem Schirm gehabt.
Auch der nun anstehende Honister Pass hat Steigungsprozente von über 25% zu bieten und ich muss sicher über 2 Kilometer hinauf wandern. Anstiege mach ich im Grunde ja, aber wenn die dann so steil sind, dass man beim Schieben zurück rutscht und die Bremse krampfhaft umklammern muss, um nicht das Rad mitzuziehen, dann ist das weniger lustig. Die Abfahrt ist dafür traumhaft und ein paar Stündchen später bin ich wieder in Braithwaite und nun bin ich die, die mitleidig auf die ankommenden Radfahrer blicke, die die Schleife noch vor sich haben. Im Shop, den sehr nette Frauen führen, gibt es leckeres Essen und ich gönne mir einiges. Anscheinend glauben die Damen, ich bestelle für zwei, denn ich bekomme zwei Gedecke und zwei hoch beladene und lecker garnierte Teller serviert. Zum Abschluss noch ein Dessert und ein Latte, so heißt hier der Latte Macchiato – natürlich wie immer mit zweimal Zucker, man gönnt sich ja sonst nichts.
Weiter geht es über einige Hügel, immer wieder zwingt mich die Steilheit vom Rad, dann wird es nahezu eben, viele Kilometer lang, die Route führt entlang des National England Coast Path, manchmal bis zur Mitte zugewachsen und ich muss durch das Gras pflügen. Müdigkeit überkommt mich und ich mache einen kurzen Powernap-Stopp auf einer Parkbank. In der Ferne hört man Donnner-Grollen. Es war wohl eine gute Wahl so früh aufzustehen, denn dunkle Wolken dräuen über den Bergen, die ich gerade hinter mir gelassen habe. Die jetzt da hoch müssen, fahren wohl im Gewitter. Es fängt an zu tröpfeln und so mache ich mich ohne Nickerchen wieder auf den Weg.
Der Radweg führt nun am Meer entlang, dann biegt er wieder ins Landesinnere ab. Es geht durch landwirtschaftliches Gelände. Ich treffe immer wieder die gleichen drei Radfahrer. Irgendwann geht nichts mehr, wir stehen allesamt im Stau und das bestimmt 20 Minuten lang. Vor uns ein offenes Gatter und von der Weide begeben sich unzählige Kühe gemächlich in Richtung Stall. Immer wieder stockt es, da nachkommende Kühe erst mal stehen bleiben und gucken müssen, wer da steht, nämlich wir Radfahrer. Endlich ist das Ende erreicht, ein Traktor treibt die letzten vor sich her. Nun kommen auch wir wieder in Schwung. Der Boden ist allerdings total verdreckt. Meine Räder starren vor Kuh-Kacke und wohin die Soße überall hin gespritzt ist, möchte ich gar nicht wissen. Oje!
Die fast hundert Kilometer gehen recht flott von der Hand, ich erreiche die schottische Grenze. Nanu, ich dachte, ich sei schon längst in Schottland. Der Grenzort, Gretna Green, ist berühmt. Der Ort wurde über 200 Jahre lang von minderjährigen Paaren aus England, bald aber auch aus Teilen des übrigen Europas zur Hochzeit aufgesucht, weil sie hier ohne Erlaubnis der Erziehungsberechtigten eine Ehe schließen konnten.
Kurzer Tankstellenstopp, wer weiß, wann ich am nächsten Tag wieder die Möglichkeit bekomme mich zu versorgen … laut meiner Planung stehen abgelegene Gegenden an …
Ich treffe auf Caudia Gugole, eine Radfreundin aus Italien, die die short Route fährt und zusammen rollen wir im CP1 im Dorfgemeinschaftshaus Kirkpatrick-Fleming ein. Nach dem anstrengenden Tag und den beiden Tagen ohne viele Leute um mich ist das „Gewusele“ am Kontrollpunkt mir irgendwie zu viel. Vermutlich mache ich einen irgendwie verwirrten Eindruck und weiß in der fremden Sprache zunächst glaube ich nur Blödsinn zu antworten. Oje, oje! Ich esse und trinke was, Katzenwäsche und schaue mich in der Turnhalle um, in der ich mein Schlaflager aufbauen kann. Wie erwartet ist es dort nicht still, Schnarchen, auf Matten Rumgerutsch, … es ist für mich Schlafsensibelchen fürchterlich laut. Zu meinem Ohrstöpseln habe ich immer schon ein gestörtes Verhältnis, sie ploppen immer gleich wieder aus den Ohren raus und genervt stehe ich nach sicher nicht mehr als 2 Stunden Ruhe wieder auf, packe meine Sachen. Warum ich dabei immer so viel Zeit verliere, ist mir rätselhaft, aber es ich mir wichtig, alle Sachen an ihrem definierten Ort zu verstauen, damit ich sie jederzeit schnell wiederfinde.
Kleiner Diskurs zum Thema Gepäck: Schlafsack, Zelt, Zeltunterlage, Matte und Kopfkissen kommen in die Lenkerrolle, Zeltgestänge, Schlafgewand, Esssachen und Regenzeug in die Seitentasche (Tailfin Pannier). In meine Tailfin Top Bag auf dem Carbon Rack hinter meinem Sattel kommen alle Dinge, die ich nicht regelmäßig brauche, wie Werkzeug, Reiseapotheke, Wechselkleidung, eiserne Reserve bezüglich Verpflegung (die ich aber unangetastet wieder mit nach Hause bringen werde, 2 gefriergetrocknete Mahlzeiten, einige Gels und Riegel). Das ist noch so eine Sache- ich hamstere: Ich schleppe Esssachen und Wasser zur Genüge mit über die Berge, verbrauche sie erst kurz bevor ich neues bunkern kann, das heißt zum Beispiel in Sachen Wasser, zwei Flaschen, eine große mit einem Liter und eine kleinere sind am Rad. Die kleine trinke ich immer aus, einen großen Teil der zweiten Flasche schütte ich meist aus, wenn es neues Wasser gibt. Ist das nicht krank? Aber ich will keinesfalls auf dem Trockenen sitzen bleiben. Jetzt kann man verstehen, warum mein Rad mit Gepäck über 20 Kilogramm wiegt, ich will gewappnet sein für alle Fälle. Aber schnell über die Berge kommen geht da nicht. In meinem Foodbag der am Lenker baumelt ist mein Smartphone verstaut, Schloss und verschiedene Kabel. Aller möglicher Krimskrams findet Platz in meiner Unterrohrtasche und in der Oberrohrtasche schnell zugängliches Essen, wie Studentenfutter, ein paar Kekse sind auch immer griffbereit (unterwegs werde ich rausfinden, dass die Kekse mit Ingwer mir super schmecken und gut verdaulich sind).
Noch schnell einen Kaffee und ein Toastbrot mit Erdnusscreme und Orangenmarmelade, Verabschiedung von den netten Helferinnen und Helfern und los geht es nach der Pack-Orgie in Tag drei … Ich werde schon mal vorgewarnt, dass es heute regnen soll. Ab 8:00 Uhr. Zzzz, wie soll das denn gehen, das auf die Minute vorauszusagen?
Tag drei: 266 km/ 2000 Hm: Kirkpatrick (CP1) – Port Patrick
Es dämmert gerade, drei Uhr ist gerade vorbei. Ich bin 70 Kilometer hinter meinem Plan, das werde ich wohl nicht mehr aufholen … Ob ich wohl pünktlich finishen kann? Mein Heimflug ist gebucht, ich darf mich nicht verspäten.
Meine Fahrt geht super flott voran, so liebe ich es: etwas rauf und runter und keine megasteilen Anstiege wie gestern. Überhaupt, die letzten 100 km gestern waren platt, da bekommt man nur „dicke Beine“, immer dieselben Muskeln in Bewegung, nix für mich. Nach 30 km überholt mich das erste Auto. Fein, so einsam! Sonnenaufgang, die Luft ist irgendwie seltsam, so feucht kalt, Regen kündigt sich wohl an. Kurzer Blick auf die Uhr, ach ja, in eineinhalb Stunden soll es losgehen. In Dumfries ist natürlich noch nichts offen und mein Wunsch nach einem Latte wird wohl nicht erfüllt werden. Denk niemals „nie!“, denn am Ende des Ortes etwas versteckt finde ich eine Art Trafik und die Dame dort macht mir doch wirklich einen Kaffee in ihrem Hinterzimmer. Wunderbar!
Motiviert fahre ich weiter. Nun geht es ins Hinterland. Hügel. Nicht sehr anstrengend, ich habe Zeit zu denken, zum Beispiel viel Quatsch: Wusstet ihr, dass hier in den Dörfchen nicht Pound, sondern Salz das Zahlungsmittel ist? Auf jedem fünften Haus steht „for sale“ – für Salz … Wie schön wäre es jetzt so ein nettes Cottage zu haben, vor dem offenen Kamin in ein Lammfell gewickelt auszuschlafen, lesen, … und ich muss hier durch die Gegend fahren. Es ist nicht so sinnvoll hier unkonzentriert den Blick über die Landschaft schweifen zu lassen, denn regelmäßig zieren knietiefe Schlaglöcher die Straße. In so eines reinzufahren würde das Rennen wohl schlagartig beenden. Besser: Augen auf die Straße!
Die Hügel sind genial heute. Hoch, dann runter Beine baumeln lassen. Das Smartphone lädt sich mit dem Nabendynamo heute schnell auf. Bei meiner Fotografiererei braucht es viel „Saft“. Ein erster Regentropfen ploppt mir auf die Nase. Ein kurzer Blick auf die Uhr: eine Minute vor halb acht: Das geht schon gar nicht. Ein böser Blick meinerseits und es folgen keine weiteren Tropfen, aber die Wolken hängen tief.
Interessant die Ampeln hier. Sie stehen auf Rot, sobald ich abbremse, werden sie grün.
Die Höhenprofile sollte man sich wohl besser ansehen vor der Fahrt und den Maßstab. Auf meinem Profil nämlich gibt es heute unzählige Berge. Nun stellt sich heraus, dass so ein Berg grad mal 40-50 Höhenmeter hoch ist. Auf dem Tacho verfliegen die Kilometer im Nu, schon wieder ist die Hälfte von einem Viertel rum, bald sind dann wieder 10 Kilometer im Sack.
Ich sollte nicht übermütig werden. 6 Minuten vor acht. Autos kommen entgegen mit Scheibenwischer an. Das bedeutet wohl nichts Gutes. In 8 Kilometern habe ich die Hundert voll in grad mal vier Stunden. Ich habe wohl Rückenwind. Kurz nach acht … was ist denn mit dem Regen? Verspätung? Nein, es fängt an zu tröpfeln. An der letzten Bushaltestelle zum Regenkleidung-Anziehen rausche ich vorbei. Sprühregen. Meinte das die Dame vom letzten Kaffeestopp mit „showery“ (duschig?) in Sachen Regen heute. Die Straße ist noch trocken, ich glaub, ich brauche noch nichts anzuziehen.
Kurz vor Kircudbright ist es soweit, die Regenkleidung muss raus. Im Ort dann mein drittes Frühstück bei der Tankstelle mit leckerem Latte und Brownies.
Gegen Mittag das vierte Frühstück in Gatehouse of Fleet in einem netten kleinen Bistro. Diesmal toll mit Pfannkuchen, Avocado, baked beans und anderen leckeren Sachen, dazu einen Pot english breakfast tea. Super gut! Davor kleine Hügel und dann wieder mal ein Gravelabschnitt und ein Radweg durch die Pampa, dann durch den Cally Paark. Es gibt auch wieder steilere Anstiege, an einem werde ich auf ein Knirschgeräusch an meinem Rad aufmerksam. Was das wohl ist? Die Kurbel? Ist da vielleicht das Kugellager kaputt?
Nun folgt ein Berg und Einsamkeit. Interessant, es braucht irgendwo nur an die 200 Höhenmeter hoch zu gehen und die Vegetation ändert sich und präsentiert sich ähnlich wie bei uns über der Waldgrenze.
Im Laufe des Tages fängt es immer mehr an zu regnen, ich brauche meine lange Regenhose, die schwerere Jacke und den Helmschutz. Der Rückenwind schiebt mich weiter Kilometerweit der Küste entlang, der Regen macht mir gar nicht so viel aus.
Supermarktstopp in einem winzigen Ort, Port Willam, kaum bleibe ich stehen, friere ich. Es ist später Nachmittag, langsam muss ich mir Gedanken machen, wo ich schlafen könnte. Der nächste größere Ort ist Stranraer. Laut Booking.com ist alles ausgebucht. Schlafen im Freien? Undenkbar. Alles ist nass. Das Zelt im Regen aufbauen ginge ja noch, aber wohin dann mit all den nassen Sachen? Meine Schuhe und Socken sind klatschnass, die Überschuhe hatten ihren Dienst schon bald aufgegeben. Die nette Dame im Spar-Geschäft meinte, es gäbe noch einen kleinen Ort vorher. Bingo, in Port Patrick werde ich fündig und buche sofort ein Zimmer. Noch etwa 40 km liegen vor mir. Ich treffe auf Janine, wir tauschen uns kurz aus, klagen uns unser leid. Wir überholen uns noch ein- zweimal heute.
Im tagesfüllenden Regen stellt sich bei mir der Horrorgedanke ein, was, wenn das jetzt tagelang so weitergeht? Die Aussichten sind nicht die besten.
Gut, nur bis zum nächsten Stopp denken, mein Hotel in Port Patrick. Noch 10 Kilometer bis dahin. Irgendwie lässt sich mein Rad plötzlich schwer steuern. Nanu? Mir schwant Böses. Ein Blick nach unten genügt, mein Vorderreifen ist fast platt. Schnell runter vom Rad und die Luftpumpe von Zuunterst in der Tasche rausgepult. Ich lehne mein Rad gegen einen Zaun, der Untergrund, nass und matschig, ist nicht ideal für die Standpumpe. Ich bekomme etwas Luft in den Reifen, bevor dieser von der Felge springt. Das ist der Nachteil, wenn man schlauchlos fährt. Ich will auf keinen Fall bei Regen einen Schlauch einlegen müssen. Beim Abschrauben der Pumpe, schraubt sich der obere Teil des Ventils mit ab. Mist, denn jetzt entweicht schlagartig alle Luft aus dem Reifen. Hilfe!! Ein Glück ist, dass der Reifen auf der Felge bleibt, ich schraube das Ding so fest ich kann wieder zu und starte einen zweiten Aufpump-Versuch. Passt! Mit nicht ganz viel Luft fahre ich weiter. Alles Weitere muss auf das Hotel warten. Immer wieder gucke ich argwöhnisch nach unten.
Im Hotel breite ich erst mal alle durchweichten Sachen auf den heißen Heizkörpern aus. Die sind so heiß, dass ich befürchte mir Löcher einzubrennen. Ich bekomme auch noch was zu essen. Tomaten-Suppe und Haggis, das schottische Nationalgericht aus Schafsinnereien. Lecker! Auch wenn viele sagen, das äßen sie nie im Leben …
Anschließend vergeht noch viel Zeit mit Sachen ausbreiten, Reifen „pflegen“, … leider geht das von der Schlafzeit ab. Extra stehe ich nachts nochmal auf, um zu schauen, ob die Luft im Reifen bleibt … Bleibt sie! Die Dichtmilch hat wohl ihren Dienst erfüllt und ein Loch verschlossen. Ich sollte zumindest reifenmäßig gut durch das Rennen kommen.
Tag vier: 221 km/ 2000 Hm: Port Patrick – Kilmacolm
Um vier starte ich wieder nach fast einer Stunde packen und schnellem Frühstück. Oje! Was mache ich da falsch.
Es regnet im Moment nicht mehr. Wann es wohl wieder anfängt? Meine Kurbel knarzt weiter. Auch bei weniger steilen Anstiegen macht sie Krach.
Nach Stranraer fahre ich auf ein Art Hochfläche. Nachdem ich mich verfahren hatte und zwei Kilometer zurück muss, geht der Weg nun auf einem Matschweg durch einen Privatgrund. Rad und Schuhe sind im Nu verdreckt. Dabei hätte ich der Straße gut weiter folgen können, aber Pflichtstrecke ist Pflichtstrecke, der Park ist auf jeden Fall schön.
Es fängt wieder an zu regnen. Anziehen angesagt. An die 80 Kilometer Einöde liegen vor mir.
Auf der schmalen Bergstraße kommt mir ein großer LKW entgegen. Neben einer riesen großen Pfütze will ich ihm ausweichen. Er fährt langsam, um mich nicht anzuspritzen, vorbei und als ich anfahren will, verliere ich das Gleichgewicht, komme nicht aus dem rechten Pedal und stürze im Zeitlupentempo um. Hänge fest, ich kniee in der Pfütze und versinke beim Aufstehen mit beiden Schuhen knöcheltief im Wasser, das Rad ist zum Glück heil. Es geht bergauf, zumindest bekomme ich warm. Demotivierend aber, was mein Navi für Quatsch macht: Es geht bergauf, steil und das Gerät zeigt minus 4 % und Ähnliches an. Auch das Höhenprofil stimmt nicht. Ärger! Einen Neustart möchte ich jetzt vor Ablauf des Tages nicht machen.
Meine Beine sind heute wie Gummi. Ich brauche eine Pause. Seit gestern schleppe ich eine Scheibe Fruchtkuchen und eine Flasche Frappuccino mit mir mit und die könnte ich vor dem nächsten Berg gut mal zu mir nehmen. Vielleicht hebt das meine Motivation. Es kommt mir vor, als würde ich nur langsam vorwärts kommen heute. Kaum bleibe ich stehen, entdecken mich sofort die Miniplagegeister, die Midges, und stürzen sich zu Hunderten auf mich armes Opfer. Meinen Kuchen und Kaffee kann ich so nicht genießen, also weiter! Den halben bröseligen Kuchen verliere ich während der Fahrt. Tipp: Eine Frappuccino-Flasche sollte man nicht schütteln, wenn der Deckel nicht ganz angeschraubt ist. Fazit: Ich und mein Rad sind von oben bis unten besprenkelt.
Heute ist der Tag des ungewollten Trödelns. In den letzten 60 Kilometern bin ich unzählige Male vom Rad gestiegen: einmal anziehen, einmal ausziehen, kurze Regenhose austauschen mit der langen, dann lange Hose wieder aus, fotografieren, zurückfahren, um verlorenen Müll wieder einzusammeln (sprich Frappuccino-Flasche, Verpackung der Fruchtschnitte, …), wieder fotografieren, …
Motivationsschub: Auf dem Asphalt ist das Panceltic-Logo in Blau aufgespritzt. Dann über holen mich zwei Teilnehmer nach fast 100 Kilometern alleine. Immer wieder sehen wir uns. Mein Rad macht immer mehr Krach. Über ein paar ernstere Berge geht es jetzt, ich brauche keine Klingel, das Knirschen meines Rades ist lauter. Wieder mal sehe in der Ferne die beiden Radfahrer. Ich beeile mich vor der nächsten Anhöhe, ihnen nachzukommen, zu spät schon sind sie wieder weg. 150 Höhenmeter geht es hoch, die fühlen sich an, wie bei uns 1500m. Auf dem höchsten Punkt wieder die beiden Radler, ich glaube Rupert und Jack, ziehen sich vor der Abfahrt wohl was an. Meine Chance scheint gekommen. Atemlos erreiche ich sie. Mein Anliegen, was sie wohl von den Geräuschen an meinem Rad halten. Tja, klingt nicht gut, bald kämen wir wieder in belebtere Gegenden und vielleicht gibt es da einen Mechaniker. Sie fahren weiter. Ich fahre auch weiter und als ich wieder Empfang habe, befrage ich mein Internet. In Ayr gibt es tatsächlich einen Rad-Shop, der sogar über Mittag offen habe.
Nach einigen steilsten Anstiegen erreiche ich den Ort und suche sofort den Radladen. Bei Carrick Cycles sind sie sehr nett. Es tut mir leid, dass ich ein so verdrecktes Rad bringe. Ich kann mein Rad dalassen und etwas essen gehen. Das Kugellager wird inzwischen auseinandergenommen und etwas gefettet, es sei in Ordnung gewesen, der gröbste Schmutz ist weg, die Bremsbacken kontrolliert, Kette geschmiert und sogar meine elektronische Schaltung aufgeladen. Erleichtert ziehe ich von dannen, vor dem Geschäft passiert mir ein Missgeschick, meine Tasche kippt nach hinten weg, weil ich sie nicht ordentlich an der Sattelstütze befestigt hatte. Typisch Gabi! Eine Stimme, Janine, ich beteuere, dass nichts weiter passiert sei. Aber wenn das in voller Fahrt passiert wäre, oje! Wir tauschen uns noch kurz aus, dann fährt sie weiter. Ich werde sie anschließend nicht mehr treffen, vor der Überfahrt zur Insel Mull steigt sie wohl aus dem Rennen aus. Sehr viele Fahrer ereilt dasselbe Schicksal, sie beenden das Rennen irgendwann oder einige switchen auf die Short-Route um. 100 von 165 der Full-Route werden am Ende ins Ziel kommen, von 300 Startern insgesamt nicht ganz zwei Drittel.
Nun führt die Strecke an der Küste entlang Richtung Glasgow. Es ist zwar nahezu flach, aber sehr unrhythmisch, der Radweg geht kreuz und quer, Stopp & Go ist angesagt durch die scharfen Richtungsänderungen und durch belebtere Wohngegenden, schattige nasse moosbewachsene Passagen erlauben auch kein höheres Tempo. Der Untergrund ist oft holprig, Radfahrer kommen aus der Gegenrichtung, enge Kurven, Gegenverkehr, Fußgänger. Schnell ist was anderes. Irgendwo suche ich einen Eiswagen heim. Ich brauche was Süßes.
Mit gemischten Gefühlen rolle ich in Largs ein. Keine Ahnung, was mich hier erwartet. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich setze mich etwas verloren nahe des Hafens auf eine Bank. Ein Teilnehmer hält neben mir und fragt mich was, gedankenverloren schaue ich auf mein Smartphone und sehe, dass Rory mir geschrieben hatte, ob ich ein Eis essen gehen möchte. Ich schreibe zurück. Rory kommt und wir entscheiden zusammen etwas essen zu gehen. Bei Nardinis. Die Gründer des Lokals kamen aus Italien, vor fast 90 Jahren. Shannon gesellt sich zu uns und führt das Gespräch an. Gut, so müssen wir nicht über persönliche Dinge reden. Aber das ist wirklich eine andere Geschichte. Das Essen ist sehr sehr lecker, nach einer Suppe gönne ich mir noch einen großen Salat-Teller. Das ist das, was ich unterwegs am meisten vermisse: Obst und Gemüse. Anschließend gibt es noch einen italienischen Eisbecher. Lecker! Und dann ist es Zeit aufzubrechen. Verabschiedung. Shannon treffe ich noch ein paar Mal. Er war beunruhigt, ob er es vor seinem Rückflug nach Inverness schaffen würde. Ich werde irgendwann auf der Track-App sehen, dass er einer der vielen ist, die auf die Short-Route wechseln. Zum Glück mache ich mir nicht zu viele Gedanken, hoffe aber, dass ich in meinem geplanten Pensum nicht noch weiter zurückfalle. Noch habe ich einen Puffer von fast einem Tag zu meinem Abflugdatum.
Heute wollte ich eigentlich noch etwas weiterkommen, aber ich beschließe bis ans Ende meines Tracks zu fahren und dann einen geeigneten Schlafplatz zu suchen. Aber es kommt immer anders als man denkt, am Ende meines Streckensplits bin ich mitten in einer Steigung. Ich erkenne, dass ich nun noch zum höchsten Punkt muss, dann ein paar Kilometer über eine Hochfläche und dann runter rollen bis Kilmacolm. Keine Ahnung, was mich da erwartet, die Sonne geht unter, die Dämmerung kommt. Durch besagten Ort rolle ich langsam, keine Ahnung, wo ich hier mein Zelt aufstellen kann. Da! Eine Kirche … mal sehen. Ich schiebe mein Rad durch das Eingangstor in den gepflegten Kirchhof. Platz wäre auf dem kurz getrimmten Rasen, aber den Blicken aus den umliegenden Häusern ausgeliefert … Ich lasse mein Fahrzeug stehen und mache mich zu Fuß auf den Weg um die Kirche. Auf der Rückseite finde ich einen Gemeindetrakt … und … der ist schonbesetzt. Drei Räder lehnen an der Wand, aus dem Eingangsbereich ertönen Schnarch-Geräusche. Leise schleiche ich vorbei und hinter der nächsten Ecke mein Traumplatz: eine gepflegte Rasenfläche blickgeschützt vor einer hohen Mauer kommt wie gerufen. Ich hole mein Rad und baue mein Nachtlager auf. Hundegebell und ein Herrchen mit seinem Tier spaziert durch den Kirchhof. Oh, das ist mir jetzt aber peinlich. Ich gehe zu dem Mann und stottere, ob er glaube, ich könne hier schlafen und wäre dann am frühen Morgen schon wieder weg. Er schaut etwas irritiert und meint, er habe kein Problem damit. Nach zwei Stunden Schlaf wache ich frierend auf und ziehe alles an, was ich habe.
Tag fünf: 230 km/ 2160 Hm: Kilmacolm – Campbeltown
Früh mache ich mich auf, meine Schlafnachbarn sind auch schon weg. Kalt ist es, ich brauche meine Primaloft-Jacke. Die 50 Kilometer, die ich auf meine Planung hinten bin, werde ich wohl nicht mehr aufholen.
In die Morgendämmerung fahren ohne Regen und ohne große Steigungen ist fein. Ich unterhalte mich ein paar Worte mit einem Franzosen. Hier fahren wir auch eine Weile gemeinsam mit Teilnehmern der Short-Route, also ist grad mal mehr um mich los. Fein, nicht ganz allein zu sein.
Auf der Höhe von Glasgow biegt die vorgegebene Strecke auf einen Radweg ein. Nach ein paar Metern ist Schluss: Radweg gesperrt. Ich kann an ausgetretenen Spuren im Gras erkennen, dass viele sich über das Sperrgitter hinweggesetzt und sich vorbeigequetscht haben. So mache das auch ich. Aber nach 100 Schiebemetern ist endgültig Schluss. Der Weg trifft auf eine Fahrbahn. Ein hoher Zaun verhindert das Weitergehen und entlang der Straße wuchert undurchdringbares Gestrüpp. Hier ist wohl schon länger keine Durchfahrt möglich. Also zurück zum Sperrschild. Dort stehe ich etwas verloren herum. Aus den Augenwinkeln erkenne ich drei Radfahrer, die mit einem Fußgänger reden. Schnell hin. So erfahre ich, dass wir hier einem Radweg auf der anderen Straßenseite folgen können. Das mache ich auch. Nach einem kurzen Anstieg sehe ich, dass es darum geht, den breiten River Clyde auf einer hohen Brücke zu überqueren. Am anderen Ufer angelangt fädle ich wieder auf den richtigen Weg ein. Gerettet!
