Frau + Karbon = Randonneur(in) - aber nicht nur ...

Autor: Gabi Winck (Seite 2 von 17)

80% ist mental - der Rest ist Kopfsache

Trans Balkan Race 2023

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Das Trans Balkan Race ist ein ABENTEUER über die Grenzen des Balkans hinweg. 1300 Kilometer mit dem Mountainbike durch die unberührte Natur von 11 Nationalparks – von Sežana (Slowenien) bis Risan im Golf von Kotor (Montenegro). Angekommen sind wieder mal nicht mal 50% der Starter, warum wohl … Genauere Infos hier: Trans Balkan Race … Daten & Fakten

Zuerst mein Video:

TAG 1 – 183 km/ 3800 Hm

Pünktlich um 8 Uhr geht es in Sežana in Slowenien nicht weit entfernt von Triest los – das Trans Balkan Race. Gleich zu anfangs zeigt sich, wer sein Zeug gut verpackt hat, über das ruppige steinige Terrain ´rollen schon nach weniger als einem Kilometer Flaschen, Riegel und Sonstiges. Einer hat Riesenglück, er steht da und klaubt die Fetzen seiner reflektierenden Hosentäger aus den Speichen. Das hätte ins Auge gehen können.

Nicht lange dauert es und eine Steinstufe bremst mich ab, mein Fuß schafft es nicht rechtzeitig aus dem Klickpedal und ein stacheliger Strauch fängt mich unsanft auf. Aua!

Zudem ist es heiß, „noch“ zeigt sich kein Wölkchen am Himmel. Stetig geht es aufwärts bis auf eine blumenübersäte Hochfläche, wunderschöne Aussicht inklusive. Der erste Brunnen, einer der wenigen auf unserer Fahrt nach Süden, ist sehr willkommen und wenig später gibt es Eis in einem Dörfchen unterwegs. Andrea und Gosia fahren vorbei. Etwas später kommt uns Gosia entgegen, Schrammen auf Armen und Beinen. Das Schaltwerk ist verbogen, leider bekommen wir das auch nicht repariert. Mit Tränen in den Augen hat sie vor auszusteigen. Es wird wieder unwegsam, noch ein paar Mal geht es Auf und Ab, zwar oft steil, aber meist nicht sehr viele Höhenmeter. Trotzdem läppert es sich zusammen, beim „Schlafengehen“ werden es bei 182 Kilometern fast 4000 Höhenmeter sein.

In Fužine sind wir zum Glück pünktlich zum Supermarkt-Stopp, denn auf den nächsten 150 km gibt es nichts. Dann stärken wir uns noch mit Suppe und Gnocchi im Restaurant. Ein Paar aus Südafrika quartiert sich hier ein, Neid, denn wir wollen noch weiter. Gosia, die trotzdem nachgekommen war, der aber in den steilen Aufstiegen der leichteste Gang fehlte, und Andrea fahren auch weiter. Da Wolken aufziehen, möchte Hermann zum Parkwächterhäuschen am Eingang des Velebit. Dort hätte man vielleicht ein Dach über dem Kopf.

Irgendwann wird es weglos, rundherum das Wummern unzähliger Windräder auf dem Bergkamm. Kein Wärterhaus in Sicht entschließen wir uns auf einer kleinen Wiese niederzulassen.

Mit etwas Angst verlasse ich den Weg, wir sind schließlich in der Minen-Warning-Zone und man sollte hier keinesfalls vom Weg runter. Ich schlafe mäßig bis garnicht, der Wind beutelt mein Mini-Zelt und der Lärm der riesigen Windräder um uns reißt mich immer wieder aus dem Schlaf. Die Ohrenstöpsel helfen nichts, denn mit einem „Plopp“ springen sie immer wieder aus meinen Ohren. Nach ein paar Stunden, gegen 5 Uhr machen wir uns wieder auf den Weg.

TAG 2 – 155 km/ 3000 Hm

Auf holprigen Wegen geht es weiter und immer wieder erhaschen wir Traumausblicke auf das türkisblaue Meer und die der Küste vorgelagerten Inseln. Dann müssen wir uns verabschieden von den Meer-Tiefblicken. Erst in Kotor, 9 Tage später, wird das Meer uns wieder begrüßen, hoffentlich! 

9Tage mit unzähligen Pfützen

Nun geht es waldig weiter. Irgendwann kommen wir nun auch am Parkwärter-Häuschen vorbei, bei dem wir je 5€ Eintritt zahlen müssen. Da hätten wir nachts aber noch ganz schön weit fahren müssen …  Irgendwann überholt uns auch Gosia, die von ihrer abenteuerlichen Nachtunterkunft erzählt. Sie überholt uns, klar, sie ist ja ohne leichtesten Gang schneller. Am Ende des Tages werde ich das Gefühl haben, den ganzen Tag nur Wald, Wald und nochmal Wald gesehen zu haben.

Bären? Bis auf meinen kleinen weißen Teddy haben wir keine gesehen, zwei Teilnehmer aber hatten eine Bärenbegegnung. Wir sahen nur viel „Bärendreck“, ja genau, der sah ähnlich aus wie Lakritz, jetzt weiß ich auch, warum diese schwarzglänzende Süßigkeit bei uns „Bärendreck“ genannt wird.  Den kurzen Abstecher zum höchsten Punkt, der Hütte Dom Zavižan, sparen wir uns. Dort soll es eh nur Cola und Bier geben.

Kurz vor Gospić, irgendwo werden wir über die kroatische grüne Grenze gerollt sein, gibt es einen Restaurant-Stopp und dann „überfallen“ wir auch noch einen Supermarkt im Ort und decken uns ein für die nächsten 180 Kilometer ohne Einkaufmöglichkeit.

Als wir aus dem Ort fahren, fängt es an zu regnen, zum Glück hört es bald wieder auf, der Untergrund jedoch zeigt uns, was wir in den nächsten Tagen noch zur Genüge haben würden: jede Menge Pfützen und Matsch. Wir wollen noch über den nächsten Hügel und uns einen Schlafplatz suchen. Dieser ist gefunden, Hermann tritt in einen Kuhfladen. Wir wähnen uns in der Einsamkeit, aber Motorgeräusche belehren uns eines anderen. Irgendein Karren fährt vorbei. Wenig später kommt er in der Gegenrichtung wieder vorbei, bleibt stehen, jemand kurbelt das Fenster runter und fragt in gebrochenem Englisch, was wir hier machen. Wir sollten vorsichtig sein, wegen des „big bear“.  Was? Ein Bär? Ich frage nach. Da ertönt Gelächter von den hinteren Sitzen. Jemand ruft noch „Spaghetti!“, keine Ahnung, warum. Wollten die uns „veräppeln“? In meinem Zelt, eingemummelt in meinen Schlafsack versuche ich einzuschlafen. Immer wieder schrecke ich hoch. Was war das? Dauernd höre ich Geräusche.

TAG 3 – 122 km/ 2300 Hm

Irgendwann dämmert es, der Wecker geht ab und ich packe mein Zeug zusammen. Es ist nebelig, alles ist triefend nass.

Kurz darauf sitzen wir wieder auf unseren Bikes und schon kommen wir am ersten Bauernhaus vorbei. Ich kurve um einen schwarzen anscheinend friedlichen Hund herum. Hermann hinter mir ist plötzlich umzingelt von den fünf schwarzen Brüdern und Schwestern. Das Sprichwort sagt ja: „Den Letzten beißen die Hunde“. Hermann geht lieber ein Stück zu Fuß.

Noch das Gebell in den Ohren sehe ich vor mir einen älteren Bauern mit einem Schäferhund. Mit einem Stock wehrt das Herrchen den Hund von mir ab. Auf Sprache reagiert das Tier anscheinend nicht. Ich fahre langsam vorbei. Ich bin schon fast außer Sicht, da höre ich hinter mir Schreien – und den Schäferhund im Streckengalopp auf mich zuschießen. In einer hundertstel Sekunde treffe ich eine Entscheidung. Was hatte Bea geschrieben im Race-Manual? Ja nicht versuchen davonzufahren, Hunde sind immer schneller. Also lege ich eine Vollbremsung ein und schaue dem Vieh entgegen, grimmig. Der Hund macht dasselbe wie ich, aus Vollgas eine Vollbremsung. Ich muss fast lachen, denn das Tier rutscht auf dem glatten Teerboden aus und schlittert dahin – wie in einem Comic … Dann sucht er das Weite.   

Ein paar Kilometer geht es nun durch landwirtschaftliches Grün. Auf dem holprigen Wiesenboden höre ich ein seltsames Geräusch, ein Klappern, irgendwo an meinem Rad. Das wird mich den ganzen Tag verfolgen und mir noch einiges Kopfzerbrechen bereiten. Dann und wann fahren wir an Radfahrern vorbei, die ihr Nachtequipment zusammenpacken. Und dann geht es wieder aufwärts. Bei Sonnenaufgang Steh-Frühstück mit Kefir und Brot. Michael gesellt sich zu uns, ihn werden wir noch öfters begegnen. Er ist mit einer Rohloff-Schaltung und Zahnriemen unterwegs.

Auch heute werden wir viel im Wald unterwegs sein. Immer wieder erinnert mich das Klappern bei jeder noch so kleinen Unebenheit, dass mich ein technisches Problem früher oder später ausbremsen würde. Zu schade! Pfützen und Matsch begleiten uns und irgendwann ist eine Radpflege fällig. Hermann schmiert die Ketten, dann versuchen wir nochmal rauszufinden, woher das Klappern kommt. Wir montieren die Taschen der Reihe nach ab und kommen drauf, dass die hintere Tasche das Geräusch verursacht. Falls sie unterwegs „den Geist aufgibt“, wo soll ich alle meine Sachen unterbringen? Könnte ich da noch weiter machen?

Irgendwann, ich werde schon langsam „stuff“ von dem ständigen Wald, treten wir aus dem undurchdringlichen Grün. Unter uns ein blühendes Tal. Auf Asphalt geht es ein paar Kilometer zur ersten Kontrollstelle. Hier können wir uns stärken mit Pasta. Ich dusche und wasche meine Sachen, bis zum Weiterfahren trocknet alles in der Sonne und der leichten Brise.  Es ist recht nett mit den anderen etwas Erfahrungen auszutauschen, beispielsweise mit dem lustigen Dave, dem Engländer, der in Berlin lebt. Dieser, 28 Jahre alt, meint, er habe gerade mit seiner Freundin gesprochen und ihr erzählt wie toll er es findet, dass Frauen, wie Andrea und ich DAS HIER durchziehen. Was er damit wohl meint? Frauen in unserem Alter, also 50+ oder allgemein Frauen. Viele sind ja nicht mehr im Rennen, wie wir auf follow.me erkennen können. Ziemlich einige, auch viele Männer, haben schon den Shortcut der Küste entlang gewählt. Schade, denn jetzt geht es nach den Wald-Tagen so richtig spannend los. Aber so richtig …!!!

Gestärkt geht es weiter. Bald wird es trailig. Nicht selten muss ich absteigen und ein Stück schieben. Hier ist Dave voll in seinem Element, er ist schon mit einem Höllenzahn an uns vorbei. Ob das wohl gut geht?

Der erste Berg naht. Steil geht es hoch. Weiter vorn noch steiler, hier sehen wir Andrea schieben. In näherer Ferne ein Grollen. Mein Blick wandert nach oben. Kohlrabenschwarze Wolken haben sich zusammengeballt. Und wir sind hier im Anstieg auf eine Hochfläche. Mein Puls steigt, nicht nur wegen der Anstrengung. Oben geht es noch etwas auf und ab. Der Stress lässt meine Energien schwinden, denn es wird immer dunkler rund um uns. Und „Versteck“ ist keines in Sicht. Andrea ist schon aus unserem Sichtfeld verschwunden. Sie wird uns nachher erzählen, dass sie und Marco einen Unterschlupf gesucht hatten. Karsttrichter, so genannte Dolinen, hätten sich angeboten, aber davor wird gewarnt. Hermann meint, wir sollten irgendwas machen, bevor es so richtig losgehe. Bei einer Gruppe kleiner Bäumchen zieht er seinen Biwaksack heraus und wir quetschen uns beide hinein. Bei jedem Blitz zähle ich und rechne. Meine Angst weicht irgendwie einer Schicksalsergebenheit.

So richtig hart kommt es nicht, wir packen wieder. Nun beginnt es stärker zu regnen. Die Abfahrt auf einem sehr steilen steinigen Wanderweg fordert einiges von mir. Es ist rutschig wie Seife. Es dämmert schon, als wir im Tal wieder auf Asphalt fahren können. Einige Häuser bilden den Weiler Velika Popina. Etwas weiter kommen mir Dave und ein anderer Radfahrer entgegen. Nanu? Da es bei heranbrechender Dunkelheit und dem Regen nicht sinnvoll sei, den nächsten Berg anzugehen, hätten sie beschlossen zurück zu dem Haus zu fahren, in dem einige Kerle sich sicher nicht erst seit Kurzem eine feuchtfröhliche Feier lieferten. Durchnässt wie ich bin fahre ich mit. Unterwegs sehe ich eine Gestalt in einem Garten vor einem neuen Haus. Ich versuche in meinem gebrochenen Englisch unsere Lage zu erklären und frage, ob es im Ort nicht ein Hotel gäbe. Das Irrwitzige dieser Frage wird mir erst hinterher bewusst. Ein Hotel bei drei Häusern am Ende der Welt? Vielleicht war mein Hintergedanke, dass wir in seinem neuen Haus ein Plätzchen für unser Biwak bekommen könnten…

Nikola, so werden wir nicht lange später erfahren, denkt etwas nach, dann erhellt sich sein Gesicht und inzwischen bittet er uns in seine Küche zum Aufwärmen und Trocknen. Er führt ein Telefonat und teilt uns mit, seine Nachbarn vermieten hie und da ihr Häuschen. Sie sei Ärztin, er Polizist. Wir sollten bei ihm etwas warten, der Schlüssel würde uns gebracht. Was wir nicht wussten, der Nachbar fährt extra für uns von Zadar hierher, 100 Kilometer!!

Inzwischen werden wir von der Mutter Nikolas, alias Johnny, bewirtet mit türkischem Kaffee, wärmendem Pfefferminztee, Keksen und später zieht er eine Speckseite heraus und leckeres Brot aus der lokalen Bäckerei. Lange Zeit später liegen wir in unseren Betten, unser Zeug trocknet vor einem gemütlich knisternden Holzherd. Lange dauert die Nachtruhe jedoch nicht, denn wir wollen das regenfreie Fenster nutzen, um über den nächsten Berg zu kommen.

TAG 4 – 167 km/ 2400 Hm

Bei Dunkelheit geht es los. Zunächst rollen wir auf Teer weiter talauswärts, dann wird es wieder ernst. Auf Schotterpiste, dann unwegsamer auf einem Bergpfad rollen und schieben wir bergauf. Das Klappern an meinem Rad begleitet mich. Ob da irgendwas kaputt ist? Ob mein Rad irgendwnn auseinanderfällt? Auf dem Bobija-Pass erwartet uns ein herrlicher Sonnenaufgang. Die Landschaft ist grandios. Die Abfahrt erfordert viel Konzentration von mir, Organisatorin Bea schreibt von anspruchsvollen Singletracks. Vermutlich hätte ich so einen Weg zuhause zu Fuß zurückgelegt … aber die Zeit drängt. Schon fallen die ersten Regentropfen. In Kürze sind wir wieder völlig durchnässt. Bei Plavno gibt es einen kleinen Aufstieg, dann würden wir wohl gemütlich bis nach Knin rollen können. Was auf der Karte so harmlos ausgesehen hatte, entpuppt sich als ein schmaler Lehmpfad, der bei dem Regen nur noch eine Folge von Pfützen und Schlammweg ist. In Kürze sind wir nicht nur bis auf die Knochen nass, sondern auch von unten bis oben verdreckt. Als wir in Knin einrollen, ist mein Willen das erste Mal gebrochen.

Es gießt in Strömen, ich friere erbärmlich. Was tun? Wir beschließen zunächst mal in einem Hotel einzuchecken. Die Räder, völlig verdreckt, lassen wir draußen stehen, Schloss haben wir vergessen, aber wer nimmt schon ein so schmutziges Rad? Ich fringe unsere Sachen aus, wickele sie in Frotteehandtücher in der Hoffnung, dass sie trocknen. Barfuß gehe ich zum Frühstück, das wir ausgehungert wie wir sind sehr ausgiebig umsetzen. Andrea gesellt sich zu uns. Von Gosia hören wir, dass sie im Auto sitzt auf dem Weg zu einem Mechaniker. In der Nacht war ihr Schaltwerk abgebrochen, sie hatte verzweifelt an einer Haustür geläutet und Hilfe bekommen. Etwas später ist sie zurück im Rennen.

Gegen Mittag klart es auf. Wir brechen voll motiviert sofort auf. Inzwischen hatte eine Eingebung auch dazu geführt, dass ich mein Problem Tailfin-Tasche lösen konnte: In der Tasche gibt es ein Metall-Gestell, mit dem die Tasche am Karbon-Rahmen festgemacht ist. Dieses Gestell hatte eine Gummi-Ummantelung, die ich aber, um Gewicht zu sparen, zuhause abgemacht hatte. Bei diesem Gerüttel hatte irgendwas gegen das Metall geschlagen. Das Problem, das meine Nerven zeitweise fast blank liegen ließ, war also „hausgemacht“ gewesen. Neu gepackt und gut war es.

Es geht nun vorbei am Krčić Wasserfall und dann durch die Schlucht entlang dem gleichnamigen Fluss. Angekommen auf der Anhöhe des Dinara Naturparks beginnt es wieder zu regnen. Hermann war vor mir querfeldein zu einer Bauruine gefahren. Als ich auch dort bin, wird mir ganz heiß vor Entsetzen. Wir sind hier wieder in einer Warning-Zone und sollten den Weg keinesfalls verlassen.

Ängstlich rolle ich auf einer Traktorspur wieder zum Weg zurück. Wir kommen an mehreren Schaf- und Ziegenherden vorbei, alle bewacht von Hirtenhunden. Vorsichtshalber steige ich immer wieder ab. Die Hunde kommen meist neugierig heran, friedlich mit dem Schwanz wedelnd. Schlechte Erfahrung haben wir keine gemacht auf der gesamten Fahrt, aber ein bisschen „Schiss“ war immer dabei, wenn ich in der Ferne Hunde sah. Absteigen und ein Stück zu Fuß vorbei, es geht bei uns ja nicht um irgendeine Platzierung. Unser Ziel ist es vor der Finisher-Party anzukommen. Apropos Hunde … streunende Hunde … habe ein Fläschchen Pfefferspray dabei, zum Einsatz wird es zwar nicht kommen, aber es wird mir schlussendlich einiges an Kopfzerbrechen bereiten. (*Pfefferspray – siehe unten)

Im Nachhinein habe ich entdeckt, dass wir nicht weit entfernt waren vom mystischen „Drachenauge“, der Quelle des Glavaš, der den Cetina-Fluss speist.

Es gibt eine Umleitung wegen Weg-Sperrung. Zuvor aber wird mein Wille fast wieder gebrochen: Die Streckenführung leitet uns über eine Wiese, eine überflutete. In knöcheltiefem Wasser schaffe ich es grad noch auf dem Rad zu bleiben. Dann irgendwann muss ich absteigen. Zurück? Das lohnt sich nicht mehr, also weiter. Ein kleines Rinnsal ist zu durchqueren. Es bringt eh nichts die nassen Schuhe auszuziehen, also beschuht durchwaten. Dann haben wir wieder festen Boden unter den Füßen. Vor einem Haus reinigen wir uns notdürftig und leeren die Schuhe aus. Ein Wasserhahn bringt mich auf die Idee mein Rad etwas zu putzen, ein Funktionstuch tut gute Dienste bei Körper und Rad. Wir werden beobachtet.

Zwei Frauen laden uns abgerissene Typen zum Kaffe ein. Wir radebrechen mit Händen und Füßen, auch der Translator kommt zum Einsatz. Was wir erzählen erscheint den Bauersfrauen unvorstellbar. Wieder on the road, müssen wir den Stausee Perućko jezero nun auf der Ostseite umfahren, auf einer stärker befahrener Hauptstraße. Die schnell heranbrausenden LKWs machen mir Angst und erinnern mich an meine unguten Erlebnisse beim Northcape4000. Nach einem Kaffee-Stopp mit „Rohloff“-Michael ist es nicht mehr weit, bis wir die nächste Steigung erreichen sollten und die Grenze zu Bosnien Herzegowina. Zuvor sollte es aber noch eine etwa sechs Kilometer lange Abfahrt offroad geben. Fein!

Das Wohlgefühl sollte mir aber bald vergehen. Die Abzweigung führt auf einem vom Regen aufgeweichtem Weg, durch unzählige Pfützen und durch viele Rinderklauen noch matschiger als sonst. Unzählige Male absteigen und vorbei schieben hilft nichts, der Untergrund wickelt sich auf die Reifen und blockiert den gesamten Antrieb. Zäher Schlamm umschließt auch die Kette. Unvermittelt ist meine Motivation weg. Als ich zu Michael und Hermann aufschließe seuftze ich: „Mein Willen ist gebrochen …!“

Dieses Gefühl kommt hier nicht das erste und nicht das letzte Mal auf. Hermann pult den zähen Matsch mit seiner Zahnbürste aus den Kettengliedern. Ich hingegen hocke mich neben eine rotbraune undurchsichtige Pfütze und schöpfe mit meiner Hand unermüdlich Wasser über die Kette und hoffe auch das letzte Sandkörnchen rauszubekommen. Rahmen und alles andere sind nur ästhetische Aspekte und mir in dem Moment egal. Irgendwann, die Sonne ist schon beim Untergehen haben wir die Serpentinen-Pass-Straße auf den Vaganj-Pass erreicht. Unser Plan heute noch Šuica zu erreichen hat sich vollends zerschlagen. Wir rollen vom höchsten Punkt, nachdem wir den Grenzposten zu Bosnien Herzegowina überschritten haben, hinunter nach Livno. Hermann sucht unterwegs auf Booking ein Hotel. Mit dem Wissen, bald in die Federn sinken zu können, sind auch noch die letzten Kilometer eine Herausforderung. Die Augen wollen jetzt schon zufallen. Nachdem wir noch eine Weile durch Livno geirrt sind, haben wir die Unterkunft gefunden. Ich kann mein Rad noch etwas abspritzen und vom Gröbsten reinigen, dann wartet auch auf mich die heiße Dusche. Unbeschreiblich!

