Das Trans Balkan Race ist ein ABENTEUER über die Grenzen des Balkans hinweg. 1300 Kilometer mit dem Mountainbike durch die unberührte Natur von 11 Nationalparks – von Sežana (Slowenien) bis Risan im Golf von Kotor (Montenegro). Angekommen sind wieder mal nicht mal 50% der Starter, warum wohl … Genauere Infos hier: Trans Balkan Race … Daten & Fakten
Zuerst mein Video:
TAG 1 – 183 km/ 3800 Hm
Pünktlich um 8 Uhr geht es in Sežana in Slowenien nicht weit entfernt von Triest los – das Trans Balkan Race. Gleich zu anfangs zeigt sich, wer sein Zeug gut verpackt hat, über das ruppige steinige Terrain ´rollen schon nach weniger als einem Kilometer Flaschen, Riegel und Sonstiges. Einer hat Riesenglück, er steht da und klaubt die Fetzen seiner reflektierenden Hosentäger aus den Speichen. Das hätte ins Auge gehen können.
Nicht lange dauert es und eine Steinstufe bremst mich ab, mein Fuß schafft es nicht rechtzeitig aus dem Klickpedal und ein stacheliger Strauch fängt mich unsanft auf. Aua!
Zudem ist es heiß, „noch“ zeigt sich kein Wölkchen am Himmel. Stetig geht es aufwärts bis auf eine blumenübersäte Hochfläche, wunderschöne Aussicht inklusive. Der erste Brunnen, einer der wenigen auf unserer Fahrt nach Süden, ist sehr willkommen und wenig später gibt es Eis in einem Dörfchen unterwegs. Andrea und Gosia fahren vorbei. Etwas später kommt uns Gosia entgegen, Schrammen auf Armen und Beinen. Das Schaltwerk ist verbogen, leider bekommen wir das auch nicht repariert. Mit Tränen in den Augen hat sie vor auszusteigen. Es wird wieder unwegsam, noch ein paar Mal geht es Auf und Ab, zwar oft steil, aber meist nicht sehr viele Höhenmeter. Trotzdem läppert es sich zusammen, beim „Schlafengehen“ werden es bei 182 Kilometern fast 4000 Höhenmeter sein.
In Fužine sind wir zum Glück pünktlich zum Supermarkt-Stopp, denn auf den nächsten 150 km gibt es nichts. Dann stärken wir uns noch mit Suppe und Gnocchi im Restaurant. Ein Paar aus Südafrika quartiert sich hier ein, Neid, denn wir wollen noch weiter. Gosia, die trotzdem nachgekommen war, der aber in den steilen Aufstiegen der leichteste Gang fehlte, und Andrea fahren auch weiter. Da Wolken aufziehen, möchte Hermann zum Parkwächterhäuschen am Eingang des Velebit. Dort hätte man vielleicht ein Dach über dem Kopf.
Irgendwann wird es weglos, rundherum das Wummern unzähliger Windräder auf dem Bergkamm. Kein Wärterhaus in Sicht entschließen wir uns auf einer kleinen Wiese niederzulassen.
Mit etwas Angst verlasse ich den Weg, wir sind schließlich in der Minen-Warning-Zone und man sollte hier keinesfalls vom Weg runter. Ich schlafe mäßig bis garnicht, der Wind beutelt mein Mini-Zelt und der Lärm der riesigen Windräder um uns reißt mich immer wieder aus dem Schlaf. Die Ohrenstöpsel helfen nichts, denn mit einem „Plopp“ springen sie immer wieder aus meinen Ohren. Nach ein paar Stunden, gegen 5 Uhr machen wir uns wieder auf den Weg.
TAG 2 – 155 km/ 3000 Hm
Auf holprigen Wegen geht es weiter und immer wieder erhaschen wir Traumausblicke auf das türkisblaue Meer und die der Küste vorgelagerten Inseln. Dann müssen wir uns verabschieden von den Meer-Tiefblicken. Erst in Kotor, 9 Tage später, wird das Meer uns wieder begrüßen, hoffentlich!
Nun geht es waldig weiter. Irgendwann kommen wir nun auch am Parkwärter-Häuschen vorbei, bei dem wir je 5€ Eintritt zahlen müssen. Da hätten wir nachts aber noch ganz schön weit fahren müssen … Irgendwann überholt uns auch Gosia, die von ihrer abenteuerlichen Nachtunterkunft erzählt. Sie überholt uns, klar, sie ist ja ohne leichtesten Gang schneller. Am Ende des Tages werde ich das Gefühl haben, den ganzen Tag nur Wald, Wald und nochmal Wald gesehen zu haben.
Bären? Bis auf meinen kleinen weißen Teddy haben wir keine gesehen, zwei Teilnehmer aber hatten eine Bärenbegegnung. Wir sahen nur viel „Bärendreck“, ja genau, der sah ähnlich aus wie Lakritz, jetzt weiß ich auch, warum diese schwarzglänzende Süßigkeit bei uns „Bärendreck“ genannt wird. Den kurzen Abstecher zum höchsten Punkt, der Hütte Dom Zavižan, sparen wir uns. Dort soll es eh nur Cola und Bier geben.
Kurz vor Gospić, irgendwo werden wir über die kroatische grüne Grenze gerollt sein, gibt es einen Restaurant-Stopp und dann „überfallen“ wir auch noch einen Supermarkt im Ort und decken uns ein für die nächsten 180 Kilometer ohne Einkaufmöglichkeit.