Die folgenden Kilometer folgen sehr idyllisch einem Fluss entlang, dem River Leven. Ich sehne mich nach einem Frühstück. Es ist zwar noch sehr früh, grad mal sechs Uhr, aber via Google Maps werde ich fündig. Ich entferne mich nicht mal 100 Meter von meinem Track und stehe vor einem schon geöffneten Fischer-Zubehör-Laden und darin gibt es Kaffee und was zu essen. Genial!
Gestärkt gehen die nächsten Kilometer leicht vonstatten, ich friere auch nicht mehr so. 30 Kilometer fahre ich nun Meeresarmen entlang, erst dem Gare Loch, dann dem Loch Long, wie passend der Name. Das Örtchen Arrochar scheint am Ende der Welt zu liegen. Hier hatte ich eigentlich in der Nacht zuvor schlafen wollen. Hier fädle ich nun in eine stark befahrene Straße ein, Arrochar liegt also doch nicht am Ende der Welt. Und der Verkehr ist schauderhaft. Lastwagen rumpeln vorbei. Ich fürchte mich. Jetzt liegt auch noch ein Pass vor mir, der Rest and Be Thankful, ja der heißt wirklich übersetzt Raste und sei dankbar, kurz The Rest, auf Schottisch Bealach an Easain Duibh. Es gefällt mir gar nicht inmitten des lebhaften Verkehrs nach oben zu fahren. Rettung naht, meine Spur biegt nach ein paar Kilometern auf die Old Military Road ab. Hier ist es ruhig. Das Teil, das in den letzten Tagen so krach gemacht hat, meldet sich zuverlässig wieder und nun bei jeder Kurbelumdrehung. Ob ich das Ziel so wohl erreichen kann oder mein Rad irgendwann mal schlapp macht?
Ich sinne grad über meine Weiterfahrt nach, da überholen Shannon und ein anderer Fahrer (Andrew?) mich. Etwas weiter beobachte ich die beiden, wie sie ihre Räder über ein Viehgatter heben. Da wird doch nicht …? Erinnerungen an die GBDuro steigen in mir hoch, dort hatte ich ein Dutzend solcher Hindernisse. Schnell den beiden nach. Und ich bekomme vier helfende Hände. Wie dankbar ich bin, denn allein hätte ich mein Bike da nicht drüber bekommen. Zwei Forstbeamte oder ähnliches sehen uns und meinen, dass wäre nicht das einzige Gitter. Oje! Da muss ich schauen, dass ich nicht allein hinten bleibe. Das ist jedoch nicht so leicht, denn hier ist es wieder mal so steil, dass ich schieben muss. Beim letzten Tor sperrt der Bauer selbst auf, weil er mit dem Auto zu seinen Tieren will. Glück gehabt!
Nach einer rasanten Abfahrt führt meine Fahrt die Old Military Road an der Meeresküste entlang mich nach Inveraray. Hier stelle ich fest, dass ich in etwas das halbe Panceltic Ultra geschafft habe. Das muss gefeiert werden. Da in dem Fast Food Laden zum Glück kein Platz frei ist, kehre ich in ein nobleres Restaurant ein. Es gibt Tomatensuppe und einen wunderbaren Caesar Salat. Das hatten wir doch schon mal …
Gestärkt geht es weiter. Bald nach dem Essen werde ich müde. Der wenige Schlaf fordert wohl seinen Tribut. Ein Parkbänkchen kommt wie gerufen. Kaum liege ich werde ich schon von unzähligen blutrünstigen Midges umschwirrt. Also kein Powernap, sondern schnell weiter.
Ich hatte vor die ellenlange Halbinsel bis nach Campbeltown zu fahren, in einem Hotel zu schlafen und wenn möglich die 45 Kilometer-Schleife über den Süden der Halbinsel noch am selben Tag zu fahren. Würde ich das schaffen, dann wäre ich 50 Kilometer auf meinen Plan hinten, ansonsten 90 Kilometer, langsam mache ich mir doch Sorgen, denn vermutlich würde ich an diesem Tag die Schleife nicht mehr angehen können und das wird sich auch bewahrheiten.
Von Lochgilphead fülle ich im Supermarkt meine Reserven auf und schleppe viel zu viel mit, denn man weiß ja nie, wann man wieder mal was bekommt, bis zum nächsten Supermarkt. Wir haben glücklicherweise gut Rückenwind und so bremsen mich nur unzählige kurze unmenschlich steile Schiebeanstiege in meinem Vorwärtsdrang zum inzwischen gebuchten Hotel in Campbeltown. Ich mache mir zwischendurch Luft und schimpfe immer mal wieder lautstark auf die Straßenplaner. Oder ist mein Rad einfach zu schwer und meine Beine zu schwach?
Gegen halb neun erreiche ich mein Hotel. Durch ein Missverständnis, die Küche sei länger offen, beeile ich mich nicht beziehe mein Zimmer und dusche noch. Dann gibt es leider nichts mehr und ich kaufe mir im nahen Einzelhandel noch was. Ich bekomme netterweise ein paar Frühstückssachen mit ins Zimmer und richte mir was aus Frühstücksflocken, Cornflakes, Brot, Käse (schleppe ich schon seit dem Vortag mit, Cheddar, lecker!), Snickers, Apfel, Orange. Zwei Becher Müller Milchreis hebe ich mir auf den nächsten Tag auf.
Vor dem Schlafengehen rattert mein Gehirn auf Hochtouren. Die letzte Fähre in Oban zur Isle of Mull legt um 21:45 ab. Die musste ich unbedingt schaffen. 240 Kilometer und mehr als 3200 Höhenmeter lagen zwischen mir und der Fähre. War das machbar? Ich vermute „ja“, aber … Ich musste nur früh genug aufstehen. Um 2 Uhr!
Tag sechs: 271 km/ 3450 Hm: Campbeltown – Port nan Gael auf der Isle of Mull (CP2)
Ich glaubte grad eingeschlafen zu sein, da geht der Weck-Alarm los. 2 Uhr! Mein Zelt und das Frühstück bleiben im Hotel und ich fahre in tiefschwarzer Nacht los. Gleich mal verfahre ich mich, denn mein Navi hat wieder mal beschlossen die angezeigte Karte genordet darzustellen, mit allen schon erwähnten Denkproblemen für die Nutzerin Gabi und das an so frühem Morgen oder war jetzt noch Nacht?
Die Gegend ist sehr einsam und bei Heller-Werden kann ich mich nicht sattsehen an den Naturschönheiten. Und an der Meeresküste kann ich was dickes Wurstartiges auf einem Stein erkennen. Beim Näherkommen verschwindet die Wurst im Wasser und kurz darauf mustern mich schwarze Knopfaugen neugierig und zugleich misstrauisch. Ein Seehund. Wie schön!
Wieder im Hotel angelangt, mache ich mein Rad fahrbereit und frühstücke nebenbei. Fraglich ist, ob es nicht schneller gehen würde, die Dinge hintereinander zu erledigen.
Die folgenden zig Kilometer führen über eine Landstraße nach Norden. Auf der Halbinsel, die ich am Tag zuvor südwärts befahren habe, geht es nun auf der Gegenseite nordwärts, mit etwas Gegenwind. Müdigkeit überfällt mich, da ich ja schon seit 2 Uhr auf bin, aber eine kurze Rast auf einer Parkplatzbank mit Blick über das Meer sei mir nicht gegönnt. Auch jetzt am frühen Morgen wimmelt es von den Ministechmücken, die in Nasenlöcher, Ohren und Augen krabbeln, um ihren Blutdurst zu stillen. Weiter! Das erste Mal ziehe ich meine Kopfhörer raus und lenke mich mit Two Steps from Hell ab. Nach einem Kaffee-Stopp bei der einzigen Möglichkeit weit und breit, einer Tankstelle, geht die Spur ab an die Küste. Wunderschön und sehr einsam. Mittag ist knapp vorbei, ich habe etwa 160 Kilometer hinter mir, da komme ich wieder in Lochgilphead vorbei. Auf dem kurzen Gegenverkehrsbereich unserer Strecke kommen mir einige entgegen, die erst noch die lange Halbinsel runter müssen. Die Armen! Eigentlich bin ich ja nicht schadenfroh, aber es tut doch gut, nicht die letzte zu sein.
An der Tankstelle möchte ich mich an einer Essensausgabe mit warmem Essen eindecken. Großspurig bestelle ich eine große Portion Tomatensuppe und eine normale Portion Maccaroni mit Käsesauce oder was immer das auch ist. Die Suppe schaffe ich, dann kann ich nicht mehr. Die Nudeln müssen mit. Ich werde sie und einige Dinge, die ich am Vortag schon gekauft hatte, über viele Berge fast hundert Kilometer mit mir rumschleppen, bis ich sie nach dem nächsten Supermarktbesuch „genießen“ werde. Ich muss an meiner Verpflegungstaktik wohl was ändern.
Zunächst folge ich einem Kanal, der Loch Gilp mit Loch Fyne verbindet. Hier beobachte ich einige Boote, die sich gemächlich von einer Schleuse zur nächsten treiben lassen. Die haben es fein. Einige Minuten warte ich an einer Drehbrücke und merke, als sie bereit ist, dass ich drüberfahren kann, dass ich gar nicht rüber muss, sondern auf meiner Uferseite bleiben muss. Typisch!
Nach einigen flachen Kilometern, die mein Herz schon hüpfen lässt, so schön und fein heute … kommt der Hammer: drei oder vier Berge mit je einigen hundert Metern, die steilst nach oben führen, dann auf der Gegenseite sehr steil nach unten, ätzend. Einer nach dem andern, bis ich fix und fertig bin. Aber irgendwann hat jede Leiderei ein Ende. Ich schaue auf meine Uhr, ich bin gut in der Zeit, Oban werde ich sicher vor viertel vor Zehn erreichen. Und damit rückt eine pünktliche Zieleinfahrt wieder in greifbare Nähe. Erleichterung.
In Oban bin ich kurz nach sechs. Ich kann sogar noch einkaufen gehen, denn auf der Isle of Mull wird es keine Versorgungsmöglichkeit geben. Mit etwas Beeilung hätte ich sogar noch die sechs-Uhr-Fähre schaffen können, aber ohne Einkaufen. So habe ich auf der Mole genügend Zeit mich warm anzuziehen, denn es ist recht frisch und dann endlich meine Maccaroni zu essen, die ich den halben Tag mit mir rumgekarrt hatte. Sie sind eingepackt in einer recyclebaren Verpackung, ebenso recyclebar ist die Gabel. Und der Recycle-Vorgang hat offenbar schon eingesetzt, der Behälter war matschig und hielt kaum mehr stand. Appetitlich hat das Ganze auf jeden Fall nicht ausgesehen. Aber die Blicke der Wartenden stört mich nicht, viel zu beschäftigt bin ich mit Durchrechnen der Anforderungen, die auf mich zukommen. Auf der Fähre habe ich eine ganze Bank für mich. Ich frage mich gar nicht erst, warum sich niemand neben mich setzen will … ich kann sogar etwas schlafen. Mein Hauptziel für heute war die Fähre zu erreichen. Nun Ich entdecke ich, dass ich zu CP2 noch fast 30 Kilometer zu fahren hatte und dabei einen kleinen Pass zu überwinden.
Auf der Insel angelangt fahre ich eine Zeitlang zusammen mit Seamus. Ich brauche ihn gar nicht aufmerksam machen, dass mit meinem Rad etwas nicht in Ordnung ist, das Geknarzte ist inzwischen kilometerweit zu vernehmen. Nicht mal die Hirschkühe am Wegesrand lassen sich aber davon stören, sie suchen nicht das Weite. Hatte ich am Tag zuvor eine andere Idee zur Herkunft der Geräusche gehabt und ohne Erfolg die Befestigung meiner hinteren Tasche an der Sattelstütze etwas verschoben, so meint Seamus auch, dass er glaubt, das Knirschen liege nicht an der Kurbel, sondern höher. Dann ist es also wirklich die Sattelstütze. Hoffentlich lässt die Schelle nicht nach und mein Sattel sinkt nach unten.
Hatte ich gehofft CP2 wäre wieder eingerichtet mit Schlafmöglichkeit, dann werde ich enttäuscht. Hier gibt einen Campingplatz, auf dem für uns Stellplätze reserviert sind und es gibt Brote mit Erdnussbutter und Marmelade Tee und Kaffee. Nach dem Stempeln meiner Karte richte ich schleunigst meinen Schlafplatz her, umschwirrt von Millionen Plagegeistern. Ich merke, dass mein Mückennetz nicht ganz ideal ist. Die Löcher sind zu groß und die Mini-Midges schwindeln sich gekonnt durch, um zum Ziel zu kommen. Ich verzichte auf die Dusche, die würde mich nur wieder wach machen und anschließend frieren lassen und reinige mich notdürftig mit meinem Funktionslappen, den ich inzwischen für mich und mein Rad nutze.
Den Wecker-Alarm stelle ich auf drei Stunden später, also sehr früh, denn es gibt einen weiteren kritischen Punkt: Ich muss nach der Insel Mull möglichst früh wieder aufs Festland und dort nach fast 100 Kilometern die Fähre auf die Insel Skye erwischen. Die letzte am Samstag, ja inzwischen ist es schon Samstag, wie die Zeit vergeht, die letzte Fähre legt um 16:10 in Mallaig ab. Wenn ich die nicht erreiche, dann geht die nächste erst um halb zehn am Sonntag. Oje! Vorausgeschickt, die Fähre um halb zehn wird wegen eines technischen Defekts ausfallen. Ich muss also eine möglichst frühe Fähre von Mull aufs Festland schaffen, dann 100 km düsen, um zeitgerecht nach Skye ablegen zu können. Das Rennen wird langsam ganz schön stressig … Verlockend wäre auch ein Hotel in Mallaig, gemütlich frühstücken und dann die Fähre … Aber ginge sich dann der Heimflug am Mittwochfrüh noch aus?
Tag sieben: 267 km/ 3500 Hm: Port nan Gael (CP2) – Isle of Skye
Am Morgen noch schnell einen Kaffee getrunken am Panceltic-Zelt und ich schmiere mir auch noch ein Toastbrot mit Erdnussbutter und Orangenmarmelade, das ich während der Fahrt esse will. Die ersten Kilometer begleitet mich Flynn und wir tauschen Erfahrungen aus. Bei den ersten Anstiegen lasse ich ihn ziehen, Hochfahren und Brot essen verträgt sich nicht so gut.
Wunderschön ist die Insel. Sehr einsam. Auf den letzten 10 Kilometern vor der Fähre erkenne ich, dass ich nicht erst die angepeilte 11-Uhr-Fähre, sondern vielleicht schon die um neun Uhr dreißig erwischen könnte, wenn ich weiter in dem Tempo fahren würde. Die beiden Berge hatte ich nicht mehr auf dem Schirm, es wird ganz schön knapp. Zügig radle ich bergauf, versuche mein schweres Gepäck zu vergessen. Runter rase ich, dann nochmal hoch, wieder runter. Völlig verausgabt rolle ich ein paar Minuten vor Ablegen in den kleinen Hafen von Tobermory. Die Fähre hatte ich noch nicht gebucht, das musste ich nun noch. In der Hektik fällt mir nicht mal mehr ein, wie der Ankunftsort auf dem Festland heißt. Die App zeigt aber eh nur eine Fährverbindung. Wenn die Fähre jetzt schon ausgebucht wäre, dann hätte ich mich umsonst so gestresst. Aber ich habe Glück, auch einen Radplatz gibt es noch. Das Verflixte an den Fähren ist nämlich, dass es begrenzte Radmitnahmen gibt. Aufgrund dessen buchen einige der Fahrer mehrere Fährüberfahrten frühzeitig, weil sie nicht genau wissen, welche sie erreichen können. Damit sind die Radplätze ausgebucht, auch wenn sie gar nicht genutzt werden. Das ist ganz schön unfair. Ich buche nun auch noch die Fähre in Malleig, die Radplätze sind allerdings schon aus. Dann muss ich halt die Fähre am nächsten Tag nehmen. Wäre aber nicht fein sich jetzt zu verausgaben und pünktlich vor Ort zu sein und dann nicht mitzudürfen. Aber es bringt gar nichts, sich da jetzt den Kopf zu zerbrechen.
Durch die frühere Festlandfähre rückt das Erreichen der Sky-Fähre jedenfalls wieder in erreichbare Nähe. Es waren etwa 100 Kilometer, für die hatte ich nun gut sechs Stunden Zeit. Klingt recht großzügig, hängt aber von der Beschaffenheit der Strecke ab. Nach einem ersten hohen Berg, naja, hier sind 200m hoch … und einer rasanten Abfahrt fahre ich in ständigem Auf und Ab an der Küste entlang. Musik treibt mich an, unter anderem Evergreen und andere monumentale Stücke von Two Steps from Hell, Sirenia, Sonata Arctica, Hammerfall und besonders Wardruna mit Helvegen. Auf der Road to the Isles geht es auch zügig weiter. Es geht ins Inland, dann wieder runter ans Meer.
Erleichterung, es ist knapp nach 15 Uhr und ich bin schon fast da. Ein Spar-Geschäft liegt an der Strecke. Die Gelegenheit möchte ich noch nutzen. Eine Frau vor dem Geschäft bestätigt mir, dass es nur noch etwa 10 Minuten zur Fähre in Mallaig ist. Nach dem Einkauf frage ich den Chef an der Kasse noch nach Wasser. Er ist so nett, meine Flaschen aufzufüllen. Ich stelle auch ihm sicherheitshalber die Frage nach dem Hafen. Ja, das seien noch 11 Kilometer. Was? 11 Kilometer! Es ist viertel nach drei. Noch so weit und zeigt mir das Abgleichen mit meiner Planung noch einige Aufstiege. Das schaffe ich nie und nimmer. Ich presche los. Hoch über den ersten Hügel, rase runter, weiter und weiter. Ich rase, als würde ich ein Kurzstreckenrennen bestreiten. Ich münde in eine Hauptstraße ein, verfehle den Radweg. Aber was hatte Mally, der Organisator gesagt, wir müssten selbst nach Sicherheitsempfinden entscheiden, ob wir auf der Straße oder auf dem Radweg fahren. Ich düse die Hauptstraße entlang, habe dabei schon ein bisschen ein schlechtes Gewissen. Später sollte ich erfahren, dass viele Fahrer die Straße genommen hatten. Das trug bei mir zumindest dazu bei, dass ich zur Fähre komme, als die letzten Autos schon auf dem Schiffsdeck stehen. Brennend fällt mir ein, dass ich keinen Radplatz habe und außer Atem versuche ich dem Einweiser das zu erklären. Er fragt nur, ob ich ein Fußgänger-Ticket habe. Ja, das habe ich. Dann sollte ich zu seinen Kollegen an der Rampe gehen. Diese kontrollierten nur den QR-Code auf meiner App und schickten mich in den Schiffsrumpf. Oben im Aufenthaltsraum gibt es Kaffee.
Ich treffe hier mehrere andere Radfahrer und auch Mally mit seiner Crew sind da. Ich werde interviewt und aufgekratzt wie ich bin, erzähle ich in meinem gebrochenen Englisch jede Menge Quatsch. Ein Foto bekomme ich anschließend von Matt geschickt, es zeigt eine aufgekratzte kanariengelbe Frau. Oje! Aber ich bin so was von erleichtert, ich könnte die Welt umarmen. Der ganze Stress ist von mir abgefallen, jetzt kann ich das Rennen so richtig genießen. Dachte ich am Morgen in Tobermory noch, dass ich so einen Zeitdruck wie dort nicht nochmal erleben möchte, da wusste ich zum Glück nichts davon, was vor Mallaig noch kommen würde. Aber erst mal gut, dass ich hier war, denn den ganzen Sonntag waren die Überfahrten ausgebucht.
Auf der Isle of Skye angekommen war es noch recht früh am Tag und ich rollte ohne Zeitdruck weiter. Ohne Zeitdruck? Ich kehre in einem netten Restaurant ein und genehmige mir die Suppe des Tages, eine Linsensuppe und Knoblauchbrot. Nebenbei beschäftige ich mich mit dem, was mich auf der Insel erwarten würde. Mein Puls erhöht sich schlagartig. Mit gemütlich würde da nichts sein. Ich hatte 230 Kilometer vor mir bis zur Festlandfähre nach Glenelg. Die letzte würde Skye um 19:00 verlassen. Das bedeutet auch am nächsten Tag muss ich mich sputen, sonst hinge ich bis 10 Uhr am Morgen fest.
Ich beschließe noch bis zum Dunkelwerden zu fahren, um am nächsten Tag nicht mehr so viele Kilometer zu haben und mir einen Platz für mein Zeltchen zu suchen. Keine Ahnung wo. Immer mehr Zeug hat sich in meinen Taschen angesammelt. Ich schleppe 2-mal Milchreis mit, ein viertel Kilo Cheddarkäse, weiche Waffeln – die Kombi Waffeln/Käse ist übrigens sehr lecker-, Apfel, Cappuccino in der Flasche, zwei volle Wasserflaschen, Ingwerkekse, Schokolade, Nussmischung und so weiter mit mir. Meine Taschen bekomme ich kaum mehr zu. Ob das dem schlampigeren Packen geschuldet ist? Wohl eher der Überladúng. In den Bergen aber ganz schön schwer. Und ich habe unglücklicherweise kräftigen eiskalten Gegenwind. Ich gondele komot durch die Gegend.
Am Ende meiner Planungstrecke wollte ich mir einen Schlafplatz suchen. Die Kartenarbeit hatte ich wohl nicht ganz genau genommen bei dieser vorletzten Strecke. Am Ende nämlich befinde ich mich mitten in einem Berg. Den muss ich nun noch hoch. Hier ist es fast alpin. Hier geht es nun noch 12 Kilometer über eine Hochfläche hoch und runter. Hier schlafen? Zu kalt und zu windig. Die Sonne ist schon untergegangen. Von der Straße geht es ab auf Schotter. Auch das noch! Langsam rolle ich nun noch offroad einige Kilometer abwärts. Dann ein Glückstreffer. Ein Cattle Grid, ein Viehgitter, daneben, eingefasst von Farnkrautwedeln ein flacher Grasplatz. Wie geschaffen für mein Zelt. Das Rad kann ich gegen den Zaun lehnen und hänge das Ladegerät für die Batterie meiner elektronischen Schaltung Di2 vorsichtshalber noch mal an meine Powerbank. Miges gibt es wegen des kräftigen Windes keine. Bald liege ich auf meiner Matte in den Schlafsack eingemummelt, alle verfügbaren Sachen an, denn recht warm ist es nicht.
Tag acht: 242 km/ 3400 Hm: über die Isle of Skye – Lochcarron
Halb vier Uhr schreit der Wecker. Ich bin so müde und lasse noch zweimal den 10-Minuten-Timer laufen. Gab es beim Zeltaufbau keine Mücken, so sind die Viecher jetzt um so lästiger. Aus Versehen sprühe ich mir auch noch Mückenmittel ins rechte Auge. Die beiden Becher Milchreis frühstücke ich nebenbei, dann verstaue ich die leeren Becher und anderen Müll in meiner Seitentasche. Irgendwo werde ich ihn wohl illegal in einem privaten Mülleimer am Straßenrand entsorgen.
Um fünf Uhr endlich Start. Ich schiebe ein paar Meter hoch, um mit Schwung über den Cattle Grid zu kommen. Dann geht es in fröhlichem Auf und Ab über Skye. Mitten im Nirgendwo entdecke ich einen roten Briefkasten, so einen müsste ich mal fotografieren, das gibt es auch nur hier. Schon bin ich vorbei und zurückfahren möchte ich nun auch nicht mehr. Wenn ich wüsste … dass ich genau diesen Postkasten doch noch fotografieren würde, die Nackenhaare würden sich mir vor Schock wohl aufstellen.
Ich genieße die Fahrt, die Anstiege nicht sehr lang, dann wieder feines Runterrollen. Irgendwann kommt ein Haus in Sicht, ein Mülleimer daneben außerhalb der Sichtweite des Hauses. Das war meine Gelegenheit. Hier werde ich den Müll einwerfen. Ich bremse, steige vom Rad und will in die Seitentasche greifen. Nanu, wo ist sie? Es beginnt in meinem Gehirn zu arbeiten. Entsetzen macht sich breit. Ich habe meine Tasche verloren! Ein rascher Blick auf den Tacho: Sechs Kilometer in Hügelgelände habe ich schon hinter mir. Ich muss zurück! Wo aber ist die Tasche? Hat sie inzwischen ein Auto überfahren oder ein Autofahrer mitgenommen? In der Tasche sind das Zeltgestänge und Regenzeug. Alles Dinge, die ich dringend brauche. Ich rase zurück – bis hin zu meinem Zeltplatz. Die Tasche liegt auf dem Cattle Grid. Das erste Holpern hat sie vom Rad katapultiert, ich hatte vergessen sie am Rahmen zu verriegeln. Nicht auszudenken, wenn ich wie üblich viele Kilometer, ohne anzuhalten gefahren wäre, 30, 50 oder mehr … und dann erst das Fehlen des Panniers gemerkt hätte. Mir wird ganz schlecht bei dem Gedanken … Auf jeden Fall wäre eine Stunde mehr Schlaf gescheiter gewesen als dieses sinnlose Hin- und Herfahren.
Weiter geht die Pechsträhne, ich verfahre mich zweimal, anhalten und zurückfahren. Meine Beine fühlen sich zwischendurch auch schwer an, ich halte und esse etwas, dann geht es besser. Ein schwer bepackter Radfahrer kommt mir entgegen. Gehört der zu uns? Bin ich falsch oder er oder gibt es hier eine Gegenverkehrstrecke. Ich halte an, um das zu kontrollieren. Es will heute kein richtiger Rhythmus aufkommen, auf Musik habe ich auch keine Lust.
Nach Dunvegan steht wieder ein Berg im Weg. Wie fast überall ist die Straße einspurig, alle paar Meter gibt es einen Passing Place zum Ausweichen. Die meisten Autofahrer nehmen das sehr ernst, auch Radfahrern gegenüber. Aber nicht alle. Grad hat sich einer noch schnell an mir vorbeiquetschen wollen. Ich weiche auf den Straßenrand aus, klicke mein linkes Pedal aus, verliere das Gleichgewicht und mein linker Fuß tritt ins Leere. Im letzten Augenblick kann ich mich fangen. Ich schimpfe dem Autofahrer hinterher.
Flynn überholt mich und erzählt mir von seiner teuren Campingplatzübernachtung. Er konnte sie allerdings gar nicht nutzen, da er die ganze Nacht in den sanitären Anlagen gesessen sei, im Licht und der Wärme seinen Reifenschaden zu reparieren. Dementsprechend unausgeruht sei er jetzt und zudem schmerze sein Oberschenkel sehr.