TAG 5 – 160 km/ 2700 Hm

Früh geht es wieder los, es dämmert. Ein paar streunende Hunde schimpfen und schon geht es wieder offroad weiter. Und nun werde ich im wahrsten Sinne des Wortes wachgerüttelt. Eine übler Kopfsteinpflaster-Weg, zudem noch nass vom letzten Regenguss, führt auf das Cincar-Hochplateau. Mein Willen wird auch hier auf eine harte Probe gestellt. Einmal oben auf der weitläufigen Hochebene ist es nur noch zauberhaft. Hier sollen zudem die letzten echten Wildpferde Europas leben, rund 800 Tiere. Ich schaue sehnsüchtig nach links und rechts. Ob uns wohl das Glück hold sein wird? Und dann sind sie da. In der Ferne sehe ich das erste Grüppchen. Etwas weiter galoppiert eine kleine Herde daher. Die Rösser nähern sich sogar vorsichtig und etwas misstrauisch, aber neugierig.

Gosia schließt auf. Sie erzählt uns ihr Erlebnis vor Knin und von ihren Ängsten nicht durchzukommen, denn sie muss ihren Flug am Samstag erreichen. Es wird eine Zitterpartie werden bei ihr. Aber sie schafft es mit einer durchfahrenen Nacht im schwierigsten Abschnitt des Rennens. Genial, was Gosia gemeistert hat. Unsere Hochachtung!!

Dann Abfahrt nach Šuica. Die letzen Meter durch eine überflutete Wiese, wieder mal. Aber dann sind alle Strapazen vergessen: Es gibt köstlichsten Kaffee und Kuchen in der an den Supermarkt angegrenzenden Bar. Und dann füllen wir unsere Vorräte auf. Bis Mostar soll es über 120 Kilometer nichts geben. Ich lerne, dass man eine Mineralwasserflasche nicht zwischen die Knie klemmen sollte, während man sie öffnet. Das Ergebnis ist nämlich, dass die Hälfte des kostbaren Nass explosionsartig das Weite sucht. Für meinen Trinkrucksack ist nur noch etwa ein halber Liter übrig. Ob ich damit über die Berge komme? Ich will nicht nochmal Schlange stehen im Supermarkt. Zum Glück ist es nicht so heiß und der nächste Regenguss lässt nicht lange auf sich warten.

Nach einer Teerpassage geht es wieder ins Gelände. Mit Entsetzen betrachte ich die Szene, die sich uns bei der Abzweigung bietet. Ein Müllplatz. Rundherum notdürftig zusammengezimmerte Holzbaracken, rundherum Abfälle. Gibt es wirklich Menschen, die hier leben? Neben dem riesigen Müllhaufen mehrere geparkte Autos und auf dem Abfall ein Dutzend Leute, die die Wohlstands-Überreste durchforsten. Auch das gibt es noch in Europa. Die nächsten 50 Kilometer fahren wir durch die sogenannte Danger-Zone. Hier darf man auf keinen Fall vom Weg abweichen. Das Gebiet soll auch über 25 Jahre nach dem letzten Krieg noch vermint sein. Das Gebiet ist hügelig, trocken und karstig, abgesehen vom Regen. Sehr steile kurze Anstiege zwingen mich immer wieder vom Rad. Wir kommen nur sehr langsam weiter. Mit Entsetzen entdecke ich, dass ich vergessen hatte meinen Tracker am Morgen anzuschalten. Das hole ich nun nach fast 80 Kilometern schleunigst nach. Da wird Bea wohl meinen, dass ich im Hubschrauber hierhergeflogen bin. Grins. Dann im Blindinje Naturpark werden die Wege wieder besser. Wir treffen auf Christoph, der anfangs schnell unterwegs war, der aber Sitzprobleme bekommen hatte. Wir versorgen ihn mit Cremen und werden ihn in Mostar wieder treffen.

Nach dem Blindinje-See holt uns Gosia ein, sie hatte irgendwo einen verlängerten Powernap abgehalten. Ab Mostar werden wir sie nicht mehr treffen. Wir lernen Niko aus den USA kennen, der seit Monaten mit seinem Rad und Fotoapparat unterwegs ist, zuerst durch Marocco, dann der italienischen Küste entlang und kreuzt er immer wieder die TBR-Strecke. Wir werden in Risan zufällig wieder treffen und in unserem Apartment bewirten dürfen.

Nach einem steileren unwegsamen Anstieg geht es hügelig recht flott dahin. Die folgende schlottrige Abfahrt scheint kein Ende zu nehmen. Ich wundere mich immer wieder, was so ein MTB aushält. Tagelang durchgerüttelt auf schlechten Wegen wird mein Bike es pannenfrei bis ins Ziel schaffen. Ein Wunder! Dann aber erreichen wir die sehnsüchtig erwartete Asphaltstraße raus nach Mostar.

Nach dem obligatorischen Foto des Wahrzeichens, der Stari Most, der „alten Brücke“ über die Neretva versuchen wir eine Unterkunft zu finden. Wir fahren wieder zurück, wo ich ein ansprechendes Hotel gesehen hatte. Als wir schlussendlich, mit Christian, der sich zu uns gesellt hatte, im Hotel Patria eingecheckt haben, sind die Supermärkte geschlossen. Na bravo! Wir gehen zu dritt im nahe gelegenen Restoran Malo Misto, sagenhaft gut essen. Nach 4 Tagen schmeckt die Lamm-Pfanne mit Gnocchi unvergleichlich gut. Auch wenn ein Zahn, der sich schon seit Tagen leicht bemerkbar gemacht hatte, immer mehr schmerzt. In einer Tankstelle füllen wir noch unsere Reserven und dann geht es ab ins Bett.

TAG 6 – 112 km/ 2500 Hm

Als der Wecker früh klingelt, hatte ich schon einige Zeit wach gelegen. Der Zahn pocht. Ich überlege, ob es nicht sinnvoll sei, hier in Mostar zum Zahnarzt zu gehen. In den nächsten Tagen würden wir kaum mehr in einen größeren Ort kommen. Vor sieben konnte ich mit meinem Zahnarzt zuhause sprechen, Schmerzmittel und weiter. Abgesehen, dass das Brufen am ersten Tag nicht wirkte, ist das Gefühl nicht das beste mich so auf den Weg zu machen. War das ein Grund zum Abbrechen?

Nach einem sehr guten Frühstück starten wir erst nach 8 Uhr. Es ist noch wolkenlos und die Hitze auf dem sehr steilen Anstieg von teils über 18% Steigung ist schweißtreibend. Im Supermarkt in Nevesinje treffen wir auf Marco und Christoph. Nun heißt es ordentlich „Bunkern“, denn die nächsten 130 Kilometer sind wieder Einöde in Bezug auf Einkaufen. Pfützen und Matsch verfolgen uns, von oben verschont uns das Nass, zumindest gerade noch, aber am Horizont braut sich schon wieder was zusammen. Es geht auf und ab, immer wieder auch durch landwirtschaftliche Gegenden.

Ein kleiner Anstieg steht an. Vor mir mitten auf dem Weg steht ein mittelalter Mann mit weit ausgebreiteten Armen. Ich komme nicht vorbei und steige ab, werde umarmt. Der Mann scheint ein kindliches Gemüt zu haben, er spricht nicht, greift nach meinem dreckverkrusteten Maskottchen, das an der Oberrohrtasche hängt, einem kleinen ehemals weißen Bären, deutet auf den Teddy, dann auf sich. Immer wieder. Dann entreißt er mir den Lenker und beginnt mein Rad bergauf zu schieben. Oben angelangt wieder dieselbe Geste zum Bären und auf sich. Aha, er meint, er habe sich das kleine Stofftier mit dem Schieben verdient. Ich will mich aber keinesfalls trennen von meinem Teddy, der schon so viele Abenteuer mit mir durchgestanden hat. Ich versuche es mit einem Ersatz und biete dem ältlichen Jungen eine angebissene Waffel an. Die möchte er aber nicht. Sanft nehme ich ihm den Lenker ab und möchte aufsitzen. Da breitet er wieder die Arme aus, zieht mich an sich und drückt mir einen dicken kratzigen Kuss auf die Wange. Zumindest duftet der Pulli frisch gewaschen. Dann bin ich frei. Andrea wird mir später erzählen, dass sie dasselbe Erlebnis hatte mit diesem freundlichen mittelalten Buben.

Abfahrt nach Ulog. Hier gibt es laut POI-Liste etwas. Ja, eine Bar. Ich brauche eigentlich nichts und einen Kaffee gibt es leider nicht. Also weiter. Alles ist nass, Pfützen säumen unseren Weg. Es hatte vermutlich kurz vorher stärker geregnet. Es geht bergauf und dann eben am Berghang entlang. Wir wollen noch über den nächsten mittelhohen Mugel, das Höhenprofil verspricht nichts Gutes. Kurz aber knackig könnte man sagen. Wieder mal wirft mich mein Karbonross ab, ich bleibe mit meinen Schuhen im Klickpedal hängen und hole mir einen schönen blauen Fleck am Oberschenkel.

Und kurz darauf beginnt es zu tröpfeln. Wir schaffen es gerade noch hinunter, ich hatte in der Dämmerung im Wald ein Minarett gesehen und nebenan eine Art Stadel mit Erdboden. Da es nun so richtig anfängt zu schütten und zu blitzen und zu donnern beschließen wir es hier schon früh gut sein zu lassen. Dass irgendjemand in die Ecke gek* hat, tut unserer Erleichterung keinen Abbruch. Wir rühren uns aus Wasser und gefriergetrocknetem Suppenpulver je eine Mahlzeit an und dann verschwinde ich müde in meinem Zelt und Hermann in seinem Biwaksack. Dass sich bald Marco einfindet und fragt, ob er sich dazu legen darf, bekomme ich nur noch im Halbschlaf mit und etwas dass er einen Schaltkabel-Riss hatte und hier das Rennen beenden will. Dass Andrea sich auch noch dazu legt, merke ich nicht.

TAG 7 – 152 km/ 3100 Hm

Schon um halb zwei wollen wir los. Es tut mir leid, dass unser Zusammenpacken nicht lautlos ist, aber die beiden lassen sich nicht stören. Unser Weiterweg auf den Orlovačko-Pass führt über 1000 Höhenmeter auf einer ziemlich ruckeligen Art Forstweg. Hermann hatte auf seinem Navi entdeckt, dass unser Weg bald in die R-434 einmünden würde, einer Regionalstraße? Toll, dann hat das unrhythmische Fahren wohl bald ein Ende. Denkste! Der Belag wird noch schlechter. Ich fahre so langsam, dass mich bei Morgendämmerung die Mücken anfangen zu piesacken. Endlich auf dem Pass wird es schlammig. Und dieser Matsch wickelt sich in der Abfahrt wieder mal um die Räder. Dann geht es auf langer Abfahrt durch Wald, Wald und nochmal Wald. Da hier die Sonne kaum durch die Zweige kommt, ist es dementsprechend matschig und wir müssen durch viele Pfützen.  Irgendwann holt uns die Müdigkeit ein und wir wählen ein paar frisch geschlagene Baumstämme für einen Powernap. 15 Minuten müssen reichen. Bei der Weiterfahrt entdecken wir, dass 100 m weiter ein netter überdachter Picknickplatz sicher gemütlicher gewesen wäre für unser Schläfchen. Irgendwann haben wir es bis nach Miljevina geschafft. Ein kleines Restoran an der Straße lädt ein und hier steht auch schon das Rad von Christoph. Leider gibt es keine guten Nachrichten, er sei in der Nacht bei der Abfahrt gestürzt, hat sich die Hände aufgeschlagen und alle seine Kontaktflächen mit dem  Rad seien nun lädiert. Er werde den Bus nach Risan nehmen. Wir gönnen uns einige Kaffees und ein leckeres Omlett (das Atlas Mountain Race lässt grüßen), dann sind wir wieder auf Achse.

Wir müssen noch auf einen Berg im Sutjeska-Nationalpark, eine wunderschöne Hochfläche, dann noch eine Abfahrt und wir sind beim zweiten Kontrollpunkt, dem CP2 in Popov Most. Irgendwann am Nachmittag sind nur noch 7 kleine Anstiege zu bewältigen und dann geht es nur noch runter. In Bosnien fahren alle Leute VW Golf 2, meist „einäugig“ und rundum verrostet. Autopflege wird ganz rudimentär betrieben mit manchmal wahnwitzigen Aufbock-Methoden …

In Popov Most gibt es Karboloading in Form von Pasta, selbst gebrauten Holundersaft, eine nötige Dusche und Bike-Wäsche. Meine Radkluft kann ich waschen, diese trocknet sogar fast ganz in der Sonne.

Dann fahren wir weiter nach Brod, kaufen dort noch was ein, denn wie üblich folgen dann wieder über 100 Kilometer ohne Versorgungsmöglichkeit. Wo aber schlafen? Zu hoch oben ist es zu kalt. Primož hatte uns beim CP2 gesagt nach dem River Tara sein nichts mehr. Am Weg liegen unzählige Rafting-Camps und so mieten wir uns auch so eine urige Holzhütte im Rafting kamp Rajska Rijeka. Ausgezeichnete Idee!

TAG 8 – 152 km/ 3900 Hm

Am Morgen starten wir erst bei Dämmerung. Nicht weit ist es bis zur montenegrinischen Grenze. Was uns heute erwartet ist etwas vom Schönsten der gesamten Fahrt. Nach einem langen Anstieg geht es hügelig vorbei an Poljen, rasant über Hügelkämme und dann hinein in den Durmitor Nationalpark. Beim Anstieg auf den Sedlo-Pass schwirrt eine Drohne über unseren Köpfen, ich muss Hermann „zurückpfeifen“, denn es geht gar nicht, dass wir nicht als Team auf dem Video sind. In dem Zusammenhang darf ich erwähnen, dass Hermann ohne mich sicher einen Tag schneller gewesen wäre, immer wieder wartete er geduldig, bis sein Anhängsel nachkam, sei es in Steigungen als auch in holprigen technischeren Abfahrten. Er hat so viel Zeit zu essen, ich leider nicht, denn kaum komme ich an, geht es schon wieder weiter … Wir treffen Bea und Luca, die extra auf uns gewartet hatten auf dem Pass und die wir auf die Probe gestellt hatte, da wir kurz vorher noch eine kleine Esspause eingelegt hatten. Nach dem ersten Anstieg heute geht es auf Asphalt abwärts. An einer Stelle wird die Straße neu geteert, Hermann fährt am Straßenrand in irgendeinen spitzen Gegenstand. Die Dichtmilch im Reifen tut zwar ihren Dienst aber in den nächsten Tagen muss Hermann einige Male Luft nachpumpen. Das war aber auch unser einziges technisches Problem auf dieser Fahrt.

Nach dem Sedlo-Pass mit seinen Traumblicken auf die Durmitor-Berge folgt eine endlich mal rasante Abfahrt nach Žabljak. Hier legen wir einen ordentlichen Stopp ein, kaufen ein und rüsten uns mit montenegrischen Touristen-SIM-Karten aus. Ich verstehe wohl von technischen Dingen reichlich wenig, denn ich ärgerte mich mit der neuen SIM herum, nur um einen Tag später festzustellen, diese Karte funktionierte sehr wohl, ich hatte nur vergessen die „mobilen Daten“ anzuschalten, die ich in Bosnien deaktiviert hatte. Blödheit pur!

Bea & Luca

Was nun kommt, wird im Race Manual als anspruchsvoll hügelig beschrieben. Es geht über 60 Kilometer über eine Hochfläche. Keine Menschenseele weit und breit. Den Draht, der über den Weg gespannt war und der uns auf WhatsApp angekündigt worden war sah ich nur, weil Hermann mich darauf aufmerksam machte. Könnte böse ausgehen. Ich hatte ihn schon abgehakt, da er sich etwas später als erwartet in den Weg spannte … Über die üppig blühenden Almwiesen kann ich mich nicht so freuen, nicht nur wegen zahlloser Schiebepassagen, sondern wegen der aufziehenden dicken schwarzen Wolken. In der Dämmerung passieren wir einige Schafherden und Almhütten, bewacht von kläffenden Hunden.

Als es dann so richtig steil hinunter geht Richtung Kolašin, fing es stark an zu regnen. In kurzer Zeit sind wir völlig durchnässt, die steile Schotterpiste würde schon im trockenen Zustand eine Herausforderung für mich sein, so nass stelle ich mich noch ungeschickter an. Hermann wird leicht ungeduldig. Ein erstes Haus am Wegesrand, rundum beleuchtet. Wir klopfen an. Keine Reaktion. Die Tür ist zwar nicht versperrt, aber hinein trauen wir uns doch nicht. Zumindest sind wir unter dem Dach vor dem Regen geschützt. Aber es ist kalt. Was tun? Hermann schaut im Internet nach Hotels aus. Es gibt ein Sheraton, aber ob die uns in unserem abgerissenen Zustand überhaupt einlassen? Wir müssen die Strecke verlassen, um in die Kleinstadt zu gelangen. Unterwegs fällt mir ein beleuchtetes Haus auf mit einem Schild „rooms“. Es geht auf Mitternacht zu und wir läuten einfach. Ein Mädchen öffnet. Kein Problem, wir können ein Zimmer haben. Auch die völlig verdreckten Fahrräder dürfen wir einfach reinstellen in den Aufenthaltsraum. Ein heißes Bad weckt meine Lebensgeister, die ich aber sofort in einen tiefen traumlosen Schlaf schicke.

TAG 9 – 97 km/ 2400 Hm

Nicht ganz so früh wie sonst verlassen wir diese ein wenig heruntergekommene Herberge. Unsere Tracker leuchten beide nicht mehr grün, ein rotes Licht kündigt an, dass die Batterien fast leer sind. Aber hilft nichts, hier bekommen wir keinen Nachschub und die Reservebatterien hatte Hermann schon eingelegt, seit der GBDuro waren sie in der Schublage gelegen und wohl nicht mehr ganz taufrisch.

War der Tag vorher schon eine etwas größere Herausforderung, so steigert sich das heute noch: Beschrieben sei der Streckenabschnitt mit „anspruchsvolle Anstiege, Bergpfade, auch technisch …“ Landschaftlich grandios, trotzdem bedeutete es nochmal alles zu geben. Immer wieder gibt es technische Abfahrten und die Anstiege sind oft so steil, dass ich jetzt nach diesen herausfordernden Tagen absteigen muss und mein 30-Kilo-Bike schieben muss.

Zudem drohen immer wieder schwarze Wolkenhaufen und fernes Donnergrollen. Der Stress macht mir zu schaffen. Die Ausblicke sind aber traumhaft und so werde ich immer wieder abgelenkt von den Strapazen und dem Vorgehen am Himmel. Irgendwann geht es dann nur noch abwärts Richtung Nikšić. Allerdings auf einem verblockten Kalksteinpfad, der nochmal alles fordert.

Im Supermarkt schleunigst neue Batterien gekauft und etwas Proviant, dann machen wir uns auf den Weg ins Hotel, das wir unterwegs ausgemacht hatten. Es wäre zwar ein Leichtes gewesen die etwa 70 Kilometer weiterzufahren und gegen Mitternacht im Ziel in Risan anzukommen. Ein gemütliches Bett, zuerst noch Pizza und griechischen Salat ist auch sehr verlockend.

TAG 10 – 71 km/ 800 Hm

Sogar ein Lunchpaket gibt es im Hotel Jugoslavia, das wir vor Abfahrt noch verdrücken, dann geht es los. Heute gibt es nur noch Asphalt und schöne Landschaften. Die Hauptstraße ist so früh noch verkehrsarm und dreimal geht es ab und über die Berge, um dann wieder auf  dieselbe Straße zu münden. Auf einer Nebenstraße, wahrscheinlich der alte Straße nach Risan, rollen wir dann zuletzt abwärts. Und auf einmal liegt er glitzernd unter uns: der Golf von Kotor.

Die Idee diesen letzten Abschnitt heute noch zu fahren war goldrichtig, wir hätten uns sonst um das Erlebnis gebracht über die Serpentinenstraße ins Ziel zu rollen mit Traumausblicken auf das tiefblaue Meer. In Risan werden wir schon mit super guter Pasta erwartet. Eine lange nicht immer leichte Reise über den Balkan ist leider zuende.

Dankbar sind wir, Hermann und ich, das zusammen erleben zu können und dass wir sei es von gesundheitlichen als auch technischen Problemen verschont worden waren. Danke, Hermann, für die Geduld, wenn du nach Anstiegen und nach technischen Abfahrten warten musstest …

Einen großen Dank an Bea und Luca und an alle freiwilligen Helfer*innen, die alles getan haben, um uns ein unvergessliches Erlebnis zu verschaffen. An alle, die aus welchen Gründen auch immer die Rennstrecke verlassen haben, möchte ich ermutigen, es noch einmal anzugehen. Die wirklich schönsten Gegenden, aber auch die herausforderndsten Abschnitte sind im dritten Drittel angesiedelt. Alle Achtung vor der Leistung der Sieger, die das Rennen in nicht mal 5 Tagen abgeschlossen haben.

Davon abgesehen, dass ich sicher nicht viel schneller fahren konnte, Zeit wäre sicher bei uns eine Menge einzusparen gewesen, vielleicht tat das übrige auch das Wetter. Das aber interessiert mich nicht, denn es hätte uns um einiges an Erlebnissen gebracht. Und mein Ziel, vor der Finisher-Party anzukommen hat sich mehr als erfüllt.