Als wir aus dem Ort fahren, fängt es an zu regnen, zum Glück hört es bald wieder auf, der Untergrund jedoch zeigt uns, was wir in den nächsten Tagen noch zur Genüge haben würden: jede Menge Pfützen und Matsch. Wir wollen noch über den nächsten Hügel und uns einen Schlafplatz suchen. Dieser ist gefunden, Hermann tritt in einen Kuhfladen. Wir wähnen uns in der Einsamkeit, aber Motorgeräusche belehren uns eines anderen. Irgendein Karren fährt vorbei. Wenig später kommt er in der Gegenrichtung wieder vorbei, bleibt stehen, jemand kurbelt das Fenster runter und fragt in gebrochenem Englisch, was wir hier machen. Wir sollten vorsichtig sein, wegen des „big bear“. Was? Ein Bär? Ich frage nach. Da ertönt Gelächter von den hinteren Sitzen. Jemand ruft noch „Spaghetti!“, keine Ahnung, warum. Wollten die uns „veräppeln“? In meinem Zelt, eingemummelt in meinen Schlafsack versuche ich einzuschlafen. Immer wieder schrecke ich hoch. Was war das? Dauernd höre ich Geräusche.
TAG 3 – 122 km/ 2300 Hm
Irgendwann dämmert es, der Wecker geht ab und ich packe mein Zeug zusammen. Es ist nebelig, alles ist triefend nass.
Kurz darauf sitzen wir wieder auf unseren Bikes und schon kommen wir am ersten Bauernhaus vorbei. Ich kurve um einen schwarzen anscheinend friedlichen Hund herum. Hermann hinter mir ist plötzlich umzingelt von den fünf schwarzen Brüdern und Schwestern. Das Sprichwort sagt ja: „Den Letzten beißen die Hunde“. Hermann geht lieber ein Stück zu Fuß.
Noch das Gebell in den Ohren sehe ich vor mir einen älteren Bauern mit einem Schäferhund. Mit einem Stock wehrt das Herrchen den Hund von mir ab. Auf Sprache reagiert das Tier anscheinend nicht. Ich fahre langsam vorbei. Ich bin schon fast außer Sicht, da höre ich hinter mir Schreien – und den Schäferhund im Streckengalopp auf mich zuschießen. In einer hundertstel Sekunde treffe ich eine Entscheidung. Was hatte Bea geschrieben im Race-Manual? Ja nicht versuchen davonzufahren, Hunde sind immer schneller. Also lege ich eine Vollbremsung ein und schaue dem Vieh entgegen, grimmig. Der Hund macht dasselbe wie ich, aus Vollgas eine Vollbremsung. Ich muss fast lachen, denn das Tier rutscht auf dem glatten Teerboden aus und schlittert dahin – wie in einem Comic … Dann sucht er das Weite.
Ein paar Kilometer geht es nun durch landwirtschaftliches Grün. Auf dem holprigen Wiesenboden höre ich ein seltsames Geräusch, ein Klappern, irgendwo an meinem Rad. Das wird mich den ganzen Tag verfolgen und mir noch einiges Kopfzerbrechen bereiten. Dann und wann fahren wir an Radfahrern vorbei, die ihr Nachtequipment zusammenpacken. Und dann geht es wieder aufwärts. Bei Sonnenaufgang Steh-Frühstück mit Kefir und Brot. Michael gesellt sich zu uns, ihn werden wir noch öfters begegnen. Er ist mit einer Rohloff-Schaltung und Zahnriemen unterwegs.
Auch heute werden wir viel im Wald unterwegs sein. Immer wieder erinnert mich das Klappern bei jeder noch so kleinen Unebenheit, dass mich ein technisches Problem früher oder später ausbremsen würde. Zu schade! Pfützen und Matsch begleiten uns und irgendwann ist eine Radpflege fällig. Hermann schmiert die Ketten, dann versuchen wir nochmal rauszufinden, woher das Klappern kommt. Wir montieren die Taschen der Reihe nach ab und kommen drauf, dass die hintere Tasche das Geräusch verursacht. Falls sie unterwegs „den Geist aufgibt“, wo soll ich alle meine Sachen unterbringen? Könnte ich da noch weiter machen?
Irgendwann, ich werde schon langsam „stuff“ von dem ständigen Wald, treten wir aus dem undurchdringlichen Grün. Unter uns ein blühendes Tal. Auf Asphalt geht es ein paar Kilometer zur ersten Kontrollstelle. Hier können wir uns stärken mit Pasta. Ich dusche und wasche meine Sachen, bis zum Weiterfahren trocknet alles in der Sonne und der leichten Brise. Es ist recht nett mit den anderen etwas Erfahrungen auszutauschen, beispielsweise mit dem lustigen Dave, dem Engländer, der in Berlin lebt. Dieser, 28 Jahre alt, meint, er habe gerade mit seiner Freundin gesprochen und ihr erzählt wie toll er es findet, dass Frauen, wie Andrea und ich DAS HIER durchziehen. Was er damit wohl meint? Frauen in unserem Alter, also 50+ oder allgemein Frauen. Viele sind ja nicht mehr im Rennen, wie wir auf follow.me erkennen können. Ziemlich einige, auch viele Männer, haben schon den Shortcut der Küste entlang gewählt. Schade, denn jetzt geht es nach den Wald-Tagen so richtig spannend los. Aber so richtig …!!!
Gestärkt geht es weiter. Bald wird es trailig. Nicht selten muss ich absteigen und ein Stück schieben. Hier ist Dave voll in seinem Element, er ist schon mit einem Höllenzahn an uns vorbei. Ob das wohl gut geht?
Der erste Berg naht. Steil geht es hoch. Weiter vorn noch steiler, hier sehen wir Andrea schieben. In näherer Ferne ein Grollen. Mein Blick wandert nach oben. Kohlrabenschwarze Wolken haben sich zusammengeballt. Und wir sind hier im Anstieg auf eine Hochfläche. Mein Puls steigt, nicht nur wegen der Anstrengung. Oben geht es noch etwas auf und ab. Der Stress lässt meine Energien schwinden, denn es wird immer dunkler rund um uns. Und „Versteck“ ist keines in Sicht. Andrea ist schon aus unserem Sichtfeld verschwunden. Sie wird uns nachher erzählen, dass sie und Marco einen Unterschlupf gesucht hatten. Karsttrichter, so genannte Dolinen, hätten sich angeboten, aber davor wird gewarnt. Hermann meint, wir sollten irgendwas machen, bevor es so richtig losgehe. Bei einer Gruppe kleiner Bäumchen zieht er seinen Biwaksack heraus und wir quetschen uns beide hinein. Bei jedem Blitz zähle ich und rechne. Meine Angst weicht irgendwie einer Schicksalsergebenheit.