Zusammen kommen wir auf dem höchsten Punkt an, dem Quiraing-Viewpoint Dort erwartet uns ein grandioser Ausblick über das Quiraing-Bergmassiv mit seinen Felsentürmen bis hinunter in die Bucht von Staffin und ein Imbiss-Wagen. Ich gönne mir einen Latte und einen Muffin, kaufe noch etwas Süßkram, dann stürze ich mich in die Tiefe.
Skye ist wunderbar. Küstenabschnitte wechseln sich mit Seen und atemberaubenden Bergblicken ab. Ich fahre durch Portree, ein von Touristen nur so wimmelnder Ort mit einer malerischen Häuserkulisse. Ich bin froh da wieder raus zu sein. Irgendwo komme ich in den Gegenverkehrsbereich. Da gibt es eine Vielzahl von Radfahrern, die mir entgegenkommt. Ob es die wohl pünktlich zur Finisher-Party nach Inverness schaffen?
Hatte ich gestern Gegenwind, so habe ich den auch heute wieder, der Wind hat unglücklicherweise gedreht. Zurück in Braedfort kehre ich erst mal im Supermarkt ein, denn ab hier gibt es laut meiner Planung über 150 Kilometer nichts. Das bedeutet aber, alles, was ich einkaufe muss ich vor der Fähre über einen höheren Berg und nach der Überfahrt zunächst über einen hohen und mehrere überschaubare Berge karren und dann stand da noch der Pass Bealach na Bà auf dem Programm. Beim Supermarkt treffe ich wieder Flynn. Er hat wieder Probleme mit seinem Reifen, da hilft meine Pumpe auch nicht und meinen Reserveschlauch kann ich ihm leider auch nicht anbieten. Ich versorge mich mit Milchreis, Käse, Tomaten, einem Thunfisch-Sandwitch- Keksen, Kefir, KitKat, Wasser, denn in den nächsten 120 Kilometern gibt es nichts. Ich fahre weiter, es tut mir sehr leid um den Radkollegen. So weit gekommen und nun soll Schluss sein? Auf der Insel gibt es keinen Mechaniker, der nächste keine Ahnung, wie weit weg.
Die letzte Fähre um 19:00 würde ich locker schaffen, egal, was sich mir nun in den Weg stellte an Steilheiten. Und steil wurde es wieder. Fast oben höre ich ein Geräusch hinter mir. Wer kommt da? Ja, Flynn! Irgendwie hat er es geschafft, seinen Reifen zu reparieren. Das freut mich für ihn. Vom höchsten Punkt geht es extrem steil runter. Leichtsinnig bremse ich mit einer Hand und filme mit der anderen. Irgendwann wird es mich wohl mal vom Rad werfen. Die Fähre liegt schon vor Anker. Es ist nicht mal fünf Uhr am Nachmittag.
Die Glenelg-Skye Ferry ist die letzte ihrer Art. Eine Autofähre, deren Deck gedreht wird – von Hand, wohlgemerkt. Sie quert das Meer zwischen der Isle of Skye und dem Festland. Die Strömungen beim Wechsel zwischen Ebbe und Flut sind sehr stark und so leistet die kleine Autofähre „Glenachulish“ hier eine bärenstarke Arbeit, wenn sie etwa sechs Autos auf einmal in nur fünf Minuten auf die andere Seite bringt. Und Hund hilft fleißig mit. Die Überfahrt ist ein ganz besonderes Erlebnis. Die zweieinhalb Pounds streckt mir Flynn vor, da ich nur einen großen Geldschein habe. Ich teile mit ihm dafür mein Sandwich und die Tomaten. Ich hoffe, die Organisatoren lesen das nicht. Support verboten! Nicht sattsehen kann ich mich an den Vorgängen rund um das Beladen und Ablegen und beobachte sie durch meine Kameralinse noch einmal vom Berghang aus. Alle anderen Radfahrer sind schon lange weg. Aber mich kann nun nichts mehr stressen.
Ich muss mich nun aber auch auf den Weg machen. Auf meiner Skizze droht der Ratagan Pass in dunkelroten Farben vom Blatt. Das bedeutet nichts Gutes. Nach einigem Schieben bin ich am höchsten Punkt. Hört das denn nie auf mit den übersteilen Straßen? War es sonnseitig fast brütend heiß, so muss ich mich jetzt bei der Abfahrt im Schatten warm anziehen. An der Küste angekommen, dem Loch Duich, weiß ich wieder mal nicht, ob ich an einem See oder am Meer bin. Das muss ich zuhause mal recherchieren. Einige Häuser und eine kleine Einkehrmöglichkeit. Um viel Geld bekomme ich sehr wenig Suppe. Ich fülle noch meine Flaschen auf, um wieder so richtig viel zu tragen zu haben und fahre weiter.
Noch drei Hügel, mit kurzen steilen Schiebeeinheiten, wie üblich, und ich kann mein letztes Planungsblatt aufblättern. Und dann möchte ich mir meinen letzten oder vorletzten Schlafplatz suchen. Das wird auf jeden Fall vor dem gefürchteten Pass Bealach na Bà geschehen, das ist gewiss. Den Pass möchte ich mit möglichst frischen Beinen angehen. Unterwegs noch eine Überraschung. Ich drehe mich nach dem zweiten Berg zufällig nach links, als ich in eine Straße einfädeln möchte und da steht es da das Eilean Donan Castle. Ich war hier schon mal im Rahmen des Celtman Triathlons. Erinnerungen!
Jetzt muss nur noch ein Schlafplatz her. Glücklicherweise ist es trocken. Jetzt fällt mir auf, dass es in den letzten Tagen nie geregnet hat. Nun dämmert es schon und neben der Straße gibt es nichts, wo ich mein Zelt aufpflanzen könnte. Etwas weiter ein nun schon geschlossenes Restaurant. Auf der anderen Straßenseite ein Rasen mit einem Zelt und einem handgeschriebenen Zelt „pitch 10 pounds“. Hierher könnte ich zurückfahren, wenn ich demnächst gar nichts finde. Aber wenn mal ein paar Kilometer rum sind, tut ein Zurück weh. Ich hatte auf meiner Planung eine Kirche vermerkt und google diese: da steht geschlossen, ich finde sie aber auch nicht.
Etwas weiter taucht Lochcarron in meinem Blickfeld auf und … eine Kirche der Gemeinde der Free Church of Scotland, alle wären dort willkommen, das klingt schon mal gut. Rund um die Kirche ein hektargroßes gepflegtes Rasengelände mit unzähligen Grabsteinen aus Stein. Sollte ich dort …? Ich schaue links und rechts die Straße entlang, niemand da. Am großen Gitter ein Schild „Hunde haben keinen Eintritt“, entschlossen mache ich mich am Schließmechanismus zu schaffen, mit einem lauten Quitschen geht das Schloss auf. Recht profan wirkt ein Auto neben der Kirche mit einem „for sale“ Zettel an der Windschutzscheibe. Also ist ein kleines Zelt wohl auch nicht so fehl am Platz. Hinter zwei großen Thuyen ist es ideal. Hinter? Wo ist da hinten und vorne? Auf jeden Fall ist der Platz von der Straße aus nicht einsehbar. Rasch alles hergerichtet und rein in die gute Stube. Irgendwo zwischen den Bäumen habe ich ein Licht gesehen, also nicht zu viel Bewegung draußen machen.
Tag neun: 260 km/ 3500 Hm: Lochcarron – Inverness
Ich schlafe sehr gut, es ist so wunderbar ruhig. Früh raus aus den Federn, das Packen geht immer schneller und routinierter von der Hand. Das Quietschen des Gitters und weg bin ich. Dem Schild mit dem Hundeverbot werden sie wohl noch ergänzen müssen mit „Campieren verboten“. Mein Glück, ein paar Meter weiter gibt es sogar eine öffentliche Toilette, die ich schon öfters in Orten besucht hatte für ein Mindestmaß an Körperpflege und Wasserfassen. Exkurs bezüglich öffentlicher Toiletten: Man darf sich nur nicht einsperren lassen, wie es Steve bei der GBDuro vor zwei Jahren passiert ist. Nur mit vom Waschen der Kleidung nasser Kleidung war er, das Rad vor der Tür, rund 10 Stunden eingeschlossen, bis ihn der erste Kunde befreite. Oje, ein Horrorgedanke! Noch einen letzten Blick in den Spiegel: Da blickt mich eine grau-wuschelhaarige Frau mit geblümtem Stirnband an, eigentlich noch voller Tatendrang. Kanariengelbes Radtrikot. Ein Wunder, dass das nach über acht Tagen noch so sauber ist, vermutlich liegt das wohl am Material. Ich werde das daheim mal in der Ausrüstungsliste auswerten. Ich spüre mein Sitzleder nach: Kein Problem nach so vielen Tagen im Sattel. Heute bin ich wieder mit meiner Triathlon-Hose ohne Sitzpolstere unterwegs und fahre gut damit.
Genug getrödelt, ich weiß schon, warum … Es ist nun wirklich Zeit mich an den Aufstieg des letzten hohen Passes zu machen, dem von mir gefürchteten Bealach na Bà.
Es ist ein berühmt berüchtigter Pass auf der Applecross-Halbinsel mit einer sich windenden einspurigen Straße, die bis auf 626 Meter ansteigt. Es ist eine der wenigen Straße in den Highlands, die wie unsere Bergpässe in den Alpen angelegt ist, mit engen Haarnadelkurven, die sich mit Steigungen von teils über 25 % den Berg hinaufschlängeln.
Und der Pass fühlt sich wirklich so an wie bei uns daheim. Nur dass bei uns keine Schilder stehen mit einem Abraten für Führerscheinneulinge. Und was „gradients of 1 in 5“ auf der Warnung bedeutet, google ich erst zuhause, aber es klingt nicht gerade beruhigend. Damit ist eine Steigung von 20% gemeint. Und wirklich, die 20% kommen und bedeuten für mich etwa einen halben Kilometer Schieben, der Rest ist fahrbar, auch wenn die Oberschenkelmuskulatur ganz schön brennt.
Unterwegs habe ich Zeit über den anstehenden Tag nachzugrübeln, denn in der dichten Nebelsuppe lenkt mich sonst nichts ab und auf Musik habe ich keine Lust, zu angenehm ist die Stille ohne auch nur ein Auto. Gut so früh gestartet zu sein. Was liegt nun aber vor mir? Es sind noch 260 Kilometer bis Inverness. Ist das machbar an diesem Tag? Oder sollte ich noch eine Nachtruhe einlegen irgendwo? Das wird sich wohl zeigen im Laufe des Tages.
Plötzlich tauche ich aus dem Nebel. Wunderbare Aussicht auf die umliegenden Gipfel. Auf dem Pass hat eine Gruppe Caravans ihr Nachtlager mit View aufgeschlagen. Die Sonne geht auf, ich treffe auf einen anderen Radfahrer und wir schießen gegenseitig Fotos, es gibt ja nur so wenige, auf denen ich selbst abgelichtet bin.
Dann die Abfahrt. Eine lange Abfahrt. Es ist ziemlich kalt und das hält mich davon ab, müde zu werden. Anhalten die Primaloft-Jacke anziehen ist die beste Option.
Beim Runterfahren weiß ich glücklicherweise noch nichts von Claudia. Im Ziel werde ich erfahren, dass Claudia Gugole genau in dieser Abfahrt gestürzt ist. Sie kann sich an nichts erinnern. Ich vermute, das könnte Sekundenschlaf gewesen sein. Sie ist glücklicherweise nicht schwerer verletzt, muss das Rennen aber abbrechen. Und von hier, vom Ende der Welt ist es nicht leicht nach Inverness zu kommen.
Wieder auf Meeresspiegelhöhe angelangt liegt Applecross. Der Campingplatz mit Restauration noch in tiefem Schlaf. Schade, also kein Wachmach-Latte.
Hinter einer niederen Mauer liegt ein Hirsch. Ist der angefahren worden? Träge hebt er den Kopf, schaut mir in die Augen, dann döst er weiter. Dem geht es gut! Etwas weiter macht sich eine Hirschkuh im Garten direkt neben dem Haus am Gemüse gütlich. Nur von mir bemerkt. Ich bekomme auch langsam Hunger und halte, um fast eine ganze Packung (250g!) Cheddar zu essen. Als Beilage gibt es eine kleine Ciabatta und einen Apfel. Ich lege Kekse griffbereit neben das Studentenfutter in meine Oberrohrtasche. Was jetzt kommt, braucht Mumm. Das weiß ich in dem Moment aber noch nicht.
Die Applecross Coast Route führt, wie der Name schon sagt an der Küste entlang. Wunderbare Blicke inbegriffen, aber einsamst bezüglich menschlicher Spuren. Auf meinem Planungsblatt schaut das Höhenprofil flach aus. Das täuscht, denn der letzte hohe Pass verfälscht das Bild, wie ich bald merke. Das Gelände ist kupiert, es geht ständig hoch und runter. Hoch heißt hier wieder mal ständig sehr steil hoch und nicht selten muss ich wegen ein paar Metern runter vom Rad, aber 16+% komme ich mit der schweren Ladung ohne Leiden nicht hoch. Und Leiden will ich nicht, also absteigen. Tut meinen Muskeln eh gut, mal eine andere Belastung zu erleben. Wardruna mit Helvegen im Ohr nützt im Moment auch nichts.
Unterwegs erwischt mich eine Müdigkeitsattacke. Ich lege mich kurz ins hohe Gras, der Wind hält die Midges davon ab mich lebendig aufzufressen. Aber schlafen kann ich doch nicht. Im Kopf schwirren mir die Kilometerzahlen rum, noch immer sind es 230 Kilometer bis Inverness. Und wenn ich so „schnell“, sprich langsam weiter komme, wie hier auf der Küstenstraße, dann würde ich wohl bis zur Finisher-Party unterwegs sein. Das lässt mir keine Ruhe, denn die Party wäre am nächsten Tag am Abend und um 5 Uhr früh müsste ich schon am Flughafen sein. Das Rad verpacken müsste ich dann wohl nachts. Ich rappele mich auf und starte, um die verlorenen 7 Minuten wieder aufzuholen. Keinen Spaß macht etwas später die Horde wild gewordener Ferraris und Co, die mit aufjaulenden Motoren die Küste entlangrasen, ohne Rücksicht auf Verluste. Die denken wohl, die Passing Places sind nur für die anderen da. Das ist nun wirklich der letzte, hoffe ich, und schon rast ein nächster um die Kurve. Die spinnen hochgradig!
Es ist schon später Vormittag, da hellt sich mein Gemüt schlagartig auf. In der Ferne erkenne ich eine weißgetünchte Häuserzeile. Shieldaig!!! Erinnerungen kommen auf: Fünf Jahre zuvor war ich schon einmal hier, beim Celtman Extreme Triathlon. Ich erinnere mich an die fast 4 km Schwimmen im 8° kalten Wasser mit Millionen von Quallen, die Radstrecke über die Highlands und der abschließende Marathon über drei Gipfel des Bergmassivs Beinn Eighe. Ein tolles Abenteuer, aber eine Marathonzeit von fast 9 Stunden zeugt von der Härte des Bewerbs, bei dem man fast weglos mit Kompass und Karte bewaffnet über die Berge irrte. In Shieldaig endlich ein Laden. Davor sitzt … Flynn. Er schwärmt mir vor, was er schon alles gegessen hat, wenn ich Glück habe, gibt es noch eine Dose mit dem leckeren Thunfisch-Salat mit Gemüse oder so. Das Geschäft schaut geplündert aus, vor Flynn waren da wohl schon viele andere. Aber ich bekomme meine gewohnte Kost: Kefir, Ingwerkekse, KitKat und wirklich eine Dose Fertignahrung ist noch da, die letzte. Einen leckeren Kaffee gibt es auch noch. Was will frau mehr? Flynn erkundet inzwischen, wo der auf Google Maps eingetragene Trinkwasserhahn ist. Dann noch ein kurzer Halt am Ende des Dorfes in der öffentlichen Toilette. Die erkenne ich, als ich sie sehe: Hier war die Radwechselzone, alle Triathlon-Räder waren auf der schmalen Straße aufgefädelt wie Perlen.
Zehn Kilometer weiter liegt Torridon, mein Herz hüpft. Hier war das Ziel des Celtman und die Straße, die ich jetzt nehmen muss, bin ich auch schon gefahren. Wunderschön unter den Berggipfeln entlang. Ich komme auch an dem kleinen Wäldchen vorbei, hier war der T2 Wechsel beim Laufen. 10 Minuten vor Cut off hatte ich es hierhin geschafft und musste dann noch über die drei Gipfel hoch über mir, anstatt rund um das Massiv. Memories …
Die Straße ist, nach all dem, was ich heute schon erlebt hatte, angenehm zu fahren. Leichte Steigung, viele Ausweichmöglichkeiten für den langsam zunehmenden Verkehr. Die Autofahrer sind allerdings sehr zuvorkommend gegenüber Radfahrern. Das muss ich rückblickend für fast alle Teile Englands und Schottlands sagen. Fast.
In Kinlochewe möchte ich nochmal meine Wasserreserven auffüllen. Die öffentliche Toilette ist mit einem Baustellenzaun gesperrt. Ich frage den Arbeiter dort, ob ich trotzdem etwas Wasser einfüllen könne. Er öffnet. Wir quatschen etwas. Beeindruckt von dem, was ich gerade mache, bringt er mir eine kleine Wasserflasche. Höflich bedanke ich mich und traue mich nicht nein zu sagen, obwohl ich weiß, dass ich eh nur meine kleine Flasche austrinken werde, die große und nun auch die neue kleine über die Hügel tragen werde. Und wirklich, die kleine Wasserflasche sparte ich mir auf und trank sie vor dem Flugplatz-Security-Check in einem Zug aus. Wie krank ist das denn … Daran muss ich arbeiten. Beim Losfahren nuschelt der Mann noch was von einem Berg. Den hatte ich durch das verzerrte Profil auf meinem Blatt nicht auf dem Schirm. Schock!
Am Beginn des 200-Meter-Anstiegs treffe ich wieder auf Flynn. Ich werde ihn erst wieder am nächsten Tag im Ziel sehen, wo er von seiner besseren Hälfte und Schwiegerfamilie empfangen wird. Er ist vernünftig und plant, vor allem wegen seines immer mehr schmerzenden Knies, eine Übernachtung in einer Pension oder ähnlichem ein. Unterwegs werde ich noch mehrmals daran denken, wie sinnvoll diese Taktik auch für mich gewesen wäre.
Was nun kommt, ist zwar vom Profil her eine Wohltat. Es geht fast 50 Kilometer stetig leicht bergab und ich komme mega schnell weiter. Wermutstropfen ist nur, dass wir auf der ziemlich befahrenen Hauptstraße unterwegs sind. Unterwegs wieder mal ein obligatorischer Powernap, bei dem ich wie üblich nicht einschlafe, aber das Rasten mit geschlossenen Augen bringt auch was. Auf den letzten Kilometern wird der Verkehr noch stärker, hier hätte es allerdings eine optionale Gravel-Ausweichstrecke gegeben. Ich verzichte dankend und hoffe, mein Leben nach so vielen Kilometern nicht aufs Spiel zu setzen. Dann aber schickt mich mein Navi urplötzlich nach rechts weg und bis zum Ziel darf ich nun wieder auf sekundären Sträßchen radeln, natürlich wieder etwas profilierter. Man gönnt sich ja sonst nichts.
In großem Bogen geht es um einen See herum. Sehr idyllisch. Aber bei jedem Stopp bin ich von Bremen und ähnlichem umvölkert. Besser nicht stehen bleiben. Mein Rad macht wie schon in den letzten Tagen einen Höllenspektakel, ich höre es schon gar nicht mehr und mache mir auch keine Sorgen mehr. Was kommt, kommt …
Es ist schon später Nachmittag als ich in Muir of Ort einrolle und mich zum Supermarkt durchfrage. Auch hier das volle Programm: Das Wichtigste ein Latte (-Macchiato mit zweimal Zucker!), Kefir, Käse, Tomaten, Sandwich, Ingwer-Kekse und eine Eineinhalbliter-Flasche Wasser. Wie vorher vermutet, ist die große Trinkflasche noch fast voll und ich nutze sie mein Rad etwas zu säubern. Hhhahahhaaa!
Ich rechne nach: Bis ins Ziel sind es nun noch schlappe 90 Kilometer. Das ist doch nicht viel, grad mal so wie Brixen-Bozen-Brixen. Wenn ich jetzt losfahre, wäre ich locker gegen halb zehn im Ziel. Mein Zelt müsste ich dann nicht noch einmal auf- und abbauen, das klingt verlockend, also los! Die ersten 30 Kilometer laufen auch recht flüssig. Dann stehen noch drei Berge an. Und die drohen vom Blatt mit saftigen Steigungen und mit insgesamt knapp 1000 Höhenmetern. Oh nein!
Unterwegs suche ich immer mal wieder einen guten Grund, um stehen zu bleiben. Eine Blindschleiche, unterarmlang, mitten auf der Straße. Wenn da ein Auto käme, dann wäre sie platt. Ich versuche sie wegzuscheuchen, aber auf dem glatten Asphalt hat sie keinen Halt und schlängelt auf der Stelle. Mit einem kräftigen Zupacken nehme ich sie auf und schleudere sie weit weg in die Büsche. Die hat nochmal Glück gehabt.
Der erste fängt schon sehr steil an, wird dann flacher, ich schaffe es im Sattel zu bleiben. Na also, nicht so schlimm. Der zweite ist zum Teil Schiebestrecke für mich, zwischen 15 und 20% Steigung. Dann wird es langsam dunkel, sprich 11 Uhr ist vorbei. Also ist wohl nichts mit Zieleinlauf um halb zehn. Weit muss ich hochschieben auf den dritten Hügel, denn bei uns zuhause wäre das so einer. Irgendwo auf der Hochfläche müsste eine Gravelpassage abgehen. Hermann hatte mich aber informieret, dass die meisten auf der Straße fahren würden. Nanu? Ich frage mal beim Organisator nach und bekomme auch bald eine Antwort via E-Mail. Und wirklich, bei der Abzweigung steht ein großes Holzschild, dass die Panceltic-Rider auf dem geteerten Radweg bleiben sollten. Mein Navi spielt verrückt, als ich mich von der hochgeladenen Strecke entferne, und will mich immer wieder zur Originalroute zurück zwingen. „Nein“, sage ich laut. Hier oben ist es ziemlich kalt. Oder ist das meiner Müdigkeit geschuldet? Die überkommt mich jetzt nämlich und ich denke wehmütig, dass meine Mitradler jetzt wohl alle irgendwo schlafen würden. Eine Nacht am Ende des Rennens durchfahren macht sicher niemand.
Dann bin ich wieder auf dem originalen Track und nah bei Inverness. Mein Navi hat allerdings seinen Dienst quittiert und schickt mich beim letzten Kreisverkehr mehrmals die Runde. Die richtige Abfahrt finde ich im Dunkeln nicht und so verliere ich viel Zeit, um Google zu befragen, wo es hier zum nahen Campingplatz, dem Zielort geht. Irgendwann bin ich dann dort, es ist kurz vor 1 Uhr in der Früh. Um ein wärmendes Lagerfeuer sitzen ein paar Leute und warten auf die letzten Ankömmlinge an diesem Tag, oder nein: der neue Tag hatte ja schon angefangen, es ist kurz vor eins. Auf einen Schlag ist die lange Reise vorbei, das muss frau erst mal fassen …
Ich bekomme noch was zu essen und mir wird angeboten, anstatt mein Zelt aufzubauen, im großen (Pferde-) Transporter der Organisation zu schlafen. Nach einer Dusche wickele ich mich in meinen zu dünnen Schlafsack und friere mich durch die restliche Nacht, nahezu schlaflos. Das kommt davon, wenn man von der „letzten Nacht durchfahren“ spricht. Trotzdem bin ich munter am nächsten Morgen, kann in aller Ruhe mein Rad auseinanderbauen. Das hat wider Erwarten gut durchgehalten. Als ich das Sattelrohr abziehen und die Schelle wieder zuschraube, funktioniert das nicht: das Gewinde ist kaputt. War das das Geräusch? Was wäre passiert, wenn die Klemmung unterwegs nachgelassen hätte? Ich hätte kein Ersatzteil mitgehabt. Und mit einem Sattel, der womöglich ganz runterrutscht und sich nicht fixieren ließe, hätte ich wohl das Rennen vorzeitig beenden müssen. Glück gehabt!
Den ganzen Tag ist viel los im Zielbereich, ständig kommen Fahrer an, ein Plausch hier, einer da. Später ziehe ich ins Hotel, nutze meinen Essensgutschein bei der Finisher-Party, trinke endlich mal ein schottisches Bier. Ich erstaune dabei die Barfrau, indem ich meinen Wunsch äußere, die Hälfte Bier, die andere Hälfte bitte Apfelsaft – das beste nach-dem-Sport-Getränk!!! Ich lerne ein paar Leute kennen, verabschiede mich frühzeitig, denn ich habe Schlaf bitter nötig. Allerdings sei mir der schon wieder nicht lange gegönnt: Um vier muss ich schon wieder raus aus den Federn, das Taxi zum Flughafen wartet.
Begriffsklärung: Ein solches Event nennt sich zwar Rennen, aber für mich ist es eher eine gemeinsame und doch nicht gemeinsame Fahrt mit vielen Gleichgesinnten. Das einzig, das mich an ein Rennen erinnert ist die vorgegebene Zielzeit, durch die die Tage auf dem Rad für mich gezwungenermaßen etwas intensiver sind und die Nächte recht kurz, damit ich es zeitlich ins Ziel schaffe.
Fazit: Meine Planung hat sich zwar schon nach einem Tag in Luft aufgelöst und ich hinkte meinem Pensum immer nach, aber am Ende war ich doch nur 4 ½ Stunden hinter meinem Plan im Ziel. Ich bin doch ein bisschen stolz auf meine Leistung.
Geamt-Ergebnis:
64. von 165 der Full Route – lange nicht die letzte … denn: gestartet waren insgesamt gut 300 Fahrer, ins Ziel kamen 101 von 165 der langen Strecke und 88 von 139 der kurzen. Dabei muss erwähnt werden, dass ziemlich einige der Long Distanz unterwegs auf die kurze Strecke wechselten. Diesen Wunsch verspürte ich überhaupt nie! Zu schön war das Abenteuer Full Route des Panceltic Ultra … Ich genoss (fast) jeden Kilometer.