Anhang:

*Pfefferspray: Zum Einsatz kam es nicht, aber was sollte ich bloß tun damit? Auf dem Flug ist das in der Radbox nicht erlaubt und schon gar nicht im Handgepäck. Was soll ich nun damit tun? In Italien fällt es unter das Waffengesetz und es kann womöglich ganz schön teuer werden und zu weiteren Komplikationen führen, falls es bei mir entdeckt würde. In die Radbox? Womöglich bleibt mein Rad dann in Montenegro … Schade drum, hat 25€ gekostet und ich würde es gerne bei meinem Bikepacking Trans Germany mitnehmen. Eines nachkaufen? Gibt es nicht in Südtirol. Ich habe die geniale Idee, das Spray von Montenegro in einem Brief nach Hause zu schicken. Ich wickle es ein, klebe zu, auf der Post muss ich das Ding jedoch auspacken, die Angestellte reicht das Fläschchen fragenden Blickes ihrer Kollegin … Oje, jetzt gibt es wohl Probleme. Aber nein, ich bekomme ein Kuvert, kann das Fläschchen einpacken, Adresse und Briefmarken drauf und es entschwindet meinen Blicken. Zufrieden ziehe ich von dannen … Unser Sohn wird mein Gedankengetriebe wieder in Gang setzen: „Mami, wenn die da drauf kommen, dann gibt es Probleme. Kann 300 Euro und mehr kosten und du begehst eine Gesetzesübertretung …!“ Au weh! Jetzt kann ich es auch nicht mehr rückgängig machen. War das falsche Sparsamkeit? Nein, ich wollte es unbedingt zurück für mein nächstes Abenteuer, damit ich mich nachts allein im Zelt sicherer fühlen kann …
Wie das dann ausging? Nach einer Woche steckte das Kuvert unbeschadet im Briefkasten. Glück gehabt …!

Radeln vom Feinsten II: 6+6 Isole

italiano …… english

Hier einige Eindrücke über die Süd-Runde der 6+6:

Quelle: www.6p6.bike

Hermann und ich sind Wiederholungstäter …

2019 habe ich meinem Beitrag über die 6+6 Isole den Titel „Radfahren vom Feinsten“ gegeben.

Dieses Jahr ist das das Format etwas anders – die Strecke umfasst nicht beide Inseln, Sardinien und Sizilien, sondern es wird eine 600-Kilometerrunde durch Südsardinien gefahren und anschließend eine ebenso lange Runde durch den Norden der Insel. Dazwischen eine ausgiebige Nachtruhe in Dorgali dem Start- und Zielort. Die Strecke führt über wenig von Verkehr belastete Straßen und die Radfahrer haben jede Menge Berge zu „erklettern“, pro Runde gut 7000 Hm.

murales

Wir, die es inzwischen „spartanischer“ lieben, sprich Rennen im Selfsupportmodus fahren wie Atlas Mountain Race, GBDuro, Granguanche Audax Gravel scheinen nun im Schlaraffenland gelandet zu sein: es gibt etwa alle 100 Kilometer eine Kontrollstelle mit Verpflegung, auf Halbweg jeder Runde sogar Duschen und Schlafmöglichkeit. Aber in die Pedale treten muss man selbst und das ordentlich.
Ich freue mich sehr auf die Insel und besonders auch viele bekannte Gesichter wieder zu sehen.

Die 6+6 Ajò Isole verläuft für Hermann und mich spontan etwas anders als im Vorfeld gedacht. Nach der ersten Runde, die durch die vielen Höhenmeter (7000 Hm auf 600km) ganz schön hart ausfällt, erwartet die Randonneure eine ebenso anspruchsvolle zweite Runde durch den Norden.

Bei unserer Ankunft in Dorgali meint Hermann, dass das Weiterfahren womöglich kontraproduktiv für unser nächstes Highlight im Juni, das Transbalkan Race, sein könnte. Eigentlich bin ich noch fit für die nächste Runde …Ich stimme aber ein. Der Entschluss hier zu beenden fällt mir nicht schwer, weil meine Covid-Infektion doch erst 3 Wochen her ist und es somit vernünftiger nicht zu überziehen.

Torre di Bari

Da fast die Hälfte der TN hier unerwarteterweise das Handtuch wirft und das Wetter Regen voraussagt für den übernächsten Tag, ist es für mich noch leichter in Dorgali zu bleiben. Und zudem verspricht unser Ersatz-Programm auch spannend zu werden. (Bergtour Goroppu-Schlucht, Wanderung zur Cala Luna, dazwischen gut essen gehen, Wanderung durch das Naturreservat Biderosa).

Die versäumte wunderschöne Strecke durch den Norden werden wir sicher irgendwann mal nachholen!!

Danke an die Organisatoren, die sich sehr bemüht haben, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein schönes Erlebnis zu bieten. Ich habe mich sehr gefreut, viele unserer Radfreundinnen und Radfreunde wieder zu sehen auf ein Schwätzchen oder den ein oder anderen gemeinsam pedalierten Kilometer!!

Runde 1 – Süd: 587 km/ 7150 Hm

Und wer wissen möchte, was wir rennradmäßig „versäumt“ haben:

Runde 2 – Nord: 590km/ 6980 Hm

Wer nochmal das Video von 6+6 Isole (2019) sehen möchte:

Granguanche Audax Gravel

english italiano

zunächst mein Video (Dauer 8:49 min)

Zzckkkzzckkk … Das klingt gar nicht gut. Was ist mit der Schaltung? Zudem hängt die Kette durch … Pleiten, Pech und Pannen bei der Anreise zur GranGuanche Audax Gravel, zum Nachlesen hier: meine Pannen.
Und hier „Spaßiges„😊 aus der WhatsApp Gruppe GGG

Lanzarote, Eremitage Orzóla im Norden der Insel, Mitte März 23. Es dunkel, zehn vor zehn, warten auf den Start. Was mache ich hier? Alleine unter 100 anderen Athleten und Athletinnen?

Eremitage Orzóla

Vor mir liegt Gran Guanche Audax Gravel, eine Art Insel-Hopping über die Kanarischen Inseln.

In gewissem Sinne ist die Zeit dort mein größter Konkurrent, denn es ist bei diesem 700 Kilometer langen Rennen mit über 16.000 Höhenmetern wichtig, pünktlich zu den Abfahrten der Fähren zu kommen, um nicht kostbare Zeit still zu stehen.

Inselhopping

Die Inseln:

Lanzarote – Fuerteventura – Gran Canaria – Teneriffa – El Hierro

Hier nochmal zum Tracking auf Dotwatcher.com

Im Vorfeld hatte ich mir verschiedene Szenarien ausgedacht, was aber, wenn ich eine Fähre nicht „erwische“, dann ändert sich der gesamte Plan. Unterwegs erkenne ich, dass eine genaue Planung zwar eine gewisse Sicherheit bringt, es aber wichtiger ist, flexibel zu bleiben und alles auf sich zukommen zu lassen. Erste Priorität: in die Pedale treten, was das Zeug hält.

1 – Lanzarote: 104km/ 1580 Hm (6:30h)

Das erlösende „LOS“!
Die Menge setzt sich in Bewegung. Ich bin wohl die einzige mit einem MTB, alle anderen sind mit ihren Gravelbikes angereist, mit mehr oder weniger Taschen … Ich mit MEHR … Ein Kommentar von Tim in der WhatsApp-Gruppe hatte mich dazu veranlasst, das Foto von meinem gepackten Drahtesel sofort wieder herauszunehmen. Er meinte, so aufgepackt wäre er, wenn er vom Einkaufen im Supermarkt Mercadona käme. (Kleine Genugtuung: Während ich das hier schreibe, am Hotel-Pool in Teneriffa, ist besagter Fahrer, glaub ich, noch auf Teneriffa unterwegs …*Nachtrag, siehe unten)

Ich trete in die Pedale. Es geht gleich zur Sache. Schotter, sehr steil, hike a bike ist angesagt. Bald schon finde ich meinen Platz gefühlt unter den letzten, da ich schon ein erstes Mal stehen bleiben muss, um meine Jacke auszuziehen. Meine Konkurrenten rasen aber auch durch die Nacht, als ginge es nur zur nächsten Pizzeria und als lägen nicht 700 Kilometer vor uns.

Es ist stockfinstere Nacht. Schade. Auf Lanzarote war ich schon mal beim Ironman. Ich erinnere mich an die wunderbaren Vulkanlandschaften in allen erdenklichen Rot- und Brauntönen. Nachtfahren liebe ich gar nicht. Ich hoffe, dass ich ohne Schlafattacken durchkomme nach Playa Blanca am anderen Ende der Insel. Die erste Fähre fährt um 8:00 ab. Das müsste zu schaffen sein. Von Mirador del Rio, dem höchsten Punkt geht es sehr ruppig abwärts. Hatte ich gedacht, dass es nun ein langes einfaches Abwärtsrollen gäbe, so hatte ich mich gewaltig getäuscht. Zudem wehte auch nachts ein starker Wind teils von hinten, teils von der Seite.

Zum Glück sind die Tiefblicke eingeschränkt. In der Inselmitte dann führt die Strecke lang durch die Dünen. Lautes Meeresrauschen. Starke Windböen treiben mir Sand in die Augen, an manchen Stellen haben sich Sandhaufen mitten auf dem Weg aufgetürmt. Dann und wann sehe ich vor mir ein rotes Rücklicht, sonst bin ich allein, weit und breit niemand. Wo sind denn die alle? Das Atlas Mountain Race lässt grüßen, ich schiebe mein Rad gefühlt mehrere Kilometer durch Sand.

Schneller, als ich gedacht hatte, bin ich am Hafen. Nun könnte ich mir noch drei Stunden Schlaf gönnen. Vor Wind und Kälte geschützt, drängten sich andere Fahrer im Schalterraum der Fähren zusammen. Kaum liege ich in meinen Schlafsack gemümmelt, fängt es rundherum an zu schnarchen. Und eine Stunde weiter fangen die ersten Männer laut an zu quatschen. Arrgggghhhh!!! Also wohl doch kein Schlaf in der ersten Nacht …

2 – Fuerteventura: 154km/ 2030 Hm (8:45h)

Nach der halbstündigen Überfahrt nach Corralejo auf Fuerteventura schaue ich zügig zu starten, während viele andere erst mal eine Frühstückspause einlegen. Ich bin noch gut versorgt und habe es eilig, da ich die 20:00-Fähre in Morro Jable nach Las Palmas auf Gran Canaria erreichen möchte.

Die ersten 30 Kilometer führen mich über eine flache geschotterte Straße an der Küste entlang. Klingt gut, wenn die Piste nicht einen waschbrettartigen Belag hätte, die mich gewaltig durchschüttelt. Ich bin jedenfalls froh um mein MTB und lerne geschickt, mit welchem Speed man da drüber muss, um möglichst komfortabel durchzukommen. Spektakel, als der „Weg“ knapp an der Klippenkante und dem Abgrund entlangführt.

Nun geht es ins Inselinnere, es wird sehr heiß und der starke Wind weht nun nicht mehr ständig vorteilhaft von hinten. Ich kämpfe mich durch die Mittagshitze, das Wasser geht mir langsam aus. Hätte ich doch den Supermarktstopp in El Cotillo gemacht. Die Schlange der Radfahrer an der Kasse wollte ich allerdings umgehen. Das hatte ich nun davon. Heute war zudem Feiertag und fraglich, ob ich noch eine Möglichkeit fände Wasser aufzufüllen. Wie erleichtert bin ich deshalb, als ich die Gesichter von Daniela und Marissa vor einer kleinen Bar auftauchen sehe. Die Wirtsleute sind allerdings auf den Ansturm nicht ganz vorbereitet, normale Wasserflaschen sind leider aus. Ich muss mich mit Wasser mit Kohlensäure begnügen. Das ist bei der Hitze ganz spaßig, denn immer wieder bekommen die Beine eine Sprüh-Dusche ab. Fraglich ist mir nur, wie sich das auf den Trinkrucksack auswirkt …

Nun folgt der längste Anstieg der Insel. Obwohl auf Asphalt scheint mir die Kraft in der prallen Nachmittags-Sonne auszugehen.  Wenig motiviert schraube ich mich langsam nach oben. Mein Ziel, die Abendfähre, ist in weite Ferne gerückt.

Bevor ich mich um die letzte Kurve schleppe ahne ich schon was. Und die Gewissheit kommt, als ich vor ihnen stehe: vor den berühmten riesigen Eisenmännern. Hier war ich schon mal im Rahmen eines Trainingslagers und die Strecke, die mich nun erwartet, ist bekannt und überschaubar. Rasante Abfahrten auf großartig gepflegtem Asphalt. Nur kürzer als gedacht, denn nach Pajara geht es schon wieder mühsam ins Gelände. Zuvor konnte ich jedoch noch Wasser nachfüllen die kühle Cola sollte meine Beine stärken. Nach mühsamen Höhenmetern folgt eine traumhafte Strandpassage. Die Fähre sollte sich ausgehen. Vielleicht sogar die 18:00-Fähre? Was ich nicht weiß, das Auf und Ab der nun folgenden letzten Asphaltstrecke wird sehr sehr mühsam aufgrund der häufigen Richtungswechsel. Der Wind schiebt und genauso oft kommt er direkt von vorne. Gegenwind kann man das gar nicht mehr nennen, besser Gegen-Sturm.

Als ich schließlich kurz nach sechs über die Klippenkante zum Hafen sehe, hüpft mein Herz. Die frühere Fähre ist noch da. Ich rase hinunter. Als ich vor der Fähre stehe, wird gerade die Brücke nach oben gezogen. Der „Matrose“, der gerade die Taue löst, schaut mich ganz mitleidig an und schüttelt den Kopf. Ich könnte heulen. Drei Minuten zu spät. (Detail am Rande: Als ich später höre ich, dass diese Fähre sogar nach meiner ankommen würde wegen technischer Probleme, war ich mit meinem Schicksal wieder versöhnt).

leider 3 Minuten zu spät …

Die Überfahrt nach Gran Canaria ist sehr wellig. Ich lege mich mit meinem Schlafsack in den Bug der Fähre,  auch wenn davon abgeraten wird. Aber hier sind weniger Fahrgäste. Ich wechsle meine Position und lege mich quer zu den Wogen, versuche zu schlafen. Immer wieder werden Autoalarmanlagen ausgelöst. Rund um mich „husten“ immer wieder Leute. Oje, einigen scheint es wirklich nicht gut zu gehen. Wie wird wohl mein Magen reagieren, hatte ich doch zu Beginn der Fahrt eine ordentliche Portion gegessen. Ich horchte immer wieder in mich hinein und traute mich nicht unbeschwert einzuschlafen.

3 – Gran Canaria: 140km/ 3500 Hm (10:30h)

Es ist spätabends, als wir Las Palmas erreichen. Das Vorgeplänkel der ersten beiden Inseln nun geschafft sollte es höhenmetermäßig nun so richtig zur Sache gehen. In Las Palmas suche ich eine Weile mit Katie einen Weg aus dem Baustellen-Wirrwarr zu finden. Dann verlieren wir uns aus den Augen. Bald schlängelt sich der Track durch ein urwüchsiges canyon-artiges Tal, hoch über uns die Häuser. Es ist sehr einsam hier unten. Irgendwann aber steht am Rand ein unbeleuchtetes Auto, im Wageninneren schemenartig der Fahrer mit Smartphone in der Hand. Weit und breit ist niemand und ich fahre schnell vorbei, mir ist etwas unbehaglich zumute. Was, wenn die Gestalt einem Kollegen mitteilt, dass in Kürze eine einsame Radfahrerin vorbeikommt? Mir könnte MTB, Geldbörse und Karten abgenommen werden oder Schlimmeres passieren? Ich lege einen Zahn zu. Zum Glück bald das blinkende Rotlicht eines anderen Fahrers. Wir quatschen etwas. Irgendwo im Schilf die Scheinwerfer eines Autos. War das der vermeintliche Helfershelfer? Irgendwann bin ich wieder allein. Katie holt auf und meint, sie wolle noch bis Ingenio weiter fahren.

Ich bin müde und entdecke an einer Straßenkreuzung einen Spielplatz. Lange werde ich mich nicht aufhalten können, da ich die letzte Fähre nach Teneriffa, um 20:00 unbedingt erreichen möchte. Müde bin ich nach der vergangenen schlaflosen Nacht. Ich stecke Matte, Schlafsack in den Biwaksack und richte mir ein gemütliches Lager hinter einem Baum. Mein Rad lehnt an einem dicken Ast und darauf alle meine Kleidungsstücke zum Trocknen und Lüften. Kaum ziehe ich mir mein Halstuch über die Augen, höre ich es schon: „Zzzzzzzzzzzzzzzz!“ Eine Mücke piesackt mich. An geruhsamen Schlaf ist nicht zu denken, immer wieder reißt mich das unangenehme Geräusch und juckende Stellen an Gesicht und Händen aus unruhigen Träumen. Genervt gebe ich gegen halb drei Uhr auf und mache mich wieder auf den Weg. Auch gut, so habe ich etwas Spiel für die nächste Fähre.

Pastel y Miga

Ich habe Zeit zu rechnen. Ab Ingenio bis zum Puerto de las Nieves, etwa 100km lang, würde es nur ein Restaurant geben. Falls das geschlossen wäre, hätte ich viel zu wenig Wasser. Oje, was tun? Ich fahre durch die ersten Häuser des Dorfes. Stockfinstere Nacht noch. Schaut nicht so aus, als wäre jetzt gegen 5 Uhr was offen. Plötzlich tritt neben mir ein Mann mit einem Korb aus einem Haus. Mutig halte ich an und frage, ob er zufällig eine Flasche Wasser verkaufen könnte. Nein, leider nicht. Er öffnet seine Autotür und zieht eine halb gefüllte Flasche hervor. Ich bedanke mich überschwänglich. Wie alt das Wasser wohl schon ist? Ich verschwende lieber keinen Gedanken daran. Besser, als verdursten, war das allemal.

Etwas weiter. Eine weiß gekleidete Gestalt tritt aus einer Türe. Was wird der wohl von mir denken, wenn ich ihn frage, ob er wisse, ob zufällig in der Nähe eine Cafeteria offen habe. Um diese Uhrzeit. Der wird wohl meinen, die Alte spinnt. Aber schon ist es raus. Er sagt was auf Spanisch und ich verstehe, ich sollte kurz warten. Aus der offenen Tür wallen betörende Düfte. Ich werde gebeten einzutreten. Es ist eine kleine Bäckerei. Ich werde von Fran und Elena mit Wasser, Cappuccino und leckeren Mehlspeisen versorgt. Mit Hilfe des Translators gebe ich zu verstehen, was ich hier so früh mache. Ich verstehe irgendwas mit „nieves“, aha, das ist ähnlich des italienischen „neve“ – also Schnee. Hilfe, so weit oben komme ich in den Schnee? Das fehlt mir noch … Meine Retter verabschieden mich, ich solle die Tür hinter mir ins Schloss ziehen. Die nächsten hätten wohl nicht so viel Glück. Herzlichen Dank an Pastel y Miga!!!

Nun bin ich im Anstieg, der mich durch ein grünes Tal nach oben führt. Über die Berghänge saust der Fallwind gnadenlos nach unten und reißt mich mehrmals fast vom Rad. Weiter oben wird der Wind schwächer, aber nun ist der Asphalt zu Ende und es geht sehr steil und hike a bike ins Gelände. Irgendwann bin ich oben. Und hier sollte es Schnee geben? Da fällt mein Blick auf ein Straßenschild und wie Schuppen fällt es mir von den Augen: Pico de las Nieves. Ach DAS hatte der Konditor am Morgen gemeint.

Nun folgen viele Kilometer schnelle Abfahrt. Fast verpasse ich an einer kleinen Kreuzung das einzige Restaurant weit und breit. Der Wirt lacht, als ich alles, die Speisekarte rauf und runter bestelle: Hühnersuppe, Brot mit Knoblauchaufstrick, Blaubeertorte, Cappuccino, Aquarius, eine leckere spanische Limonade. „Die Frau muss wohl ausgehungert sein …“

Weiter geht es durch eine atemberaubende Bergkulisse. Im Vordergrund die berühmte Felsformation „Roque Nublo“, 80 Meter hohes Wahrzeichen der Insel und Kultstätte der Ureinwohner. Nach der rasanten Abfahrt geht es links weg. Nun folgt die vom Veranstalter angekündigte unbefestigte Straße, die einiges an Konzentration abverlangt, denn nicht selten geht es am Rand steil in die Tiefe. Fahrfehler sollte man sich hier nicht erlauben. Wir sind nun auch zu zweit, denn Jonas hat aufgeholt. Auch die noch anstehenden Anstiege gehen mit etwas Quatschen rasch vorbei und wir schaffen es sogar zur 4-Uhr-Fähre vor Ort zu sein und vorher sogar noch einen Supermarkt-Stop einzulegen. Wer hätte das gedacht.

Mein Ziel war es ursprünglich pünktlich zum Heimflug zurück zu sein und vielleicht nicht unbedingt meinem Über-Namen Ehre zu machen (siehe Dotwatchers Lanterne Rouge Award). Nun auf Gran Canaria war ich sogar unter den Top 20 … Am Ende werden knapp 60% der Athleten finishen, ich halte mich auf Platz 35, also im ersten Drittel und bin mega zufrieden.