So richtig hart kommt es nicht, wir packen wieder. Nun beginnt es stärker zu regnen. Die Abfahrt auf einem sehr steilen steinigen Wanderweg fordert einiges von mir. Es ist rutschig wie Seife. Es dämmert schon, als wir im Tal wieder auf Asphalt fahren können. Einige Häuser bilden den Weiler Velika Popina. Etwas weiter kommen mir Dave und ein anderer Radfahrer entgegen. Nanu? Da es bei heranbrechender Dunkelheit und dem Regen nicht sinnvoll sei, den nächsten Berg anzugehen, hätten sie beschlossen zurück zu dem Haus zu fahren, in dem einige Kerle sich sicher nicht erst seit Kurzem eine feuchtfröhliche Feier lieferten. Durchnässt wie ich bin fahre ich mit. Unterwegs sehe ich eine Gestalt in einem Garten vor einem neuen Haus. Ich versuche in meinem gebrochenen Englisch unsere Lage zu erklären und frage, ob es im Ort nicht ein Hotel gäbe. Das Irrwitzige dieser Frage wird mir erst hinterher bewusst. Ein Hotel bei drei Häusern am Ende der Welt? Vielleicht war mein Hintergedanke, dass wir in seinem neuen Haus ein Plätzchen für unser Biwak bekommen könnten…
Nikola, so werden wir nicht lange später erfahren, denkt etwas nach, dann erhellt sich sein Gesicht und inzwischen bittet er uns in seine Küche zum Aufwärmen und Trocknen. Er führt ein Telefonat und teilt uns mit, seine Nachbarn vermieten hie und da ihr Häuschen. Sie sei Ärztin, er Polizist. Wir sollten bei ihm etwas warten, der Schlüssel würde uns gebracht. Was wir nicht wussten, der Nachbar fährt extra für uns von Zadar hierher, 100 Kilometer!!
Inzwischen werden wir von der Mutter Nikolas, alias Johnny, bewirtet mit türkischem Kaffee, wärmendem Pfefferminztee, Keksen und später zieht er eine Speckseite heraus und leckeres Brot aus der lokalen Bäckerei. Lange Zeit später liegen wir in unseren Betten, unser Zeug trocknet vor einem gemütlich knisternden Holzherd. Lange dauert die Nachtruhe jedoch nicht, denn wir wollen das regenfreie Fenster nutzen, um über den nächsten Berg zu kommen.
TAG 4 – 167 km/ 2400 Hm
Bei Dunkelheit geht es los. Zunächst rollen wir auf Teer weiter talauswärts, dann wird es wieder ernst. Auf Schotterpiste, dann unwegsamer auf einem Bergpfad rollen und schieben wir bergauf. Das Klappern an meinem Rad begleitet mich. Ob da irgendwas kaputt ist? Ob mein Rad irgendwnn auseinanderfällt? Auf dem Bobija-Pass erwartet uns ein herrlicher Sonnenaufgang. Die Landschaft ist grandios. Die Abfahrt erfordert viel Konzentration von mir, Organisatorin Bea schreibt von anspruchsvollen Singletracks. Vermutlich hätte ich so einen Weg zuhause zu Fuß zurückgelegt … aber die Zeit drängt. Schon fallen die ersten Regentropfen. In Kürze sind wir wieder völlig durchnässt. Bei Plavno gibt es einen kleinen Aufstieg, dann würden wir wohl gemütlich bis nach Knin rollen können. Was auf der Karte so harmlos ausgesehen hatte, entpuppt sich als ein schmaler Lehmpfad, der bei dem Regen nur noch eine Folge von Pfützen und Schlammweg ist. In Kürze sind wir nicht nur bis auf die Knochen nass, sondern auch von unten bis oben verdreckt. Als wir in Knin einrollen, ist mein Willen das erste Mal gebrochen.
Es gießt in Strömen, ich friere erbärmlich. Was tun? Wir beschließen zunächst mal in einem Hotel einzuchecken. Die Räder, völlig verdreckt, lassen wir draußen stehen, Schloss haben wir vergessen, aber wer nimmt schon ein so schmutziges Rad? Ich fringe unsere Sachen aus, wickele sie in Frotteehandtücher in der Hoffnung, dass sie trocknen. Barfuß gehe ich zum Frühstück, das wir ausgehungert wie wir sind sehr ausgiebig umsetzen. Andrea gesellt sich zu uns. Von Gosia hören wir, dass sie im Auto sitzt auf dem Weg zu einem Mechaniker. In der Nacht war ihr Schaltwerk abgebrochen, sie hatte verzweifelt an einer Haustür geläutet und Hilfe bekommen. Etwas später ist sie zurück im Rennen.
Gegen Mittag klart es auf. Wir brechen voll motiviert sofort auf. Inzwischen hatte eine Eingebung auch dazu geführt, dass ich mein Problem Tailfin-Tasche lösen konnte: In der Tasche gibt es ein Metall-Gestell, mit dem die Tasche am Karbon-Rahmen festgemacht ist. Dieses Gestell hatte eine Gummi-Ummantelung, die ich aber, um Gewicht zu sparen, zuhause abgemacht hatte. Bei diesem Gerüttel hatte irgendwas gegen das Metall geschlagen. Das Problem, das meine Nerven zeitweise fast blank liegen ließ, war also „hausgemacht“ gewesen. Neu gepackt und gut war es.