“Cracking video and photos – it does make it look all a bit easy doesn’t it! Or maybe that’s just me – no images of suffering – I’ve showed it to my wife to give her an insight into the stunning scenery we were privileged to see.” (Sean Case)
Übersetzung: Tolles Video und Fotos – es sieht alles ein bisschen einfach aus, nicht wahr! Oder vielleicht bin das nur ich – keine Bilder des Leidens 😆 – ich habe es meiner Frau gezeigt, um ihr einen Einblick in die atemberaubende Landschaft zu geben, die wir sehen durften. (Sean Case)
Ich: Naja, die Bilder des Leidens (gab es die überhaupt?), dazu hatte ich wohl keine Kraft …, aber die sind sicher irgendwo zwischen den Bildern wunderschöner Landschaften …
VGG500 – das steht für Verona Garda Gravel 500, einer 540 Kilometer-Runde durch den oberitalienischen Raum unter der Federführung von Giorgio Murari, alias Musseu, Sport Verona. Wer mal ein Event bei ihm mitgemacht hat, der weiß, es ist etwas Besonderes. Dachte ich diesmal, die NUR 540 km würden wohl ereignislos verlaufen, so wurde ich eines Besseren belehrt …
Zuerst mein Video:
Donnerstag/Freitag, Nacht 1:
Traumhafter Sonnenuntergang Mitte März, nicht weit vom Gardasee. Ein kleiner Plausch mit einigen ciclisti, die ich schon von anderen Events kenne. So früh im Jahr sind schon ziemlich einige aus ihrem Radl-Winterschlaf erwacht … 540 Kilometer für den Anfang ist nicht wenig. Am Stück ist mir das zu viel, ich schleppe deshalb etwas mehr mit mir herum: meine vier Wände, sprich Leichtzelt, Matte, warmen Schlafsack. Schon zu wissen, dass ich eine Schlafpause machen kann, wann ich will und wo ich will – auch schon in der ersten Nacht- lässt mich gelassen starten. Naja, gelassen, beim Briefing betont Giorgio „Musseu“ Murari, dass es ideal wäre, mit leichtem Gepäck zu fahren. Zu spät.
Aber in meinem Kopf beginnt es zu rumoren, was wird da wohl auf uns zukommen? Die Handschrift Musseus bei der Streckenplanung lässt wohl nichts Gutes ahnen. Habe ich zu viel Ballast mit? Ich wüsste nicht, was ich weglassen könnte – aber ob 20 kg oder 25 – was soll’s? Mir kommen auch Zweifel, ob ich mit meinem MTB nicht besser dran wäre … Zudem warnte Musseu, dass aufgrund der vielen Regenfälle in den vergangenen Wochen wohl etwas Matsch auf den Wegen liegen würde – eine leichte Untertreibung. Zu 50 geht es los auf die große Runde durch den oberitalienischen Raum. an das Ufer des Gardasees, den Mincio entlang, dann weiter nach Verona, durch die Colli Euganei nach Abano Terme, weiter nach Vicenza, durch die Colli Berici und Richtung Westen, zurück über unzählige „Berge“. Anfangs flach, dann mit ordentlich Höhenmetern garniert (7600m sollten es am Ende sein).
Beim Losfahren vermute ich, die Fahrt würde vielleicht etwas ereignislos werden, egal, dann würde die Geschichte benutzerfreundlich kurz … Aber …
Schon auf den ersten Kilometern zum Ufer des Gardasees macht mein Vorderlicht schlapp. Durch das Gerüttel auf dem Gravel-Untergrund kippt die Lampe plötzlich nach unten und ich sehe auf einmal nur noch Schwarz vor mir. Vollbremsung. Rad an eine Mauer lehnen, Werkzeug rauskramen und die Lampe fest anschrauben. War ich wohl zu schlampig beim Montieren gewesen zuhause. Fazit- alle anderen sind nun weg, nicht ein einziges Rücklicht sehe ich mehr. Auf schottrigem und schlammigen Untergrund gravele ich entlang des Canale Virgilio. Die kleine Fußgängerbrücke übersehe ich. Verhauer. Zurück.
Schlagloch. Hart drückt es meinen Allerwertesten in den Sattel. Ein Gedanke schießt mir plötzlich in mein Hirn, das jetzt im Dunkeln keinerlei Ablenkung hat: Ich habe meine neue Colombier-Radhose von Skinfit an, mit einem ganz ganz dünnen Gelpolster. Na und? Ja, aber ich habe als Wechselhose nur die andere neue Hose ohne Radeinsatz mit, auch ungetragen. Wie unvernünftig! Was, wenn …? Selber schuld, wenn ich mich ab Kilometer 100 oder so mit Sitzproblemen rumquälen muss. (Blick in die Zukunft: Es gibt keinerlei Probleme!!! Aber hier würde die Überschrift passen: Unvernunft löst sich in Wohlgefallen auf …)
Einer Radler-Gruppe (ach, sind da doch noch welche hinter mir?) rufe ich noch „sbagliato strada“ zu, aber die ignorieren mich. Mit etwas Schadenfreude (ich hatte es ihnen ja gesagt!) sehe ich wie sie den Canale an der anderen Seite folgen, dann verloren sich ihre Lichter im Wald, sie fahren bergauf … Immer wieder Pfützen und Schlamm, in den sich mein Vorderrad bohrt. Ich sollte wohl etwas langsamer fahren, um einem Sturz vorzubeugen.
In der Ferne über mir erscheint das beleuchtete Castello Scaligero, wunderschön. Hier in Valeggio muss ich weg vom Mincio. Durch Olivenhaine und Weingärten pedaliere ich nun Richtung Osten. Ab und zu überhole ich einen nächtlichen Radfahrer.
Ich fahre durch Villafranca mit seinen schön beleuchteten Stadtmauern und dem Schloss. Im Schlosspark finde ich zum Glück eine Wasserstelle, ich habe nur eine Flasche und es ist fraglich, wann ich wieder Wasser finden würde.
Dann das nächtliche Verona. Mein Track geht geradeaus. Straßensperre. Eine Menge an Polizisten und Militär steht herum. Nanu? War ich zu schnell und bin in die Tempofalle getappt? Ich scherze. Sperre, weil um die Ecke die Arena di Verona sei. Da wird wohl gerade ein Event zu Ende sein.
Ich suche mir eine Ausweichstrecke. Ein erster ernsterer Berg liegt vor mir. Sehr steil folge ich nun in Einsamkeit den Mauern des Castello San Felice, mit etwas schlechtem Gewissen, ich habe mich nämlich an einem Sperrschild vorbeigezwängt. Zwischen zwei Festungsmauern geht es durch, komplette Finsternis. Als es wieder abwärts geht und auf meinem Track aber kein Gefälle angezeigt wird, rauschen ein paar Radfaher an mir vorbei. Ich folge ein Stück. Das kann doch nicht stimmen. Ich schiebe mein Bike steil zurück. Da! Unscheinbar eine bogenförmige Öffnung in der Mauer, versperrt mit einem großen Stein. Da soll es durchgehen? Ich muss mein voll bepacktes Rad über das Hindernis hieven. Erinnerung an die GBDuro kommen auf. Uff! Dann ein schmaler Weg der Mauer entlang durch den Wald. Ob das wohl stimmt. Doch!
Bald sause ich runter in Richtung Montorio. Sause ist zu viel gesagt, denn ein unregelmäßiges Kopfsteinpflaster wirkt sich doch ziemlich auf meine Geschwindigkeit aus. Den Kanal, dem ich ab Montorio folge, kenne ich schon. Tagsüber sehr idyllisch zwischen den beiden Wasserläufen zu radeln. Nun etwas unheimlich, links und rechts die tiefschwarzen glänzenden Bänder, Nebelschwaden, ein Käuzchen oder etwas Größeres ruft und sind das Frösche, die da quaken? Frieren die nicht? Mir kriecht die feuchte Nebelluft überall hinein. Schnell weiter, damit mir wieder warm wird.
Zum Glück nun zwei kleine Berge, dann Ebene bis zu den Colli Euganei. Soave bietet Abwechslung. Auf dem beleuchteten Platz vor den Stadtmauern eine Überraschung, die nach einer Fotosession ruft. Eine riesige pinkfarbene Schnecke mit Kind. Und ich die „lumacagabi“. Lumaca bedeutet Schnecke auf Italienisch, ich nämlich langsam, aber ausdauernd. Filippo und Luca (?), denen ich in den nächsten Stunden und am nächsten Tag mehrere Male über den Weg fahren würde, bringen geduldig meine Bilder in den Kasten. Dann weiter, eine kleine Gruppe startet. Ich hänge mich nicht dran, das Fahren in der Gruppe ist nicht so meins. Ich möchte ungebunden sein und möchte nicht, dass sich Leute für mein Fortkommen verantwortlich fühlen müssen und in den Anstiegen auf mich warten.
Die Wege werden immer matschiger. Zum Glück sehe ich mein Rad im Dunkeln nicht so gut … es ist vermutlich schlammverspritzt. Egal. In Gedanken an die nächste Radreinigung und vermutlich habe auch ich einiges abbekommen fahre ich durch eine Unterführung – und stecke fest, im Schlamm. Hier hat sich das Wasser gesammelt. Fuß von den Pedalen runter und auch der steckt fast knöcheltief fest. Mit einem saugenden Geräusch ziehe ich meinen Radschuh aus dem Matsch. Das wäre es dann gewesen mit sauberen Schuhen. Der Weg verliert sich nun in einer Wiese. Die Ruine eines verfallenen Hauses trägt zur gruseligen Stimmung bei. Mir fallen auf einmal Szenen aus dem Hörbuch-Thriller ein. Mein Navi spielt verrückt. Ich kann nicht ausmachen, wo ich mich im Vergleich zur korrekten Spur nun befinde. Ich fahre zurück. Da! In der Ferne kann ich zwei Rücklichter erkennen, die in die andere Richtung radeln, ich hinterher. Meno male! Zum Glück! Ich bin wieder auf der richtigen Spur.
Es ist nun schon weit nach Mitternacht, genau halb drei Uhr. Schon seit einiger Zeit gähne ich an einer Tour, im nächsten Schritt werde ich irgendwelche Dinge sehen, die gar nicht da sind und dann … Sekundenschlaf! Ich kämpfe innerlich mit mir, soll ich? Soll ich nicht? Wenn, dann … Will heißen, soll ich mein Zeltchen aufstellen? Dann werde ich wohl völlig abgeschlagen sein und dem Feld am nächsten Tag hinterherfahren … Aber was soll’s … ich fahre an einer kleinen Kapelle vorbei, umgeben von einem kleinen Rasenstück. Das ist es! Mein Campingplatz! Rad an das Kirchlein gelehnt und die Zeltunterlage rausgezogen. Leider ist unter dem spärlichen Gras der Boden nahezu flüssig. Matsch auch hier! Aber mein Hirn möchte nun nicht mehr zurück. Dann muss ich später wohl verdreckte Utensilien zusammenpacken. Ich verkrieche mich in meinem Schlafsack, auf Zahn- und Körperpflege verzichte ich. So bin ich halt gleichmäßig schmutzig. Igitt! Unruhig ist mein Schlaf. Immer wieder höre ich das Surren vorbeifahrender Fahrräder.
Obwohl ich den Schlafsack am Hals gut zusammenziehe, fröstelt es mich immer wieder. Zweieinhalb Stunden liege ich so, dann beschließe ich aufzustehen. Ob ich viel geschlafen habe, ist fraglich. Das Zelt ist innen und außen klatsch nass. Die Luftfeuchtigkeit ist fühlbar sehr hoch hier in der Ebene. Und gleichzeitig ist es kaum wärmer als 2-3°C. Ich packe meine nassen und klammen Schlafutensilien in meine Taschen und radle los, Vögel fangen an zu zwitschern, es dämmert. Natürlich fahre in die falsche Richtung. Man gönnt sich ja sonst nichts. Den Irrtum gemerkt und umgekehrt trete ich nun ordentlich in die Pedale, damit mir warm wird. Auf der SeteTrack App sehe ich, dass hinter mir wohl kaum mehr jemand ist. Am Abend jedoch werden die meisten anderen wohl eine längere Schlafpause bei Vicenza einlegen, da werde ich Plätze gut machen, vermutlich.
Freitag, Tag 1:
Ich erreiche bei den ersten Sonnenstrahlen, die sich durch die dichte Nebeldecke fressen, Montagnana mit seinen mittelalterlichen Stadtmauern, der gotischen Kathedrale und den wunderschönen Palazzi. Frühstück-Stopp mit Brioche und Lattemacchiato. Ich verschwinde zuerst mal im Bagno – mindestens eine halbe Stunde Körper- und Kleiderpflege und ein komplett versautes und überflutetes Bad. Halbwegs sauber erscheine ich, nachdem ich auch noch Boden und Waschbecken das Bades notdürftig gesäubert habe, im Gastraum.
Glücklicherweise ist der Kaffee noch nicht zubereitet worden, er wäre jetzt wohl Eiskaffee … Ich drehe ein paar Runden durch das Städtchen, da ich mich verfahre, dann wieder freie Fahrt entlang des Flüsschens Frassine. Freie Fahrt? Musseu hatte schon angekündigt, es gäbe hier eine Baustelle und die müsste man großräumig umfahren. Da die Maschinen noch still stehen und ich einige Radspuren im Schotter ausmachen kann, setze auch ich mich über das Fahrverbot hinweg. Anfangs ist auch noch alles easy. Dann wird die Weiterfahrt kniffelig, Umdrehen keine Option, da ich einige Kilometer zurückmüsste. Schwere Maschinen hatten die Asphaltdecke hier auf dem Bachdamm aufgerissen. Ich eiere langsam über den unregelmäßigen Untergrund. Und da ist es schon passiert. Mein Vorderrad rutscht ab und bohrt sich in den tiefen feinen Schotter. Ich fliege über den Lenker. Aua! Nachdem ich meine Gliedmaßen sortiert habe, steige ich mit zitternden Knien wieder auf, bzw. schiebe mein Rad zunächst ein paar Meter. Alles ok bis auf eine Schnittwunde an der Hand, ein aufgeschürftes Knie und vermutlich einen großen blauen Fleck am Oberschenkel. Wie ich aussehe, zählt nicht: Mein rechter Beinling ist völlig verdreckt, die Radhose über meiner rechten Po-Backe ebenso. Oje! Nun passe ich wieder perfekt zu meinem völlig verdreckten Rad. Etwas Gutes hat das ganze jedoch – bei den vielen schlammigen Passagen, die nun vor mir liegen, brauche ich nicht langsam durchzurollen, um den Schade möglichst gering zu halten. Das hat eh keinen Zweck mehr. Also mit Vollgas durch!
Mir fällt ein, dass ich eigentlich meine Lampe, gespeist durch den Nabendynamo, nun langsam mal ausschalten könnte. Nanu? Was ist das? Wo ist der Schaltknopf meiner Edilux? Da wo der Drehbogen zum Ein- und Ausschalten war, ist nichts außer einer leeren Rille. Wie das? Kann das abgehen? Ich hole mein Werkzeug raus und will versuchen, das Ding manuell auszudrehen. Geht nicht. Beim kurzen Telefonat mit Hermann zuhause, erfahre ich erst mal einen Tadel: „Mit den Lampen da hast du es wohl …“, damit spielt er auf mein Erlebnis bei der GBDuro an, bei der die Lampe abgebrochen war bei meinem Sturz und ein Kurzschluss dann noch den Pufferakku außer Gefecht gesetzt hatte. Was sollte ich nun tun?
Zumindest erfahre ich nun, dass das Ding durch einen Magneten an- und ausgeschaltet werden könne. Und den hatte ich ja verloren. Bliebe die Lampe an, wäre das ja kein Problem. Allerdings könnte ich dann keine Geräte mehr laden. Ohne Licht käme ich auch nicht weit in den nächsten beiden Nächten, denn auch die Lupine Piko auf meinem Helm wäre irgendwann am Ende ihrer Leuchtkraft. Was nun? Ich fahre mal weiter, vielleicht gibt es eine Lösung bei der Kontrollstelle beim Bikeshop Aloha 1 in Abano Terme.
Es wird nun sehr warm, mein Wasservorrat geht wieder mal zu Neige. Ein Brunnen kommt zurecht. Hier versuche ich notdürftig mich und mein Rad zu säubern. Ob das viel Sinn macht, ist fraglich, vermutlich werden die Wege vor mir deshalb auch nicht besser und schlammfrei. Ich besuche hoch oben am Berg noch das Wohnhaus von Francesco Petrarca, einem der wichtigsten Vertreter der frühen italienischen Literatur. Dann wieder Abfahrt.
Durch den Kopf schwirrt mir immer wieder die Lampe. Vielleicht könnte ich irgendwo einen Magneten bekommen, den ich an der Lampe festkleben kann … Ja, das muss so gehen! Und wirklich, Ricardo vom Bikeshop Aloha, CP1, verschwindet in seinem Shop, um mit einem Stück Metall zurückzukehren und einem langen Stück Powertape. Wir probieren, wie sich das magnetische Metall auswirkt, wenn man es an verschiedene Stellen der Lampe hält. Und siehe da. Leicht links geht die Lampe an, weiter rechts geht sie aus. Ich stecke das Stück Metall ein und bekomme auch noch ein langes Stück Powertape. Die nächste Nacht kann kommen. Nachdem Ricardo auch noch meine Kette geölt hat (mille mille grazie, Ricardo!), starte ich wieder.
Ein Drittel der Fahrt liegt nun hinter mir. Alle Höhenmeter aber noch vor mir. Es ist nun fast Freitag Mittag und das Wetter herrlich. Nun geht es sofort in die ersten ernsteren Berge, bei Sossano geht es in die Colli Berici. Die Steigungen sind ungnädig. 26% – das kann ich nicht im Sattel bewältigen. Vor mir schiebt auch wer. Elena! Wir schieben und fahren einige Kilometer miteinander, bis ich die Gelegenheit nutze zu einem Stopp – heiße Schokolade und was Süßes. Bald aber sehe ich Elena wieder vor mir – schieben. So geht es über drei Berge. Und wieder Salami-Brotstopp, Elena startet, als ich ankomme. Auf den 30 Kilometern Ebene vor Vicenza bin ich -gelehnt auf meinen Triathlonlenker- ordentlich schnell. Elena verliere ich dabei. Sie wird, da sie die dritte Nacht durchfährt, etwas vor mir im Ziel sein.
Unterwegs mache ich noch einen großen Umweg entlang eines Kanales. Die Brückenbauer lassen mich leider nicht durch und schicken mich ins Gelände. Um auf die Straße zurück zu kommen, lässt mich ein Bauer gnädigerweise durch seinen Privatgrund. Die Hunde des Nachbarn sind nicht sehr erfreut.
Ich mache mir Gedanken, wo ich was zu Abend essen könnte. Finde ich ein Lokal bei Vicenza, wo ich mein Rad sicher abstellen kann und wo ich auch so schmutzig Einlass bekomme? Da! Ein Schild kündigt eine Pizzeria an: Ristorante e Pizzeria Giorgio & Chiara. Wo ist der Eingang? Ich irre im Innenhof herum und treffe auf jemanden, der mich von oben bis unten etwas argwöhnisch beäugt. Ja hier sei ein Lokal und in 10 Minuten öffneten sie. Ich warte vor dem Haus und entdecke einen Gartenschlauch. Notdürftig reinige ich meine Kleidung, wische die Schlammspritzer von meinem Gesicht. Ich frage, ob ich mein Rad etwas abspritzen darf. Darf ich! Und ich darf es nun auch auf der Terrasse etwas versteckt abstellen. Noch bin ich einziger Gast. Darüber bin ich froh. Ein Blick in den Spiegel zeigt mir nämlich, dass die Katzenwäsche draußen nicht so viel gebracht hat. Ich komme ins Gespräch mit den Chefleuten. Sie staunen über meine Fahrt. Die Welt ist zudem klein. Gemeinsam haben wir einige Radfreunde. Auch sportmäßig gibt es Anknüpfungspunkte: Triathlon, wir fachsimpeln, im August werde ich Giorgio beim Inferno Triathlon von der Ferne verfolgen und in Erinnerungen schwelgen … Ich werde mit einer der köstlichsten Pizzas ever verwöhnt und gönne mir auch noch eine Crema Catalana. Ungern verlasse ich den feinen Ort. Inzwischen hat sich die Dämmerung über den Vorort Vicenzas gelegt.
Die anderen Radfahrer haben nun wohl schon ihre Hotelzimmer bezogen. Die haben es gut … Beim Weiterfahren fällt mir auf, dass es in den Senken bitterkalt ist und sobald man etwas an Höhe gewinnt, wird es spürbar wärmer. Ich werde meinen Schlafplatz wohl dementsprechend auswählen. Aber noch ist es nicht soweit. Ich möchte noch am Lago di Fimon vorbei und über mindestens zwei Berge. Meine Lampe geht irgendwann von alleine an – Spuk? Fragt mich nicht wie … Ich bin sowas von erleichtert, ich habe Licht. Vorbei am Fimonsee, dann wird es sehr ernst, eine Steigung, die nicht nur steil, sondern steinig wie sie ist, mich aus dem Sattel zwingt. Das Hike a Bike, geht nicht nur hoch, sondern auch runter. Ich schimpfe innerlich wie ein Rohrspatz mit dem Streckenkonstukteuer Musseu. Mit meinem MTB wäre ich hier viel besser dran gewesen.
Freitag/ Samstag, Nacht 2:
In der anschließenden Steigung finde ich auch meinen nächsten Traum-Schlafplatz: wieder am Vorplatz einer kleinen Kapelle. Als ich beim Zeltaufbau bin, kommt Alessandro vorbei, nach einem kleinen Schwätzchen schiebt er weiter. Etwas Wegabwärts höre ich ein Auto und sehe Scheinwerfer durch die Bäume irrlichtern. Dann wieder Stille. Das beunruhigt mich etwas. Mir ist mulmig zumute. Das hier ist ein Forstweg und eigentlich nicht für Autoverkehr geeignet. Wer ist da hochgefahren? Und warum nicht weiter? Was, wenn jemand kommt und mir das Rad klaut, während ich schlafe oder so …? Sobald ich in meinen Schlafsack sinke, schlafe ich sehr gut, ich wache erst kurz vor dem Wecker gegen 5 Uhr auf, mein Rad ist noch da und mir nichts passiert. Kurz vor 6 geht es weiter. Zelt abbauen und packen muss ich unbedingt noch üben und dabei schneller werden. Vielleicht in der kommenden Nacht?
Samstag, Tag 2:
Meine Schaltung macht Probleme, ich kann nicht mehr auf die großen Gänge vorne schalten, aber wer braucht auf diesem Parcours denn große Gänge? Es geht in einer Tour hoch und runter. Angst habe ich nur, dass das Vorbote eines Schaltkabel-Risses sein könnte. Lieber nicht mehr versuchen vorne zu schalten … Bei Morgen-Dämmerung komme ich an einem Burgfelsen vorbei, der Rocca dei Vescovi, dann verfahre ich mich wieder mal, denn wer glaubt schon, dass das große Eisengitter Durchschlupf erlaubt. Gleich darauf wieder ein Verhauer. Ich fahre einen Bauernhof an, anstatt außen herum.
Wieder auf dem richtigen Weg mache ich eine erstaunliche Entdeckung: auf einer Wiese steht ein Sammelsurium an alten Flugobjekten aus dem letzten Weltkrieg. Schauriger Anblick, wie die Läufe der Artillerie-Geschütze in den düsteren Himmel drohen. Panzer und Motorflieger stehen hier herum. Seltsame Sammelleidenschaft.
In Altavilla, im nächsten Tal, locken Latte Macchiato und Gipfele mit Vanillecreme. Gestärkt fahre ich weiter in den Tag hinein. Mal sehen, was kommt. Nach der ausgiebigen Nachtruhe gehe ich ausgeruht in die Steigungen, die ihrem Namen alle Ehre machen. Viel-prozentig geht es hoch, oft hike a bike und oft so schlammig, dass auch geringere Steigungs-Prozente mich aus dem Sattel zwingen. Ich schimpfe -nicht immer leise- vor mich hin. Aber die schönen Abschnitte überwiegen.
Es gibt einen Extra-Aufstieg zu den Castelli di Romeo e Giulietta, hoch über Montecchio Maggiore.
Kurz vor Ende des zweiten Strecken-Abschnitts falle ich in einem Supermarkt ein. Ich hatte zuvor keinerlei Möglichkeit, meine Kleidung, Gesicht, geschweige denn das Rad zu reinigen. Ich schäme mich nicht, die Leute gucken trotzdem. Ich sammle rasch das Notwendigste zusammen und zahle. Vor dem Geschäft gibt es zwar keine Sitzgelegenheiten, aber eine Kinderschaukel tut gute Dienste. Ich bemerke, dass ich vergessen hatte, Wasser zu kaufen. Die Supermarkt-Chefin kommt heraus und ich frage, ob es rund um den Shop zufällig eine Wasserleitung oder so gäbe. Sie verneint und meint ich solle einen Moment warten. Kurz darauf kommt sie mit einer Mineralwasserflasche heraus und schenkt diese mir. Wahrscheinlich schaue ich so abgerissen aus … vermutlich regierte das Mitleid mit dieser armen schmutzigen Frau, die vermutlich schon wochenlang durch die Gegend fuhr … Oder wollte sie einfach nicht, dass ich das Geschäft nochmal betrete?
Immer wieder hike a bike, Steine, Schlamm, … Irgendwann platzt mir der Kragen, als ich innerlich wieder und wieder Musseu „verfluche“, scheibe ich in der WhatsApp Gruppe, dass ich das nächste Mal lieber mit dem Club Alpino wandern gehen würde, aber ohne Fahrrad an der Hand. Dann werde ich wieder besänftigt durch wunderschöne Abfahrten. Verschämt lösche ich meinen Eintrag wieder. Hoffentlich hat ihn niemand gelesen.
Einen ewig langen Buckel geht es hoch durch Olivenhaine und Weinreben. Auf einmal sichte ich Plakate mit den Namen der teilnehmenden Mädels, u.a. „Vai, Gabi!“ Ich muss grinsen, bei der Verona Garda Gravel extreme vor zwei Jahren hatte das Giancarlo auch gemacht, cool! Mittag bin ich in Campiano, hier hatte ich schon vor zwei Jahren mit Hermann bei der Verona Garda Gravel Extreme gegessen. Ich treffe hier auf Alessandro, Stefano und Roberto und lasse mich zu hausgemachten Nudeln mit Tomatensauce nieder. Sehr lecker.
Mit Alessandro fahre ich dann weiter, kurzweilig beim Quatschen gehen die nächsten Steigungen (es gibt noch 5 lange) von der Hand. Oder muss man sagen „vom Fuß“? Ein Brunnen, ich verlasse den Track ein paar Meter. Das war wohl mein größter Fehler an diesem Tag, denn das Unheil folgt stante pede: Als ich nämlich losfahren will, spielt mein Garmin-Navi verrückt, wieder mal. Streik!
Die Karte wird nicht in Fahrtrichtung angezeigt, sondern erscheint genordet. Das bedeutet für mich Gehirnjogging pur: Fahre ich nach Norden, ist alles normal. Nach Süden ist es auch noch easy, da kommt mir der Richtungs-Pfeil einfach entgegen. Es ist auch leicht nachzuverfolgen, wenn die Strecke rechtwinklig nach links oder rechts abbiegt, da muss ich einfach in die Gegenrichtung abbiegen. Schwierig wird es allerdings, wenn es Richtung Süd-Westen, Nord-Osten oder noch schlimmer Nord-West-Nord oder so ähnlich geht. Völlig verwirrt biege ich immer wieder falsch ab. Jetzt am hellichten Nachmittag geht das ja noch halbwegs, aber was, wenn es dunkel wird und wenn ich die Konzentration nicht mehr aufbringe?