4 – Teneriffa: 173km/ 4570 Hm (14:40h)

Die frühe Abfahrt von Gran Canaria hat positive Auswirkungen auf meine Nachtruhe il La Esperanza, wo Katie und ich ein Zimmer gebucht hatten. Aber zunächst gilt es für mich noch gut 50 Kilometer und etwa 1500 Höhenmeter hinter mich zu bringen. Eine spektakuläre Straße schlängelt sich über die Hänge des Anaga Rural Parks nach oben. Ist es hier oft nass und kalt, so bleibe ich davon verschont. Allerdings der stürmische Wind drückt mich mehrmals hart gegen die Leitplanken. Einige Kilometer führen mich nun durch einen finsteren Wald. Hier ist es wie angekündigt feucht, matschig und kalt. Ich erreiche Cristobal de la Laguna und muss noch einige Kilometer auf unangenehm befahrener steiler Straße hoch zu meinem Quartier in La Esperanza. Katie schläft schon tief und merkt mein Ankommen nicht mal. Herrlich ist die warme Dusche und ich habe nun auch noch Zeit 2-3 Stunden zu schlafen. Wohlverdient.

Als Katie sich auf den Weg macht, werde ich aus meinem leichten Schlaf gerissen, zum Glück, denn so stehe ich früher als geplant auch auf. Gut so, denn die einzige Fähre nach El Hierro, der letzten Insel darf ich keinesfalls verpassen, sonst würde ich einen ganzen Tag warten müssen. Der Stress fährt also auf GranGuanche Audax immer mit.

Nun gibt es über 100 Kilometer keine Möglichkeit sich zu verpflegen. Vermutlich werde ich in den nächsten Stunden auch kaum jemanden treffen. 50 Kilometer sind zudem nicht asphaltiert. Bis zum Hellwerden habe ich auch noch einige Stunden in tiefschwarzer Nacht vor mir, anfangs einige sehr steile Anstiege, die schiebend zurückgelegt werden müssen. Es geht durch dichten Wald. Gegen Morgen überkommen mich Schlafattacken und ich komme um einen Powernap nicht drumherum. Rasch breite ich meinen Schlafsack auf dem dichten Nadelboden auf und schlüpfe hinein. Den Timer stelle ich auf 15 Minuten. Kurz vor Ablauf höre ich ein Rad vorbeifahren und mache mich auch wieder auf den Weg. Nun in der traumhaften Waldlandschaft werde ich abgelenkt und die Müdigkeit ist weg.

King Teide

Spektakel, als ich um eine Kurve biege, steht er vor mir, der Teide in der Morgensonne. Wunderbar! Ich bin wieder mal dankbar um mein MTB, denn jetzt geht es über eine trailartige Strecke abwärts. Gibt Komoot hier eine Schwierigkeit von S1 an, so ist das wohl ziemlich übertrieben.

Kurz darauf darf ich auch ein Stück auf einer Teerstraße nach oben rollen, bis es wieder auf eine Art Forstweg geht. Irgendwie scheint mir die Kraft langsam auszugehen, kein Wunder, habe ich doch in den vergangenen Stunden kaum was gegessen. Ich lege einen Halt ein und beschließe mein gefriergetrocknetes Hafer-Apfel-Gericht zu essen. Rasch ist die Tüte mit Wasser aufgefüllt, der Brei muss nun noch etwas quellen. Inzwischen suche ich meinen zusammenlegbaren Titan-Spork, ein Zwischending Gabel/ Löffel. Er ist nicht aufzufinden und mir schwant Böses. Hatte ich ihn doch am Tag zuvor auf der Fähre benutzt. Vermutlich hatte ich ihn mitsamt dem Müll anschließend weggeworfen. Ein 30-Euro-Esswerkzeug ist, finde ich, doch etwas zu teuer als Einmal-Besteck …

Um meinen Brei löffeln zu können, schneide ich mir nun aus einer Plastikflasche einen behelfsmäßigen Löffel, den Rest des Breis wässere ich nochmal und trinke ihn aus. Hauptsache Kalorien. Inzwischen waren ein paar Radfahrer an mir vorbei. Jeder erinnerte mich daran, dass wir es bis halb sechs an den Hafen von Los Christianos schaffen müssen. Mein schlechtes Gewissen meldet sich bei meinem Blick auf die Uhr. Fast Mittag. Was schon so spät? In Windeseile packe ich mein Zeug zusammen und folge meinen Mitstreitern.

Es sind noch einige Höhenmeter auf Schotter bis zum höchsten Punkt unter dem Teide. Stress lass nach. Ich bin so langsam. Und dann noch die wunderbare Landschaft, Erde in allen möglichen Braun- und Rottönen. Ich kann nicht umhin trotzdem einige Male stehen zu bleiben und Fotos zu schießen. Als ich endlich oben an der Straße stehe gibt es Applaus. Ich glaube der Übermut einiger resultiert aus dem Wissen, jetzt müsse sich die Fähre ausgehen. Nach einer kurzen Abfahrt geht es aber unerbittlich wieder nach oben.

Zwei Anstiege folgen noch, nun in der Mittagshitze zurückzulegen. Zwischendurch mache ich halt in einer Touristen-Bar. Ich brauche unbedingt ein paar zusätzliche Kalorien in Form eines Sandwiches und Wasser und Cola. Richtig ausgehungert bin ich, kann mich aber leider nicht lange aufhalten. Auf das Eis muss ich halt verzichten. Weiter geht es. Mit gemischten Gefühlen, einmal euphorisch es bald geschafft zu haben, dann wieder mit düsterem „Das schaffe ich nie und nimmer!“ Der Teide ist ein Touristen-Magnet und so gibt es viel Verkehr hier oben, das mag ich gar nicht.  Irgendwann aber erreiche ich die Bergkante und nun stürze ich mich in die 30 Kilometer-Abfahrt auf bestem Asphalt. Fähre, ich komme!!!

Weiter unten habe ich in einer Kurve das Gefühl, dass sich Smartphon-Kameras auf mich richten. Das kann aber doch nicht sein, wahrscheinlich warten die auf wen anderes. Aber richtig gefühlt, H. und T., zwei Dotwatcher, hatten mich „abgepasst“ und mir anschließend die schönen Schnappschüsse zukommen lassen. Dankeschön!

ob das wohl gutgeht?

Vor der Fähre habe ich sogar noch Zeit im Supermarkt einzukaufen. Da erreicht mich eine Meldung über WhatsApp von Hermann. „Gabi, wo bist du, deine Fähre geht in ein paar Minuten!!!“  Stress! Ich eile zum Hafen. Aber ohne Hast stehen noch alle Räder in der Tickethalle. Der Schreck sitzt mir noch in allen Gliedern und ich verstehe jetzt, dass Hermann glaubte, die Uhrzeit der Kanaren sei eine Stunde vor und nicht hinten. Ist das ein aufregender Tag. Mir bleibt noch etwas Zeit, ich besorge mein Ticket, räume mein Gepäck etwas auf, richte meinen Schlafsack für die fast dreistündige Fähr-Überfahrt und esse endlich wieder was.

5 – El Hierro: 117km/ 3770 Hm (11:30h)

Mein Plan für die letzte Insel: Da ich ja auf der Überfahrt trotz größerer Schaukelei etwas schlafen konnte, möchte ich noch die gut neun Kilometer und 800 Höhenmeter hinauf fahren nach Villa de Valverde. In der Nacht wollte ich mir einen Schlafplatz suchen, den ich schon auf Google Maps entdeckt hatte, einen netten gepflegten Picknick-Platz. Andere würden diese Nacht durchfahren, aber das möchte ich nicht, da ich diese urwüchsige Insel gerne bei Tag sehen möchte. Rennen hin oder her, die Platzierung war mir absolut unwichtig. Die Straße schlängelt sich ausgesetzt am Berghang nach oben, die Steigung ist hoch und der Wind kommt unerbittlich von vorne. Es ist ein Kampf.

In Villa de Valverde ist noch eine Bar offen, aber leider hat die Küche schon geschlossen und ich begnüge mich mit einem Tee und Quark-Kuchen. Ich quatsche etwas mit Christian und Ormonde, noch ein paar weitere Fahrer kommen hinzu. Bald verabschiede ich mich und mache mich auf die Suche nach meinem Biwakplatz.

Das hatte ich nicht erwartet: Nun folgen ein paar hike a bike Anstiege, die so steil sind, dass ich kaum vom Fleck komme. Leider sagt mir mein Navi nicht die Steigungsprozente an, da ich so langsam gehe, dass ich laut Garmin still stehe. Und wo Stillstand – auch keine Steigung …

Als es etwas flacher wird, komme ich an Isabelle vorbei, die gerade ihren Schlafplatz einrichtet. Ich fahre noch etwas weiter und fast vorbei an meinem „Picknick-Platz“. Dieser ist völlig zugewachsen, die Tische und Bänke von herabgefallenen Ästen zerstört. Der Ort scheint mir aber wie gerufen. Ich wähne mich weit weg von der nächsten Behausung, lehne mein Rad gegen den Baum, hänge meine ganzen Sachen auf und verschwinde mit Matte, Biwak- und Schlafsack zwischen den Überresten des Tisches. Gute Nacht!

suppentellergroß

Gegen 4 Uhr kräht in der Nähe ein Hahn, der auch prompt Antwort aus einer anderen Richtung bekommt. Bin ich doch nicht so weit weg von der Zivilisation… . Ich hatte fast 5 Stunden geschlafen. Da ich fröstele, mache ich mich daran meine Sachen zu packen. Meine Kleidung ist statt getrocknet nun ziemlich feucht. Nebel zieht in Schwaden über mich hinweg.

Warm wird mir aber nach meinem Aufbruch bald wieder, denn immer wieder zwingen mich kurze sehr steile Passagen zu Fuß zu gehen. Die Aussicht bis ins Ziel, über 100 Kilometer mit über 3000 Höhenmetern, nur mit meinen spärlichen verbliebenen Essrationen auskommen zu müssen, demotiviert mich etwas. Es gibt im Dunkeln ja sonst keine Ablenkung und so wandere ich missmutig dahin. Der höchste Punkt des ersten „Hügels“ ist fast erreicht, bald sollte es auch hell werden. Schemenhaft ahne ich schon die Landschaftskonturen. Träume ich? Ich wähne mich in Schottland. Grüne Wiesen, abgetrennt durch alte Steinmauern, hier und da Rinder und Schafe.

Spektakel die nun folgende Abfahrt durch die sehr steilen Berghänge. Der Erdboden ist feucht und glitschig durch den Nebel und teilweise außerordentlich steil, 25% und mehr. Was bin ich froh um mein MTB! Einzigartige Tiefblicke auf die Küste unter mir.

Ein alter Van, ein Mann mit Hund. Die hatten sich wohl einen Standplatz hoch oben in der Einsamkeit gesucht. Ich frage mich, wie es das alte Auto über diese steilen Anstiege hier hoch geschafft hatte. Auf jeden Fall war das mit der Einsamkeit wohl falsch gedacht … so viele Radfahrer wie hier vorbeikommen.

An der Küste kann ich schon Pozo de la Salud ausmachen. Hier steht einsam ein Hotel. Die Cafeteria ist laut Google heute geschlossen. Aber ich kann ja hoffen.

Aber nein, die ist wirklich zu. Ratlos stehe ich rum. Ich sehe einen Mann, der im Hotelgarten zu tun hat. Ich frage ihn, ob man im Hotel einen Kaffee bekommen könnte. Er bejaht, ich solle einfach in die Rezeption gehen. Und nicht nur Kaffee … gegen ein kleines Entgelt kann ich sogar ein Frühstück am Buffet bekommen. Das höchste der Gefühle. Ich belade meinen Tisch mit hunderttausend Leckereien und lasse mich nieder. Alles vom Feinsten. Hier bekommen mich keine zehn Pferde so schnell mehr weg. Was die Hausgäste am Tisch daneben wohl von der nicht ganz sauberen abgerissenen Person in Radkleidung denken? Rudi und ein anderer Fahrer kommen hinzu.

Mit vollem Bauch mache ich mich dann an den langen Aufstieg zum Pico de Malpaso. Es ist unterhaltsam. Abgesehen von der traumhaften Lavalandschaft macht der Wind hier Fisimatenten: einmal schiebt er mich flott weiter, nach der nächsten Kurve kommt der strong von vorne. Ich beobachte jede Richtungsänderung auf meinem Tacho und versuche die Windrichtung voreinzuschätzen. Was würde wohl mit dem Wind sein, wenn ich um die Südseite der Insel fuhr? Immer Gegenwind? Oje! Nun kommen auch vom Bergrücken starke Böen, die Nebelschwaden mit sich führen. Mir bleibt auch nichts erspart.

Nun geht es auch wieder ins Gelände. Ich fahre unter einem Nadelbaum und spüre einen Regentropfen. Das fehlt mir jetzt noch! Ich staune jedoch. Hier scheinen alle physikalischen Gesetze aufgehoben zu sein. Zuhause ist die Straße nass, nur unter den Bäumen ist es trocken. Hier ist es genau umgekehrt. Unter den Bäumen sind nasse Flecken, sonst ist alles trocken. Seltsam. Bin ich in einer verkehrten Welt gelandet oder träume ich?

Nun habe ich aber viel Zeit nachzudenken auf meinem mühsamen Weg nach oben. Des Rätsels Lösung scheint der Sturm zu sein. Im freien Gelände werden die Regentropfen weiter geblasen, stellt sich ein Baum in den Weg, dann schafft es das kühle Nass auf den Boden zu fallen. Irgendwann erinnere ich mich, dass ich in meinem Gepäck noch etwas Obst habe und dank des anonymen Spenders auf der letzten Fähre ein Päckchen kanarischen Ziegenkäse. So schlemme ich Birne mit Käse und fühle mich wie Gott in Frankreich.

Es gibt noch einige Überraschungen, steile Schiebepassagen, aber dann endlich bin ich oben auf dem Pico de Malpaso. Bei der Abfahrt ist äußerste Konzentration erforderlich, immer wieder droht sich mein Vorderreifen in tiefen Sand zu bohren. Ich ermüde und beschließe noch einen kleinen Powernap im Gras am Wegesrand einzulegen. Aber kaum habe ich es mir bequem gemacht und die Augen geschlossen, rasen zwei Athleten vorbei und rufen mir irgendwas zu. Ärger! Ich bin wieder munter und fahre weiter. Kleine Aufstiege in sengender Sonne und dann erwarten mich noch ultimative steile Meter bevor es endgültig ins Ziel ging. Muss das auch noch sein? Mindestens 3 Kilometer mit über 15% Steigung. Puhhhhhh! Nach den ersten Metern zu Fuß mit den rutschigen Radschuhen, erkenne ich, dass das noch anstrengender ist als langsam hochzuradeln. MTB-Übersetzung sei Dank!

Und dann das Sahnehäubchen: die letzten Kilometer steilste Abfahrt mit Traumblicken auf die tief unten liegende Küste bis nach Timijiraque, dem Zielort.  

Meine Reise über 5 kanarische Inseln ist viel zu schnell zu Ende.

Die unzähligen Eindrücke müssen nun erst mal verarbeitet werden.

Dazu werde ich in der anschließenden Woche viel Zeit haben, denn als kleines Mitbringsel von den Inseln habe ich einen Corona-Virus mitgebracht …

*Nachtrag:

Tim, aus Spanien, hat mir im Nachhinein seine Story geschrieben. Sehr nett. Er war sehr hilfsbereit anderen Athleten gegenüber und hat selbst auf ein zügiges Vorankommen verzichtet. Ob ich so selbstlos wäre, frage ich mich ….
Das mit dem Bild war nur Scherz. Aber für mich kam das gerade recht für eine gute Story in meinem Bericht … hahhaaaaa. Danke, Tim!

Atlas Mountain Race

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Atlas Mountain Race. Eigentlich war die Anmeldung etwas gedankenlos … dachte nie und nimmer einen Start-Platz zu bekommen. Und vor Jahren, bei der Erstausgabe des AMR, 1400 km durch Marokko, über Atlas und Antiatlas, staunte ich, was Menschen so leisten können. Das Ganze schien mir ziemlich abgehoben: schwere Fahrbedingungen, Höhenmeter ohne Ende, eine so hohe Scratch-Quote (soll ein Markenzeichen des MTB-Rennens). Dann die Zusage und im ersten Moment der Schock. Das werden wir wohl nicht schaffen …

Unser AMR. Zunächst einige Eindrücke im Video … Ausrüstungsliste (PDF Excel)

Unser AMR in Ziffern – siehe hier – Das Rennen auf Maprogress.

15 km tiefer Sand – hike a bike

Es ist dunkel, der abnehmende Mond beleuchtet das Szenario nicht so richtig. Ich stapfe unmutig durch tiefen feinen Sand. Seit drei Kilometern etwa … seit ich beim Übergang von einer kurzen Asphaltstrecke in vermeintlichen Schotter von meinem Trek Procaliber abgeworfen wurde: mein Vorderrad blockierte in dem tiefen feinen Sand und ich machte einen zirkuswürdigen Salto Mortale über den Lenker.

Ich schiebe nun. Das aufgepackte etwa 23 kg schwere Rad rollt auch nicht so richtig über die Sandhaufen. Anstrengend. Wieder mal 50 Meter fahren über etwas festeren Untergrund, dann stecke ich wieder fest. Die Motivation sinkt. Eigentlich hatte Philipp in Ait Baha, dem letzten Ort, davon gesprochen, dass es jetzt 60 Kilometer mehr oder weniger abwärts ginge, fein rollen bis zu den nächsten ernsten Bergen, den letzten beiden. Wer hätte aber gedacht, dass nach Ait Baha erst eine verblockte Schiebepassage folgte und nun ein Gelände, das jedem Sandstrand Ehre machen würde … Und kein Ende in Sicht.

Es sollten insgesamt 15 Kilometer werden. Ich füge mich in mein Schicksal nach dem x-ten Male Sand aus den Radschuhen ausleeren. Meine Motivation sinkt auf unter Null. Unser Zeitplan? Dem hinken wir eh schon hinterher, nun aber scheint das pünktliche Ankommen zur Finisher-Party und somit das positive Abschneiden beim Atlas Mountain Race in weite Ferne gerückt, sprich unmöglich. Ich schicke in Gedanken schwärzeste Verwünschungen an Nelson. War ich bisher voll motiviert das Ding zu rocken, so beschimpfe ich nun den Organisator, dass er schuld daran sei, dass ich mich wohl nun in die zahllosen „gescratchten“ Teilnehmer einreihen würde, in die Liste derer, die unterwegs aufgegeben hatten. Am Ende des Rennens sollten es stolze 48% der Gestarteten sein, die ausgestiegen sind. Markenzeichen des AMR? So ein Quatsch, denke ich bei mir. Vermutete ich 4 Stunden für die 60 km leicht abwärts, so muss ich diese Zeit nun für die 15 km Schieben verbuchen …

In den finstersten Minuten denke ich auch noch zurück wie alles begann. Kein Wunder, dass nicht wenige schon bei CP1, nach nur 125 Kilometern ausgestiegen sind: Start des Mountain-Bike-Rennens war um 18 Uhr in Marrakech. Es lässt sich recht geruhsam an, 60 Kilometer nur leicht ansteigend. In Zerkten kurze Einkehr bei einem provisorisch von Einheimischen errichteten Versorgungsstelle: eine Gruppe junger Männer verkauft Tee und Unmengen von Fladenbroten mit Streich-Käse. Dann aber wird es ernst. Über steilste unwegsame Anstiege erreichen wir die Quote 2500, die Piste ist schneebedeckt, erst sind 5 km zu Fuß aufzusteigen zum höchsten Punkt. Ein eisiger Wind bläst, wir messen Minus 6°. Dann geht es weiter zu Fuß hinunter über einen Muli Pfad, der im Dunkeln erst mal gefunden werden muss. Zermürbend. Die durchfahrene erste Nacht zeigt auf dem Tacho bei CP1, Telouet, 125 Kilometer und 3500 Höhenmeter.  

hike a bike in der ersten Nacht
(125km/ 3500Hm)

Nach einem Frühstück mit Tajine, Omelette, Fladenbrot und viel Minze-Tee und nach Sonnenaufgang sieht die Welt wieder ganz anders aus und beschwingt machen wir uns auf. Ein cooler Single Trail durch ein Dorf und dann heißt es schon wieder schieben, hinauf auf eine weite Hochfläche. Sehr abwechslungsreich geht es weiter. Rauf und runter und hinter jeder Biegung ändert sich das prachtvolle Panorama. Der Untergrund wird immer ruppiger, dann wieder sandig und mit tiefem Schotter. 60 Kilometer weiter ist es schon später Nachmittag, als wir in fröhlicher Runde in Ghassate in einem Shop bei Omelette und Minze-Tee zusammen sitzen. Der Zeitrahmen ist überschritten, unmöglich bis nach Imassine zu kommen wie geplant. Nach weiteren 30 Kilometern ist es tiefe Nacht, es ist kalt und wir ausgepowert. In Toundoute gibt es einen Shop, an dem wir unsere Vorräte auffüllen, ratlos machen wir uns auf in die nächste (schlaflose?) Nacht. Wie eine Fata Morgana liegt das Schild vor uns: Gite Amandou… mit den Symbolen: Essen und Schlafen. Wir fragen nach und bekommen ein kleines Zelt aus Unterkunft, Dusche und köstliches Essen.

Aufbruch mitten in der Nacht. Die 40 Kilometer würden wir rasch „rocken“ nach Imassine zur Tankstelle und letzten möglichen Verpflegungsmöglichkeit, bevor es 100 Kilometer in die Einöde geht. Typischer Fall von „Denkste!“, wie häufig in diesem Rennen. Es gilt unwegsam unzählige Canyons zu durchqueren, das bedeutet absteigen, das Rad mehrere Meter hinunter befördern, dann es auf der anderen Seite steilst wieder hinauf zu wuchten. Schnelles Vorankommen? Fehlanzeige und so ist es schon heller Tag, als wir unsere Reserven in Imassine auffüllen.