Es geht nun vorbei am Krčić Wasserfall und dann durch die Schlucht entlang dem gleichnamigen Fluss. Angekommen auf der Anhöhe des Dinara Naturparks beginnt es wieder zu regnen. Hermann war vor mir querfeldein zu einer Bauruine gefahren. Als ich auch dort bin, wird mir ganz heiß vor Entsetzen. Wir sind hier wieder in einer Warning-Zone und sollten den Weg keinesfalls verlassen.
Ängstlich rolle ich auf einer Traktorspur wieder zum Weg zurück. Wir kommen an mehreren Schaf- und Ziegenherden vorbei, alle bewacht von Hirtenhunden. Vorsichtshalber steige ich immer wieder ab. Die Hunde kommen meist neugierig heran, friedlich mit dem Schwanz wedelnd. Schlechte Erfahrung haben wir keine gemacht auf der gesamten Fahrt, aber ein bisschen „Schiss“ war immer dabei, wenn ich in der Ferne Hunde sah. Absteigen und ein Stück zu Fuß vorbei, es geht bei uns ja nicht um irgendeine Platzierung. Unser Ziel ist es vor der Finisher-Party anzukommen. Apropos Hunde … streunende Hunde … habe ein Fläschchen Pfefferspray dabei, zum Einsatz wird es zwar nicht kommen, aber es wird mir schlussendlich einiges an Kopfzerbrechen bereiten. (*Pfefferspray – siehe unten)
Im Nachhinein habe ich entdeckt, dass wir nicht weit entfernt waren vom mystischen „Drachenauge“, der Quelle des Glavaš, der den Cetina-Fluss speist.
Es gibt eine Umleitung wegen Weg-Sperrung. Zuvor aber wird mein Wille fast wieder gebrochen: Die Streckenführung leitet uns über eine Wiese, eine überflutete. In knöcheltiefem Wasser schaffe ich es grad noch auf dem Rad zu bleiben. Dann irgendwann muss ich absteigen. Zurück? Das lohnt sich nicht mehr, also weiter. Ein kleines Rinnsal ist zu durchqueren. Es bringt eh nichts die nassen Schuhe auszuziehen, also beschuht durchwaten. Dann haben wir wieder festen Boden unter den Füßen. Vor einem Haus reinigen wir uns notdürftig und leeren die Schuhe aus. Ein Wasserhahn bringt mich auf die Idee mein Rad etwas zu putzen, ein Funktionstuch tut gute Dienste bei Körper und Rad. Wir werden beobachtet.
Zwei Frauen laden uns abgerissene Typen zum Kaffe ein. Wir radebrechen mit Händen und Füßen, auch der Translator kommt zum Einsatz. Was wir erzählen erscheint den Bauersfrauen unvorstellbar. Wieder on the road, müssen wir den Stausee Perućko jezero nun auf der Ostseite umfahren, auf einer stärker befahrener Hauptstraße. Die schnell heranbrausenden LKWs machen mir Angst und erinnern mich an meine unguten Erlebnisse beim Northcape4000. Nach einem Kaffee-Stopp mit „Rohloff“-Michael ist es nicht mehr weit, bis wir die nächste Steigung erreichen sollten und die Grenze zu Bosnien Herzegowina. Zuvor sollte es aber noch eine etwa sechs Kilometer lange Abfahrt offroad geben. Fein!
Das Wohlgefühl sollte mir aber bald vergehen. Die Abzweigung führt auf einem vom Regen aufgeweichtem Weg, durch unzählige Pfützen und durch viele Rinderklauen noch matschiger als sonst. Unzählige Male absteigen und vorbei schieben hilft nichts, der Untergrund wickelt sich auf die Reifen und blockiert den gesamten Antrieb. Zäher Schlamm umschließt auch die Kette. Unvermittelt ist meine Motivation weg. Als ich zu Michael und Hermann aufschließe seuftze ich: „Mein Willen ist gebrochen …!“
Dieses Gefühl kommt hier nicht das erste und nicht das letzte Mal auf. Hermann pult den zähen Matsch mit seiner Zahnbürste aus den Kettengliedern. Ich hingegen hocke mich neben eine rotbraune undurchsichtige Pfütze und schöpfe mit meiner Hand unermüdlich Wasser über die Kette und hoffe auch das letzte Sandkörnchen rauszubekommen. Rahmen und alles andere sind nur ästhetische Aspekte und mir in dem Moment egal. Irgendwann, die Sonne ist schon beim Untergehen haben wir die Serpentinen-Pass-Straße auf den Vaganj-Pass erreicht. Unser Plan heute noch Šuica zu erreichen hat sich vollends zerschlagen. Wir rollen vom höchsten Punkt, nachdem wir den Grenzposten zu Bosnien Herzegowina überschritten haben, hinunter nach Livno. Hermann sucht unterwegs auf Booking ein Hotel. Mit dem Wissen, bald in die Federn sinken zu können, sind auch noch die letzten Kilometer eine Herausforderung. Die Augen wollen jetzt schon zufallen. Nachdem wir noch eine Weile durch Livno geirrt sind, haben wir die Unterkunft gefunden. Ich kann mein Rad noch etwas abspritzen und vom Gröbsten reinigen, dann wartet auch auf mich die heiße Dusche. Unbeschreiblich!