Samstag/ Sonntag, Nacht 3:
Alessandro und ich gönnen uns eine Pizza-Pause im Örtchen Avesa. Anschließend starte ich, während Alessandro sich noch für die Nachtfahrt richtet. Natürlich kommt mein Gehirn bei der Ausfahrt aus Avesa nicht so rasch in die Gänge. An zig Abzweigungen fahre ich logisch in die verkehrte Richtung. Ich bin nicht weit von Verona und der Verkehr ist dementsprechend dicht. Samstagabend – Partytime. Bin ich froh, als es wieder ins Gelände geht.
Hier holt mich Alessandro ein und gemeinsam radeln wir weiter bis Domegliara, wo der CP2 in der Bar La Prua ist. Wir gönnen uns eine heiße Schokolade, dann geht es weiter. Bei dem nun folgenden Abschnitt auf einem schmalen Pfad direkt an der Etsch entlang, bin ich froh, dass ich hier nicht alleine bin. Da der Abend nun schon sehr fortgeschritten ist, beschließe ich bei nächster Gelegenheit mein Nachtlager aufzuschlagen. Es sind zwar NUR noch rund 65 Kilometer bis ins Ziel und Alessandro meint, das sind gut 3 Stunden auf dem Rad, ich hatte aber wohl einen guten Riecher, dass ich mir das nicht antue.
Ich sollte am nächsten Tag erfahren, dass Alessandro nur ein paar Stunden vor mir angekommen war, also nichts da mit 3 Stündchen. Ich selbst werde noch 6 Stunden inklusive Frühstück, Flussüberquerung und diverser Fotosessions brauchen. Kurz nach Cavaion scheint sich mir der ideale Zeltplatz zu bieten: Ein kleiner Olivenhain in der Nähe der großen Windräder. Der Platz ist etwas höher gelegen und außerhalb der eisigen Kaltluftseen, die es auch heute gab.
Ich beginne mit dem Zeltaufbau. Auf einmal summt es in meinen Ohren: ein ohrenbetäubender hochfrequenter Ton. Was ist denn das? Ich vermute, dass der Bauer mit einem Gerät irgendwas abwehren möchte. Aber was? Unerwünschte Camping-Gäste? Wird in Kürze der Olivenbauer hier erscheinen und mich verjagen? Ich ziehe mein Zelt auf der Unterlage drei Oliven-Bäume weiter. Der Lärm verstummt (zuhause google ich das Erlebte: es ist ein Ultraschall-Tiervertreiber). Kaum ist mein Zelt aufgestellt und ich habe mich in meinem Schlafsack verkrümelt, da ist es mit windstill vorbei und das große Windrad in nächster Nachbarschaft beginnt sich zu drehen. Es wird laut. Das und das Wissen, dass ich hier wohl unerwünscht bin, lassen mich nur sehr leicht und unruhig schlafen.
Sonntag, Tag 3:
Bei Dämmerung packe ich meine Sieben-Sachen (ich bin sage und schreibe 10 Minuten schneller als nach den letzten beiden Nächten, also kann man sagen Übung macht den Meister!)
Dann starte ich auf die letzten Kilometer. Kurz darauf werde ich in meiner Fahrt jäh gestoppt. Ein Bach fließt über den Weg. 5-6 Meter breit, etwa zwanzig Zentimeter tief, linker Hand ein kleiner Wasserfall. Der Untergrund besteht aus faustgroßen Kieseln. Da durchfahren? Wohl lieber nicht, wenn ich nicht nasse Füße bekommen möchte oder noch schlimmer ein Vollbad (das ich aber eigentlich dringend nötig hatte). Traue ich mich zu fahren? Nein, absolut NEIN! Schuhe, Socken aus und rüber schieben, schön an der Kante des Abbruches entlang. Hatte ich die Füße bisher kalt, so bewirkt das eiskalte Bachwasser, dass meine Zehen in kürzester Zeit direkt heiß werden. Toll!
Keinen Kilometer weiter schon wieder ein Bach. Diesmal gibt es aber schmale wackelige Latten, über die man balancieren kann.
Kurze Zeit später, in Caprino, der übliche Lattemacchiato-Stopp (mit 2 Zucker, wie immer). Die Baristin meint, sie bringe mir das Bestellte hinaus. Das sagt wohl alles aus … die „abgerissene“ Person, ICH, werde nicht mal vor die Wahl gestellt, ob ich meinen Kaffee drinnen oder draußen genießen möchte. Über Radwege und nette Trails geht es vorbei an Costermano.
Durch das Valle Lunga führt wohl ein beliebter MTB-Trail, denn immer wieder überholen mich als Hike-a-Bikerin Leute mit ihren E-Bikes und ich ernte mitleidige Blicke. Ich will trotzdem keines – E-Bike – meine ich.
Und dann taucht er plötzlich auf: der blitzblaue Gardasee, tief unter mir. Am Hang entlang mit Blick auf den See, durch schöne Olivenhaine geht es nun Richtung Süden. Nach der Punta San Virgilio geht es nach einem fast unüberwindbaren Hindernis direkt an das Ufer des Sees. Das Hindernis stellt sich mir als ein Fußgängerdurchgang in den Weg. Die Spaziergänger können sich rechts durch einen schmalen Durchgang zwängen, mit einem Rad unmöglich. Kein Mensch weit und breit, ich mit meinem schweren Rad alleine. So was hatten wir doch auch unzählige Male bei der GBDuro in Schottland, dort in Form von versperrten Viehgattern. Ich wuchte das Vorderrad hoch, hebe es über die Stange, schiebe mit der Schulter das Hinterrad mit der schweren Tasche nach, wenig rückenfreundlich muss ich das ganze nun auf der anderen Seite langsam runterlassen. Geschafft!
Nun am Ufer entlang bis Garda. Viele Fußgänger und Zuschauer der Regata delle Bisse, die heute stattfindet, lassen mich nur langsam weiterkommen. Nach Garda geht es wieder ins Gelände, zum Glück, denn die Uferpromenade wäre heute wohl nicht ratsam gewesen.
Einen kurzen Kaffee-Stopp in Peschiera, im Bikehotel Enjoy, lasse ich mir nicht nehmen.
Dann geht es ins Ziel beim Agriturismo Le Fornase in Castelnuovo. Bei einem leckeren Teller Bohneneintopf und anderer Leckereien und nach „chiacchierate“ mit anderen Radfahrern findet das Abenteuer VGG langsam ein Ende.
Schade, zweieinhalb Tage durch die Gegend graveln sind leider viel zu schnell vergangen. Höhen und Tiefen sind allzu schnell vergessen. Aber das nächste Abenteuer kommt bestimmt …
Danke Stefania und Giorgio für das Erlebnis VGG. Schön war es durch neue schöne Landschaften zu fahren, Giogio, alias Musseu, überrascht immer wieder … und nette Rad-Bekanntschaften zu machen.
Leider gibt es nur wenige Frauen, die an solchen Events teilnehmen. Deshalb: Cicliste – traut euch!!! Vielleicht animiert mein Bericht und das Video euch ja …
Im Juli war ich auf Abenteuer-Fahrt. 2400km mit 26.000 Hm durch Isle of Man, England & Schottland beim Pan Celtic Ultra.
Wie 2020 und 2021 (Northcape4000) unternahm ich meine Fahrt wieder zu einem guten Zweck . Jeder Cent ging direkt an Südtirol hilft . Rückblick: Dank der Spender*innen gingen bei NC4K einmal 9000€ und einmal 10.000€ direkt an Südtirol hilft und an den AEB. Ihr wart großartig!
Die Motivation mit meinem Steckenpferd (Carbon-Renner) durch England und Schottland zu düsen war ungebremst … 😂🚴♂️
Das war meine Idee – gerne kann jemand auch im Nachhinein noch teilnehmen!! 5 verschiedenen Paketen :
Pan Celtic Ultra Bronze: 1 Cent/ Kilometer gehen direkt an Südtirol hilft. Das sind 24€
Pan Celtic Ultra Silber: 2 Cent/ Kilometer, nämlich 48€
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Südtirol hilft – Spendenkonten: Bitte schreibt bei der Spende auch eure Steuernummer und Mailadresse bei Grund dazu, dann bekommt ihr die Spendenquittung von Südtirol hilft unkompliziert zeitnah.
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AN TÉ A BHÍÓNN SIÚLACH, BÍONN SCÉALACH — in einer keltischen Sprache – wer unterwegs ist, der kann was erzählen … schaut immer mal wieder auf meinem Blog vorbei … Geschichtchen & Videos warten auf euch …
Das sagt der Brixner … (Nr. 411, S.49) – danke, Sabine!
Superrandonnée dei 100 Bersaglieri – das bedeutet mehr als 600 Kilometer und 15000 Höhenmeter in nur 60 Stunden, Pausen eingerechnet.
Hier mein Video (6 min):
Mein Geburtstag naht – Hilfe! Schon der 61.– auf Facebook sehe ich, dass wieder mal einer gewagt hat, die Superrandonnée dei Cento Bersaglieri zu fahren. Bisher haben nur gut zwei Handvoll dieses herausfordernde Abenteuer gewagt, darunter nur eine Frau. Welcher Teufel mich da wohl wieder mal geritten hat, denn spontan beschließe ich, mir damit ein Geburtstagsgeschenk zu machen. Aber, ob ich das schaffen kann? Zäh bin ich ja, aber doch als „lumaca“ wohl zu langsam. Ich verspreche mir, wenn ich nicht durchkommen sollte, dann werde ich mich demnächst zum Seniorenturnen anmelden. Das muss Motivation genug sein. Und wenn ich nur im entferntesten eine Chance haben sollte, dann nur auf Kosten von Pausen und Schlaf.
Um 5 Uhr am 6. Oktober sollte es losgehen. Der Schock bringt macht mich vollends wach: Musseu steht plötzlich und unerwartet vor meinem California, die unausgeschlafene Gabi gnadenlos filmend. Dann wird der Start festgehalten. Ich muss nun nur noch in die Pedale treten und 18 Kontrollstellen abfahren mit massenhaft Höhenmetern dazwischen. Die Fotos soll ich zur Beweisführung sofort auf WhatsApp schicken. Das Abenteuer kann beginnen.
Und was in den kommenden zweieinhalb Tagen (60 Stunden) auf mich zukommen wird, bekomme ich auf den ersten Kilometern im Kleinen zu spüren, es geht nämlich gleich schön steil einige Hügel hinauf. Musseu bezeichnete das vorher mit „spaccagambe“ – eine direkte Übersetzung gibt es nicht, spaccare bedeutet „zertrümmern“, gambe sind die Beine.
Im steten Auf und Ab bin ich nicht besonders schnell am Gardasse, wo ich mir doch gedacht hatte, die paar Kilometer werde ich schnell runter spulen – das Höhenprofil- hat mich da schändlich an der Nase herumgeführt. Klar, gegen das was mir bevorsteht, sind diese paar „Hügel“ Pipifax. Na warte, Gabi!
Kurzes Verschnaufen am See entlang, wenig Verkehr, sehr schöne Morgenstimmung. Plötzlich werde ich bleich, die Kinnlade fällt mir runter vor Schreck. Der Musseu wird doch wohl nicht … Nicht weit vor mir die Punta Veleno, die als härtester Anstieg am Gardasee gehandelt wird. Eine durchschnittliche Steigung von 14,6% mit Spitzen von 20%. Und es gibt keine Atempause. Zu meinem Glück muss ich früher abbiegen. Das Glück währt nur kurz, denn ähnlich wie bei der Punta Veleno geht es nur mit bis zu 18% Steigung hinauf nach Lumini. Später wird man mir sagen, dieser Anstieg wird unter Insidern „la sorella piccola“ – die kleine Schwester der Punta Veleno genannt.
Abfahrt und ich suche vergeblich den nächsten Kontrollpunkt „die Platane der 100 Bersaglieri“. Die Bersaglieri waren ein Korps der italienischen Armee, ursprünglich der piemontesischen Armee, die später zur Königlichen Italienischen Armee wurde. Anscheinend hatten sich im Zweiten Weltkrieg einige Soldaten in den Ästen der monumentalen Baumes versteckt. Ich habe keine Zeit mich im Schatten dieses Baumes, der wohl im 14.Jahrhundert aus einem Samenkorn gesprossen ist, auszuruhen. Ich bin am Baum vorbei gefahren und muss nochmal ein paar Kilometer zurück für das Beweisfoto. Pech, wo ich doch keine Zeit zu verlieren habe.
Nun geht es auch wieder stramm nach oben. Keine beinfreundlichen Prozentangaben auf meiner Garmin … Hoch über mir sehe ich Spiazzi. Ich beschließe zwar nicht Wallfahrten zu gehen (in der Nähe ist das spektakulär in den Fels gehauene Kloster Madonna della Corona), aber mich doch mit Cola und einer Fiamma zu stärken, einem mit Schokolade überzogenen Schoko-Mousse-Törtchen. Wasser fassen muss ich auch. Dann weiter – weg vom Touristen-Rummel. Dass Flämmchen gibt nicht lange Kraft, das merke ich bald.
Wenige Kilometer, aber einige Höhenmeter später lädt mich ein Bänkchen zur Brot-Ess-Pause ein. Ich kann nicht mehr. Es ist sowas von heiß, dass man glauben könnte wir haben Hochsommer, nicht seit zwei Wochen Herbst. Wenn ich jetzt schon schlapp mache, nach nicht mal 100 Kilometern und 3000 Höhenmetern … wie wird das sich wohl weiter entwickeln? Bis zum geplanten Schlafplatz habe ich noch fast 150 km und nochmal 3000 Höhenmeter. Ich sehe schwarz, obwohl es hier blendend hell ist. Nachdem ich mein Brot hinuntergeschlungen habe, Wasser zum Nachspülen ist auch schon wieder aus … lege ich mich kurz flach auf die Bank zu einem Powernäpchen. Der Schlaf will aber nicht kommen und als mir eine Buchecker auf den Kopf fällt, fahre ich entnervt weiter. Motivation ist was anderes.
Es wird jetzt megasteil und ich steige vom Rad und schiebe einen Kilometer lang. Ich überlege mir schon, dass ich das Etschtal nicht überqueren werde, sondern dass ich dort in Richtung Norden nach Hause abbiegen werde oder doch besser nach Süden und das Auto hole. Die 100 Bersaglieri sind absolut nichts für mich! Es wird wieder flacher und eine kraftschöpfende Miniabfahrt bringt mich bis zum Beweisfoto zum Rifugio Graziani unter dem Altissimo-Gipfel. Rasant geht es nur viele Kilometer abwärts.
Im Tal unten wartet das Bicigrill Ruota Libera auf mich. Ich sitze dort gemütlich im Schatten und überlege. Was tun? Bringt es das, sich so zu schinden? Es ist schon Nachmittag und wer weiß, wann ich meinen Schlafplatz aufschlagen kann. Die Nacht durchfahren und womöglich die nächste auch? Unmöglich! Macht das ganze Unterfangen überhaupt Sinn? Ich komme doch unmöglich pünktlich nach Verona ins Ziel. Warum sich dann weiter schinden? Die Schatten sind nun schon länger, die Hitze ist vorbei, ich beschließe dem Ganzen noch eine kleine Chance zu geben. Die Peri-Fosse will ich noch hinauf. Runterrollen kann ich immer noch.
Es ist nun etwas kühler und die 11 Kehren duch den lichten Buschwald hinauf gehen mir relativ leicht von der Hand. Nach jedem Kilometer „zwinge“ (Scherz!) ich mich kurz zum Trinken stehen zu bleiben. Auch die kurze Passage mit 15%-Steigung fast am Ende der Strecke, deren Existenz mir unterwegs brennend einfällt, ist nicht so schlimm. In Fosse wieder Cola & Eis -Pause. Aus dem Pausieren komme ich wohl heute gar nicht raus … Naja, egal, nach Verona schaffe ich es eh nicht. Weiter geht es.
Hinauf auf die Lessinische Hochebene muss ich. Die Bar liegt schon hinter mir, da fällt es mir ein: Ich habe zu wenig Wasser. Nur noch eine kleine Flasche voll. Wer weiß, wann ich am nächsten Tag den nächsten Brunnen finden werde … Habe ich einen Radkollegen belächelt, der wegen Sonnencreme, Wasser und Klogang an Haustüren klingelt, so erscheint es mir jetzt die einzige Lösung zu sein: Ich muss an einem der letzten Häuser von Fosse fragen. Ich klingle. Eine nette Seniorin öffnet mir, sie versteht anscheinend nicht ganz, was ich möchte, aber als ich ihr meine Trinkflasche hinhalte, versteht sie. Glück gehabt! Denn danach kommt wirklich sehr lange kein Wasser mehr.
Motiviert überwinde ich nun auch ein unangenehmes Schotterstück und schraube mich nach oben Richtung Malga Lessinia. Es dämmert nun langsam. Der Himmel ist traumhaft rot gefärbt. Am nahen Horizont tauchen zwei große Gestalten auf, zwei Hirsche, die sich gleich erschrecken wie ich und von dannen springen. Die Bäume werden spärlicher, dafür das kühle Lüftchen stärker. Auf dem höchsten Punkt ziehe ich meine dünne Daunenjacke an. Kurze Abfahrt und dann muss ich nochmal hoch zur Malga San Giorgio.
Eigentlich hatte ich geplant auch den nächsten „Berg“ noch hochzufahren, aber es ist schon fast 10 Uhr und ich beschließe nur noch bis Selva di Progno zu rollen, denn an einem Tag mehr als 6000 Höhenmeter scheint mir doch etwas übertrieben. Und vielleicht fällt das kommende „giftige“ Steigungsprofil am frühen Morgen leichter.
Die letzte Abfahrt an diesem Tag führt über eine neu asphaltierte Straße. Was hab ich für ein Glück! Mit Karacho geht es hinab. Aus den Augenwinkeln eine Bewegung und schon rollt (?) ein dicker grauer Kloß auf mich zu. Ich höre Krallen auf dem Teer klicken, da ist das Ding auch schon neben mir, ich mache einen Schlenkerer und schaffen gerade noch auszuweichen. Was war das denn. Es dämmert mir, das war ein ausgewachsener Dachs. Mit zitternden Knien nehme ich wieder Fahrt auf. Nun aber rolle ich nur noch in verhaltenem Tempo. Wer weiß, was da des Nachts noch alles unterwegs ist. Schade, dass ich hier im Dunkeln durch komme. Anscheinend ist es hier recht spannend, ich sehe Felswände neben mir und große Steine, eine Schlucht vielleicht? Eigentlich nicht meine beliebte Art zu Radeln, denn ich schaue mir die Landschaften lieber tagsüber an.
Die Nachpause ist kurz, gegen 4 sitze ich wieder auf dem Sattel. Zwei Anstiege (wie vermutet „giftig“) und ich rolle Richtung Recoaro Terme, das an den Ausläufern der kleinen Dolomiten liegt. Frühstücks-Zeit! Dann wird es ernst, 1200 Höhenmeter soll es hoch gehen bis zum Rifugio Campogrosso unter den schönen Gipfeln der Carega-Gruppe. Die dunkelrote Farbe auf dem Höhenprofil kündigt zudem Böses an. Die Steigung in der immer wärmer werdenden Sonne ist wieder unerbittlich und lässt mich zum x-ten Male zweifeln.
Aber das Leiden geht vorbei und die nächste Abfahrt und Einkehr am Passo Xomo wirkt Wunder. Bis zum Aufstieg auf die Hochfläche der Sette Comuni ist es auch noch ein Stück, zunächst Abfahrt, dann ein, wie der Italiener sagt „falso piano“, man meint nur, dass es flach ist … Die unzähligen Kehren hinauf zu den 7 Comuni sind zwar in sengender Hitze, aber dafür in moderater Steigung. Irgendwie muss man sich das Positive einreden. Beweisfoto in Rotzo (witziger Name, in dieser Sprachinsel wird zimbrisch gesprochen). Für die Gnocchi-Spezialitäten, die hier oben angeboten werden ist es leider eine halbe Stunde zu früh, aber einen leckeren Tost mit Asiago-Käse gönne ich mir. Dann bald mal Supermarkt-Stopp, ich muss mich noch eindecken, denn am nächsten Tag ist Sonntag. Das Kefir, das ich interessanterweise nur bei langen Radfahrten trinke, erfrischt mich sofort. Mein Körper braucht das irgendwie. Und auf seinen Körper soll frau hören, naja, zumindest in dieser Beziehung. Hätte ich gestern schon auf meine Körper gehört, wäre ich jetzt wohl nicht hier … der hatte mir ja schon nach 100 Km und 3000 hm zu verstehen gegeben „Gabi, du spinnst!“
Toll, jetzt geht es fast flach flott über die Hochfläche, unter anderem durch Asiago. Den Verkehr hier finde ich allerdings weniger angenehm. Am anderen Ende der 7 Comuni dann Abfahrt und die Valsugana und auf der anderen Seite bei Primolano gleich wieder hoch, vorbei an den Festungswerken aus dem Ersten Weltkrieg.
Eine weitere Krise ereilt mich: Ich nähere mich Caupo, Startpunkt der Auffahrt auf den Monte Grappa. Hier war ich schon mal. Aber ich bin damals natürlich am frühen Morgen hinauf gefahren. Jetzt hingegen ist es kurz nach 18:00 und es dämmert schon langsam. Ich erinnere mich, dass wir damals in Seren del Grappa in einer kleinen Pizzeria gegessen und dort auch ein Zimmerchen mieten konnten. Ich könnte ja das Schicksal herausfordern und da mal kurz anrufen? Falls sie ein Zimmer frei hätten … dann könnte ich morgen gemütlich frühstücken und anschließend über den schönen Radweg nach Bassano del Grappa rollen, anstatt jetzt bei Dunkelheit über den Berg … Soll ich?
Eigentlich hatte ich ja vor den Monte Grappa zu überqueren und dann irgendwo ein Zimmer nehmen. Das würde sich wohl nicht mehr ausgehen, denn bis ich auf der anderen Seite wieder am Fuß des Berges sein würde, ist Mitternacht hundertprozentig schon vorbei. Au weh! Kann ich mir ein paar Schlafstunden überhaupt leisten? Und wie gesund ist das denn? Nach 400 Kilometern und über 12.000 hm dem Körper keinen Schlaf zu gönnen? Und was wird mit der Abfahrt vom Monte Grappa? Über 20 Kilometer … werde ich mit der Müdigkeit kämpfen müssen?
Ich überlege lang hin und her und inzwischen bin ich schon richtig abgebogen. Hier beginnt der längste Anstieg zum Rifugio Bassano mit fast 29 Kilometern verteilt auf 1600 Höhenmeter. Ich kann ja mal ein Stück hoch und dann wieder runter rollen … Während ich rechne und rechne … für einen Kilometer brauche ich mehr als 8 Minuten, wie lange bin ich dann bis zum Gipfel unterwegs? Oje, viel zu lange! Während mein Gehirn “joggt“ – also mit Gehirnjogging beschäftigt ist, Rechnen geht nach so vielen Strapazen nicht mehr leicht von der Hand, also während ich rechne und rechne, habe ich die ersten 8 Kilometer schon hinter mir.
Ich mache eine kurze Ess-Pause und dann ist es gar nicht mehr so böse. Kurze schlimme Steigungen wechseln mit flachen Passagen.
Da! In der Dunkelheit hält plötzlich ein Wagen vor mir. Das Fenster wird hinunter gekurbelt. Ob ich was gehört oder gesehen hätte. Der Fahrer hatte am Nachmittag seine zweijährige „femmina“, ein Mädchen, verloren und hier gebe es Wölfe … Das ist ja schrecklich, wie kann ein Kind verloren gehen? Ich drücke noch mein Entsetzen aus. Beim Weiterfahren dämmert es mir, die „femmina“, war eine junge Hundedame. Aber trotzdem, die Arme! Und Wölfe? Hier? Ich lege einen Zahn zu.
Irgendwann bin ich dann an der Abzweigung zum Gipfel. Die knapp drei Kilometer ziehen sich noch wie Kaugummi, aber dann bin ich oben! Und es ist erst halb zehn Uhr, früher, als ich mir erhofft hatte. Hier bläst ein strammer Wind und reißt mir fast das Rad aus der Hand. Trocken umgezogen, fahre ich sofort wieder abwärts. Hatte ich anfangs Angst, dass mich bei der nächtlichen Abfahrt Sekundenschlafattacken heimsuchen würden, so bin ich noch relativ frisch, als ich in Bassano ankomme.
Die „Herbergsuche“ erweist sich als wenig erfolgreich zunächst, ein Park ist zu hell und Blicken ausgesetzt, ein Hotelgarten würde wohl abgesperrt werden und sonst gab es außer Straßen und Bürgersteigen nichts. Kurz vor dem nächsten Anstieg dann der perfekte Schlafort. Eine Kirche mit versteckter Parkanlage. Ich richte mein Lager her und will mich gerade in meinen Schlafsack zwängen, da höre ich Schritte. Zwei Männer biegen um die Ecke und streben einem Eingang in meiner nächsten Nähe zu. Oje, was mache ich jetzt, unsichtbar bin ich ja nicht und Reflektoren an meinem Rad spiegeln das plötzlich angehende Licht. Ich frage zaghaft, ob ich hier schlafen dürfe. Einer der beiden Männer, ich vermute es sind Pfarrer und Messner, bejaht bereitwillig und sperrt mir sogar einen Veranstaltungsraum auf, in dem ich das WC und Waschbecken benutzen darf. So nett!
Ich möchte mir nun 3 Stunden Schlaf gönnen, mehr ist nicht drin, denn ich habe noch einiges vor mir und um Punkt 17:00 muss ich in Verona sein, um in die Randonneur-Wertung zu kommen. Für die Tourist-Wertung hätte ich insgesamt 8 Tage Zeit, am Montag muss ich jedoch arbeiten. Ich schlafe gut, viel zu früh klingelt mein Wecker und gegen 3 Uhr habe ich meine Sachen zusammengepackt und radle weiter.
Nun steht noch ein erster ernstzunehmender Berg vor mir mit etwas mehr als 1000 Höhenmetern, dann noch 6, ich nannte sie zu der Zeit noch „Hügel“. Heute sollten es nicht mehr wie 4500 Höhenmeter mit knapp 150 Kilometern werden. Erst jetzt erkenne ich, dass ich nun wieder auf die 7 Comuni – Hochfläche muss. Die Straße schraubt sich im Dunkeln nach oben. Ab und zu kommt mal ein Auto entgegen. Was machen die denn so früh. Ich hoffe, dass die mich sehen, ganz verschlafen, wie sie wahrscheinlich sind.