Tag 2 bringt zunächst eine Flussquerung in eiskaltem Wasser, dann weite Hochflächen und schlussendlich eine mehrere Kilometer lange Schiebestrecke hinauf zum höchsten Punkt auf Quote 2000. Belohnung nun eine 50 Kilometer lange Abfahrt mit Ausblicken, die einem Winnetou-Film zur Ehre gereicht hätten. Felsformationen zum Staunen, dann eine krasse mauerbewehrte Kolonial-Road. Ja nicht zu nah an den Abgrund geraten.

Mein fast nicht vorhandenes technisches Fahr-Können wird auf eine harte Probe gestellt. Mit langsam runter ruckeln ist hier nicht. Ich düse über die lockeren Passagen und hoffe, dass mein Procaliber mich nicht abwirft. Ich glaube die Vittoria Mezcal retten mich über das schwierige Terrain. Da liegt was vor mir auf dem Weg: ein Smartphon. 10 Kilometer weiter kommt mir der Besitzer zu Fuß entgegen, Lawrence, ein 23-Jähriger Teilnehmer, mit dem ich in Marrakech schon eine Runde geradelt war. Sein Rad werden wir etwa 3 km talabwärts abgelegt sehen, der Arme! Erleichterung seinerseits – ich sei sein „angel“ …

Wunderschön fahren wir nun durch eine palmengesäumte Oase abwärts nach Afra. Auch hier trifft sich zu später Stunde eine größere Runde zu Omelette, Käsebrot und Minze-Tee. Etwas stockt die Versorgung, da der Shop Inhaber sich zwischen einem und dem anderen Omelette auf seinem ausgerollten Mini-Teppich zum Gebet niederlässt.

Wir fahren noch ein paar Kilometer weiter und bauen in einer einsamen Oase unser erstes Biwak auf, hoffend, dass die Dornen im tiefen Sand sich nicht in unsere aufblasbaren Matten bohren. Nach kurzem und wenig erholsamem Schlaf brechen wir sehr früh wieder auf. Ziel ist nun die in einem engen Canyon gelegene Oase Tizgui. Omar, der tagsüber hier Tee kredenzt, schläft wohl noch. So machen wir uns über zahllose Stufen bergwärts auf und gelangen auf die steile Straße, die uns nach Tazenakht bringen sollte. Unterwegs lenke ich mich mit meinem Hörbuch ab, aber als mein Rad auf einmal wie von Geisterhand sich um 90° zur Straßenmitte bewegt kurz bevor ein Auto an mir vorbei braust, fahre ich wie aus Sekundenschlaf gerissen auf. Ich brauche einen kurzen Powernap. Hermann hilft mir neben einer Mauer meine Matte und Schlafsack auszubreiten, ich schlafe etwa 10 Minuten, dann geht es weiter. Ich tausche mich mit Walter aus. Er hat Probleme mit seinem Bein von den langen hike-a-bike-Passagen und will in Ait Saoun aussteigen. Mir geht es zwar nun besser, aber Hermann macht mir Sorgen.

Seine Erkältung hat sich verschlechtert. Ist es da vernünftig weiterzumachen? Bei einem so hammerharten Event? Was wäre, wenn er auch ausstiege? Sollte ich alleine weiterfahren? Oder will uns das Schicksal damit sagen, dass wir gut dran täten, hier nach nicht mal 500 Kilometern das Handtuch zu werfen? Ich bin hin- und hergerissen. Endlich ausruhen? Nach Nachschub von Omeletten und Fladenbroten mit Käse sowie Kaffee und Minze-Tee und der Nachricht von Christian, dass er es hier auch gut sein lassen würde, wollen Hermann und ich zumindest bis Tazenakht weiter fahren und dort eventuell ein Hotelzimmer zu nehmen und dann weiter zu denken.

Die Fahrt über das nun folgende Hochplateau macht irre Spaß und die 5-6 Stunden vergehen wie im Fluge. In Tazenakht gönnen wir uns mehrere Pizzas und wollen, da es erst später Nachmittag ist noch die 60 Kilometer Asphalt hinter uns bringen. Unterwegs merke ich, dass mit meinem Sitzfleisch etwas nicht stimmt, die Haut ist leicht entzündet. Etwas Creme und am nächsten Tag keine Hose mit Polster und das Problem ist gelöst. Zum Glück. Wir passieren nach Dunkelwerden Tamskrout. Wie erwartet gibt es kein Hotel und so schlagen wir unser Biwak einige Kilometer später auf. Der Untergrund ist übersäet mit Steinen nicht grad ideal. Früh geht es wieder weiter.

Einiges an Aufstieg und dann Abfahrt bis nach Assereragh, dem Checkpoint 2. Unbegreiflicherweise stürze ich mit meinem Rad und schlage mit dem linken Oberschenkel hart auf einem spitzen Stein auf. Ein riesiger blauer Fleck ist die Folge, mehr noch aber die starken Schmerzen, wenn ich den Oberschenkel-Muskel aktiviere.

Das heißt beim Pedalieren tut es sehr weh und noch schlimmer, als ich bei CP2 vom Rad steige und einige Meter zu Fuß gehen muss, kaum zu bewältigen. Das wird sich den gesamten Tag nicht ändern.

Muss ich scratchen? Von meinen Schmerzen abgelenkt werde ich durch die wunderschöne Landschaften in der Dämmerung, Palmengärten und malerische Dörfchen. Der Tag dämmert ungefähr gegen acht Uhr, abends ist es ab halb acht dunkel.

Nach Katzenwäsche in CP2, der Auberge Des Ètoiles, und einem wunderbaren Menü bestehend aus Tajine (Gemüse und Hühnchenfleisch), Omeletten, Pfannkuchen mit Marmelade, Kaffee, Minze-Tee, begeben wir uns wieder auf die Strecke.

Atemberaubende Ausblicke bei der Abfahrt in die Palmerie Aguinane. Auch der Weiterweg über eine einsame Passhöhe ist traumhaft schön. Daran reiht sich eine lange Asphaltstrecke. Unerwartet gibt es vor dem letzten Anstieg an diesem Tag Versorgung mit Brot und Amlou, einer süßen Mandelpaste, und Tee, bereitgestellt von einem Einheimischen, der seinen Keller umfunktioniert zum Café mit Sitzgelegenheit am Straßenrand.

Beim Weiterfahren dräuen Wolken über uns, ein starker Wind bringt erste Regentropfen. Ich mache mein Gepäck rasch wetterfest. Zum Glück ziehen die Wolken in die andere Richtung. Nach der weiten Hochfläche geht es erst mal über eine schottrige schwierige Abfahrt hinunter bis in ein breites Bachbett. Die nächsten etwa 20 km werden nicht leicht werden. Der „Weg“ ist in den runden Kieseln manchmal kaum zu erkennen. Ich hatte eigentlich an gemütliches Ausrollen bis Tagmouth gedacht, das vor dem legendären Anstieg über die „old colonial road“ lag. Leider wieder mal „nein“!

Bei Dunkelwerden haben wir es in das Dorf mit seinem viereckigen Marktplatz geschafft. Wie üblich Verpflegung bestehend aus Omelette, Brot und Tee. Wir versorgen uns noch mit Kekspäckchen und beschließen weiterzufahren bis an den Beginn des Aufstieges, obwohl ein Einheimischer uns anbot, unseren Schlafsack bei ihm auszubreiten.

So gibt es ein paar Kilometer weiter ein weiteres Biwak bei Minusgraden. Der Gedanken an die alte Kolonialstraße mit ihren beiden unpassierbaren Unterbrechungen lässt mich nicht gut schlafen. Nach 3 Stunden Ruhe machen wir uns wieder auf den Weg. Beschreibungen von früheren Teilnehmern sprachen von vielen hike-a-bike-Kilometern. Ich senke meinen Sattel etwas und wunderlicherweise schaffe ich es, das meiste auf meinem Rad zurückzulegen und eiere den Weg bergauf, immer wieder großen Steinen ausweichend. Auf einmal ist die „Straße“ jäh zu ende. Mein Lichtkegel erfasst eine Abbruchkante und einen Abgrund von etwa 10 Metern vor mir. Ich lege mein Rad ab und versuche runterzuklettern. Hmmmhmmm. Oje, wie soll ich da mein Rad nachbekommen? Hermann trifft ein und sagt, er habe 50m vorher einen schmalen Weg gesehen. Also zurück und das Rad tragend nach unten in die Schlucht bugsieren. Bin ich froh, dass mir mein Teampartner hilft, mein Rad auf der anderen Seite wieder nach oben zu wuchten. Knochenarbeit!

Unterbrechung der „old colonial road“? Wo geht es bitte weiter?

Wenige Kurven später dasselbe Szenario. Abgrund vor dem Vorderreifen und Umweg.

Immer wieder treffen wir bei der Weiterfahrt auf Radfahrer, die ihr Lager am Wegrand aufgebaut haben. Ich werde auch wieder müde und am höchsten Punkt gibt es keinen Ausweg als einen kurzen Powernap im Schlafsack, grad 10 Minuten, bis die Kälte von unten durch die Daunen dringt. Aber das genügt schon und nun wird es auch langsam hell, die Sonne geht über den Bergen auf und taucht die Felsen rundum in ein unwirkliches Rot.
Noch 20 Kilometer Abfahrt, deren Untergrund höchste Konzentration verlangen und wir haben unser Frühstück in Issafn, einem kleinen Straßendorf, redlich verdient. Wir finden ein kleines Café am Straßenrand, vor dem schon ein paar Radfahrer sitzen. Es gibt wunderbar leckere frische Süßspeisen, natürlich wie üblich Omeletten und Kaffee und Tee. Ich gönne mir auch einen frisch gepressten Orangensaft und einen Avocado-Shake. Irre lecker und energiereich.

Nach einem kurzen Asphalt-Intermezzo legt Hermann einen Power-Nap auf einer Bank ein, ich fahre weiter. Es geht nun durch einen teilweise palmenbewachsenen Canyon, der durch die Felsenlandschaft aufwärts mäandert. Die Temperaturen steigen an, die Schotterstraße wird immer schlechter und steiler. Hier und dort sind einige Siedlungen. Meist kommen die Kinder sofort angelaufen und begleiten die Fahrer ein Stück, möchten „give-me-five“. Ich höre plötzlich neben mir Steine aufschlagen. Die werden doch nicht …?! Ich bremse abrupt, drehe mein Bike um, setze meinen bösesten Blick auf und schreie „LA“! (das sollte NEIN bedeuten auf Arabisch). Die Kids waren ganz schon erstaunt, sich einer solchen Furie entgegen zu sehen und machten gar nichts mehr, auch den nachfolgenden Hermann ließen sie in Ruhe.

Ich „leide“ den Weg weiter, wechsle ein paar Worte mit einem französischen Fahrer, der am Shermer’s neck leidet, dem ich immer wieder mal treffen werde, der aber aufgeben wird. Irgendwann schaffen wir es zum höchsten Punkt und hier mündet der Weg in eine breite Schotterstraße. Es geht über die Hochfläche, dann und wann unterbrochen von einer kurzen Abfahrt, deren Höhenmeterverluste durch steilste Anstiege wiedergut gemacht werden. Dann und wann brettert ein LKW vorbei und nebelt uns für Minuten ein. Bei Dunkelwerden geht es abwärts, um dann durch ein weiteres Palmen-Tal anzusteigen.

Der Plan war, bis zu CP3 zu fahren und dort in einem Hotel-Bett zu schlafen. Gegen Mitternacht haben wir jedoch erst etwa die Hälfte des Anstieges hinter uns und vom höchsten Punkt noch 20 Kilometer Abfahrt vor uns. Ein Hotel unterwegs, Kontrollpunkt bei der vorletzten AMR-Ausgabe, ist leider geschlossen und so schlagen wir unser Biwak auf, für 3 Stunden.

Dann geht es weiter nach Tafraoute, CP3. Bei Eintreten in das Hotel werden wir gleich von übereifrigen lokalen Mitarbeitern in Empfang genommen, ich weiß gar nicht, wo mir der Sinn steht und es tut mir leid, dass ich auf den Überschwang nicht ebenbürtig reagieren kann. Ich brauche nur noch eine Dusche und ein Bett. Das gönnen wir uns auch für eineinhalb Stunden. Es scheint, dass wir beim Frühstück die allerletzten sind, die noch da sind. Ich beobachte, wie ein Mann uns beim Essen und den Abfahrt-Vorbereitungen filmt. Nanu? Er stellt sich bei unserer Abfahrt als Volonteer aus Portugal vor. Ach so, … und der filmt das alte Ehepaar … das nicht mal sicher ins Ziel kommt …

In den nächsten Kilometer ändert sich die Landschaft komplett, viele Dörfer sind zu passieren, es ist etwas grüner, Millionen von Kakteen säumen unseren Weg. Es geht auf und ab, abwechslungsreich. In einem kleinen Dorf werden wir von einer jungen Frau angesprochen, Hajar ist hier Lehrerin wie sie sagt und unter katastrophalen Zuständen betreut sie hier vier Schüler. Gerne würde sie uns in ihr bescheidenes Haus einladen und auch das Schulhaus zeigen. Leider müssen wir weiter. Wir werden allerdings über WhatsApp in Kontakt bleiben.

Eine lange Abfahrt endet wieder einmal in einem Wadi, keine Ahnung, wo es weiter geht, wir folgen einfach dem Track auf unserem GPS-Gerät. In der Ferne sehen wir einen Weg sich den Berghang hinaufschlängeln. Dieser ist mal wieder nicht fahrbar. Hike-a-bike mit ungewisser Länge. Es könnten bis zu 6 Kilometer werden. Glücklicherweise mündet der Weg aber schon bald in fahrbares Gelände. Auf schmalem Weg kommt uns auf einmal ein brauner California entgegen. Was macht denn der hier? Und wie will der wieder umdrehen? Schon geht die Fahrertür auf und eine Kamera wird gezückt. Später erfahre ich, es ist ein AMR-Mitarbeiter, der so in etwa die Letzten „begleitet“.

mit Hajar

Schön fahrbar fahren wir nun wieder mal etwas auf und ab durch die einbrechende Dämmerung. Irgendwann glaube ich, dass hinter mir ein Bus oder so was naht. Nein, im Dorf neben uns beginnt ein Muezzin mit seinem Singsang zum Gebet zu rufen, die Kollegen in den Dörfern rundum fallen ein.
Wenig später fahren wir in Ait Baha ein, einer etwas größeren Ortschaft. Hier bringen wir in einem kleinen Restaurant den Besitzer zum Staunen mit unseren Bestellungen: Suppe, dann Omelette, Tee, Kaffee und Brathähnchen vom Grill, dazu Unmengen von Brot. Die Reste letzteres packen wir ein, als nächtlichen Snack mit Sardinen in Tomatensauce (wir verputzten auf unserer Fahrt so viele Dosen, wie in den letzten 10 Jahren zuhause nicht …).

Philipp ließ hier seine Prognose vom Stapel, dass es nun gemütliche 60 Kilometer bergab ginge …
Siehe Anfang dieser Geschichte!

Nach den 15 km Sand-hike-a-bike am frühen Morgen habe ich wieder mal Schlafattacken, Hermann auch und so legen wir uns einfach so wie wir sind etwas abseits der Straße auf den Boden. Kleider staubig? Egal! Bald geht es auch wieder weiter. In Jerf ist viel los, Frauen und Schüler stehen an den Bushaltestellen.

Wir kehren in einem kleinen Shop ein und rüsten uns aus für die nächsten beiden Berg-Etappen mit je 1000 und 1100 Höhenmetern. Nun geht es ziemlich trostlos durch Schottergruben, dann eine befahrenere Straße entlang bis hin zur letzten Versorgungsmöglichkeit, einer Tankstelle, sehr verwahrlost und schmutzig ist es hier in diesem Durchgangsort. Hermann hatte mich schon gewarnt, das Wetter sollte sich ändern: ein Sandsturm zieht auf. Als wir die Tankstelle verlassen, nach Omelette und Tee, was wohl sonst, ist Wind aufgekommen, der Himmel ist braunrot und man hat keine Sicht mehr. Das Aufwärtsfahren ist sensationell. Ich brauche die nächsten 1000 Höhenmeter nur ein wenig mittreten, der Sturm schiebt mich nach oben. Aber wehe man verlässt nur leicht die Windrichtung, dann nichts wie runter vom Rad und sich gegen die Böen stemmen. Es fängt auch noch an zu regnen. Wir ziehen unsere Regenhosen und -jacken an. Auf der Höhe endet die Asphaltstraße abrupt und geht in einen lehmigen Weg über. Glücklicherweise folgt nun eine Abfahrt. Plötzlich schlingert mein Rad und rutscht wie auf Seife, dann stoppe ich plötzlich. Was ist los?

Ich blicke nach unten und kann die Bescherung gar nicht richtig einordnen: Schlamm hat sich um die Reifen gewickelt und blockiert alles. Lehm füllt die Zwischenräume zwischen Rad und Taschen aus, die Kette ist nicht mehr zu sehen. Es gelingt mir nicht mal mehr mein Rad zu schieben, die Reifen sind blockiert, das Ganze ist megaschwer. Ich muss aber bis zum nächsten Baum, um einen Ast zu finden zum Abkratzen. Ist allerdings fast sinnlos, denn ein weiterer Meter auf diesem Boden und alles beim Alten. Schieben geht nur auf dem steinigen und unwegsamen Rand des Weges. Wie soll das nun gehen? Wie kommen wir da bloß weg? Irgendwann kann man wieder aufsteigen, solche Passagen wie auf Seife folgen noch mehrere. Der Wind ist hier oben noch stärker geworden. Bei der Abfahrt passiert es dann:

Wir kommen um eine Biegung, ich höre schon ein tosendes Rauschen und schon erfasst eine Sturmböe mein Rad. Ich schaffe es grad noch runterzuspringen und mit aller Kraft den Lenker festzuhalten. Mein Rad wird abgehoben vom Boden und steht fast wie eine Fahne in der Luft. Hermann hat es schlimmer erwischt. Er war nicht schnell genug mit dem Abspringen. Es hebt ihn mit dem Rad in die Luft und mit einer Wucht wird er gegen einen Steinhaufen am Wegesrand geworfen. Abschürfungen an Schienbein und Hand. Er hat mehr Glück als Verstand gehabt. Wäre das ein paar Meter vor- oder nachher passiert, war er in den Abgrund gestürzt. Mit zitternden Knien fahren wir weiter ab, es gibt mehrere Gegenanstiege. Ich frage mich, ob es einen vernünftigen Grund gibt, den nächsten noch höheren Berg zu fahren. Wie wird es dort mit den Windgeschwindigkeiten sein? Gefährlich? Warum gibt es keine Information durch den Veranstalter?

Am tiefsten Punkt kommen wir wieder durch ein Wadi mit Palmen. Dort gibt es zwar kein Dorf, aber da der nächste Pass touristisch mehr genutzt wird, haben sich entlang der Straße mehrere Cafés angesiedelt. Wir stärken uns am frühen Abend wieder mit je zwei Omelette und Tee, quatschen noch etwas mit einigen anderen Teilnehmern, kaufen jede Menge Snacks ein und gehen den letzten Berg an. Aufgrund der vielen Kehren und Serpentinen wird er scherzhaft auch Marokkos Passo Stelvio genannt. Die 1100 Höhenmeter haben es insofern in sich, dass die Steigung nach oben hin fast unmenschlich wird. Der Wind ist zum Glück etwas abgeflaut. Es ist nun nach Mitternacht. Ich bin unendlich müde. Weiter Abfahren in wärmere Zonen wäre vernünftig, aber sobald die Beine nicht mehr treten müssen, kommen die Schlafattacken und Sekundenschlaf wäre fatal. So schlagen wir kurz unterhalb des Passes unser Biwak in einem Wäldchen auf. Nachdem ich mich in meinem Schlafsack eingemummelt habe, höre ich im Halbschlaf draußen vor dem Zelt verschiedene Geräusche. Was gibt es hier wohl für Tiere?

Lange gönnen wir uns keine Ruhe, wir müssen heute vor Mitternacht in Essaouira sein und haben noch 170 km vor uns. Wer weiß, wie das Gelände ist. Machbar? Maprogress zeigt, dass nicht mehr viele hinter uns sind, aber von 220 Teilnehmern schon fast 100 ausgestiegen. Von dem bisschen Stolz noch im Rennen zu sein kann ich auch nicht zehren, jetzt heißt es mit Vollgas weiter. Recht abwechslungsreich ist das Terrain, es geht auf und ab, über Schotter und zwischendurch wieder mal auf Asphalt. Gegen Morgendämmerung ist es wieder mal soweit, beide sind wir so schläfrig, dass nur ein Powernap Aushilfe schafft, für 15 Minuten legen wir uns flach, bis die Kälte in die Glieder kriecht.

Auf unserem Weiterweg überholen wir einen Teilnehmer aus den Niederlanden, der völlig ausgelaugt wirkt. Er hat nichts mehr zu essen, wir geben ihm was von uns ab. Und weiter.
 

Zur Frühstückszeit treffen wir in Imsouane ein, ein Städtchen am Atlantik, das aktuell einer der beliebtesten Surfspots in Marokko ist. Dementsprechend lebhaft geht es schon am Strand unten zu und es ist ein Muss etwas von der Strecke abzuweichen und im Zentrum des Örtchens die Reserven aufzufüllen.

Lecker mit Omelette und Tee, Orangensaft, Avocado-Shake, verschiedenen Croissants und Crepes. Im Minimarket füllt Hermann unsere Reserven auf und weiter geht es. Noch etwa 90 Kilometer liegen vor uns. Sehr motivierend folgen wir zunächst einer parallel zur Küste verlaufenden Straße. Hier treffen wir auch wieder auf den braunen California. Ach ja, der verfolgt ja die Letzten … egal, wir können stolz sein bei DER Ausfallsquote noch dabei zu sein …

Bald geht es ab von der Straße und zwei normalerweise harmlose Berge sind zu überqueren. Das erste Mal in ungewohnter Mittagshitze wollen meine Beine nicht mehr. Ich fühle mich, als hätte ich Fieber. Ich opfere einen Teil meines kostbaren Wassers, um meinen heißen Kopf zu kühlen. Auch der zweite Berg ist geschafft, bei einer kleinen Pause am ersten und einzigen Brunnen der ganzen Tour treffen wir auf ein kleines Schwätzchen einige Lokals. Ich werde aufgefordert auf den festlich geschmückten Esel zu steigen. Dann müssen wir aber weiter, so angenehm die Pause auch war. Noch 40 Kilometer warten auf uns. Diese dehnen sich wie Kaugummi, halten aber glücklicherweise keine unangenehmen Überraschungen mehr bereit, außer einer kurzen Sandpassage kurz vor dem Ziel.