TAG 5 – 160 km/ 2700 Hm
Früh geht es wieder los, es dämmert. Ein paar streunende Hunde schimpfen und schon geht es wieder offroad weiter. Und nun werde ich im wahrsten Sinne des Wortes wachgerüttelt. Eine übler Kopfsteinpflaster-Weg, zudem noch nass vom letzten Regenguss, führt auf das Cincar-Hochplateau. Mein Willen wird auch hier auf eine harte Probe gestellt. Einmal oben auf der weitläufigen Hochebene ist es nur noch zauberhaft. Hier sollen zudem die letzten echten Wildpferde Europas leben, rund 800 Tiere. Ich schaue sehnsüchtig nach links und rechts. Ob uns wohl das Glück hold sein wird? Und dann sind sie da. In der Ferne sehe ich das erste Grüppchen. Etwas weiter galoppiert eine kleine Herde daher. Die Rösser nähern sich sogar vorsichtig und etwas misstrauisch, aber neugierig.
Gosia schließt auf. Sie erzählt uns ihr Erlebnis vor Knin und von ihren Ängsten nicht durchzukommen, denn sie muss ihren Flug am Samstag erreichen. Es wird eine Zitterpartie werden bei ihr. Aber sie schafft es mit einer durchfahrenen Nacht im schwierigsten Abschnitt des Rennens. Genial, was Gosia gemeistert hat. Unsere Hochachtung!!
Dann Abfahrt nach Šuica. Die letzen Meter durch eine überflutete Wiese, wieder mal. Aber dann sind alle Strapazen vergessen: Es gibt köstlichsten Kaffee und Kuchen in der an den Supermarkt angegrenzenden Bar. Und dann füllen wir unsere Vorräte auf. Bis Mostar soll es über 120 Kilometer nichts geben. Ich lerne, dass man eine Mineralwasserflasche nicht zwischen die Knie klemmen sollte, während man sie öffnet. Das Ergebnis ist nämlich, dass die Hälfte des kostbaren Nass explosionsartig das Weite sucht. Für meinen Trinkrucksack ist nur noch etwa ein halber Liter übrig. Ob ich damit über die Berge komme? Ich will nicht nochmal Schlange stehen im Supermarkt. Zum Glück ist es nicht so heiß und der nächste Regenguss lässt nicht lange auf sich warten.
Nach einer Teerpassage geht es wieder ins Gelände. Mit Entsetzen betrachte ich die Szene, die sich uns bei der Abzweigung bietet. Ein Müllplatz. Rundherum notdürftig zusammengezimmerte Holzbaracken, rundherum Abfälle. Gibt es wirklich Menschen, die hier leben? Neben dem riesigen Müllhaufen mehrere geparkte Autos und auf dem Abfall ein Dutzend Leute, die die Wohlstands-Überreste durchforsten. Auch das gibt es noch in Europa. Die nächsten 50 Kilometer fahren wir durch die sogenannte Danger-Zone. Hier darf man auf keinen Fall vom Weg abweichen. Das Gebiet soll auch über 25 Jahre nach dem letzten Krieg noch vermint sein. Das Gebiet ist hügelig, trocken und karstig, abgesehen vom Regen. Sehr steile kurze Anstiege zwingen mich immer wieder vom Rad. Wir kommen nur sehr langsam weiter. Mit Entsetzen entdecke ich, dass ich vergessen hatte meinen Tracker am Morgen anzuschalten. Das hole ich nun nach fast 80 Kilometern schleunigst nach. Da wird Bea wohl meinen, dass ich im Hubschrauber hierhergeflogen bin. Grins. Dann im Blindinje Naturpark werden die Wege wieder besser. Wir treffen auf Christoph, der anfangs schnell unterwegs war, der aber Sitzprobleme bekommen hatte. Wir versorgen ihn mit Cremen und werden ihn in Mostar wieder treffen.
Nach dem Blindinje-See holt uns Gosia ein, sie hatte irgendwo einen verlängerten Powernap abgehalten. Ab Mostar werden wir sie nicht mehr treffen. Wir lernen Niko aus den USA kennen, der seit Monaten mit seinem Rad und Fotoapparat unterwegs ist, zuerst durch Marocco, dann der italienischen Küste entlang und kreuzt er immer wieder die TBR-Strecke. Wir werden in Risan zufällig wieder treffen und in unserem Apartment bewirten dürfen.
Nach einem steileren unwegsamen Anstieg geht es hügelig recht flott dahin. Die folgende schlottrige Abfahrt scheint kein Ende zu nehmen. Ich wundere mich immer wieder, was so ein MTB aushält. Tagelang durchgerüttelt auf schlechten Wegen wird mein Bike es pannenfrei bis ins Ziel schaffen. Ein Wunder! Dann aber erreichen wir die sehnsüchtig erwartete Asphaltstraße raus nach Mostar.
Nach dem obligatorischen Foto des Wahrzeichens, der Stari Most, der „alten Brücke“ über die Neretva versuchen wir eine Unterkunft zu finden. Wir fahren wieder zurück, wo ich ein ansprechendes Hotel gesehen hatte. Als wir schlussendlich, mit Christian, der sich zu uns gesellt hatte, im Hotel Patria eingecheckt haben, sind die Supermärkte geschlossen. Na bravo! Wir gehen zu dritt im nahe gelegenen Restoran Malo Misto, sagenhaft gut essen. Nach 4 Tagen schmeckt die Lamm-Pfanne mit Gnocchi unvergleichlich gut. Auch wenn ein Zahn, der sich schon seit Tagen leicht bemerkbar gemacht hatte, immer mehr schmerzt. In einer Tankstelle füllen wir noch unsere Reserven und dann geht es ab ins Bett.
TAG 6 – 112 km/ 2500 Hm
Als der Wecker früh klingelt, hatte ich schon einige Zeit wach gelegen. Der Zahn pocht. Ich überlege, ob es nicht sinnvoll sei, hier in Mostar zum Zahnarzt zu gehen. In den nächsten Tagen würden wir kaum mehr in einen größeren Ort kommen. Vor sieben konnte ich mit meinem Zahnarzt zuhause sprechen, Schmerzmittel und weiter. Abgesehen, dass das Brufen am ersten Tag nicht wirkte, ist das Gefühl nicht das beste mich so auf den Weg zu machen. War das ein Grund zum Abbrechen?