Irgendwann fühle ich, dass ich unbedingt was essen muss und mache eine kleine Pause. Kurz darauf komme ich durch ein Dorf und kann es kaum glauben, jetzt um halb fünf Uhr stehe ich vor einer hell erleuchteten Bar, aus der Musik und lautes Gröhlen ertönt. Nanu? Haben die schon offen? Ich brauche unbedingt einen Latte Macchiato mit zweimal Zucker!! Nein, die haben nicht „schon“ offen, sondern „noch“! Meinen Kaffee bekomme ich und lasse mich in ein Gespräch verwickeln, ungläubiges Staunen, wo ich herkomme so früh. Ein Luciano erzählt mir, dass seit gestern abwechselnd jeder mal eine Runde spendiert, lustig sind sie ja alle. Luciano kann mein Unternehmen kaum glauben, er meint sogar, mir ein Zimmer anbieten zu müssen, da ich wohl dringend Schlaf brauche. Nein, danke, ich muss nämlich vielmehr dringend weiter. Leicht ist es nicht, sich zu verabschieden.
Dann aber radle ich wieder durch die kühle Nachtluft Richtung höchsten Punkt. Einsamer Wald. Da! Ein Auto hinter mir, bremst, fährt an, bremst und hält schließlich neben mir. Fenster aufgekurbelt meint Luciano, das mit dem Zimmer gilt noch. Er wolle mir helfen. Ich sage ausdrücklich „nein danke!“ und das Auto fährt weiter. Kurz darauf kommt mir ein Wagen entgegen, kurze Zeit später wieder ein Auto hinter mir, bremst, fährt an, bremst, … dann überholt es mich und ist weg. Ich atme erleichtert auf, dachte ich doch, dass das wieder derselbe Hilfebietende sei. Und hatte ich gedacht, die Autofahrer hier sind Frühaufsteher, so wurde ich eines Besseren belehrt: Da sind Leute unterwegs, die dürften mit ihrem Alkoholpegel eigentlich gar nicht mehr Auto fahren …
Zum Glück muss ich nun abbiegen bei der Bocchetta Galgi mache ich mich schnell bereit für eine rasante Abfahrt. Unterwegs wird es hell und zu früher Stunde finde ich eine geöffnete Bar voller Jäger. Hier decke ich mich ordentlich mit Brioches ein. Gestärkt geht es weiter.
Der erste Hügel ruft. Hätte ich über das, was nun vor mir liegt nicht so abschätzig gedacht, die paar Hügel … Mir wird bei den ersten Anstiegsmetern klar, das sind keine Hügel, sondern „Giftzwerge“! Unbarmherzige Steigungsprozente machen die 300 bis 400 Höhenmeter langen Aufstiege zur Qual. Zudem brennt die Sonne bald erbarmungslos hernieder. Jeden möglichen steilen Berg hat Musseu da noch hinten dran gehängt. Ich komme vom Rechnen nicht weg … Schaffe ich es bis 5 Uhr?
Inzwischen hat meine Garmin Edge für sich entschieden, dass nun genug sei … Der Bildschirm zeigt nicht mehr in Fahrtrichtung, sondern ist genordet. Was das bedeutet, wünsche ich niemandem. Ist mein armes Radlerhirn nicht schon gepeinigt genug, so stehe ich nun vor einer schier nicht mehr zu leistenden Aufgabe: Fahre ich nach Norden, dann ist alles gut, mein Pfeil zeigt in die richtige Richtung. Fahre ich gegen Süden, dann kommt mir mein Streckenpfeil auf dem Bildschirm entgegen. Auch noch leistbar. Verzwickt wird es aber, wenn ich an eine Abzweigung komme. Ist meine Fahrtrichtung Süden so bedeutet das, dass nach Rechts fahren muss, wenn der Pfeil auf dem Gerät nach Links zeigt. Oh je, oh je. Was kostet mich das Zeit. Ganz besonders schlimm ist es, wenn ich nach Südwesten abbiegen muss oder nach Südosten … Ich glaube ich habe meine Leser nun genug verwirrt … Die Garmin ist zwar immer meine treuer Begleiterin, aber so einen Brocken am Stück darf ich wohl nur mir zumuten, nicht aber meinem Gerät.
Irgendwann dann trotz allem der vorletzte Anstieg. Den kenne ich, allerdings nicht von dieser steilen Seite. Dann fehlt nur noch Castel San Pietro, der wunderbare Aussichtspunkt hoch über Verona. Beweisfoto und nun rolle ich nur noch abwärts. In meiner Freude verpasse ich natürlich das Ziel. Ich hatte die fixe Idee, Endpunkt sei Negrar, wo ich gestartet bin. Bis ich draufkomme, habe ich mich schon völlig verloren in den Gassen von Verona. Das Garmin-Problem ist mir nun auf keine Hilfe, ich habe keine Ahnung, wo ich bin, Google muss helfen.
So verplempere ich eine ganze Stunde, bis ich zur letzten Kontrollstelle finde. Egal, ich bin immer noch eine Stunde und 15 Minuten vor meinem „Zielschluss“ da … Endlich.
Das Abenteuer endet mit einem Riesen-Eis mit 4 Kugeln … Die habe ich mir wirklich verdient!!!
Rückblickend bin ich megastolz auf mich, 600 Kilometer mit 15.000 (!!!) Höhenmetern … da habe ich mich wohl total naiv in dieses Abenteuer gestürzt und kann es heute immer noch nicht glauben, dass ich es geschafft habe, auch zeitlich – und dass ich nun doch noch nicht zum „Seniorenturnen“ muss …
Fazit: Ich kann die Superrandonnée dei 100 Bersaglieri nur jedem empfehlen, der ein bisschen (viel) leidensfähig ist …
Danke, Musseu! Als ich davon das erste Mal gehört hatte, da dachte ich bei mir: So was Verrücktes, auf jeden Fall nichts für mich … Keine Ahnung, welcher Teufel mich dann geritten hat …
Ich freue mich schon auf den Mai 2024, da möchte ich diese traumhaft schöne Runde nämlich wieder fahren …
Hier mein Video von 2023:
Nach dem wunderbaren Sabbatjahr 2023 mit viel Rad … (AMR, TBR, GranGuanche, BTG) sollte ich langsam ans „Abgewöhnen“ denken, im September ging dann der Ernst des Lebens wieder los … Abgewöhnen? Deshalb wollte ich das Event Bike Haderburg Mitte September fahren … Der Zielort, die Haderburg, auf einem Felsen hoch über Salurn klang vielversprechend.
Profuminviaggio (Giorgio Murari und Stefania Segna) organisierten 2023 die Edition 0 der Bike Haderburgin Zusammenarbeit mit der Gemeinde Salurn und der Radsportgruppe Ciclisti per Caso.
Dieses Jahr (2024): Der Start ist am Samstag, den 18. 19. Mai 2024, Zielschluss ist Sonntagabend. Für die 450 km sind 40 h vorgesehen. Es gibt dieses Jahr mehrere Streckenlängen zur Wahl: 100 km, 200 km und 450 km. Die wunderschöne Strecke führt durch die Natur zwischen Italien und Österreich; Etschtal, Brenner, Silltal, Inntal, Kaunertal, Vinschgau. Das ideale Rad? Ein Gravelbike mit Slick 35-Reifen oder ein Rennrad mit etwas „großzügigerer“ Bereifung. Das Highlight wird nach der Anstrengung wohl die abschließende Pasta-Party auf Schloss Haderburg sein; das spektakulär gelegene Schloss ist exklusiv für diese Veranstaltung geöffnet.
Wenn jemand mit möchte, beeilen, es gibt nur hundert Startplätze!
Events auf ähnlicher Strecke aus der Feder Giorgios gab es schon mal, es war immer sehr unterhaltsam und schön organisiert: Edelweiß ’17 oder auf südlicher Route: Edelweiß ’21
1650km einmal längs durch Deutschland radeln – das wünschte ich mir immer schon, bin ich doch in Frankfurt geboren und kenne Teile des Landes allerhöchstens von der Autobahn aus. Im Juli 2023 ist es dann soweit.
Tag 1, Sonntag, 2.Juli 2023 172 km/ 2250 Hm/ 10:35 h
In Basel starten wir zu viert, Kevin, Jörg, Stephan und ich. Ab etwa 60 Kilometern werde ich keinen meiner Mitstreiter mehr sehen und die nächsten 10 Tage werden ziemlich einsam sein, abgesehen von den vielen netten Menschen, die ich unterwegs treffe. Einer kommt vor mir an, die anderen beiden einen Tag später. Den ersten halben Tag radle ich meist recht flach in Nähe des Rheinufers. Ziemlich einige Kilometer auch in sehr großer Nähe, sprich, aus dem Gleichgewicht sollte frau nicht geraten, denn das Wasser ist nur Zentimeter entfernt vom Single Trail. Hatte mir einer der Jungs am Vorabend von dem Weg am Rheinufer mit Absturzgefahr erzählt, so fand ich es doch etwas übertrieben, als ich auf breitem etwas holprigen Weg am Ufer entlang düste und glaubte, das sei der besagte Streckenabschnitt.
Was kurz darauf kommen sollte, hatte ich mir so nicht vorgestellt. Schotter und Wurzeln, schmalster Weg, rechts ein steiler Hang nach oben und links das besagte Flussufer und das kilometerlang. Ehrlich gesagt bin ich ein paarmal schiebend anzutreffen gewesen. Hübsche Ortschaften unterwegs. Dann geht es auf und ab und fast unerwartet stehe ich am Eingang der Teufelsküche. Hinter mir taucht Kevin auf, nanu, ich dachte, er sei schon längst über alle Berge … Er hatte sich verfahren. Nach der Teufelsküche werde ich ihn nicht wieder treffen.
Die Teufelsküche, der Name ist Programm, ist eine Schlucht, die glücklicherweise im Moment nicht viel Wasser führt, so dass man den Weg, sprich die Steigspuren, gut erkennen kann. Allerdings sind die Steine und Wurzeln äußerst rutschig. Mühsam schiebe ich durch die Schlucht, dann geht es auf unregelmäßigen erdigen Stufen steil nach oben. Wie soll ich mein Rad, 26 Kilogramm schwer, da hinaufbringen? Ein Drahtseil soll Halt bieten. Ich habe aber leider keine Hand frei. Das Gewicht droht mich in die Tiefe zu ziehen, oje! Irgendwie schaffe ich es um die Kurve und über den glitschigen Pfad über den Abgrund. Wie ich später hören werde, hat Stephan weniger Glück. Er rutscht an besagter Stelle ab, Mann und Bike erleiden Blessuren. Nach der Teufelsküche geht es dann auch stetig hoch und runter, Höhenmeter sammele ich so ordentlich, bis ich ans Donauufer wechsele.
Mein angepeiltes Ziel, ein Radzeltplatz in Tuttlingen, erreiche ich viel zu früh, so beschließe ich noch den nächsten „Berg“ mitzunehmen. Unterwegs treffe ich auf Sven, einen Radfahrer aus der Schweiz, der auch auf der BTG-Strecke unterwegs ist und das schon zum 7. Mal. Idyllisch und mäßig steil geht es durchs Ursental und das Klippeneck ist bald erreicht. Hier steht die kleine Kreuzsteighütte, eine auf der Vorderseite offene Schutzhütte, wie ich sie in ganz Deutschland in den Wäldern finden werde. Mein Nachtlager wird hier aufgeschlagen, mit Blick auf die weit unter mir liegenden Dörfchen. Die Sonne liefert einen traumhaften Untergang. Das Zelt steht und langsam mache ich mir Gedanken, dass ich hier mutterseelenalleine bin. Aber Abhilfe naht in Gestalt eines jungen Fern-Wander-Paares.
Ich bin erleichtert, als sie mich fragen, ob sie ihr Zelt auch hier aufstellen dürften. Kaum sind wir in unseren Unterkünften verschwunden, fängt es nämlich im Wald schon an zu rumoren, blöken, röhren, bellen, grunzen, keine Ahnung welche Tiere das alles sind und es geht die ganze Nacht zu wie in einem Zoo.
Tag 2, Montag, 3. Juli 23 158 km/ 3300 hm/ 11:30 h
Ich schlafe kaum bis gar nicht. Um vier wird es hell, ich fröstle in meinem dünnen Schlafsack, obwohl ich alles Verfügbare anhabe (Sommerdaunenjacke, Regenjacke, Regenhose, …). Ich lasse die Luft aus der Luftmatratze und Kopfpolster, lege Zelt, Schlafsack zusammen, packe meine Siebensachen und starte in den angehenden Morgen. Eine Teerstraße sause ich voller Tatendrang abwärts, nur um die Höhenmeter mühsam wieder hochgurken zu müssen, weil ich die Abzweigung versäumt hatte.
Das wird allerdings nicht das einzige Mal gewesen sein … Einige Kilometer geht es nun über Waldwege abwärts und ich kann mein Glück kaum fassen: In Gosheim hat die Bäckerei schon um 6 Uhr auf und ich komme so an den geliebten Latte Macchiato (mit zweimal Zucker) und gönne mir mehrere Gebäck-Teilchen. Ein Kunde ist erstaunt, was ich mir da zutraue so als Frau alleine, ob ich nicht gehört habe, was letztens wieder alles passiert sei … Das will ich gar nicht hören und „klappe“ meine Ohren zu.
Wald, Wald, Wald. Es geht ständig rauf und runter, nicht selten über 15% steil. Nun 20% Steigung, für mich bedeutet das einen Kilometer schieben. Ich entdecke vor einer weiteren unmenschlichen Steigung ein Schild, fast zugewuchert vom Gebüsch; unter dem Logo der BTG steht „RÜGEN – nur noch 1450 Kilometer“. Aha, ich bin hier also richtig! Manchmal bekommt mein Rad beim Bergauffahren fast das Übergewicht nach hinten, obwohl in der Lenkerrolle ordentlich Gepäck steckt und auch mein Wasserbauch vom vielen Trinken in der Hitze wäre wohl ein gutes Gegengewicht.
Wald, Wald. So viel hatte ich nicht erwartet. Menschen trifft man nur sehr wenige, manchmal ein Radfahrer oder ein Spaziergänger mit Hund, Kaninchen, Eichhörnchen, Füchse, Rehe … Ich fühle mich im Wald aber recht sicher. Noch …
Und dann plötzlich das überraschende Panorama mit Blick auf das Schloss Hohenzollern auf einem Hügel gegenüber. Ich bin am Kontrollpunkt CP1 angelangt. Nach einem „Ratscherle“ mit einem Wanderer geht es weiter.
Wie schon gehabt geht es weiter über Stock und Stein, durch Wälder und Felder. Beim Schloss Lichtenstein, das auch Märchenschloss Würtembergs genannt wird, wähle ich aus den vielen Wurst- und Fleischgerichten den Kartoffelsalat pur und werde verständnislos angeguckt. Ich treffe hier eine Familie aus Italien, die Welt ist klein, denn sie kennen Brixen aus vielen Urlauben gut. Weiter dann durch die nachmittägliche Hitze.
Die nächste Pause am Fuß der Schwäbischen Alb in Bad Urach muss sein, schweißtreibende Anstiege erwarten mich. Ich sitze mitten auf dem spätmittelalterlichen Marktplatz mit dem Rathaus und den Fachwerkhäusern aus dem 15. und 16. Jahrhundert und lasse mir Obstkuchen munden, auch meine Wasserreserven muss ich auffüllen. Die angepeilte Waldliegewiese zum Campen mit Blick auf Schloss Hohenneuffen und Burg Teck lasse ich hinter mir. Es ist nun kühler, die Steigungen aber weiterhin unbarmherzig. Mitten in der steilsten Steigung krabbelt ein riesiger Hirschkäfer über den Weg. Ich sehe meine Chance gekommen … nein, nicht drüber fahren und schauen, wie stark der Kerl wirklich ist, sondern … Foto machen. Geht natürlich nicht während des Fahrens. Also absteigen und danach mit Hundsschanden wieder aufsteigen, ohne hintüber zu kippen. Wer ist denn so blöd sowas zu machen?
Ich treffe Sven wieder, der mit Magenproblemen zu leiden hat.
Wo soll ich heute schlafen? Ich fahre in den Sonnenuntergang hinein, es wäre an der Zeit ein Plätzchen zu finden. Da! Vor mir eine Umleitung. Hier steht auch ein Auto, davor zwei Männer, die mir nachschauen. Ich biege ab und im Streckengalopp rase ich durch den Wald. Was, wenn mich diese beiden Männer jetzt verfolgen? Was hatte am Morgen der Mann beim Bäcker gesagt, eine Frau allein, wo so viel passiere? Mein Herz schlägt wie wild, als ich weiter beschleunige. Der Wald wird immer düsterer, die Angst nimmt zu. Ein Auto kommt entgegen, da lichtet sich schon der Wald und spuckt mich aus.
Unentschlossen bleibe ich kurz danach bei einem Bauernhof stehen, aus einem Wirtschaftsraum höre ich Stimmen. Soll ich fragen? Im Gastgarten könnte ich mein Zelt aufstellen und mit Blick auf den mit schweren dunklen Wolken behangenen Himmel, könnte ich bei Regen Schutz suchen und zudem wäre ich nicht allein irgendwo im Wald. Ich gehe den Stimmen nach und frage, ob ich draußen beim Zaun mein Zeltchen aufstellen dürfe. Ja, natürlich. Als mein Nachtlager steht, ich war doch etwas näher zum Gastgarten gerückt, steht plötzlich die Bäuerin vor mir, ob ich hier wohl zelten wolle? Ich sagte ihr, dass ich gefragt hatte. Aha, der Sohn, aber kein Problem.
Logisch darf ich, ich bekomme sogar noch einen halben Liter Sauermilch im Porzellanbecher und Eis. Obwohl die Frau abwehrt, gebe ich ein kleines Trinkgeld und bestehe darauf als Stellplatz-Gebühr. Sogar das Gäste-WC wird mir noch aufgesperrt. Sehr nett ist es hier bei der Hofstelle Reußenstein. Der Schlaf ist nicht ganz ruhig, in meiner Nachbarschaft muht eine Kuh die ganze Nacht. Die Sauermilch hebe ich für das Frühstück auf, lege einen Bierdeckel darüber und stelle das Glas in einen ausgehöhlten Baumstumpf.
Tag 3, Dienstag, 4. Juli 114 km/ 1900 Hm/ 8 h – sozusagen ein „Pause-Tag“
Vom Regen in der Nacht hatte ich nichts gemerkt, aber der Asphalt ist nass, als ich aufbreche und in den jungen Tag hineinfahre. Zuvor noch Frühstück. Der Bierdeckel war verrutscht und in der Sauermilch hatten leider einige Ameisen und ein Ohrwürmchen den Tod gefunden. Ich klaube sie raus und ausgehungert, wie ich bin, mundet die noch ein wenig mehr vergorene Milch köstlich. Dazu gibt es das Hefeteilchen Henry. Hahaaaaa! Ich hatte Hermann von dem Hefekuchen geschrieben und das Smartphon „auto-infill“ macht „Henry“ draus … Mit dem Start lasse ich mir etwas Zeit, sonst würde ich wohl zu früh nach Kuchen kommen zum zweiten Frühstück und Supermarktstopp. Wunderschön zwischen den Wolken kommt nun doch die Sonne durch.
Aber recht schnell komme ich doch nicht weiter, wieder unmenschliche Steigungen und viel Wald. Streckenabweichung! Garmin meldet sich, also zurück. So morgens früh ist mit Konzentration halt noch nichts, aber wer denkt sich denn, dass von einem schön geschotterten Weg plötzlich ein Trail abgeht und schon bin ich 100 Meter tiefer und muss alles wieder hoch. Das nächste Mal lässt nicht lange auf sich warten. Ich bin in Gedanken versunken und rase den Schotterweg abwärts, die Abzweigung fällt mir nicht auf, warum sollte hier denn plötzlich ein Teerweg weiter gehen, der Weg des geringeren Widerstands passt gar nicht ins BTG-Konzept, das hatte ich schon bemerkt. Da dieses Sträßchen lange parallel zum Schotterweg führt, merkt die Garmin lange nichts und ich so erst recht nicht. Alles zurück … Warum war ich abgelenkt? Ich führe heute sozusagen schon eine Weile wissenschaftliche Überlegungen: Mir ist nämlich was aufgefallen. Die Weinberg-Schnecken hier, die zuhauf über den Weg kriechen, haben ein rechtsdrehendes Schneckenhaus. Wenn man sie fotografieren will, muss man darauf achten, dass sie von links nach rechts über den Weg krabbeln, sonst ist das schöne Gehäuse nicht drauf. Ich betreibe vergleichende Naturwissenschaften: Auf dem Balkan, drei Wochen zuvor, war es genau umgekehrt, die Schnecken, die nach links krochen, da sah man das schöne Gewinde. Das bedeutete doch, dass dort die Schnecken linksdrehend waren oder rechtsdrehend? Egal …
Ich wundere mich weiters sehr, wollte ich am vergangenen Abend noch weiter fahren bis Gammelshausen, wo Karsten, der zwei Tage früher gestartet war, übernachtet hatte. Ich hatte aber darauf verzichtet, weil ich keine Lust hatte, 150 m hoch zu fahren, wie mir die Karte anzeigte. Ich stand nun am Abzweigungsort, Gammelshausen tief unter mir. Ich glaub, ich sollte mal einen Kartenlesekurs absolvieren, Höhenlinien betreffend. Gut, an der Tatsache änderte es wenig, denn, wenn man runterfährt, muss man halt wieder hoch oder umgekehrt.
Gerade wäre mir vor Schreck fast das Handy aus der Hand gefallen. Ich bin grad beim Notizen machen (Sprachaufnahme), da bricht aus dem Unterholz vor mir, eine Etage höher natürlich, ein riesiger Raubvogel und biegt einen Meter vor mir auf den Forstweg ein und fliegt ein paar Sekunden vor mir her. Ich sollte auf mein neues Handy etwas besser aufpassen …
Wie üblich im Wechsel Wälder und Felder, mancher Single Trail und manche bittere Steigung, wie die 500 m mit 110 m Höhenunterschied, man kann sich die Steigungsprozente leicht ausrechnen, es sind genau 22% und das auf Schotter und mit 26kg. Als ich mich mitten drin umdrehe, um zu sehen, ob ich mich da runter zu fahren trauen würde, sehe ich, dass ganz unten ein Mann mit kurzer Hose und weißem Schlabber-T-Shirt in den Weg einbiegt. Folgt der mir? Immer wieder drehe ich mich um und schaue, ob er näherkommt. Soll ich mein Pfefferspray mal in Reichweite legen? Schneller kann ich nicht. Aber der Mann wird glücklicherweise auch nicht schneller und schaut auch nicht so aus, als hätte er ein Messer oder so. Aber die Gedanken fahren Karussell. Was hatte der Bäckerkunde am Tag zuvor zu mir gesagt? Bald wird es aber wieder flacher und ich radle erleichtert von dannen. So steil, wie es grad hoch ging, geht es nun runter, wenn nicht steiler. Ich traue mich nicht und schiebe. Runter über den nassen Waldboden durchsetzt mit losen Kalksteinen. Wenn das so weiter geht, werde ich wohl drei Wochen mindestens brauchen bis nach Kap Arkona.
Aber es wird wieder flowiger und ich erreiche Kuchen, natürlich nicht zu früh. Und der Ort heißt wirklich so. Nomen ist Omen, beim Supermarkt gibt es einen Bäcker und hier stärke ich mich mit Latte Macchiato (mit 2 Zucker), Laugenbrot mit dick Butter und Zwetschgen-Streuselkuchen. Ich lasse es mir schmecken und nutze das Gratis-Wlan, kann mich nicht aufraffen zu starten, 300 Hm stehen an. Hatte ich eine Vorahnung? Glücklicherweise weiß ich noch nicht, was auf mich zukommt.
Altes Wasser ausgeleert, neues aufgefüllt, dann los! Es geht gleich zünftig zur Sache. 18% plus, aber auf Asphalt keine große Sache. Na, warte, Gabi, der Weg geht in einen Forstweg über, der aber etwas weniger Steigung hat und dann plötzlich zweigt links ein Wanderweg ab. Auf beiden Seiten je ein steiler Hang, rechts steil nach oben, links steil nach unten, dazwischen der sehr schmale Weg. Den muss ich augenscheinlich nehmen. Und bald schon das erste Hindernis. Ein Baumstamm liegt im Weg. Minutenlang stehe ich davor und bringe die Energie nicht auf die 26 kg drüber zu wuchten. Dann bald der nächste.
Ziemlich hoch. Drunter durch passt mein Rad nicht mit dem ganzen Gepäck. Ich wuchte das Vorderrad darüber und will das Hinterrad nachziehen. Fast geschafft, da merke ich, dass das Gewicht des Rades mich nach außen drückt, in Richtung „Abgrund“. Schnell versuche ich einen Holunderzweig zu fassen, aber „knacks!“ bricht dieser und in Null-Komma-Nichts, ich weiß nicht, wie es mir geschieht, liegt Frau und Rad zwei Meter unterhalb des Weges.
Knochen sortiert, alles noch dran … Wie aber jetzt das bepackte Rad wieder auf den Weg bekommen? Ich bringe alle Kräfte auf und habe das Vorderrad schon wieder auf der Strecke, aber was ist das? Irgendwas klemmt … Der Sattel hatte sich eingehakt in einen Holunderstamm, das Vorderrad wird vom Baumstamm blockiert. Nichts geht mehr.
Die Kräfte verlassen mich und mein Rad ist wieder da, wo es zuvor lag. Trotz aller Anstrengungen ich komme am Stamm auch das nächste Mal nicht vorbei. Schweißgebadet und beinahe den Tränen nahe denke ich schon daran, die gesamten Taschen abzubauen, da hat wohl irgendeine höhere Macht ein Einsehen und ich weiß nicht wie, aber beide, Frau und Rad, sind wieder auf dem rechten Weg. Mein Willen ist gebrochen, das kannte ich ja vom Trans Balkan Race, wo es mir bei einer schlimmen Schlamm-Passage so ging.
Im Kopf läuft nichts mehr ab. Ich lebe nur noch im Moment. Mehrere Bäume sind noch zu überklettern und dann ein paar steile erdige unregelmäßige Stufen. Meine Gedanken sind damit beschäftigt, wie schaffe ich den nächsten Baumstamm. Keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist, bis ich am Aussichtspunkt Höhenstein stehe. Mit zitternden Knien, fix und fertig. Zumindest sind die kommenden Anstiege nicht so fordernd. Meine zerschrammten Beine kühle und reinige ich einigermaßen beim nächsten Brunnen.
Picknickzeit. Mein Frischkäse-Gemüse-Laugenbrot muss dran glauben, Tisch ist ein umgestürzter Baumstamm. Mit Kefir gestärkt geht es weiter. Das Wental mit seinen bizarren Dolomitfelsen liegt vor mir. Sehr schön. In Aalen muss ich unter einer Bahnunterführung durch. Ich und die Garmin sind verwirrt und als wir mit Versuch und Irrtum endlich wieder am Licht sind, steht Stephan vor mir. Welch ein Zufall, wie ausgemacht. Er war auf mein gepostetes Absturzbild in den nächsten Zug gestiegen und hatte die Strecke abgekürzt; er wolle Radfahren und nicht Radschieben … Gemeinsam fahren wir bis Ellwangen. Dort erwartet mich ein bequemes Bett, ich kann mich, meine Garderobe und mein Rad pflegen. Es gibt lecker Essen und erholsamen Schlaf, das erste Mal seit drei Nächten.