Angekommen fällt die ganze Anspannung von mir ab. Hatte ich unterwegs einige Male gedacht, ich müsse vor Erlösung heulen, so bin ich nun nur relaxt und erleichtert es geschafft zu haben mit 116 weiteren erfolgreichen Finishern. Ich hole mir den verdienten letzten Stempel. Wir sind nicht mal Letzte, 5 weitere kommen nach uns an und wie schon erwähnt 104 haben gescratched!!  Ich habe keine Zeit auf meine Emotionen zu achten … nun heißt es nämlich schnell Zimmer zu beziehen, zu duschen und sich „fein“ machen für die Finisher-Party … Und so schön ist es hier viele Leute wieder zu treffen und Erfahrungen auszutauschen. Die Strapazen der letzten 8 Tage sind im Nu vergessen.

Meine Planung:

Dotwatcher Lanterne Rouge Award

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Ich war perplex, als Kitty von Dotwatcher.com* mich kürzlich kontaktierte und mir mitteilte, dass ich für den Lanterne Rouge Award nominiert würde. Sollte ich Jubeln? Sollte ich rot werden, weil das vielleicht peinlich ist? Ich sehe es aber als absolute Ehre an …

Das ist der Text auf Deutsch übersetzt (Quelle: Instagram @dotwatcher.cc):

Eine Auszeichnung, die zeigt, wie wichtig es ist, Widrigkeiten zu überwinden. Während jedes Rennen einen Sieger hat, gibt es eine andere Position, die viele DotWatchers aufmerksam verfolgen: die Lanterne Rouge. Mit ihren spannenden Geschichten und ihrer unerschütterlichen Entschlossenheit erobern diese Fahrer oft die Herzen und Köpfe ihrer Anhänger, sowohl auf der Straße als auch im Gelände.

Dieses Jahr stach Gabi Winck (@lumacagabi) besonders hervor. Gabi nahm an dem absoluten Mammutrennen GBDURO teil, das sie zwar als Letzte beendete, bei dem aber über 50 % der Teilnehmer nicht ins Ziel kamen. Sie erreichte jeden Checkpoint mit viel Elan und fuhr unter tückischen Bedingungen durch die Dunkelheit und bei schlechtem Wetter. Gabis positive Einstellung und ihre freundliche Art wurden an den Kontrollpunkten sehr geschätzt.

Gabi ist keine Unbekannte bei Ultra-Distanz-Rennen: Sie hat bereits das Three Peaks Bike Race und den North Cape 4000 absolviert. Gabi dokumentiert all ihre Abenteuer in ihrem ausführlichen Blog und auf ihrem YouTube-Kanal, der sowohl ein Spiegelbild ihrer bisherigen Erfahrungen als auch ein informatives Werkzeug für jeden Ultrafahrer ist.

Gabi: 𝙂𝘽𝘿𝙐𝙍𝙊 𝙬𝙖𝙨 𝙩𝙝𝙚 𝙗𝙞𝙜𝙜𝙚𝙨𝙩 𝙘𝙝𝙖𝙡𝙡𝙚𝙣𝙜𝙚 𝙤𝙛 𝙢𝙮 𝙡𝙞𝙛𝙚, 𝙖 𝙡𝙤𝙩 𝙤𝙛 𝙙𝙞𝙛𝙛𝙞𝙘𝙪𝙡𝙩 𝙩𝙚𝙧𝙧𝙖𝙞𝙣, 𝙡𝙞𝙩𝙩𝙡𝙚 𝙨𝙡𝙚𝙚𝙥 𝙖𝙣𝙙 𝙡𝙤𝙣𝙚𝙡𝙞𝙣𝙚𝙨𝙨 𝙞𝙣 𝙖 𝙬𝙤𝙣𝙙𝙚𝙧𝙛𝙪𝙡 𝙡𝙖𝙣𝙙𝙨𝙘𝙖𝙥𝙚. 𝙏𝙝𝙚𝙣 𝙛𝙧𝙤𝙢 𝙙𝙖𝙮 8 𝙤𝙣𝙬𝙖𝙧𝙙𝙨, 𝙖𝙡𝙢𝙤𝙨𝙩 𝙚𝙫𝙚𝙧𝙮𝙩𝙝𝙞𝙣𝙜 𝙬𝙚𝙣𝙩 𝙬𝙧𝙤𝙣𝙜: 𝙘𝙧𝙖𝙨𝙝, 𝙛𝙧𝙤𝙣𝙩 𝙡𝙞𝙜𝙝𝙩 𝙗𝙧𝙤𝙠𝙚𝙣, 𝙗𝙪𝙛𝙛𝙚𝙧 𝙗𝙖𝙩𝙩𝙚𝙧𝙮 𝙗𝙧𝙤𝙠𝙚𝙣, 2 𝙛𝙡𝙖𝙩 𝙩𝙮𝙧𝙚𝙨, 𝙖𝙞𝙧 𝙥𝙪𝙢𝙥 𝙗𝙧𝙤𝙠𝙚𝙣, 𝙤𝙫𝙚𝙧𝙨𝙡𝙚𝙚𝙥𝙞𝙣𝙜 𝙖𝙩 𝙣𝙞𝙜𝙝𝙩 𝙖𝙣𝙙 𝙨𝙤 𝙤𝙣 𝙖𝙣𝙙 𝙨𝙤 𝙤𝙣.

𝙄 𝙩𝙝𝙤𝙪𝙜𝙝𝙩 𝙩𝙤 𝙢𝙮𝙨𝙚𝙡𝙛: 𝙩𝙝𝙚𝙧𝙚’𝙨 𝙣𝙤 𝙨𝙪𝙘𝙝 𝙩𝙝𝙞𝙣𝙜 𝙖𝙨 𝙜𝙞𝙫𝙞𝙣𝙜 𝙪𝙥, 𝙚𝙫𝙚𝙣 𝙞𝙛 𝙄 𝙘𝙤𝙢𝙚 𝙡𝙖𝙨𝙩. 𝙎𝙤𝙢𝙚𝙤𝙣𝙚 𝙝𝙖𝙨 𝙩𝙤 𝙗𝙚… 𝘾𝙤𝙢𝙞𝙣𝙜 𝙡𝙖𝙨𝙩 𝙖𝙩 𝙩𝙝𝙚 𝙂𝘽𝘿𝙐𝙍𝙊 𝙞𝙨 𝙨𝙩𝙞𝙡𝙡 𝙖𝙣 𝙝𝙤𝙣𝙤𝙪𝙧 𝙜𝙞𝙫𝙚𝙣 𝙩𝙝𝙚 𝙝𝙞𝙜𝙝 𝙙𝙧𝙤𝙥-𝙤𝙪𝙩 𝙧𝙖𝙩𝙚.

Keine Sorge, Gabi hat sich bereits für mehrere Veranstaltungen 2023 angemeldet, es werden noch viele folgen.

Herzlichen Glückwunsch an Gabi für unseren Lanterne Rouge Award 2022, unsere Auszeichnung für die ausdauerndste Radfahrerin des Jahres.

*Dotwatcher ist eine wunderbare Plattform für ultra-distance cycling-Berichterstattung mit einer tollen Gruppe von Expertinnen und Experten, die jedes Ultra-Radrennen genau begleiten und analysieren. Bei der GBDuro fand ich die Berichterstattung sehr motivierend (bis auf die letzten Stunden, bei denen alle Diskutierenden meinten, ich schaffe es sicher nicht mehr in der Zeit ins Ziel …)

AMR Atlas Mountain Race 2023

Bericht und Video sind fertig!!!!

Hier könnt ihr uns verfolgen
klicke hier! ………………………………………………………………italiano english

Foto: Torsten Frank

Das AMR – Atlas Mountain Race – ist ein Radrennen mit vorgegebener Strecke, die ohne Unterstützung von außen zurückgelegt werden muss. Das heißt, es gibt nichts, keine organisierten Unterkünfte oder Essen und Trinken. Jeder und jede muss das eigene „Überleben“ selbst sichern. Ein Video der Veranstaltung findet ihr am Ende der Seite; die wunderbaren Bilder hat mir Torsten Frank zur Verfügung gestellt. Seinen spannenden Erfahrungs-Bericht könnt ihr hier lesen. Die Bilder findet ihr am Seitenende größer in der Bilder-Galerie.

Nun zu den Details …

Der Start ist in Marrakesch, auf abgelegenen Pfaden wird der marokkanische Atlas überquert, die Hochflächen des Anti-Atlas bis nach Essaouira an der Atlantik-Küste. Insgesamt sind 1300 Kilometer mit 20200 Höhenmetern zurückzulegen.

Dabei geht es ganz schön zur Sache. Asphalt gibt es nur selten. Wir sind auf Schotterstraßen, schmalen Wegen, auf alten, längst vergessenen und oft verfallenen Kolonialpisten unterwegs. Der Veranstalter schreibt, manchmal wird auch zu Fuß zu gehen sein, was vermutlich eine ganz schöne Untertreibung ist, denn aus Berichten der vorhergegangenen zwei Austragungen sind die Schiebe- und Tragestrecken an der Tagesordnung und das nicht selten.

Drei Kontrollstellen gibt es unterwegs. In der Beschreibung wird schon darauf hingewiesen, dass oft lange Strecken zurückgelegt werden müssen ohne Möglichkeit sich mit Wasser und Lebensmitteln zu versorgen.

Unsere Recherchen haben ergeben, Einkaufsmöglichkeiten sind nicht nur äußerst dünn gesäte, sondern auch das Angebot ist nicht zu vergleichen mit europäischen Standards. Zudem ist die Ungewissheit, was man überhaupt sorglos essen kann (außer – wie Teilnehmer schrieben Omelette, Omelette, Omelette …), ohne von der Rache des Montezuma getroffen zu werden (hat der Aztekenherrscher hier in Afrika überhaupt was zu sagen?) – Spaß beiseite, spaßig ist es bestimmt nicht, wenn einen eine Magen-Darm-Infektion ereilt. Das würde zudem neben Wandern, Schieben, Tragen das Weiterkommen erheblich hemmen, denn viel Zeit gibt es nicht das Ziel am Atlantik zu erreichen. Nur acht Tage sind zur Verfügung, wollen wir zur Finisher-Party ankommen. Ich kann nach den Erfahrungen bei der GBDuro schon ahnen, dass es mit erholsamen nächtlichen Pausen diesmal wieder nichts wird.

Foto: Torsten Frank

Ich bin überglücklich, dass Hermann auf seinen inneren Renn-Drang verzichten wird und mit mir im Schlepptau, sprich im Team starten wird. Ohne mich gäbe es für ihn wohl ein schnelleres Weiterkommen, technisch gesehen ist er einfach der größere Draufgänger. Stürzen und sich verletzen sollte man aber vermeiden, da Hilfe nicht wie bei uns gewohnt schnell da wäre. Auch gibt es im Inland kaum mal Handy-Empfang. Ich freue mich auf das Abenteuer mit ihm!

Die Landschaft soll traumhaft sein. Und hoffentlich spielt das Wetter mit. Es kann in den Höhen von Atlas und Antiatlas empfindlich kalt werden in den Nächten und tagsüber können auch Temperaturen über 30°C überschritten werden. Regen fällt normalerweise nicht oft in diesem trockenen Land, aber es nicht ausgeschlossen, dass Niederschläge die Flüsse zeitweise unüberwindbar macht, wie bei der vergangenen Edition. In den Höhen kann es auch schneien.

Viele unbekannte Variablen, wie auch die Verständigung, Arabisch spreche ich ja nicht fließend, ich scherze, nein, kann ich gar nicht und Französisch auch nicht … Ein Wort auf Arabisch kann ich schon, ich hoffe, dass ich es oft anwenden darf: شكرًا – das heißt „Danke“.

Und lässt mich mein MTB wohl nicht im Stich unterwegs … ich bin keine begnadete Rad-Mechanikerin und Bike-Shops gibt es im Inland vermutlich keinen einzigen. Nein, da wird man nicht mal vorsichtig vermuten dürfen …

Die Spannung wächst von Tag zu Tag, eine Mengen Laufereien sind notwendig, die Planung und das sich-Organisieren wird uns die nächsten paar Wochen wohl auf Trapp halten. Packlisten erstellen … Was muss mit? Was kann daheim bleiben? Jedes Gramm an Zuviel ist unnützer Ballast, der ein schnelles Weiterkommen verhindert. In Großbritannien (GBDuro22) schleppte ich ein 20-Kilo-Gravelbike mit mir, hier wird es wohl auch nicht sehr viel leichter werden, bedenkt man, dass man zeitweise wohl bis zu 5 Liter Wasser mitführen muss.

Unüberwindbare Hürde?

Mein Reisepass muss nach Ausreise aus Marokko noch 6 Monate gültig sein, meiner verfällt im August 2023, aber genau 5 Tage zu früh. Nach der Race-Zusage habe ich versucht einen Termin bei der Questura zu bekommen, aussichtslos, vor Ende Februar gibt es keine … Das kann doch nicht sein, jetzt hat man den heißbegehrten Startplatz ergattert und kann nicht hin?

Ich schrieb an mehrere Stellen e-Mails. Eine sehr nette Commissaria beruhigt mich, mit einem Schreiben des Veranstalters, der Bestätigung des Starplatzes, also aus Dringlichkeitsgründen, könnte ich einen vorgezogenen Termin bekommen. Ich hoffe, dass alles klappt …

Uns könnt ihr im Februar verfolgen, denn ein Tracker ist verpflichtend und die Position aller Fahrer*innen kann minutiös auf einer Karte beobachtet werden.
Der Link wird zur gegebenen Zeit hier zu finden sein.

Die wunderbaren Bilder (siehe auch Galerie unten), freundlicherweise von Torsten Frank zur Verfügung gestellt, können euch einen Einblick geben, was uns erwarten wird … Besucht auch seinen sehr spannenden Erfahrungsbericht auf seinem Blog! HIER

Hier der Film des Veranstalters:

Terrenobili Gravel 2022

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Klingt gut: 700 Kilometer Gravel durch den Norden Italiens, wenig Höhenmeter, viel Kultur (Unesco Weltkulturerbe), noch mehr Natur entlang der Flüsse und Kanäle.

Und da ich nach dem Abenteuer GBDuro22 im Moment noch keine Lust habe mir die Nächte um die Ohren zu schlagen, starte ich völlig ohne Ambitionen mit dem Vorsatz jede Nacht gut zu schlafen. Das Zelt schließe ich aus, da der Wetterbericht Regen und Kälte voraussagt. Unterkünfte vorgebucht, schlappe gut 200 Km täglich, das würde gemütlich werden. Ab nach Caorle und los geht es. Der Startbereich ist nicht überfüllt, da es das die Edition 01 der Terrenobili ist und man zudem innerhalb 24h das Startfenster auswählen kann .

Zunächst mein Video:

Es sollten einige norditalienische Städte abgeklappert werden, darunter Treviso, Vicenza, Padua, Verona, Peschiera del Garda und weitere Orte mit wunderschönem mittelalterlichem Stadtkern wie Montagnana, Este, Monselice, …

Ein weiteres Kennzeichen dieser ersten Ausgabe der Terrenobili ist, dass die Streckenführung meist entlang von Flüssen und Kanälen führt, das bedeutet sehr viel Gravel auf Dämmen, daneben sehr wenig Straßen, sondern neben den Schotterpassagen Radwege, manches sekundäre Sträßchen und der ein oder andere Singletrail über Wanderwege. Besondere Schwierigkeiten gibt es kaum.

Am ersten Tag hatte ich 212 Kilometer vor mir und kaum Höhenmeter. Ich lerne unterwegs Marina kennen und wir fahren immer wieder mal zusammen, auch Mauro treffen wir immer wieder. Die vielen Schotterpassagen senken allerdings meine Durchschnittsgeschwindigkeit, sodass ich erst nach Einbruch der Dunkelheit im Hotel Piroga in Selvazzano bei Padua eintreffe, nachdem ich mir im Zentrum Paduas den Stempel auf meiner Brevetkarte geholt hatte.

Ging der erste Tag recht unterhaltsam zu Ende mit viel Quatschen und Austausch von Geschichtchen, so werde ich die nächsten drei Tage einsam unterwegs sein. Auch nicht schlecht, man kann tun und lassen, was man will, Fotopausen machen, wann man will. Mir liegt es sowieso nicht, am Reifen eines anderen Radfahrers zu kleben, zu gerne schaue ich mir die Landschaft rundum an und möchte nicht den ganzen Tag auf den Reifen des Vordermannes oder der Vorderfrau starren, um Auffahrunfälle zu vermeiden.

Da ich heute nach dem Frühstück nur 190 Kilometer abzuspulen habe, überlegte etwas überheblich schon, ob ich heute nicht viel zu früh im Hotel sein würde. Dieser zweite Tag ist geprägt durch ein abwechslungsreiches ständiges Auf und Ab, unterbrochen von einigen kurzen aber sehr knackigen Anstiegen; die „Handschrift“ von Giorgio Murari ist deutlich erkennbar. Auch erfordern die Gravelpassagen heute mehr Konzentration. Und so bin ich erst am späten Nachmittag am Gardasee und fahre die Kontrollstelle an.

Ich bin leider zu früh dran, um in unserem Lieblings-Rad-Hotel Enjoj ein paar Stündchen zu schlafen. So muss ich nach einem kleinen Imbiss nun meine Lampen montieren, denn es wird langsam dunkel und zudem dräuen dicke dunkle Wolken vom Himmel. Nicht bald danach die ersten Regentropfen. Es geht kreuz und quer durchs Gelände, die Wege mitunter sehr steinig. Aber irgendwann bin ich in meiner gebuchten Unterkunft in Villafranca, Hotel Antares, viel später als erwartet und völlig durchnässt. Was bin ich froh, dass ich nun in ein warmes Bett schlüpfen kann und die erste Wahl nicht auf das Zelt gefallen ist.

Frühstück und weiter geht es. Heute „nur“ 180 Kilometer. Es geht durch landwirtschaftliche Ebene, die mich mit den vielen Gewächshäusern etwas an Spanien erinnert. Dann wieder wunderschön über einsame schmale Weglein auf Flussdämmen. Die gesamte Tour ist geprägt durch ständige Richtungswechsel, langweilig wird es nie und das Navigationsgerät sollte besser nicht zu lange unbeobachtet bleiben. Einige „Verhauer“ bringt mir die Unachtsamkeit ein. Ich besuche wunderschöne Orte mit mittelalterlichen Kernen, wie Montagnana, Este, Monselice. In Arquà am Hang der Euganeischen Hügel suche ich das Haus, in dem Petrarca seine letzten Lebensjahre verbrachte. Hier ist ordentlich was los. Waren mir schon vor einer Weile die Bäume voller kleiner roter ovaler Früchte aufgefallen, so wird mir hier erklärt, dass es sich bei den Früchten um die für das Gebiet typische Giuggiole handelt.

Die Giuggiole haben die Form einer großen Olive, haben auch einen Stein, haben aber einen dem Apfel ähnlichen Geschmack. Sehr lecker! Vor Montegrotto fängt es wieder an zu regnen. Nach dem Abstempeln geht es steil aufwärts. Der nun folgende Singletrail ist regennass und dementsprechend rutschig. Weiter um die Colli Eugnei und Richtung Padua. Nicht bald darauf wird es schon wieder dämmrig und ich komme punktgenau zu meinem gebuchten b&b, in Saonara, mit dem Namen burro & marmelata. Sehr nett werde ich von der Chefin des Hauses umsorgt.

Nach einem leckeren Frühstück mit selbst gebackenem Kuchen und anderen Köstlichkeiten geht es wieder los. 135 Kilometer werden wohl bis zum frühen Nachmittag zu schaffen sein. Mit dem Rennrad wäre das so …, aber die Gravelstrecke hat es in sich und so komme ich auch heute wieder langsamer als erwartet vorwärts. Ich habe aber keinen Stress und die Terrenobili ist ja schließlich kein Rennen.

Heute ist wieder das Wasser im Mittelpunkt: von einem Fluss zum nächsten, entlang von Kanälen und Lagunen. Wieder viel Natur, sehr schön. Wie auch in den letzten Tagen gibt es etwas Wind, aber der fällt kaum ins Gewicht durch die vielen Richtungswechsel. Hat man mal Gegenwind, so ändert der sich bald, nämlich nach der nächsten Fluss-Schlinge, wieder in Rückenwind.

Unterhaltsam bis zuletzt. Lange Kilometer in Sichtweite Venedigs über einen Radweg am Meer entlang, dann Singletrail neben der Laguna del Mort, ich passiere Jesolo, Eraclea und bin schon bald in Porto Santa Margherita, dem Zielort. Eine wunderschöne Reise geht zuende.

Der Veranstalter Massimo und Diego von der Gelateria ‚La Fiesta‘ empfangen mich herzlich. Es gibt eine handwerklich sehr schön gearbeitete Medaille (die sicher nicht in meiner Schachtel im Keller landet!!). Nachdem ich mir in den letzten Tagen kaum Zeit zum Essen genommen hatte, genieße ich es jetzt, mich mit einem super leckeren Tost und einem perfekten Eisbecher verwöhnen zu lassen.

Hatte ich vorher gedacht „nur“ 700 Kilometer, so haben sie diese doch ziemlich in die Länge gezogen. Meine Entscheidung für das Radeln tagsüber war goldrichtig, hätte ich sonst doch viele Natur- und Kulturschönheiten nicht gesehen.