Nach einem sehr guten Frühstück starten wir erst nach 8 Uhr. Es ist noch wolkenlos und die Hitze auf dem sehr steilen Anstieg von teils über 18% Steigung ist schweißtreibend. Im Supermarkt in Nevesinje treffen wir auf Marco und Christoph. Nun heißt es ordentlich „Bunkern“, denn die nächsten 130 Kilometer sind wieder Einöde in Bezug auf Einkaufen. Pfützen und Matsch verfolgen uns, von oben verschont uns das Nass, zumindest gerade noch, aber am Horizont braut sich schon wieder was zusammen. Es geht auf und ab, immer wieder auch durch landwirtschaftliche Gegenden.
Ein kleiner Anstieg steht an. Vor mir mitten auf dem Weg steht ein mittelalter Mann mit weit ausgebreiteten Armen. Ich komme nicht vorbei und steige ab, werde umarmt. Der Mann scheint ein kindliches Gemüt zu haben, er spricht nicht, greift nach meinem dreckverkrusteten Maskottchen, das an der Oberrohrtasche hängt, einem kleinen ehemals weißen Bären, deutet auf den Teddy, dann auf sich. Immer wieder. Dann entreißt er mir den Lenker und beginnt mein Rad bergauf zu schieben. Oben angelangt wieder dieselbe Geste zum Bären und auf sich. Aha, er meint, er habe sich das kleine Stofftier mit dem Schieben verdient. Ich will mich aber keinesfalls trennen von meinem Teddy, der schon so viele Abenteuer mit mir durchgestanden hat. Ich versuche es mit einem Ersatz und biete dem ältlichen Jungen eine angebissene Waffel an. Die möchte er aber nicht. Sanft nehme ich ihm den Lenker ab und möchte aufsitzen. Da breitet er wieder die Arme aus, zieht mich an sich und drückt mir einen dicken kratzigen Kuss auf die Wange. Zumindest duftet der Pulli frisch gewaschen. Dann bin ich frei. Andrea wird mir später erzählen, dass sie dasselbe Erlebnis hatte mit diesem freundlichen mittelalten Buben.
Abfahrt nach Ulog. Hier gibt es laut POI-Liste etwas. Ja, eine Bar. Ich brauche eigentlich nichts und einen Kaffee gibt es leider nicht. Also weiter. Alles ist nass, Pfützen säumen unseren Weg. Es hatte vermutlich kurz vorher stärker geregnet. Es geht bergauf und dann eben am Berghang entlang. Wir wollen noch über den nächsten mittelhohen Mugel, das Höhenprofil verspricht nichts Gutes. Kurz aber knackig könnte man sagen. Wieder mal wirft mich mein Karbonross ab, ich bleibe mit meinen Schuhen im Klickpedal hängen und hole mir einen schönen blauen Fleck am Oberschenkel.
Und kurz darauf beginnt es zu tröpfeln. Wir schaffen es gerade noch hinunter, ich hatte in der Dämmerung im Wald ein Minarett gesehen und nebenan eine Art Stadel mit Erdboden. Da es nun so richtig anfängt zu schütten und zu blitzen und zu donnern beschließen wir es hier schon früh gut sein zu lassen. Dass irgendjemand in die Ecke gek* hat, tut unserer Erleichterung keinen Abbruch. Wir rühren uns aus Wasser und gefriergetrocknetem Suppenpulver je eine Mahlzeit an und dann verschwinde ich müde in meinem Zelt und Hermann in seinem Biwaksack. Dass sich bald Marco einfindet und fragt, ob er sich dazu legen darf, bekomme ich nur noch im Halbschlaf mit und etwas dass er einen Schaltkabel-Riss hatte und hier das Rennen beenden will. Dass Andrea sich auch noch dazu legt, merke ich nicht.
TAG 7 – 152 km/ 3100 Hm
Schon um halb zwei wollen wir los. Es tut mir leid, dass unser Zusammenpacken nicht lautlos ist, aber die beiden lassen sich nicht stören. Unser Weiterweg auf den Orlovačko-Pass führt über 1000 Höhenmeter auf einer ziemlich ruckeligen Art Forstweg. Hermann hatte auf seinem Navi entdeckt, dass unser Weg bald in die R-434 einmünden würde, einer Regionalstraße? Toll, dann hat das unrhythmische Fahren wohl bald ein Ende. Denkste! Der Belag wird noch schlechter. Ich fahre so langsam, dass mich bei Morgendämmerung die Mücken anfangen zu piesacken. Endlich auf dem Pass wird es schlammig. Und dieser Matsch wickelt sich in der Abfahrt wieder mal um die Räder. Dann geht es auf langer Abfahrt durch Wald, Wald und nochmal Wald. Da hier die Sonne kaum durch die Zweige kommt, ist es dementsprechend matschig und wir müssen durch viele Pfützen. Irgendwann holt uns die Müdigkeit ein und wir wählen ein paar frisch geschlagene Baumstämme für einen Powernap. 15 Minuten müssen reichen. Bei der Weiterfahrt entdecken wir, dass 100 m weiter ein netter überdachter Picknickplatz sicher gemütlicher gewesen wäre für unser Schläfchen. Irgendwann haben wir es bis nach Miljevina geschafft. Ein kleines Restoran an der Straße lädt ein und hier steht auch schon das Rad von Christoph. Leider gibt es keine guten Nachrichten, er sei in der Nacht bei der Abfahrt gestürzt, hat sich die Hände aufgeschlagen und alle seine Kontaktflächen mit dem Rad seien nun lädiert. Er werde den Bus nach Risan nehmen. Wir gönnen uns einige Kaffees und ein leckeres Omlett (das Atlas Mountain Race lässt grüßen), dann sind wir wieder auf Achse.