Tag 4, Mittwoch, 5. Juli 141,08 km/ 2.365 m/ 9:25 h – sozusagen der zweite „Pause-Tag“
Und gegen halb sechs am 4. Tag bin ich wieder im Sattel. Unwetter soll es geben? Bei dem blauen Himmel doch nicht … Vorbei an Kreßbachsee und Fischbachsee, eintauchen in die deutschen Wälder. Die Wolken verdichten sich und versprechen nichts Gutes. Die ersten Regentropfen und in Kürze prasselnder Regen, ich rette mich unter einen Laubbaum. Lange bleibt es nicht trocken darunter und ich wechsle die Wegseite und „verstecke“ mich unter einem Hochstand. Ich muss allerdings zuerst die dichten Dornenranken niedertreten, die mich an Armen und Beinen zerren. Und da kracht es auch schon, den Blitz hatte ich gar nicht gesehen. Angst! Gewitter im Freien löst bei mir immer irgendwie Panik aus. Ich zerre mein Smartphon heraus und tippe hektisch darauf herum. Regenradar! Ich sehe, ich bin genau im Kern der Gewitterfront. Als das Schlimmste vorüber ist, fahre ich weiter. Es regnet noch leicht. Die Wege sind nun voll verschlammt und ich schaue in kürzester Zeit wie ein Schweinchen aus. Hoffentlich finde ich für Rad und mich irgendwo einen Gartenschlauch. Das ist allerdings der Beginn meiner müffelnden Schuhe.
Es geht nun mal wieder abwärts, aber äußerste Vorsicht ist geboten, denn der Forstweg scheint mit Haufen frischen Splits aufgeschüttet, ich fahre langsam, damit sich mein Reifen nicht in die Menge bohrt und mich abwirft. In Schnelldorf gönne ich mir ein schönes Frühstück, dann geht es weiter Richtung Schillingsfürst. Hoffentlich wird das Wetter mittags besser. Dieses Tief hatte ich nicht auf dem Schirm gehabt. Meine nassen Sachen behalte ich an. Sie trocknen in wechselndem Gegen-, Seiten- und Rückenwind rasch. Gespannt bin ich, ob es heute noch mal regnen wird.
Unterwegs muss ich schmunzeln, ein Bild vom Vortag vor Augen. Gabi auf dem Boden kniend, Kameralinse auf eine Schnecke gerichtet, wartend, dass das Tierchen wieder seine Fühler ausstreckt. Der Name Lumacagabi ist Programm und ein Bild mit Schnecke Pflicht. Oder was macht man nicht alles, um ein paar Minuten Pause rauszuschinden …
Die Wälder hier sind schier endlos. Seit fast fünf Kilometern fahre ich geradeaus durch einen Forst. Einzige Abwechslung zwei Reiterinnen mit mindestens 15 Hunden. Immer wieder wechselt der Schotter in tiefen Schotter.
Immer wieder nette Singletrails, aber nach dem Regen sind die Wurzeln und Steine spiegelglatt, ebenso der festgefahrene Lehmboden und ich muss höllisch aufpassen, um keinen Abflug zu machen. Am Nachmittag durchfahre ich mehr landwirtschafliches Grün, mit den fehlenden Bäumen kommt nun auch die Hitze.
Die alte Höhenstraße vor Erlangen aus vergangenen Zeiten ist heute ein Singletrail und nett zu fahren. Am späten Nachmittag erreiche ich Doris, die mich am Weg abholt und nach Großseenbach führt. Wieder mal hatte ich mich getäuscht, ich hatte gedacht nach dem Ort ginge es eben oder aufwärts. Dabei fahren wir fast 200 Höhenmeter hinunter, Hilfe, die müsste ich am kommenden Morgen wieder hinauf … Das blende ich jedoch im Moment aus, die köstliche Bewirtung und das angenehme Nachtlager, die erfrischende Dusche und auch der Gedanken, dass auch mein Rad wieder gepflegt auf die nächsten Kilometer gehen würde, lassen mich ruhig die Augen schließen.
Tag 5, Donnerstag, 6. Juli 160,79 km/ 2.766 Hm/ 11:40 h
Nun muss ich die Höhenmeter wieder hoch zur Strecke, gut zum Wachwerden. Ich darf gar nicht daran denken, wie viele Höhenmeter sich da heute noch dranhängen werden. An den vergangenen Tagen gab es ja Bergauffahren und -schieben ohne Ende. Die Beine drehen sich heute schwer, jede kleine Steigung spüre ich. Der Kaffees-Stopp an Tankstelle in Erlangen weckt meine Geister etwas. Allerdings werde ich im nächsten Wald bei 10% Steigung sogar von einer Joggerin ein- und fast überholt. Uff!
Zum CP2 finde ich fast nicht rauf. Zuerst ein Verhauer, denn ich fahre gemütlich auf dem Schotterweg weiter hinauf und übersehe den Einstieg zum Singletrail. Frau kann wohl keine Fahrverbotsschilder deuten. Selber schuld. Also wieder zurück und über eine Art Pumptrail Richtung Ruine Neideck. Nun halte ich mich peinlichst genau an die Vorgabe mit dem Ergebnis, dass ich mein Bike statt auf dem Normalweg zur Burg einen schmalen überaus steilen Fußweg runterbremse und dann unter Absturzgefahr wieder hochwuchten muss über Wurzeln.
Nun geht es weiter durch die Fränkische Schweiz mit den im Wald versteckten Felsformationen. Zunächst Waldweg gesperrt wegen Holzfällerarbeiten. Wo soll ich da bloß umleiten? Ich konsultiere die Garmin.
Nun geht es viele Kilometer angenehm auf einem Radweg dem Fluss Wiesent entlang. Der nächste „Berg“ ist nah, zuvor noch Freiluftmittagessen mit Humus und leckerem Olivenbrot von Doris. Gestärkt geht es in der Hitze wieder hinauf. Meine Beine sind wie Gummi, Schieben ist angesagt. Was? Bei der bisschen Steigung muss ich schon zu Fuß gehen? Mein Blick auf das Display meiner Garmin bestätigt aber 18% und es wird noch steiler. Meine Wahrnehmung ist wohl etwas gestört.
Ich muss durch Bayreuth durch. Zwar geht schön durch einen Radweg am Roten Main entlang. Aber es sind mir hier bedeutend zu viele Menschen. Es kommt mir schmutzig vor, obwohl das gar nicht stimmt. Ich bin wohl in den vergangenen vier Tagen schon so ziemlich zum „Naturburschen“ oder besser Waldmädchen geworden. Ich freue mich, als ich wieder in die kühlen Wälder eintauchen darf.
Ein Eiscaffeé am Weg vor Bad Berneck. Die kühle Leckerei (Mandel und Melone) schmeckt wie echtes italienisches „gelato“, der Lattemacchiato (mit zwei Zucker) weckt meine Lebensgeister. Ich darf mich zu Jürgen an den Tisch setzen und wir kommen ins Gespräch. Zusammen fahren wir ein Stück. Er versucht mir die Vorteile eines E-Bikes nahezubringen. Ich komme in den Genuss einer Testfahrt mit Jürgens Rad, der Arme muss über den holprigen und verblockten Weg vor Gefrees mit meinem Packesel hoch, was er ohne Murren macht. Dann nach einem „Verhauer“ müssen wir zurück und in einen unwegsamen Singletrail einbiegen. Wieder mal versperrt ein riesiger umgestürzter Baum den Weg. Jürgen hilft mir mein Rad da drüber zu bekommen, allein hätte ich das wohl nicht geschafft. Noch ein kurzer Plausch und ich bin wieder allein. Danke, Jürgen, für die unterhaltsame Begleitung! Wieder im Wald allein. Ich höre Motorsägen-Lärm. Mit einem „Hallo“ versuche ich auf mich aufmerksam zu machen. War da irgendwo ein Schild gewesen? Nichts gesehen, mein Weg hatte mich aber durch zugewucherte Wildnis mit umgestürzten Bäumen hierhergebracht, da ging normal wohl niemand. Der Lärm verstummt, ich höre Hammergeräusche, klingt, als ob ein Keil in eine Kerbe geschlagen wird; ich bleibe zum Glück stehen, denn da hört man schon einen gewaltigen „Tusch“ und nicht weit von mir schlägt der Wipfel eines großen Baumes hart auf dem Boden auf. Oh oh! Glück gehabt.
Durch die E-Bike-Fahrt hatte ich wohl einige „Körner“ gespart und nach Shopping in Gefrees in der Aral tanke, wo ich mich für das Frühstück eindecke, schaffe ich es in dem nun kühler werdenden Abend noch über den Großen Waldstein und nehme auch noch die nächste Steigung in Angriff. Interessant folgende Beobachtung. Nachdem ich von der E-Bike-Erfahrung wieder auf meinem eigenen Rad saß, hatte ich bei den Steigungen das Gefühl, dass das Rad von allein wegzieht, ähnlich, wie wenn man über eine schwankende Brücke geht und auf dem Festland das Gefühl hat, dass der Boden schwankt. Naja, schade, dass dieses Gefühl wenig später wieder dem mühsamen Bergauffahren Platz machte.
Schlafplatz hatte ich schon auf Google Maps gewählt, das Kornberghaus. Ein recht neues Restaurant neben einem Skilift, jetzt geschlossen und verwaist. Hier mein Zelt aufzustellen, bedeutet für mich nicht mitten im Wald zu campieren und damit fühlte ich mich nicht so schutzlos.
Aber was war das? Sobald ich mich häuslich einrichte, schwirren Millionen winziger Midges, die ich bei der letztjährigen GB-Duro von Schottland kenne. Unangenehm schwirren die kleinen Biester um Augen, Nase, Ohren und andere ungeschützte Körperteile. Mückenmittel hilft nicht. Ich werde gepiesackt mit kleinen Stichen, die Haut schwillt zumindest nicht auf, wie nach einem Mückenstich, zumindest noch nicht. Immer wieder renne ich hektisch zwischen Rad, das ich an die Wand des Hauses gestellt hatte und Zeltplatz hin und her. Es dauert immer nur kurz bis die Viecher mich wieder haben. Ich muss die Tierchen an der Nase rumführen, um beim Einsteigen in meine vier Wände nicht verfolgt zu werden. Bin ich froh, als ich im Zelt liege und meine Ruhe habe und glücklich, dass ich mich zuhause nicht für den Biwaksack entschieden zu haben.
Tag 6, Freitag, 7. Juli 135,25 km/ 2.373 Hm/ 10:02:31 h
Ich schlafe recht gut, bis ich im Morgengrauen irgendwo eine Tür höre und Stimmen, die sich entfernen. Da bin ich wohl doch nicht so einsam gewesen. Oder habe ich geträumt? Ich packe. Die Midges schlafen vermutlich noch. Ich lasse mir auf den nächsten Kilometern Zeit, ich hoffe nicht zu früh beim Bäcker in Rehau, das 2 Kilometer offroad liegt, zu sein. Aber keine Angst, für die 10 Kilometer brauche ich überdurchschnittlich lange, es geht immer wieder auf Trails durch den Wald, mehrmals verfahre ich mich, weil ich nicht merke, dass es wieder mal vom Schotterweg auf einen Singletrail geht. Ich höre ein seltsames Geräusch im Wald ähnlich Maschinengeräuschen, mal lauter, mal leiser. Ich denke schon Halluzinationen zu haben, da komme ich auf des Rätsels Lösung: Ich bin nicht weit weg von der Autobahn und dort gibt es um 6 Uhr morgens schon einen ziemlichen Verkehr.
Ich entscheide mich Rehau links liegen zu lassen und die nächste Ortschaft anzusteuern. Plötzlich sitzt vor mir auf einem schmalen verwurzelten und verblockten Trail ein großer schwarzer Hund mit dem Rücken zu mir. Das Herrchen ist 10 m weiter. Was tun? Wie mache ich mich bemerkbar? Wie wird das Tier reagieren? Ich sage mal laut „Guten Morgen“, aber Herrchen hört das wohl nicht. Dafür kommt der riesige Hund auf mich zu galoppiert. Schwanzwedelnd! Fritz, so sein Name, ist mir glücklicherweise freundlich gesinnt.
Frühstück im Wald mit Butterbretzel von gestern und einem nicht gekühlten Eiskaffee-Getränk. Schon der Gedanke an „Eis“ lässt mich schaudern. Es ist nämlich sehr frisch – grad mal 7° Celsius. Ich fahre mit Daunenjacke und überlege schon meine dünnen Wollhandschuhe anzuziehen, aber das wäre schon übertrieben mitten im Sommer. Weiter geht es. Ein dick mit frischem Schotter aufgefüllter Weg ist zu meistern. Mein Vorderrad schwimmt. Ich sehe nur eine Radspur, das heißt das ist ganz frisch.
In Kürze werde ich das erste Mal die tschechische grüne Grenze überfahren. Zum x-ten Mal fahre ich falsch, der nächste Singletrail biegt nämlich fast parallel zur Schotterpiste ab und bis Gabi und die Garmin drauf kommen, ist Gabi schon vorbei. Ich glaube, dass ich die 1700 km locker zusammen bekomme bis Kap Arkona.
Ich wechsle nach kurzem Tschechien-Intermezzo wieder nach Deutschland und Frühstück in Adorf ist angesagt. Was sich wohl im Supermarkt die Bäckersfrau an der Theke denkt von der „abgerissen“ aussehenden Frau mit Helm und nicht ganz sauberer Radkleidung, die in einer Fremdsprache, nämlich nicht Sächsisch, Kaffee, altdeutschen Quarkkuchen, eine Mohnstreuselschnitte, zwei Bretzeln, und ein belegtes Brot bestellt? Misstrauisch werde ich beäugt und wenig freundlich abgefertigt. Ich bin im Vogtland, fahre nahe der tschechischen Grenze, die ich immer wieder überqueren werde. War es am Morgen noch unter 10°, so hat es jetzt beim Aufstieg schon über 28° und es geht die nächsten 50 km immer aufwärts bis zur höchsten Erhebung der gesamten Tour, dem Fichtelberg.
Aber zunächst wieder viel Wald durch die Sachsenforste, immer wieder unterbrochen von hübschen kleinen Singletrails. Mit einem leichten MTB wäre das total spritzig, aber so schaukele ich etwas schwerfällig durch die Gegend.
Hat es sich am Morgen recht schleppend angelassen, so geht es irgendwann recht zügig weiter. Bald geht es wieder über die Grenze, dort werde ich in einem Ort wohl Wasser nachfüllen müssen. Keine Ahnung, wie weit ich heute noch komme.
Johanngeorgenstadt ist eine Bergstadt im sächsischen Erzgebirgskreis. Sie liegt unmittelbar an der Grenze zu Tschechien. Komme ich aus endlosen Kilometern durch die sächsischen Forste, so erschlägt mich im ersten Moment der plötzliche Rummel und die vielen Souvenirläden und duty free Shops am Ortseingang. Ich umrunde den Kreisverkehr ganze drei Mal, bis ich mich entschlossen habe, was ich tun möchte. Ich kaufe in einem der Läden etwas Wasser und flüchte aus dem Getümmel.
Der mit etwas Angst erwartete Anstieg zum Fichtelberg ist milder als gedacht. Zunächst eine mäßig steigende Teerstraße, dann weiter auf angenehmem Schotterweg. Eine hübsch geschnitzte Bank lädt zum Verweilen ein und ich setze mich in den Schatten, um meine letzten Vorräte aufzuessen. Halt, nein, zuerst kommt mein Bike dran, die Kette muss dringend wieder mal geölt werden, so muss Apfel und Brot noch warten. Etwas weiter nutze ich ein Bächlein, um Abkühlung für mich zu suchen und mein Prokaliber zu säubern. Die letzten Tage hatten Spuren hinterlassen, die Farbe des Rades war kaum mehr zu erkennen.
Die letzten Kilometer doch noch mal Schieben angesagt, der grobe Untergrund und die Steilheit des Weges tun weh, überhaupt, wenn fünf Meter nebenan eine feine Asphaltstraße nach oben führt. Aber „Schwindeln“ ist nicht drin. Belohnt werde ich auf dem Fichtelberg mit einem traumhaften Panorama und der Aussicht auf ein leckeres Essen, gefüllte Paprika mit Kartoffelpürree.
Da ich auf das Essen etwas warten muss, nutze ich die Zeit zur Körperpflege. Ob das die sanitären Anlagen des Restaurants wohl jemals gesehen hatten? Die Frau wäscht sich doch wirklich Füße, die Socken und die Haare, na sowas! Und die Überschwemmung unter dem Waschbecken, zum Glück hat das niemand gesehen. Ich muss sogar kurz das Männerklo heimsuchen, denn auf der Damenseite sind die Papierhandtücher ausgegangen. Wieder sauber am Tisch ist auch das Abendessen da. Es mundet göttlich.
Voller Energien mache ich mich dann an den Downhill. Im wahrsten Sinne des Wortes geht es steil und über Stock und Stein den Berg hinunter. Und dann sehe ich sie: die gelben Streckenschilder des Stoneman Miriquidi. Es heimatet, denn den Stoneman Gold bei mir daheim, in Sexten, haben wir schon absolviert. Bea (Sportmiez) hatte mich kontaktiert, sie wollte mich irgendwo abfangen, sie fahre heute den Stoneman Miriquidi, ich kenne sie vom Trans Balkan Race. Anscheinend bin ich aber zu schnell.
In Bärenstein muss ich meine Reserven auffüllen. Ich weiß gar nicht, wohin mit den ganzen Sachen. Der Ort liegt direkt an der deutsch-tschechischen Grenze, Grenzlinie ist der Pöhlbach und der Ort sozusagen zweigeteilt. Ich wechsle nun für ein paar Kilometer nach Tschechien. Einsame Wälder erwarten mich hier, mir ist hier etwas mulmig zumute, da die Dämmerung nicht weit ist, die Wälder düster, die Wege in einem Zustand, dass ich nur langsam weiterkomme.
Wollte ich zuerst bis zu einem Picknickplatz an einem Teich fahren, so entschließe ich kurzerhand in Jöhstadt zu nächtigen, in der Frühstückspension Schlösselmühle. Ob ich aber einen Platz bekomme? Laut Booking ist ausgebucht, auf meinen Anruf meldet sich niemand, der letzte Versuch ist auf der Rückseite des Gebäudes zu klingeln. Mit Erfolg. Die Wirtin kommt aus dem Garten. Ja, ein Zimmer habe sie noch frei, die anderen seien belegt mit einer Hochzeitsgesellschaft. Ich befürchte, dass es dann nachts lustig zugehen würde, aber weiterfahren ist keine Option. Von den Hochzeitsgästen höre ich nichts, mein Schlaf ist jedoch etwas unruhig, denn mitten in der Nacht beginnen meine Knöchel und Handgelenkt zu jucken. Interessanterweise trat die allergische Reaktion auf die Midges-Stiche an den ungeschützten Stellen vom Campen am Kornberghaus zuvor spät ein.
Tag 7, Samstag, 8. Juli 149 km/ 2.400 m/ 10:50 h
Halb fünf Weckruf meiner Uhr, ich habe die Erlaubnis mir im Gastraum einen Kaffee zu machen, esse von meinen Einkäufen in Bärenstein und bin kurz darauf wieder auf dem Weg. Heute ist es nicht so kalt wie gestern, auch im Wald kommt mir schon warme Luft entgegen. Ich bin gespannt, wie sich die Temperaturen heute entwickeln. Mir schwant nichts Gutes. Kilometerlang Singletrail durch eine Art Moorlandschaft, abgelöst von einem Waalweg. Schön verwurzelter Weg, so muss ich aufpassen, nicht im Wasser zu landen.
Dann bin ich am See, an dem ich eigentlich zelten wollte. Zwei Stunden war ich unterwegs, gut, dass ich die Pension gewählt habe. Mücken gibt es hier auch. Weiter nach kurzer Pause, nächste Anlaufstelle ist Olbernhau. Danach gibt es 100 Kilometer nichts mehr. Überheblich hatte ich beim Start gedacht, ich würde dort lange vor sieben sein, jetzt ist es schon halb acht vorbei. Die Strecken lassen sich schwer einschätzen.
Das nächste große Ziel ist vor 20 Uhr in Bad Schandau zu sein, denn anschließend gibt es fast 140 km keine Einkaufsmöglichkeit mehr.
Ich entscheide Olbernhau links liegen zu lassen, ist es doch off route. Ich habe noch einiges an Essen und bald kommt der Kurort Seiffen, dort sollte es eine Bäckerei geben. Etwas „weh“ tut es, dass der Ortskern dort etwa 100 Hm unterhalb der Strecke liegt, aber es lohnt sich bei der Bäckerei Schmieder einzukehren. Sehr netter Laden und leckeres Frühstück. Ich decke mich zudem mit Kuchen und Broten ein, denn vermutlich wird es lange nichts geben, wenn ich Bad Schandau nicht pünktlich erreiche, dann wohl sehr sehr lange. Zudem ist morgen Sonntag, da gibt es dann gar nichts. Es bleibt also spannend. Hatte ich das mit der mageren Versorgungslage im Osten im Vorfeld gelesen, ich realisiere es erst jetzt so richtig.
Durch Wälder und grenzüberschreitende schön breite Wanderwege geht es zunächst weiter durch Sachsen. Interessantes Detail, am Wegesrand stehen Hunderte von kleinen weißen Täfelchen mit Namen von Frischvermählten drauf. Ist das hier so Brauch? Vielleicht soll das Glück bringen. Ich frage mich, ob die vielen Paare noch alle zusammen sind, die ältesten Schilder stehen hier schon über 20 Jahre.
Über einen holprigen Singletrail wechsle ich auf den nächsten feinen Schotterweg und werde aufgehalten von einem jungen Paar mit Gravelbikes. Ob ich einen passenden Inbus-Schlüssel habe. Sie sei da vorne über einen Reißnagel, von denen es da mehrere gebe, gefahren und jetzt ist der Reifen platt. Wir quatschen etwas, dann schiebe ich vorsichtshalber ein Stück. Reißzwecken … Wem fällt denn sowas ein. Nun wechselt der grenznahe Weg nach Tschechien. Die Wege werden wieder holpriger, ein schnelles Vorwärtskommen ist nicht. Zudem wieder mehrere „Verhauer“. Auch geht es jetzt durch wunderschöne aber der Sonne stark ausgesetzte Hochmoore. Die Sonne brennt vom Himmel. Ein kleiner Badesee am Weg kommt sehr gelegen. Schnell aus den Klamotten raus und auf dem Boden verstreut und rein ins Vergnügen. Bei der Hitze eine willkommene Abkühlung. Aber wie soll ich wieder raus? Ohne nichts an … Nicht alle baden hüllenlos.
Nun etwa 25 Kilometer, wie die italienischen Ciclisti sagen „falso piano“ … also es schaut auf der Karte eben aus, ist aber immer leicht aufwärts, hier auf der Karte leicht abwärts, fühlt sich aber an wie eine Steigung über Grasnarben, Singletrails. Etwas mühsam.
In Grenznähe nun die sehnlichst erwarteten ersten Felsformationen des Elbsandsteingebirges. Spektakel. Und bald erreiche ich auch den CP3, den Katzstein. 50 Stufen führen auf den Gipfel des Felsens, schwindelfrei muss man unbedingt sein, über die steile Leiter hochzukraxeln und vor allem wieder runter. Einen Fehltritt darf man sich keinesfalls erlauben. Zudem ist kein Mensch weit und breit und ein Unfall würde lange nicht bemerkt werden. Ich esse meinen Streuselkuchen, den ich schon den ganzen Tag mitschleppe.
Das ist wieder mal Grundlage einer wissenschaftlichen Studie. Frage: Was wird aus einem prismenförmigen Stück Streuselkuchen, das den ganzen Tag über Singletrails holpert? Genau, daraus entstehen andere geometrische Figuren, nämlich Kugeln. Und Nachtrag, Kefir, das den ganzen Tag durchgeschüttelt wird, verwandelt sich zu einer butterähnlichen Masse, aber trotzdem noch lecker. Man gönnt sich ja sonst nichts …
Nach kurzer Schiebepassage durch den Wald nun schnelle 10 Kilometer nach Bad Schandau. Ich suche den Supermarkt und ernte wieder mitleidige oder verständnislose Blicke. Die vielen eingekauften Sachen kann ich gar nicht unterbringen, vor allem ist viel Wasser wichtig für den nächsten Tag. Guter Rat ist nun teuer, ich schaue mich nach einer Unterkunft um. Verschwitzt wie ich bin, sehne ich mich nach einer kühlen Dusche und nach frisch gewaschener Rad-Kluft.
In Bad Schandau alles ausgebucht, auch in der näheren Umgebung. Schicksalsergeben fahre ich weiter. Dann werde ich halt zelten, aber wo? Zuerst führt mein Weg durch ein düsteres Tal, vorbei an einem riesigen historischen Fabriksgebäude, den Linoleumwerken von Kohlmühle. Beeindruckend. Es wird immer einsamer. Ich mache mir nun wirklich Gedanken um die kommende Nacht. Unvermutet wird es wieder lichter, ein Dorf, Lohsdorf, liegt vor mir und etwas abseits ein Picknickplatz. Juhu, das scheint der ideale Platz zu sein. Ich stelle, etwas versteckt hinter Tisch und Bank mein Zelt auf, richte mein Abendessen, griechischer „Salat“ in Form einer Packung Feta, einer Gurke und einem Schächtelchen Cocktailtomaten. Als Nachtisch gibt es Grießpudding. Lecker!
Die Sonne geht unter, ich telefoniere mit Hermann und nach kleiner Katzenwäsche verschwinde ich in meinen vier Wänden. Gute Nacht! Zuletzt war noch ein bisschen Pechtag: Beim Aufbau des Zeltes trete ich in einen Hering (nein, nicht auf einen Fisch), ein dicker Blutstropfen läuft vom Zeh, das Pflaster klebt nicht und als ich ins Zelt schlüpfe, merke ich unter mir eine Pfütze … Hilfe, bin ich undicht? Nein, der Trinkrucksack war unter die Matte gerutscht und das Mundstück nicht geschlossen. Mist. Dann werde ich besänftigt durch den Gedanken, dass ich genau hier, wo mein Zeltchen steht, auf Kilometer 1000 schlafe.
Vorwarnung: Was jetzt kommt, klingt manchmal unsäglich schwierig und mitunter ätzend. ABER ich muss vorwegnehmen, dass die meisten Streckenabschnitte wunderschön sind und fein zu fahren.