Massimo erzählt mir von seinen Plänen in Zukunft. Die Terrenobili soll jährlich Strecke und auch Thema wechseln. Dieses Jahr die verschiedenen Orte mit Unesco-Weltkulturerbe und die Flussläufe … Was wird es wohl nächstes Jahr sein? Lassen wir uns überraschen.

Hier findet ihr die aktuellen Informationen: Terrenobili.bike

Ausblick 2023: Die Terrenobili finden im kommenden Jahr wahrscheinlich unter dem Motto le colline = die Hügel statt.

GBDURO 22 – epische Herausforderung

italiano ……….. english

GBDuro – ein Gravel-Event von 2000 km längs durch England und Schottland und eines der härtesten Events, die ich jemals gefinisht habe. Die Gravel-Strecke ist sehr impegnativ, aber die vielen Hindernisse, die sich mir in den Weg stellten, sprich – Pannen, brachten mich mehrmals fast dazu aufgeben zu müssen.

Bevor ich beginne, einige Regeln, um das Erzählte richtig verstehen zu können …

  • 2000 Kilometer von Land’s End im äußersten Südwesten Englands bis nach John O’Groats (=JOG), den nordöstlichsten Zipfel Schottlands (fast 30.000Hm)
  • 4 Streckenabschnitte (=stages), an deren Ende gibt es eine Kontrollstelle, bei der sich alle Teilnehmer wieder treffen zum gemeinsamen Start am nächsten Morgen. Wer schnell radelt, kann lange ausruhen. Wer nicht pünktlich zum nächsten Start vor Ort ist, ist raus aus dem Rennen.
  • Strenges Selfsupporting, das heißt keine Hilfe von außen darf angenommen werden
  • Reines Outdoor-Event: immer im Freien schlafen, auch an den Kontrollstellen
  • Nach 10 Tagen ist ein Zimmer in JOG reserviert, wer pünktlich zum Abendessen da ist, gilt als finisher, sonst „nur“ als angekommen, alle anderen sind DNF oder DSQ (did not finish oder disqualifiziert)
  • Alle Fahrer müssen mit einem Tracker ausgerüstet sein

Stage 1:  Land’s End to Ysbyty Cynfyn

Tag 1, 2 und 3 durch Cornwall und Wales
640 km/ 9700 Hm

Tag 1:

Start Land’s End

Start in Land’s End. 40 Starter setzen sich an diesem südwestlichsten Punkt Englands in Bewegung. Ich bin mir bewusst, dass es hart werden würde, aber was auf mich zukommen würde, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt. Die Straße steigt gleich steil an und ich den Start filmend halte mich möglichst weit rechts. Ist keine so gute Idee bei Linksverkehr …

Bald geht es schon ins Gelände. Die ersten kurbeln wie verrückt und das Feld lichtet sich so rasch. Es wird immer unwegsamer, der Weg schlängelt sich kilometerweit durch eine Art Heidelandschaft, geprägt durch große – bei uns würde man sagen – Erika-Büsche und einer anderen äußerst wadenfeindlichen stacheligen Staude. Im nu sind meine Beine bis zum Knie blutig zerkratzt. Fahren und Schieben wechseln sich ab. Irgendwann scheine ich ganz allein zu sein. Jetzt schon? Da kommt mir jemand zu Fuß entgegen, Jamie, wie ich später wissen werde. Ob ich seine Flasche gesehen habe. Nein, leider nicht. Für verlorene Gegenstände gibt es saftige Zeitstrafen. Ich hatte bisher schon eine Vorderlampe gefunden. Miles werde ich in 35 Km treffen, mit einem Müllsack schon angefüllt mit Gegenständen, die sich bei dieser Rüttelstrecke von diversen Rädern gelöst hatten. An meinem Rad ist zum Glück noch alles dran und Problem mit der Beleuchtung oder verlorenen Lampen hatte ich (zumindest jetzt noch) nicht. Mein Nabendynamo speist nachts die Beleuchtung und tagsüber über einen Pufferakku Smartphone und Navigationsgerät Garmin. Ich bin also unabhängig von Stromquellen. Feiner Gedanke.

Nun geht es sehr hügelig auf verkehrsarmen Sträßchen weiter. Diese haben aber fast alle eine unangenehme Eigenart: Kurze sehr steile knackige Anstiege, meist um die 20%, für mich und meinen 20 Kilo-schweren Gravel-„Traktor“ nahezu unmenschlich steil, insbesondere auch deshalb, weil meine Schaltung ein Gemisch aus Rennradschaltung und Gravelübersetzung ist, nicht so ideal.

Die angesagte Hitzewelle tut ihr übriges. Ich habe keinen Hunger nur ständig Durst, Durst, Durst. Beim ersten Supermarkt gibt es kein Wasser. Vor dem Geschäft aber steht einsam und verlassen eine fast volle Flasche „sparkling water“, Mineralwasser mit Kohlensäure. Die kralle ich mir sofort und befülle damit meine Trinkflaschen. Das hat beim Fahren über die holprigen Untergründe einen angenehmen Nebeneffekt für die Waden: In regelmäßigen Abständen entweicht duscheähnlich die Kohlensäure in einem Sprühregen.

Im nächsten Supermarkt gibt es gar kein Wasser mehr. Hamsterkäufe hatten dazu geführt, dass ich meine Flaschen nun mit Ananas-Saft füllen muss. An den nächsten beiden Tagen bekomme ich nirgendwo mehr Wasser. Ausnahme: An einer Kirche haben Senioren Flohmarktstände aufgebaut, hier frage ich, ob sie Wasser für mich hätten. Eine Dame verschwindet mit meinen Flaschen und bietet mir an, ich könne mich in der Kirche etwas hinsetzen und mich abkühlen – leider keine Zeit dafür.

Die Strecke führt nun wunderschön durch aufgelassenes Mienengelände und das auf leichtem Gravel-Radweg, dem Mines-Trail.

Hermanns „DOT“ ist schon etwa 20 km voraus. Mein ursprünglicher Zeitplan hat sich schon hier verabschiedet und ist weit überschritten. Bei einem Campingplatz-Pub-Stop bei Cola und Eis und Radflaschen-Auffüllen treffe ich Jamie wieder. Er hatte seine Flasche nach einigen Kilometern Fußmarsch wieder. Am Abend ein Supermarkt-Stop schon am späten Abend (die Supermärkte haben fast alle bis 23 Uhr auf) und dort lerne ich Simon kennen, der die GBDuro schon im Jahr zuvor gefinisht hat. Die Frage, wie ein vernünftig denkender Mensch diese Strapazen wissentlich noch mal auf sich nehmen kann, stelle ich mir zum Glück erst später im weiteren Verlauf des Rennens. Im Dunkeln fädele ich nun in ein einsames Flusstälchen im Exmoor Nationalpark ein. Schieben, fahren, schieben und so weiter. Am Wegesrand sehe ich mehrmals dunkle Hügel, die sich beim Näherkommen als bemannte Schlafsäcke entpuppen.

Leise vorbeischleichen, man will ja niemanden wecken. Mich holt trotz Ananas-Red Bull- Mischung nun auch die Müdigkeit ein, Mitternacht ist auch schon lang vorbei. Ich beschließe mir ein Schlafplätzchen zu suchen. Eine kleine Lichtung scheint ideal. An einen dicken Ast lehne ich mein Rad und beginne mein Nachtlager zu richten. Sobald ich meine Helmlampe anmache, stürzen sich eine paar riesige rotorange Fliegen auf mich, Mücken scheinen keine da zu sein. Zeltaufbau? Das ist mir jetzt zu langwierig, so muss Matte und Schlafsack reichen. Zähneputzen? Hat das mit Ananas-Saft einen Sinn? Ich lasse es sein. Zudem fühle ich mich sehr verschwitzt und klebrig. Nächtliche Geräusche. Was könnte das sein? Wölfe und Bären gibt es in England wohl nicht, oder? Ich döse ein. Nicht lange später weckt mich das Geräusch meines eigenen Zähneklapperns, auch die Knie zittern wie verrückt. Es ist neben dem Fluss kalt und feucht. Ich beschließe so nach etwa 1,5h Ausruhen zusammenzupacken und weiter zu … fahren, gehen.  

Tag 2:

Nachdem ich minutenlang vor einem Gatter überlegt habe, wie das aufgehen könnte, geht es aufwärts. Die Quantock Hills sind nicht mehr weit. Ich höre was. Grüßt mich da jemand? Ja doch, da vorne ist ein Licht. Da ist wohl bei jemandem auch Aufbruchstimmung. Ich grüße laut zurück „morning! How are you?“ – keine Antwort. Das Licht entpuppt sich als Spiegelung des Mondes im darunter liegenden Teich gepaart mit Fantasiegespinsten, die der Müdigkeit geschuldet sind? Nicht lange nachher, am Horizont kündigt sich der nahe Morgen an, möchte ich eine Gegenlichtaufnahme machen. Es fehlt nun nur die Silhouette eines Radfahrers. Siehe da! Da vor mir ist ja einer. Breite Schultern und schmale Hüften. Super! Beim Näherkommen, es ist ein Vorfahrts-Schild. Hahhaaaa!

Dunkery Hill

Der Tag zwei fängt auch an mit einer bunten Mischung aus Asphalt und Gravel und bald wird es ernst: Es geht hoch auf den Dunkery Beacon, den höchsten Gipfels Südenglands. Auf dessen Gipfel erhebt sich ein weit sichtbarer Steinhügel. Und welch Überraschung, Miles ist mit seiner Kamera vor Ort. In der Ferne geht die Sonne über dem Meer auf. Wunderbar. Die Abfahrt von diesem Hill ist schwerer als erwartet. Ich schiebe einige Kilometer über große Steinbrocken, durch dichtes Gebüsch. Oje, wenn das so weiter geht, bin ich wohl bald raus.

Miles

Aber es kann nur noch besser werden und irgendwann bin ich wieder auf fahrbarem Terrain. Und finde einen offenen Pub. Ich gönne mir Frühstück und eine ausgiebige Körperhygiene im Bad.

Heute scheint es wieder heiß zu werden. Unterwegs locken die kleinen Äpfelchen an einem Baum. Leckere saftige Früchte. Ich merke, dass ich einen Wurmkanal, wahrscheinlich mit Bewohner, mitgegessen habe. Egal, bekanntlich sind Proteine beim Sport ja gut. Eine lange ebene Asphalt-Strecke in der Gluthitze und Stopp in Bridgewater. Die Gegend scheint mir etwas heruntergekommen. Wie immer kein Wasser erhältlich. Alish treffe ich, die tiefgefrorene Erbsen ersteht und sich zwischen Rucksack und Körper klemmt. Ich rüste mich mit Sandwich, Kefir und Keksen. Als ich den Supermarkt verlasse, steht mein Oberrohrtäschchen weit offen, der gesamte Müll liegt auf dem Boden. Da hat wohl jemand was gesucht. Zum Glück sind Garmin und mein Tracker noch am Rad.

Powernap

Weiter durch die Gluthitze. Ich finde eine Bäckerei, die mir die Wasserflaschen auffüllt. Und der Hit – meine Idee wird gleich lachend umgesetzt: Ich frage, ob es einen Eimer gibt, den man mit Wasser füllen könnte … Mein Wunsch ist Befehl, der Chef des Hauses steigt mit befülltem Wassereimer auf einen Stuhl und schon trifft der kühle nasse Schwall meinen Kopf und läuft prickelnd über meinen ganzen Körper bis in die Schuhe. Herrlich! Mindestens eine halbe Stunde kann ich nun meine Körpertemperatur niedriger halten, dann geht es wieder in die Berge. Zwischendurch wieder mal Stopp in einem Pub. Cola für mich und Wasser für die Flaschen. Die Leute sind echt nett hier.

Auf den letzten Kilometern nach Bristol mache ich die Bekanntschaft mit Rob von der Firma Tailfinn, deren super praktische Radtaschen wir auch verwenden. Die Kilometer schmelzen beim Quatschen nur so dahin. Rob hat es gut, er wird seine Fahrt in Bristol beenden. Diesen Gedanken verbiete ich mir sofort. Es rollt im Moment ja gut. Wir fahren über die Clifton Suspension Bridge, ein fantastisches Bauwerk. Auch die Innenstadt begeistert mich. Allerdings stehe ich nach meinem Erlebnis am Nachmittag etwas ratlos vor dem Supermarkt. Da spricht mich ein Herr an, ob ich die GBDuro fahre? Ja. Da drüben an der Ecke sitze sein Freund Oliver Y., der sei auch dabei. Ich erzähle ihm von meiner Erfahrung in Bridgewater und dass ich Angst hätte, mein Rad hier draußen stehen zu lassen während des Einkaufs. Er bietet sich sofort an aufzupassen. Ich, vertrauensselig wie ich bin, gehe mich versorgen. Rad und Mann sind noch da. Ich gehe kurz mit zu Oliver und dann weiter zum Essen in den Park. Langsam wird es dämmerig, ich muss weiter. Ich bin grad wieder auf mein Rad aufgestiegen und nochmal zurück, weil der Helm noch auf der Parkbank liegt, da sprechen mich zwei junge Männer an, später werde ich erfahren, dass sie Loz und Jack heißen.

Loz und Jack

GBDuro? Ja! Nach einem Foto und einem kurzen Plausch, ich mache mir aus meinem fehlerhaften Englisch gar nichts mehr draus, fahre ich weiter. Ich radle durch die wunderschönen Siedlungen am Stadtrand von Bristol und hinein in die Dunkelheit. Vielleicht der Müdigkeit geschuldet schleichen sich wieder mal komische Gedanken ein. Was ist, wenn diese Männer, die ich getroffen habe, böse Gedanken haben? Wie leicht bin ich über Dotwatching.com verfolgbar. Was ist, wenn ich eines Nachts überfallen werde? Eine Frau allein unterwegs im Dunkeln? Eine leichte Beute. Weg mit diesen Gedanken!!

Nach Bristol gibt es eine Umleitung. Der Weg zur Severn-Bridge ist gesperrt. Ich verpasse nach vielen Kilometern im Dunkeln wohl ein Umleitungs-Schild und fahre noch viele unnütze Kilometer weiter. Danach Ratlosigkeit, ist die Brücke gesperrt und ich nun falsch? Ich habe Glück und treffe zu so später Stunde auf zwei Männer, die mir bestätigen, dass ich hier einfach grad weiterfahren soll. Erleichterung.

mein Schlafzimmer

Drei kleine Berge liegen vor mir. Ich beschließe über die drei noch drüberzufahren und dann einen Schlafplatz zu suchen. Es lässt sich wieder sehr steil an und die Kilometer ziehen sich, ich verfahre mich, finde den richtigen Weg nicht gleich, komme nicht so weit, wie ich wollte. Vor dem dritten Anstieg finde ich eine nette Lichtung vor einer Bachquerung. Zelt raus und Bett vorbereitet. Diese Nacht werde ich mir 2h Schlaf gönnen, eingelullt durch das Wasserrauschen. Der nächste Tag steht als Schreckgespenst vor mir, es würde so richtig schwer werden durch den Brecon Beacons Nationalpark mit dem berüchtigten „The Gap“, einer beliebten Mountainbike-Strecke.

Tag 3:

Als ich weiterwill, verlaufe ich mich gleich wieder. Also zurück. Der „Weg“ geht über halb Meter hohe Stufen. Dann endlich wieder eine Abfahrt und im nächsten Ort ein McDonalds. Frühstück in Brynmawr!! Eine freundliche Mitarbeiterin führt mich, die ratlos vor dem Bestellboard steht, in die Geheimnisse des Mackie ein. Wäre ich vor dem Angebot davor glatt verhungert. Mein Bike bekommt anschließend auch noch eine Kettenpflege. Dann kann es losgehen Richtung „the Gap“. Bei Gregs nebenan erstehe ich noch ein mindestens einen halben Meter langes Sandwich mit Käse und Schinken und so ein Blätterteig-Teil mit Chicken-Füllung. Das muss für die nächsten 130 Kilometer reichen. Es fängt an leicht zu regnen. Nicht so schlimm. Nach der ersten langen Steigung bin ich auf einer almähnlichen Hochfläche. Von hier geht es wellig abwärts ähnlich einem Pumptrail. Sehr unterhaltsam, bis es durch Farnwäldchen runterzuschieben ist bis zum Stausee bei Ponticill. Die nassen Steine sind äußerst rutschig. Aber zuerst mal Brotzeit machen. Hmmhmm, wo ist denn das Sandwich? Verschwunden. Wahrscheinlich durch das Gerüttel. Die Schafe werden sich freuen. Mögen die überhaupt Sandwiches? Strafpunkte für mich? Glaub eher nicht, denn Papiertüte und belegtes Brot sind doch biologisch abbaubar, oder? Ich werde allerdings hungern müssen. Wer weiß, wann ich wieder zu einer Einkaufsquelle komme. Verlieren ist wohl meine Spezialität, siehe Northcape4000.

Nach dem Stausee, bei dem wie bei unserem Reschensee eine Turmspitze aus der Wasserfläche ragt, kommt eine lange feine Gravelstrecke. So könnte es meinetwegen ewig weiter gehen. Und da geht es schon rechts weg. Für mich unfahrbar. Große Steine, tiefe Löcher, unergründliche Pfützen. Die Länge ist aber überschaubar, etwa 2 km und in der Ferne kann ich schon den Pass ausmachen. Und dann die bittere Erkenntnis, dass ich auf der anderen Seite auch wieder hinunterschieben muss.

Dachte ich, dass ich nach zwei fast schlaflosen Nächten in Ysbyty Cynfyn, der Kontrollstelle, so richtig Schlaf nachholen könnte, so sehe ich langsam ein, dass das wohl eine Illusion sein wird. Dachte ich, dass wohl Tag 2 DER walking day gewesen wäre, so wurde ich eines Besseren belehrt, auch Tag 3 bedeutet oft walking up und walking down. Über den Gap würde ich sicher auch mit MTB nicht runter fahren.

Kraftakt

Heute überkommt mich zudem die Erkenntnis, dass ich inzwischen Fachfrau für Weidegatter bin. Es gibt unzählige Versionen von Öffnungsmechanismen. Bei der ersten Gelegenheit stand ich minutenlang vor dem Rätsel und dachte „ich Depp!“ Drüber heben nicht möglich, weil zu hoch. Die Gitter sind nicht wie bei uns „Riegel auf – Riegel zu“, nein, sie haben meist noch einen zusätzlichen Sicherheits-Mechanismus. Wahrscheinlich sind die Schafe hier schlauer als bei uns. Apropos Schafe: Es gibt hier mindestens 10-mal so viele wie Einwohner. Und jede Gegend hat ihre eigene Schafrasse sowie eigene Öffnungsmechanismen bei den Gattern.

Nun folgt am späten Nachmittag noch eine mindestens zwei Kilometer lange Steigung mit an die 20%, ein riesiges Militär-Areal ist zu durchqueren und das nach 3000 Höhenmetern in den Beinen heute. Dann endlich das Örtchen mit dem Zungenbrechernamen Llanwrtyd Wells. Wider Erwarten ist der dortige Supermarkt in Betrieb. Ausgehungert stürze ich mich auf Sandwich, Kefir, Yogurt, Milchreis, Wasser, Kekse, mein langsam etwas eintönig erscheinendes Mahl. Ich aber bin glücklich.

Dann trennen mich nur noch 70 Kilometer von der Kontrollstelle. Ich starte gegen halb sieben auf diese letzte Anstrengung. Es geht angenehm über Gravel kilometerlang durch Wälder, an Seen entlang. Die Sonne geht unter.

Ich bin allein. Stundenlang schon keine Menschenseele. Simon hatte mich vorher überholt und war schnell verschwunden. Am Himmel ziehen dunkle Wolken auf. Aus den Augenwinkeln sehe ich einen Blitz. Hilfe! Ein Gewitter! Fehlalarm, es war wohl nur meine Fantasie oder eine Spiegelung meiner Sonnenbrille.

Meine flotte Fahrt wird jäh unterbrochen. Wieder mal stoppt mich ein Weidegatter. Aber auch mit meiner inzwischen umfangreichen Erfahrung mit verschiedenen Mechanismen komme ich nicht weiter, dieser ist zwar einer der vielen gelernten, aber das Gitter ist zusätzlich mit einer dicken Kette versperrt. Verzweiflung. Wie soll ich da drüber kommen? 20 Kilo über eine Stange in Brusthöhe oder höher wuchten? Ich weiß nicht, wie ich das geschafft habe.

Und einige Kilometer weiter das nächste. Hier schwirren zudem zig Mücken um mich rum, die hatten wahrscheinlich hungrig schon auf ihr nächstes Opfer, das nicht schnell flüchten kann, gewartet, nun nach 3 Tagen ohne Dusche lecker duftende Radfahrerin. Aber zumindest war die Dusche schon in greifbare Nähe gerückt, glaubte ich zumindest.

Und keine 5 Minuten später das nächste Gitter. Ich verfluche innerlich meinen Göttergatten, der mich durch seinen Wunsch als Solo-Fahrer anzutreten so schändlich im Stich gelassen hatte. Inzwischen habe ich wohl eine bestimmte Technik entwickelt: Vorderrad über die Stange, Sattel auf die Schulter gestemmt, Hinterrad hinterher. Das Rad hängt nun auf der anderen Seite, ich hinterher geklettert, dann Rad runter gehoben. Als ich wegfahren will, ist der Lenker blockiert. Hab ich was kaputt gemacht. Ich schiebe Beutel und Taschen beiseite. Brems- oder Schaltkabel hatten sich am Vorbau verklemmt. Der Kabel ist außen etwas beschädigt. Hilfe! Hoffentlich macht das nichts.