Wir müssen noch auf einen Berg im Sutjeska-Nationalpark, eine wunderschöne Hochfläche, dann noch eine Abfahrt und wir sind beim zweiten Kontrollpunkt, dem CP2 in Popov Most. Irgendwann am Nachmittag sind nur noch 7 kleine Anstiege zu bewältigen und dann geht es nur noch runter. In Bosnien fahren alle Leute VW Golf 2, meist „einäugig“ und rundum verrostet. Autopflege wird ganz rudimentär betrieben mit manchmal wahnwitzigen Aufbock-Methoden …
In Popov Most gibt es Karboloading in Form von Pasta, selbst gebrauten Holundersaft, eine nötige Dusche und Bike-Wäsche. Meine Radkluft kann ich waschen, diese trocknet sogar fast ganz in der Sonne.
Dann fahren wir weiter nach Brod, kaufen dort noch was ein, denn wie üblich folgen dann wieder über 100 Kilometer ohne Versorgungsmöglichkeit. Wo aber schlafen? Zu hoch oben ist es zu kalt. Primož hatte uns beim CP2 gesagt nach dem River Tara sein nichts mehr. Am Weg liegen unzählige Rafting-Camps und so mieten wir uns auch so eine urige Holzhütte im Rafting kamp Rajska Rijeka. Ausgezeichnete Idee!
TAG 8 – 152 km/ 3900 Hm
Am Morgen starten wir erst bei Dämmerung. Nicht weit ist es bis zur montenegrinischen Grenze. Was uns heute erwartet ist etwas vom Schönsten der gesamten Fahrt. Nach einem langen Anstieg geht es hügelig vorbei an Poljen, rasant über Hügelkämme und dann hinein in den Durmitor Nationalpark. Beim Anstieg auf den Sedlo-Pass schwirrt eine Drohne über unseren Köpfen, ich muss Hermann „zurückpfeifen“, denn es geht gar nicht, dass wir nicht als Team auf dem Video sind. In dem Zusammenhang darf ich erwähnen, dass Hermann ohne mich sicher einen Tag schneller gewesen wäre, immer wieder wartete er geduldig, bis sein Anhängsel nachkam, sei es in Steigungen als auch in holprigen technischeren Abfahrten. Er hat so viel Zeit zu essen, ich leider nicht, denn kaum komme ich an, geht es schon wieder weiter … Wir treffen Bea und Luca, die extra auf uns gewartet hatten auf dem Pass und die wir auf die Probe gestellt hatte, da wir kurz vorher noch eine kleine Esspause eingelegt hatten. Nach dem ersten Anstieg heute geht es auf Asphalt abwärts. An einer Stelle wird die Straße neu geteert, Hermann fährt am Straßenrand in irgendeinen spitzen Gegenstand. Die Dichtmilch im Reifen tut zwar ihren Dienst aber in den nächsten Tagen muss Hermann einige Male Luft nachpumpen. Das war aber auch unser einziges technisches Problem auf dieser Fahrt.
Nach dem Sedlo-Pass mit seinen Traumblicken auf die Durmitor-Berge folgt eine endlich mal rasante Abfahrt nach Žabljak. Hier legen wir einen ordentlichen Stopp ein, kaufen ein und rüsten uns mit montenegrischen Touristen-SIM-Karten aus. Ich verstehe wohl von technischen Dingen reichlich wenig, denn ich ärgerte mich mit der neuen SIM herum, nur um einen Tag später festzustellen, diese Karte funktionierte sehr wohl, ich hatte nur vergessen die „mobilen Daten“ anzuschalten, die ich in Bosnien deaktiviert hatte. Blödheit pur!
Was nun kommt, wird im Race Manual als anspruchsvoll hügelig beschrieben. Es geht über 60 Kilometer über eine Hochfläche. Keine Menschenseele weit und breit. Den Draht, der über den Weg gespannt war und der uns auf WhatsApp angekündigt worden war sah ich nur, weil Hermann mich darauf aufmerksam machte. Könnte böse ausgehen. Ich hatte ihn schon abgehakt, da er sich etwas später als erwartet in den Weg spannte … Über die üppig blühenden Almwiesen kann ich mich nicht so freuen, nicht nur wegen zahlloser Schiebepassagen, sondern wegen der aufziehenden dicken schwarzen Wolken. In der Dämmerung passieren wir einige Schafherden und Almhütten, bewacht von kläffenden Hunden.
Als es dann so richtig steil hinunter geht Richtung Kolašin, fing es stark an zu regnen. In kurzer Zeit sind wir völlig durchnässt, die steile Schotterpiste würde schon im trockenen Zustand eine Herausforderung für mich sein, so nass stelle ich mich noch ungeschickter an. Hermann wird leicht ungeduldig. Ein erstes Haus am Wegesrand, rundum beleuchtet. Wir klopfen an. Keine Reaktion. Die Tür ist zwar nicht versperrt, aber hinein trauen wir uns doch nicht. Zumindest sind wir unter dem Dach vor dem Regen geschützt. Aber es ist kalt. Was tun? Hermann schaut im Internet nach Hotels aus. Es gibt ein Sheraton, aber ob die uns in unserem abgerissenen Zustand überhaupt einlassen? Wir müssen die Strecke verlassen, um in die Kleinstadt zu gelangen. Unterwegs fällt mir ein beleuchtetes Haus auf mit einem Schild „rooms“. Es geht auf Mitternacht zu und wir läuten einfach. Ein Mädchen öffnet. Kein Problem, wir können ein Zimmer haben. Auch die völlig verdreckten Fahrräder dürfen wir einfach reinstellen in den Aufenthaltsraum. Ein heißes Bad weckt meine Lebensgeister, die ich aber sofort in einen tiefen traumlosen Schlaf schicke.