Tag 8, Sonntag, 9. Juli
171 km/ 1.600 m/ 10:40 h
Wecker um 4:45, in der Ferne gab es nachts irgendwo Musik. Disco? Es hat jetzt 11°, irgendwann hatte ich angefangen zu frösteln, Packen, Frühstück und los. Heute stehen die letzten „Berge“ auf dem Programm. Heute Sonntag ist alles geschlossen, mal sehen, ob ich irgendwo mal was zu essen finde. Gestern habe ich vergessen mein Smartphon unterwegs zu laden und habe dann entdeckt, dass die mitgeschleppte Powerbank leer ist. Dasselbe ist mir schon beim Trans Balkan Race passiert.
Wald und Felder wechseln sich ab, es geht nun wieder über die tschechische Grenze und Singletrails gibt es einige heute. In einem Dörfchen sehe ich einen Mann mit einer Einkaufstüte und zwei Joghurt in der Hand. Auf meine Frage, ob denn heute irgendwo ein Geschäft offen sei, bejaht er und zeigt in die andere Richtung. Erfreut fahre ich los, ein Kilometer, nichts, zwei Kilometer, drei … immer noch nichts. Also zurück, so weit wird der wohl nicht zu Fuß gegangen sein. Schade, ich hätte meine Vorräte gerne aufgefüllt.
Die Berge heute haben es in sich. 114 Höhenmeter, bei uns wäre das easy, hier kommt es mir wie der Everest vor, es ist so steil, dass ich schieben muss. Rund um mich zudem Brennnesseln und rankende Pflanzen, wer weiß, wie oft diese Wege begangen werden. Zu den vielen Mücken- und Midges-Stichen auf meinen Beinen kommen nun auch noch diverse Verletzungen durch Pflanzen dazu.
Auf der vorletzten Erhebung bekomme ich im Gasthaus Biehleboh zwar ohne Reservierung kein Frühstück am Buffet, aber ich kann Getränke und Erdbeerkuchen erwerben. Sehr lecker. Und der Kaffee weckt meine Lebensgeister, die durch die schwierigen Aufstiege hier irgendwie verloren gegangen waren, zudem waren wiedermal schweißtreibend ein paar Bäume zu überklettern gewesen. Ich muss weiter, es ist sehr heiß heute.
Der letzte Anstieg, Vortäuschung falscher Tatsachen, Garmin sagt „Anstieg abgeschlossen“, ich fahre erst mal falsch, da ich den Weg hinunter nehme, wieder zurück. Es geht einen zugewachsenen Fußweg hoch, es ist extrem heiß, ohne ein Lüftchen und das nachdem ich zuvor schon über einen Kilometer geschoben hatte und Baumstämme überklettert, aber dann kommt endlich der Moment: Ich bin oben auf dem letzten Hügel. Auf die Abfahrt hatte ich mich gefreut, aber auf dem zugewachsenen Weg liegen größere Äste und dicke Grasbüschel erfordern konzentriertes Fahren.
Irgendwann wird es leichter und ich komme an einem Brunnen vorbei. Nicht Trinkwasser, aber ich nutze die Gelegenheit mich in das eiskalte Wasser des Brunnens zu stellen und die Haut meiner Beine etwas zu betäuben, fast die gesamte freie Fläche ist nämlich übersät mit Pusteln, Quaddeln und Kratzern und es juckt fürchterlich.
Durch Felder radeln ist zwar auch heiß, aber der Fahrtwind kühlt zumindest etwas und dann die erste Sandpiste. Das wird noch lustig werden.
In Dauban mache ich Mittagspause im „Grillhaus“. Der iranische Chef richtet mir einen sagenhaften Salat-Teller mit Halloumi und Falafel. Abgerundet wird das Ganze von einem Latte Macchiato mit zwei Zucker und einem Eis.
Nicht lange nach meiner Mittagspause radle lange über einen flachen Asphalt-Radweg und lande fast direkt am FKK-Strand am Bärwalder See. Super! Nun muss ich nicht mal meinen Bikini rauskramen. Sagenhafte Erfrischung, ich mag gar nicht mehr raus aus dem kühlen Nass. Die lichten Kiefernwälder der Oberlausitz, die ich nun durchquere ´liefern kaum Schatten. Vorbei geht es an der Gedenkstätte Ravensbrück, das traurige Bekanntheit als Frauen-KZ erlangte.
Dann wird es wieder grüner. Bad Muskau mit seinen einzigartigen Parkanlagen im Stil englischer Landschaftsgärten. Am Stadtrand beginnt die Muskauer Heide, ein ausgedehntes Waldgebiet, das in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre das erste Revier der wieder in Deutschland ansässigen Wölfe wurde. Zum Glück hatte ich auf meiner einsamen Fahrt keine Begegnung mit den großen Raubtieren.
Nun muss ich über die deutsch-polnische Grenze und fahre gut 30 Kilometer immer nahe dem Fluss Neiße, der die Grenzlinie markiert. Hier ist es sehr einsam. Eine lange Sandpiste. Manchmal wirft es mich vom Rad, dann muss ich ein paar Meter aus dem tiefsten Sand rausschieben. Wenn ich Glück habe Reifenspuren von einem Auto, dort ist der Sand etwas verdichtet. Ist es mir hier schon etwas unheimlich, so sind die letzten etwa 10 Kilometer, die auf einem rumpeligen Plattenweg durch den Wald führen eine Steigerung von furchteinflößend. Das, was ich hier sehe ist geisterhaft: Im Kiefernwald ducken sich unzählbar viele verfallende Bauten in zugewachsene Kuhlen. Die leeren Fensterlöcher scheinen mich anzustarren. Trotz der Hitze fröstele ich. Ich nehme mir vor zuhause recherchieren*, was es mit diesem dämonischen Gebiet nahe der deutschen Grenze auf sich hat. Erleichtert bin ich, als ich in die Nähe von Forst komme und dann nach einem Tankstellen-Stopp die deutsche Grenze wieder überfahre.
In Forst wollte ich eigentlich in ein Restaurant, das ich auf Google Maps ausgemacht hatte, aber es gibt hier von Polen keine Brücke über die Neiße. Es hätte einen langen Umweg bedeutet. So ist die polnische Tankstelle mit angeschlossenem Shop unbedingte Pflicht, denn am nächsten Tag muss ich gut 100 Kilometer radeln, bis es wieder eine Versorgungsmöglichkeit gibt.
Recherche: Bei dem unheimlichen Wald handelt es sich um die Sprengchemie Forst-Scheuno, einer in der NS-Zeit, 1938, errichteten Sprengstoff-Fabrik. Sie diente zur Herstellung von Munition aus Nitroglycerin. Das 550 Hektar große Areal umfasste circa 400 Gebäude, 80 km Straße und 36 km Gleise.
Ausgehungert futtere ich mich durch das Sortiment der Tankstelle. Die beiden polnischen Frauen behandeln mich sehr herablassend und unfreundlich und scheinen sich über mich lustig zu machen. Blöde Puten, Stephan ging es einen Tag später ähnlich, er meinte die seien einfach nur dumm. Dann folgen angenehme Kilometer auf dem Neiße-Radweg.
Bei Sonnenuntergang komme ich nach Grießen zum CP4, zum riesigen Gelände des Braunkohle-Tagebaus Jänschwalde. Im Tagebau wird hier auf 60 km² Braunkohle abgebaut. Nur ganz in der Ferne kann ich die enorm großen Abbaugeräte sehen.
Planmäßig bin ich hier, denn nur 5 Kilometer weiter habe ich schon zuhause meinen heutigen Schlafplatz ausgekundschaftet – einen Unterstand bei Taubendorf. Unterstand finde ich zwar keinen, aber einen Picknickplatz. Mein Zeltchen stelle ich auf der Rückseite einer kleinen Freilichtbühne auf und habe mit einem Wasserhahn sogar „Dusch- und Waschmöglichkeit“. So kommt sogar meine mitgeführte Wäscheleine zum Einsatz. Ich bin alleine, kein Dorfbewohner lässt sich blicken. Eingelullt werde ich durch den leisen Erntemaschinen-„Lärm“ in der Ferne. Die Getreide-Ernte geht bis etwa zum Dunkelwerden gegen 23 Uhr.
Tag 9, Montag, 10. Juli 174 km/ 900 m/ 11:30 h
Pünktlich zur Morgen-Dämmerung, noch vor 4 Uhr, wird auf den viele Hektar großen Feldern in der Nachbarschaft wieder fleißig weitergearbeitet. Zeit für mich, mich aus meinem Schlafsack zu pellen und ans Packen zu gehen. Frühstück vor der Abfahrt. Das vermeintliche Trinkjoghurt von der Tankstelle gestern entpuppt sich als Erdbeermilch, rosarot und geschmacklich ähnlich der Zahnpasta aus meiner Kinderzeit. Grässlich!
Bald der erste „Verhauer“, mein Weg zweigt links ab in ein dichtes Brennnesselgebüsch. Es geht auf Sand aufwärts, ein Baum versperrt den Weg, ich muss mein Rad ein paar Meter den Hang hochwuchten, um den Baum herum. Dann schon der nächste. Meine Beine sind zerkratzt und zerstochen. Nun kommt ein weiterer etwas unheimlicher Teil. Es geht durch den Wald, linkerhand verfallende Stützen mit rostigem Stacheldraht, weitere über den Weg gestürzte Bäume, von Wildschweinen aufgewühlter Boden, irgendwo liegt ein weißer sauber abgenagter Schädel herum. Im Gras und Moos kann ich nur drei Radspuren ausmachen. Ich glaube außer uns kommt hier wohl nie jemand vorbei. Schnell weiter!
Es fängt an zu tröpfeln. Dann wieder Felder. In der Ferne sehe ich große graue Vögel herumstolzieren, Kraniche, wie ich später erfahre. Dann wieder Wald und Sandpiste. Ein großer Holztransporter vor mir, er sieht mich nicht, ich komme nicht vorbei. Sand, Sand, ja nicht zu schnell rein fahren, das Vorderrad schlingert, das hinten zieht nach und man steht ohne Vorwarnung still und es wirft einen runter. Nach dem Sand folgen Kilometer Plattenweg, der einen durchrüttelt. Dann wieder Schotter- Sand-Gemisch. Schon seit Wegfahren am Morgen überlege ich, wie die Bäume mit den großen Dornen dran heißen. Jetzt fällt es mir ein: Akazien. Bin ich froh, dass ich schlauchlose Reifen fahre.
Irgendwann überquert ein Reh den Weg, dann ein zweites. Genau zwischen einem entgegenkommenden Radfahrer und mir. Beide bremsen wir und tauschen uns etwas aus. Es ist ein Belgier, der auch auf der BTG unterwegs ist, allerdings in umgekehrter Richtung.
Jeder Richtungswechsel wird herbei gesehnt, wenn es mal schwieriger wird, ob es nach der nächsten Kreuzung dann besser oder schlechter ist, wird sich dann rausstellen. Jetzt grad zwei Kilometer Singletrail um einen See rum. Fein, allerdings viele Hindernisse und so ein Wechsel von Schieben, Tragen, Fahren. In der Ferne fängt es an zu grollen, Gewitter? Ich komme an einem Schild im Wald vorbei „Wölfe suchen auch in diesem Gebiet nach Nahrung, Hunde an kurzer Leine führen, Kinder bitte beaufsichtigen“ Oh oh! Was ist mit Radfahrerinnen, die allein durch den Wald radeln? Soll ich mein Pfefferspray bereit halten?
Immer wieder absolute „Willenbrecher“-Wege: man kommt nur langsam weiter, muss immer wieder absteigen und aus dem Sand raus schieben. So hatte ich mir das Fahren nach den Bergen nicht vorgestellt. Ich bin zweieinhalb Stunden unterwegs und habe nicht mal 30 Kilometer hinter mir. Ich ahnte schon, dass ich mir die Berge noch mal herbeiwünschen würde. Es geht hoch und wieder runter und hier eben, aber im Schritttempo. Anstrengend. Ich schaue inzwischen verboten aus, übersät von blauen Flecken, Schrammen, Stichen. Kein Wunder, dass die Leute im Supermarkt in Fürstenwalde mich so komisch anschauen. Wieder 10 Kilometer Singletrail, richtig nett, das einzige Lästige, wenn man mal langsamer wird oder stehen bleiben muss, um ein Törchen auf- und zuzumachen, wird man überfallen von unzähligen Stechmücken.
Viele Seen gibt es hier. Wieder mal einer. Schnell Rad-, Körper- und Kleiderpflege, vor allem die Socken haben es bitter nötig, dann schnell hüllenlos reingehüpft, bevor jemand vorbeispaziert. Heute ist wirklich Seen-Tag. Irgendwann am späten Nachmittag setze ich in der WhatsApp-Gruppe die Nachricht ab, ich mag keine Singletrails mehr. Irgendwann dann liegt eine kleine Ortschaft an der Strecke. Frustriert will mir eine gemütliche Unterkunft suchen, keine Lust mehr auf Gelände und Mücken. Der Blick auf meine Uhr aber sagt, es ist noch zu früh. Eigentlich wäre geplanter Endpunkt heute ja eine Radpension in Joachimsthal. Die sollte ich erreichen, um am Tag darauf um 20 Uhr die letzte Fähre in Aalbude zu erwischen. Also weiter. Es geht weiter wie gehabt, viele See-Ufer, viel Dschungel.
Zwei Stunden später aber gebe ich auf. Egal, dann halt nicht Joachimsthal. Ich telefoniere mit einem Hotel beim Schiffshebewerk Niederfinow. Die haben zum Glück noch ein Zimmer frei. Es gibt Abendessen und ich bleibe sogar noch bis zum Frühstück. Aalbude wird sich eh nicht ausgehen zeitlich. Ist aber auch nicht so schlimm, denn dort gibt es eine Ausweichstrecke. Aber wer fährt denn freiwillig gerne 13 Kilometer mehr, als er/ sie muss?
Tag 10, Dienstag, 11. Juli 184 km/ 1.100 m/ 10:40 h
Nach dem Frühstück radle ich am Schiffshebewerk vorbei. Das 1934 in Betrieb genommene Schiffshebewerk Niederfinow ist das älteste noch arbeitende Schiffshebewerk Deutschlands, daneben steht ein Neubau von 2022, das noch größere Schiffe 36m heben kann. Die enormen Bauwerke ermöglichen die Verbindung der Havel-Oder-Wassersstraße. Der Wassertrog ist über 100m lang, etwa 30m breit und hat eine Tiefe von 4m. Unvorstellbar für mich, dass man damit große Schiffe etwa 40m heben kann. Das würde ich mir gerne mal in Betrieb ansehen, aber ich habe keine Zeit dafür.
Jetzt geht es schon wieder in den Wald. Etwas ist hier neu und wird mir bis ins Ziel immer wieder begegnen, besonders bei den Ortsdurchfahrten: ein unregelmäßiges kantiges Kopfsteinpflaster. Die Autos sollen wohl daran gehindert werden zu schnell zu fahren, mit dem MTB ist es ziemlich unangenehm, wenn nicht die Möglichkeit besteht am Rand auf Gras oder Sand auszuweichen, dann bin ich zu Schritttempo gezwungen. Ich komme am Kloster Chorin vorbei, Kirche und Gebäude sehr schön aus roten Backsteinen gefertigt. Dann wieder Kopfsteinpflaster. Und es gibt sogar einen Berg hier. 8% Steigung. Aber da wo es hochgeht, da kann man auch wieder runter rollen. Entlastung für die Beine, die hier sonst in Dauerbeanspruchung pedalieren.
Ohne Vorwarnung wieder mal ein tiefes Sandstück, dann geht es wieder hoch, dann bin ich da, wo ich gestern aufgehört hatte, einen Singletrail durch den Wald. Vorbei an Joachimsthal auf einem feinen Radweg. Den Weg hierher hätte ich vor Dunkelwerden wohl nicht geschafft. Immer wieder geht es mal aufwärts. Ja, es gibt Hügel hier. Trotz Mückenmittel laben sich gleich wieder zig Mücken an mir und zugleich bleibt der Sand so schön an den Beinen kleben. Sandpiste: eineinhalb Stunden für läppische 15 km. Davor im Wald irgendein Geräusch. Was war das? Ein Hund in dieser Einsamkeit? Besser schnell weg!
Auch heute wieder Bäume im Weg, stehen bleiben, darüber heben. Ätzend! Brombeer-Ranken zerkratzen meine mückengepeinigten Beine.
Dann habe ich CP5 erreicht, die Air Base Groß Dölln. Zur Zeit seiner militärischen Nutzung von 1955 bis 1994 durch die sowjetischen Luftstreitkräfte war Templin der größte Militärflugplatz auf dem Gebiet der DDR. Jetzt sind die Flächen ein Solarpark.
Ausweichstrecke wegen Schleusenbau. Zunächst feiner Radweg, dann wie gehabt Sand. Mein erster Sturz. Man fällt zwar relativ weich, aber alles ist voller Sand. In Himmelpfort mache ich Halt in einer Fischbude. Es gibt leckeres Fischbrötchen. Ich mache den Fehler hier kein Wasser zu kaufen, nun ist es schon wieder Nachmittag und ich habe fast kein Wasser mehr. 50 Kilometer liegen vor mir, bis ich wieder was einkaufen kann. Ich bin gerade am Rechnen, wie langsam ich bin, da vor mir eine Absperrung wegen Holzarbeiten, der Weg nach links auch gesperrt. Durchgang strengstens verboten. Was tun? Meine Garmin wirft keine überschaubare Umleitung aus. Ich kann doch nicht 10 Kilometer zurück? Ich schlüpfe durch und schiebe mein Rad unschlüssig weiter. Welche Ausrede sollte ich wählen, wenn ich einen Forstbeamten treffe? Neben dem Weg aufgestapelte Baumstämme, aber weit und breit keine Menschenseele. Ich höre in weiter Ferne Maschinen und entscheide weiterzufahren – Gefahr ist hier, wo ich bin, keine. Nach kurzer Zeit schlüpfe ich unter der Absperrung in der Gegenrichtung durch. Gerettet! Jetzt geht es weiter in der Sonne. Es ist heiß und ich entscheide mich für einen kurzen Badestopp am nächsten See.
In Möllenhagen etwa 40 Kilometer vor Aalbude endlich ein Supermarkt. Ich lasse mir Zeit, esse gemütlich, überlege, wie ich die ganzen Sachen bunkern kann und muss mehrmals umpacken. Ich brauche viel, da am letzten Tag wieder flaute ist mit Einkaufsmöglichkeiten. Ich brauche mich aber nicht beeilen, die letzte Fähre würde ich sowieso nicht erwischen.
Kurz vor 20 Uhr bin ich kurz vor dem Kummerower See. Am Ostende des Sees fährt zu der Zeit gerade die letzte Fähre. Ich könnte ja am Campingplatz übernachten. Es meldet sich auf meinen Anruf niemand und so biege ich erst mal in den Singletrail um den See ein. Ich finde ein wunderschönes Picknickplätzchen, Bank und Tisch, rundherum gemäht, aber in Sichtweise von einer Bungalow-Siedlung. Hier möchte ich bleiben.
Ob mich da wohl jemand aus der Siedlung wegschickt? Nebenan gibt es schließlich einen Campingplatz. Misstrauisch äuge ich immer wieder zu den Häuschen in erster Reihe, alles ruhig. Ich esse zunächst mal meine Gurke mit Tomaten und Feta, alias griechischen Salat. Bei Sonnenuntergang fange ich an mein Zeltchen aufzubauen, fixiere es zwischen Bank und Zaun, da ein kräftiger Wind aufgefrischt hat. Niemand beschwert sich. Dann „Gute Nacht!“
Tag 11, Mittwoch, 12. Juli 162 km/ 670 m/ 8:50
Uhr-Weckruf recht früh wieder, denn ich will nicht zu spät in Kap Arkona ankommen. Ich habe bisher nur bis ans Ziel gedacht, was dann kommt – keine Ahnung. Aber besser dann nicht zu spät dort zu sein. Der Wind war noch etwas stärker geworden. Ich habe mit Zelt, Schlafsack und Matte zu kämpfen, die der Wind an sich reißen will. Der Himmel ist bleiern. Ich esse was und breche auf. Singletrail weiter um den See. Mehr schieben als fahren. Am Hafen vorbei und am Campingplatz. Dann höre ich es grollen in der Ferne. Die erste Fähre würde erst in 4 Stunden fahren, so bin ich wohl zur Ausweichstrecke gezwungen. Die ersten Tropfen. In Aalbude rette mich in ein Bushäuschen aus Blech. Da fängt es auch schon an. Weltuntergangsstimmung. Blitze aus allen Richtungen, es fängt an wie aus Kübeln zu schütten. Etwas mulmig ist mir schon zumute, ob das Häuschen wohl im Ernstfall wie ein Faradayscher Käfig wäre, es ist ja schließlich nicht rundum geschlossen. Jetzt sitze ich hier fest. Wann ich wohl in Kap Arkona ankommen würde, ist fraglich, ob ich dann ein Zimmer finden würde, ist ebenso fraglich. Ich frühstücke erst mal meinen Milchreis. Welch ein Glück, dass ich so früh mein Zelt zusammengebaut hatte, etwas später und alles wäre durchnässt gewesen.
Das Regenradar zeigt, ich bin im Zentrum des Unwetters, aber in etwa einer Stunde wird alles vorbei sein. Als es aufhört zu blitzen, radle ich weiter. Regenjacke und – hose sind in Kürze klatschnass. Die Ausweichstrecke hat auch was Gutes, viel läuft auf Teer und in Demmin komme ich an der Tankstelle in den Genuss von Latte Macchiato (mit zwei Zucker) und einem Croissant. Weiter ein kurzes Stück Waldweg, das Rad ist in Kürze verdreckt. In einem Garten sehe ich einen Mann graben und frage, ob er einen Gartenschlauch habe, wo ich mein Rad etwas reinigen könnte. Erst guckt er verständnislos, das hat er wohl noch nie erlebt. Dann dauert es nicht lange und ich muss wieder vom Radweg runter und über matschige Pfade. Schade, das Rad schaut wieder aus wie die Sau. Friedhofstopp und oberflächliche Reinigung. Weiter und wieder Matsch. Ich glaube, Reinigungsaktionen haben heute keinen Sinn.
Heute komme ich etwas rascher weiter als an den letzten Tagen. Zwischendurch wieder mal Kopfsteinpflaster und Sandpiste. Vor Stralsund kann ich aber kilometerlang einen Radweg entlangdüsen. Vor mir die hohe Brücke hinüber nach Rügen. Ich rätsele eine Weile, wie ich dort hinaufkommen sollte, Beschilderung gab es keine. Meine treue Garmin zeigt mir dann, dass ich nicht über die Rügenbrücke muss, sondern über den Rügendamm direkt vor meiner Nase. Auf Rügen meldet mein Vorderrad, dass ich wohl in irgendwas gefahren bin, es zischt Luft heraus, die Dichtmilch tut jedoch, was sie tun soll und es ist bald wieder Ruhe am Reifen.
Im ersten Dörfchen mein zweiter Friedhofstopp heute, der Himmel ist nun blau, die Aktion könnte Erfolg haben, wenn schon ich nicht mehr ganz sauber bin, so soll zumindest mein Gefährt nicht so ungepflegt über Rügen düsen. Ich hole mir eine Gießkanne, suche das Wasser, finde es am gegenüberliegenden Ende des Friedhofs, wie unpraktisch. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Dann meinen Picknickkorb ausgepackt. Hier ist es so friedlich und ruhig. Ein Senior gesellt sich zu mir, er ist auf Besuch bei seiner Frau. Nun ist es nicht mehr so ruhig, er erzählt mir seine gesamte Lebensgeschichte.
Weiter geht es. Die Wittower Fähre werde ich leicht erreichen. Der Wind treibt mich an der Küste entlang. Der Plattenweg rüttelt mich etwas durch. Auf einmal ein komisches Geräusch hinten. Ich bleibe stehen und richte meine Tailfin-Tasche hinten. Die Befestigung an der Sattelstütze ist etwas nach unten gerutscht und womöglich ist sie auf dem Reifen aufgesessen bei einem Holperer. Irgendwie kommt mir beim Weiterfahren vor, dass das Rad beim Lenken etwas „schwimmt“. Ich bleibe wieder stehen und greife nach dem Hinterreifen. Oh, da ist aber wenig Luft drin. Luftpumpe rausgepult. Irgendwie funktioniert da was nicht, auf jeden Fall zischt die Luft beim Pumpenschlauch raus und nicht rein in den Reifen. Oje! Ich fahre zurück, auf einer Bank saß ein Radfahrer-Paar aus Belgien. Mit geliehender Pumpe wird der Reifen schön prall, aber als wir noch etwas quatschen, ist der Reifen wie davor.
Anscheinend gibt es ein Loch das sich dehnt und das Luft entweichen lässt, bis der verkleinernde Druck wieder ausgleicht. Ich fahre weiter. Was soll ich aber tun, wenn die Luft ganz raus geht? Ich habe keine funktionsfähige Pumpe. Ich kann einen Schlauch einlegen, aber ob dann wieder jemand mit Pumpe vorbei kommt? Ob ich am Abend wohl in Kap Arkona ankommen werde? Glücklicherweise entweicht nicht mehr Luft aus dem Reifen, obwohl ich immer wieder argwöhnisch nach unten gucke. In Wiek mache ich einen Kaffee-Stopp. Latte Macchiato (mit zwei Zucker), Mohnkuchen, Erdbeer-Schnitte und Bienenstich. Ich hatte entdeckt, dass mein Smartphon fast leer ist und darf es im Geschäft anstecken, allerdings wollen sie in Kürze schließen. Dann weiter. Die Wittower Fähre ist nicht mehr weit, ich habe allerdings Gegenwind. Übergesetzt wird von der Süd- zur Nordseite der Insel und nun fehlen nur wenige Kilometer auf flowigem singletrailartigem Weg bis Kap Arkona. Dann stehe ich unter dem backsteinernen Leuchtturm. Etwas ratlos.
Eine lange Reise mit vielen Abenteuern ist vorbei. Es war eine Herausforderung sich ganz allein auf den Weg zu machen und ich bin dankbar, dass es keine technischen oder gesundheitlichen Probleme gab. Begeistert bin ich von den schönen einsamen Landschaften, die Deutschland zu bieten hat. Die unangenehmen Situationen habe ich längst vergessen.
Die Heimreise wird wohl die größere Challenge werden.
Mit oder nicht mit – das ist hier die Frage:
Mit 26 kg Rad und Gepäck hatte ich gefühlt sehr viel mit, bekleidungsmäßig habe ich alles gebraucht, auch die warmen Sachen. Ein paar Dinge könnte ich aber zuhause lassen …
Was ich alles umsonst mitgeschleppt habe:
Powerbank, die sich in Kürze selbst entleert
2x gefriergetrocknetes Mahl
Snickers, Twix, Riegel – nach den heißen Tagen nur noch seltsam geformte Häufchen
Bärenglocke, bimmelte verhalten in der Tasche rum
Bikini und Handtuch – in den Seen badete ich hüllenlos oder in Unterwäsche, bei der Hitze trocknet man schnell ohne Handtuch