TAG 9 – 97 km/ 2400 Hm
Nicht ganz so früh wie sonst verlassen wir diese ein wenig heruntergekommene Herberge. Unsere Tracker leuchten beide nicht mehr grün, ein rotes Licht kündigt an, dass die Batterien fast leer sind. Aber hilft nichts, hier bekommen wir keinen Nachschub und die Reservebatterien hatte Hermann schon eingelegt, seit der GBDuro waren sie in der Schublage gelegen und wohl nicht mehr ganz taufrisch.
War der Tag vorher schon eine etwas größere Herausforderung, so steigert sich das heute noch: Beschrieben sei der Streckenabschnitt mit „anspruchsvolle Anstiege, Bergpfade, auch technisch …“ Landschaftlich grandios, trotzdem bedeutete es nochmal alles zu geben. Immer wieder gibt es technische Abfahrten und die Anstiege sind oft so steil, dass ich jetzt nach diesen herausfordernden Tagen absteigen muss und mein 30-Kilo-Bike schieben muss.
Zudem drohen immer wieder schwarze Wolkenhaufen und fernes Donnergrollen. Der Stress macht mir zu schaffen. Die Ausblicke sind aber traumhaft und so werde ich immer wieder abgelenkt von den Strapazen und dem Vorgehen am Himmel. Irgendwann geht es dann nur noch abwärts Richtung Nikšić. Allerdings auf einem verblockten Kalksteinpfad, der nochmal alles fordert.
Im Supermarkt schleunigst neue Batterien gekauft und etwas Proviant, dann machen wir uns auf den Weg ins Hotel, das wir unterwegs ausgemacht hatten. Es wäre zwar ein Leichtes gewesen die etwa 70 Kilometer weiterzufahren und gegen Mitternacht im Ziel in Risan anzukommen. Ein gemütliches Bett, zuerst noch Pizza und griechischen Salat ist auch sehr verlockend.
TAG 10 – 71 km/ 800 Hm
Sogar ein Lunchpaket gibt es im Hotel Jugoslavia, das wir vor Abfahrt noch verdrücken, dann geht es los. Heute gibt es nur noch Asphalt und schöne Landschaften. Die Hauptstraße ist so früh noch verkehrsarm und dreimal geht es ab und über die Berge, um dann wieder auf dieselbe Straße zu münden. Auf einer Nebenstraße, wahrscheinlich der alte Straße nach Risan, rollen wir dann zuletzt abwärts. Und auf einmal liegt er glitzernd unter uns: der Golf von Kotor.
Die Idee diesen letzten Abschnitt heute noch zu fahren war goldrichtig, wir hätten uns sonst um das Erlebnis gebracht über die Serpentinenstraße ins Ziel zu rollen mit Traumausblicken auf das tiefblaue Meer. In Risan werden wir schon mit super guter Pasta erwartet. Eine lange nicht immer leichte Reise über den Balkan ist leider zuende.
Dankbar sind wir, Hermann und ich, das zusammen erleben zu können und dass wir sei es von gesundheitlichen als auch technischen Problemen verschont worden waren. Danke, Hermann, für die Geduld, wenn du nach Anstiegen und nach technischen Abfahrten warten musstest …
Einen großen Dank an Bea und Luca und an alle freiwilligen Helfer*innen, die alles getan haben, um uns ein unvergessliches Erlebnis zu verschaffen. An alle, die aus welchen Gründen auch immer die Rennstrecke verlassen haben, möchte ich ermutigen, es noch einmal anzugehen. Die wirklich schönsten Gegenden, aber auch die herausforderndsten Abschnitte sind im dritten Drittel angesiedelt. Alle Achtung vor der Leistung der Sieger, die das Rennen in nicht mal 5 Tagen abgeschlossen haben.
Davon abgesehen, dass ich sicher nicht viel schneller fahren konnte, Zeit wäre sicher bei uns eine Menge einzusparen gewesen, vielleicht tat das übrige auch das Wetter. Das aber interessiert mich nicht, denn es hätte uns um einiges an Erlebnissen gebracht. Und mein Ziel, vor der Finisher-Party anzukommen hat sich mehr als erfüllt.
Anhang:
*Pfefferspray: Zum Einsatz kam es nicht, aber was sollte ich bloß tun damit? Auf dem Flug ist das in der Radbox nicht erlaubt und schon gar nicht im Handgepäck. Was soll ich nun damit tun? In Italien fällt es unter das Waffengesetz und es kann womöglich ganz schön teuer werden und zu weiteren Komplikationen führen, falls es bei mir entdeckt würde. In die Radbox? Womöglich bleibt mein Rad dann in Montenegro … Schade drum, hat 25€ gekostet und ich würde es gerne bei meinem Bikepacking Trans Germany mitnehmen. Eines nachkaufen? Gibt es nicht in Südtirol. Ich habe die geniale Idee, das Spray von Montenegro in einem Brief nach Hause zu schicken. Ich wickle es ein, klebe zu, auf der Post muss ich das Ding jedoch auspacken, die Angestellte reicht das Fläschchen fragenden Blickes ihrer Kollegin … Oje, jetzt gibt es wohl Probleme. Aber nein, ich bekomme ein Kuvert, kann das Fläschchen einpacken, Adresse und Briefmarken drauf und es entschwindet meinen Blicken. Zufrieden ziehe ich von dannen … Unser Sohn wird mein Gedankengetriebe wieder in Gang setzen: „Mami, wenn die da drauf kommen, dann gibt es Probleme. Kann 300 Euro und mehr kosten und du begehst eine Gesetzesübertretung …!“ Au weh! Jetzt kann ich es auch nicht mehr rückgängig machen. War das falsche Sparsamkeit? Nein, ich wollte es unbedingt zurück für mein nächstes Abenteuer, damit ich mich nachts allein im Zelt sicherer fühlen kann …
Wie das dann ausging? Nach einer Woche steckte das Kuvert unbeschadet im Briefkasten. Glück gehabt …!