Es wird dunkel. Endlich bin ich in Pontrhydfendigaid -unaussprechlich- nun liegen NUR noch 20 Kilometer vor mir. Lächerlich wenig, so wie Brixen-Klausen oder so. Nicht einberechnet die fast 1000 Höhenmeter und es wird wieder unwegsamer. Ich irre scheinbar kreuz und quer durch die Wälder. Verfahre mich nicht nur einmal und kippe auch nicht nur einmal um, mitgerissen durch das Übergewicht meines Gravel-Traktors. Die Erschöpfung nimmt langsam überhand. Sekundenschlaf-Attacken. Einmal schrecke ich hoch, bin fast stehen geblieben und weiß im Augenblick nicht, wie ich hier hingekommen bin, wo ich überhaupt bin, in welchem Land und was ich hier mache. Irgendwann erreiche ich den Punkt, an dem die Kontrollstelle sein sollte und an dem ich das time-stamp-foto machen sollte, ein Bild mit Datum und Uhrzeit als Beweis. Hier ist aber nichts. Eine verlassene Farm oder schlafen hier vielleicht alle schon? Beweisbild gemacht und dann entscheide ich mich dem Track weiter zu folgen. Müdigkeit und Verzweiflung, ich will mir ein paar Tränen aus den Augen drücken. Geht nicht. Ist wohl der Flüssigkeitsmangel. Etwas weiter ein verschlossenes Tor, daran hängt ein Blatt mit einem Hinweis für die GBDuro-Racer: Dem Zaun parallel zur Straße folgen, bis zu einem Haus, das Lager ist gegenüber davon hinter den Büschen. Aber wo ist die Straße? Und wo das Haus? Ich sehe im Dunkeln weder das eine noch das andere. Verzweiflung. Ich irre dem Zaun entlang. Da! Ein Licht! Von Links kommt Simon und sagt mir den Weg. Erleichterung! Im Lager schält sich Hermann aus seinem Biwaksack. Er zeigt mir alles. Ich bekomme noch etwas Warmes zu essen. Dusche? Nach drei Tagen hatte ich mich darauf so gefreut. Fehlanzeige, diese sei nun leider außer Betrieb. Defekt! Ist mir im Moment aber egal, ich verschwinde schleunigst in meinem auf der feuchten Wiese aufgeschlagenen Zelt, der (kurze) Schlaf kann kommen. Bis auf die fehlende Waschmöglichkeit für mich, der Chef der Kontrollstelle von Daf’s Farm  hat alles getan, damit man sich dort sehr wohl fühlen konnte. Die Versorgung war fabelhaft, es gab Wasser, ein Toilettenhäuschen, eine ebene Wiese. Was will frau mehr.

Stage 2: Ysbyty to Garrigill

Tag 4, 5 und 6
470 km/ 7100 Hm

Tag 4:

Am nächsten Tag nach gemütlichem Frühstück und Zusammenpacken der Start auf die nächsten 3 Tage. Entsetzt stelle ich fest, dass meine Planungsblätter weg sind. Hermann gibt mir seine Kopie. Bin ich froh, ohne diese wäre ich komplett ziellos durch die Gegend geirrt. Ihm schicke ich die digitale Version, er fährt eher ins Blaue hinein. Heute soll es auch wieder hart werden, fast 4000 Höhenmeter verteilt auf 7 „Berge“. Wales ist berüchtigt. Viel Auf und Ab erwartet mich. Es lässt sich fein an. Einrollen über ein welliges Asphaltsträßchen. Angenehm? Naja, vor allem wieder steil. Ich habe Zeit nachzudenken. Warum sind die Straßen hier so steil? Ich glaube die Lösung gefunden zu haben. Man spart Material, sprich Teer. Aber wir sind doch noch nicht in Schottland, oder?  Was ich noch verstanden habe: das Motto der GBDuro ist, dass es ein „rolling Picknick“ ist durch die unterschiedlichsten Landschaften. Stimmt! Denn heute ist es wieder mal soweit, ein Supermarkt, dann wieder lange nichts. Ich muss also wieder Essen und Trinken für den ganzen Tag und die nächste Nacht mitschleppen. Übrigens: Wasser gibt es hier in Wales genug zu kaufen.

Genug des Nachdenkens, es geht wieder ins Gelände. Steine, Pfützen, Steine, 10 Kilometer und 100 Höhenmeter- das ist doch easy, dachte ich mir, aber die stop-and-go-Fahrt ist sehr mühsam.

Eine Flussdurchquerung. Hermann zieht sich gerade auf der anderen Seite die Socken und Schuhe wieder an. Ist mir zu aufwändig. Ich wate einfach durch. Meine Schuhe und Sochen warten eh dringend auf eine Wäsche. Dann eine etwas ruckelige Abfahrt. Angenehmer. Ich finde Dextro Energen, 50m weiter ein Riegel, die interessieren mich nicht. Wieder etwas weiter ein Snickers, der muss mit. Da hat wohl jemand seinen gesamten Proviant verloren.

Supermarktstopp. Ich treffe auch einige andere, die aber schon beim Abfahren sind. Bei mir ist heute anscheinend etwas die Luft raus. Hatte ich gedacht nur „the Gap“ sei schwierig, ich werde langsam eines Besseren belehrt. Besonders die stetigen Steigungen über 15% tun so weh.

Inzwischen gibt es schon einige Fahrer*innen, die schon vor der ersten Kontrollstelle aus dem Rennen ausgestiegen sind. Und ich fühle mich als Letzte der Verbliebenen, es sind nicht mehr wie 2 bis 3 hinter mir. Aber ich genieße die anstehende Asphaltfahrt durch ein idyllisches Tal in den Ausläufern des Snowdonia-Nationalparks und bin auch etwas Stolz, dass ich zumindest bis hierhin durchgehalten habe, kann nur besser werden … oder …

Und schon wieder Gravel durch unendliche Wälder und dann die unterhaltsamen Trails CLIMACHX easy rider und dann va-va-voom. Ganz leicht tue ich mich mit meinem schweren Gravel-Taktor nicht das Gleichgewicht zu halten und durch die schmalen Wege und engen Kurven zu manövrieren. Mein Bike reißt mich immer öfter fast zu Boden.

Dann weiter hügelig leicht durch ein wunderschönes Tal und an dessen Ende DER Hammer: Einige Kilometer über Teer mit 20% und mehr. Für mich Schiebestrecke. Also auch heute Wandertag! Zwischendurch packt mich der Irrsinn: Radreinigung an einem Rinnsal. Zum Glück sieht mich niemand. Sind ja schon alle weg. Und das Putzen macht auch absolut keinen Sinn werde ich bald feststellen. Tolle Abfahrt übrigens, aber der nächste „Berg“ wird auch wieder megahart, nicht durch die Höhenmeter, sondern wegen des steinigen Weges, der sich in unendlich weite Ferne schlängelt. Hinunter geht es auch ruppig, die Handgelenke tun vom Gerüttel schon weh. Dann auf einmal feiner Schotter. Super! Ich brause talwärts. Nach einem halben Kilometer meldet die Garmin eine Streckenabweichung. Oh nein, wieder hoch …

Nun noch drei Berge und ich werde endlich wieder schlafen. In einem Tante-Emma-Laden bin ich die letzte vor Ladenschluss. Glück gehabt. Beim Losfahren treffe ich eine kleine Familie mit Hund. Dieser kläfft zweimal, dann habe ich ihn schon an meiner Wade hängen. Aua! Aber ich bin nun wieder putzmunter.

Es dämmert nun, als ich an den nächsten Aufstieg gehe. Ich treffe auf 2 Mountainbiker und mit Quatschen vergeht die Zeit. Der Aufstieg ist ganz ok, aber dann das Unerwartete: unfahrbarer Abstieg. Ich bin kilometerweit von der nächsten Siedlung entfernt, es ist dunkel, was ist wenn man sich hier verletzt? Kein Empfang, schon seit Stunden keine Menschenseele. Es wird kalt. Die brütende Hitze der ersten Tage ist vorbei, es hat grad mal 12°. Gegen Mitternacht habe ich noch einen kurzen aber heftigen Anstieg, dann entschließe ich mich, den letzten Berg sein zu lassen und mir einen Schlafplatz zu suchen. Das war eine äußerst weise Entscheidung. Es fängt an zu tröpfeln und als ich in Llangeollen in einem Schulpark mein Zelt aufgebaut hatte, gießt es wie aus Kübeln. Wecker auf 2 Uhr gestellt, dann aber bis 3 Uhr verlängert, da es immer noch regnet.

Tag 5:

Da Einpacken des nassen Zeltes ist nicht so angenehm. Es ist bitterkalt und ich freue mich, dass es gleich bergauf geht. Sehr steil, deshalb ist wieder mal fahren-gehen-fahren-schieben angesagt. Ich erreiche ein Hochmoor. Hier soll es wieder ins Gelände gehen. Ich folge der lila Linie auf meiner Garmin. Ein schmaler Weg führt durch Erika-Stauden. Meine Füße sind eh schon nass, aber jetzt werden sie klatschnass. Immer wieder versinke ich im Morast. Die Steigspuren verschwinden so langsam, ich quäle mich inzwischen durch hüfthohe Pflanzen. Kann das stimmen? Doch, ich befinde mich genau auf der Linie. Völlig durchnässt und verzweifelt bleibe ich stehen und schaue ratlos rundum, es dämmert leicht. Da fällt mir etwas Weißes auf, länger als ein Schaf. Ich wate darauf zu. Ein schmaler Plattenweg aus hellem Gestein. Mein Weg! Gerettet.

Bald endet dieser vor einem Wäldchen. Es stürmt und tröpfelt. Vor einem Gatter ein oranges Rad und ein Biwaksack. Bin ich froh, dass ich nicht hier schlafen musste.  Ein Trail durch den Wald folgt nun, nass und rutschig. Ich verfahre mich mehrmals und hab wieder mal düstere Gedanken: warum bin ich hier? Alleine?

Ende des Single Trails. Sprühregen. Hier gibt es einen Freizeitpark. Verschlossen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Zwei riesige orange Gatter versperren meine Weg. Fast 2 m hoch. Hier komme ich nie und nimmer drüber mit dem Rad. Ich irre hin und her und entdecke niedergetrampeltes Farnkraut, dahinter einen nicht so hohen Stacheldraht-Zaun. Wie ich da drüber gekommen bin – keine Ahnung.

Der nächste Supermarkt-Stopp kommt bald, zum Glück hat der gegen 7 Uhr schon offen. Ein Becher Latte Caramel  XL mit dreimal Zucker belebt meine Lebensgeister. Es geht nun viele viele Kilometer recht flach bis Manchester.

In Chester mache ich kurz halt bei einem Mechaniker, der mir aber auch nicht helfen kann oder will. So ziehe ich weiter. Die Schaltung macht nach wie vor Probleme. Hoffentlich bricht das Kabel nicht früher oder später. Es gab schon ziemlich einige Ausfälle von Teilnehmern durch technische Probleme. Aber ich WILL  weiter, auch wenn es mega hart ist.

Das Wetter ist nun schön geworden. Meine Sachen trocknen langsam, auch die Füße. Boxen-Stopp bei einer Kiste mit verführerischen Früchten am Straßenrand. Ich labe mich mit Pflaumen und Äpfeln und stopfe mir auch noch die Tasche voll. Beim Wegfahren fällt mir ein umgefallenes Kärtchen auf. Freiwillige Spende? Ich habe nur einen 100-Pfund-Schein. So fahre ich als Zechprellerin weiter. Diese rächt sich wohl gleich: Es fängt wieder an zu regnen, ich verfahre mich.

Um die Mittagszeit ereilt mich eine große Müdigkeit. Was tut frau da ihrem Körper an? Dem Körper keinen Schlaf gönnen kann das nicht tödlich enden? In gewisser Weise schon … ich erschrecke fürchterlich, an mir braust ein Riesentraktor vorbei mit Anhänger, mindestens mit 100 km/h. Wenn man da unter die Räder kommt … Ich entschließe mich für einen Powernap auf einer Bank. Davor ein Radfahrer, der mich in ein Gespräch verwickeln möchte. GBDuro? Ach so, ein Dotwatcher. Ich bin aber so müde, dass ich ihn abwimmle, er zieht enttäuscht von dannen und ich versuche ein paar Minuten zu dösen, nachdem ich den Wecker auf 20 Minuten gestellt habe.

Great Budworth

Im nächsten Dorf große LKW und Kameras. Ein Filmteam dreht. Die Kulisse ist aber auch wunderbar. Ich nehme mir vor zuhause zu googeln: Es ist Great Budworth, das bei Filmregisseuren anscheinend sehr beliebt ist.

Die langen ebenen einfachen Abschnitte lassen mir viel Zeit nachzudenken: Jetzt ist mal das Linksfahren dran. Wenn es kritisch wird, hilft Nachdenken gar nichts, man macht es wie man gewohnt ist. Müde und unkonzentriert findet man sich so rasch in lebensgefährlichen Situationen wieder. Ich überlege mir, wie ich mir eine Eselsbrücke bauen könnte. Geht man bei uns über die Straße, muss man zuerst links schauen, hier rechts. Abbiegen mit dem Rad links ist easy, es ist nur zu gucken, ob aus der rechts was kommt. Beim Rechtsabbiegen wird es komplizierter. Ich komme auf keinen grünen Zweig. Also am besten warten, bis die gesamte Straße frei ist und schnell rüber auf die andere Seite.

Die letzten Kilometer vor Manchester führt die Strecke schon entlang eines Kanals mit angetäuten Hausbooten. Im Zentrum dann ein Gewimmel von Leuten, es ist relativ schmutzig und riecht nicht überall gut. Für mich Kleinstadt-Pflänzchen der reinste Horror. Mir ist die einsame Natur viel lieber. Schnell weg!

Ich muss mich noch versorgen, ist doch auf den nächsten 160 Kilometern wieder mal nichts und die nächste Nacht steht auch noch an. Ich fahre einen Supermarkt an, in der Tür ein Wachmann. Ich äußere meine Bedenken, dass ich Angst habe, mein Bike kommt weg. Was der wohl von mir hält, ein dreckiges voll bepacktes Rad, eine schmutzstarrende und wahrscheinlich nach 5 Tagen ohne Dusche müffelnde Fahrerin? Er erlaubt mir jedenfalls das Rad in das Geschäft zu schieben und an einem wackeligen Karton-Regal anzulehnen. Erleichterung. Was hätte ich sonst getan? Ohne Essen weiter?

In einem Vorort habe ich noch ein interessantes Erlebnis: In der Ferne kann ich einen Mann auf der Straße ausmachen. Sein ferngesteuertes Auto rast mit einem Affenzahn auf mich zu. Ich kann mit meinem schweren Gefährt nicht so schnell ausweichen und „knacks!“ fahre ich direkt drüber. Das Auto fährt noch und zurück zum Herrchen. Dieser schimpft wie ein Rohrspatz. Ich suche schnell das Weite. Fahrerflucht? Schuld habe doch nicht ich.

Ich mag mich heute übrigens gar nicht. In der vergangenen Nacht im Zelt habe ich mich gehasst. Klebrig, verschwitzt. Am Schlimmsten riechen die Socken. Waschen geht mit meinem Tuch, das ich an der Tasche festgemacht habe, ganz gut. Aber an den Kleidern kann ich nichts ändern. Der 5.Tag ohne Dusche. Was wohl die Leute in den Supermärkten sagen? Aber egal, schenkt mir ja niemand was dafür … Und: Das ist doch der Umweltgedanke pur – ich spare viel Wasser, Shampoo, Seife!

Dotwatcherin Adele

Aus Mancherster raus gibt es eine nette Gravelstrecke. An einer Tankstelle treffe ich auf Adele und ihren Mann, zwei begeisterte Radfahrer, die hier etwas dotwatchen. Sehr nett. Sie zeigen mir einen Wasserhahn.

Dann geht es wieder mal einen Windpark mit versperrtem Gatter. Irgendwie drüber und wieder Kabel gequetscht. Oje, das wird irgendwann wohl mal zum Problem werden. Kurzer Plausch mit einer MTB-Fahrerin, die das Gardasse-Gebiet kennt. Dann weiter. Raus aus dem Windpark, juhu, kein Gatter!

Vor dem nächsten Berg mache ich erst mal eine Ess-Pause. Und kurz danach komme ich bei einem Teich mit Imbisbude vorbei. Und schon wieder Pause bei Latte und Kuchen. Kein Wunder, dass ich so langsam weiterkomme. Aber man gönnt sich ja sonst nichts.

Dann wird es wieder dunkel. Ich komme wieder mal an ein verschlossenes sehr hohes Gatter. Dahinter kann ich ein Haus ausmachen. Ich sehe eine Klingel. Aber kann ich um diese Uhrzeit klingeln? Ich versuche es in die andere Richtung am Zaun entlang. Fehlanzeige, hier geht es nicht weiter. Wieder zurück. Den gegenüberliegenden Zaun entlang. Hier werde ich fündig. Im Mond-Schatten einiger hohen Bäume gibt es ein Tor für Fußgänger. Irgendwie kann ich mich und mein Bike da durchquetschen. Weiter geht es hinauf auf eine Art Alm. Immer wieder leuchtende Kugeln am Wegesrand. Die reflektierenden Schafaugen. Ich schiebe einen Serpentinenweg hinunter, dann wieder erste Häuser.

Ich beschließe den Tag hier zu beenden und suche mir auf einer Wiese hinter einem Zaun ein Schlafplätzchen. Ich wundere mich noch über die hohen Töne, die hier ab und an zu hören sind. Auf dem Schild am Tor steht was über Diebstahlschutz. Muss ich zuhause googeln.

Zwei Stunden später wieder Abfahrt. Ich hatte mir den Wecker auf 3:15 gestellt, er ging allerdings nicht los und so wurden es eine Stunde später.

Tag 6:

Dachte ich, heute gibt es einen „gemütlichen“ Tag, so wurde ich bald eines Besseren belehrt. Wieder mal Fehlschluss. Es geht unendlich weit über Weiden, Gitter auf Gitter zu. Einige Kilometer fahre ich mit Steve und wir unterhalten uns köstlich. Der Spaßvogel ist bester Laune, obwohl er schon einige Pannen hatte, u.a. brach der Rahmen, an dem seine Tasche befestigt ist, dann wurde er in einer öffentlichen Toilette, in der er nachts seine Wäsche waschen wollte, eingesperrt und musste bis am nächsten Vormittag auf Befreiung warten, an Schlaf war nicht zu denken, da er fürchterlich fror mit den nassen Sachen. Die Pechsträhne ging noch weiter. Irgendwann beginnt es wieder zu regnen, unsere Wege trennen sich. Ich muss zuerst mal meinen Milchreis aus der Packtasche löffeln. Keine gute Idee auf den Holperstrecken Joghurt- und Milchreisbecher übereinander zu stapeln in der Tasche.

Einschub: Unendlich sind die Möglichkeiten Zeit zu verlieren. Zusammenfassung und Vorschau:

  • Sich in Toiletten-Häuschen einschließen zu lassen
  • Essen ungünstig einpacken und Entfernung der sagenhaften Sauerei
  • Fotografieren/ Filmen
  • Smartphone verlieren
  • Rad und Zubehör reparieren
  • Der eigenen Gattin zu Hilfe eilen (betrifft mich nicht, aber Zeitverlust ist immens)
  • Verpennen
  • Körperreinigung unterwegs nach vielen Tagen ohne Duschen. Ist eh sinnlos, für wen denn?
  • Einkaufen ohne Plan
  • Zuviel Zeug rumschleppen. Jedes Kilo zu viel verlangsamt die Reise.

Die folgenden Abfahrten sind richtig flott. Der vorletzte Berg vor der Kontrollstelle wird hart. Nicht nur, dass Schieben angesagt ist, es regnet stark und ist stürmisch. Irgendwann blockiert mein Hinterrad. Nanu? Der Spannriemen meiner Tasche ist von dieser runtergerutscht und hat sich verklemmt. Zum Glück passierte das beim Langsam-Fahren, nicht auszudenken eine paar Kilometer später bei der Abfahrt. Das hätte böse ausgehen können. Da muss sich Tailfinn unbedingt was einfallen lassen.

Nun sause ich dahin. Entlang einer Eisenbahnstrecke und vielen Viadukten, wie man sie aus Harry Potter kennt. Es läuft super. So schön kann Radfahren sein. Vor Kirkby Stephen holt mich die Müdigkeit ein, es ist auch schon später Nachmittag. Mitten auf der befahrenen Kreuzung ein Bänkchen. Das kommt wie gerufen. Wecker auf 15 Minuten und Powernap.

Anschließend nur noch ein letzter (sehr steiler) Anstieg und 10 Kilometer runterrollen zur Kontrollstelle Garrigill. Das wird nicht mehr so schlimm sein. 600 Höhenmeter geht es nun noch hoch. Easy, wenn man an vergleichbare Anstiege bei uns denkt. Vor mir ein Radfahrer. Übermütig beginne ich die Jagd, der wird doch einzuholen sein. Es ist Miles, der wieder mal filmt. Ich versuche möglichst frisch auszusehen und so zu wirken, als machte mir dieser wieder mal mörderisch steile Anstieg gar nichts aus.

Miles berichtet, Hermann sei hinter mir. Ich ungläubig, das kann unmöglich sein, der ist sicher schon seit Stunden auf dem Campingplatz.

Zum Glück fährt Miles Simon hinterher, der von hinten aufgeschlossen hatte und ich kann verlangsamen und muss das hechelnde Luftschnappen nicht unterdrücken. Ein Auto kommt entgegen. Jemand steigt aus und erzählt er habe Brownies gebacken, ob er mir einen anbieten darf. Liebend gerne, aber darf ich das? Miles ist ja weg, so nehme ich dankend an.

Kurz darauf holt mich wieder jemand ein: Hermann. Wie gibt es das denn? Wo soll ich ihn überholt haben? Er erzählt, er habe in Kirkby Stephen, meinem Powernap-Halt, 5h auf mich gewartet, weil ihm Simon erzählt habe, nach dem Pass würde es sehr schweres Gelände geben. Der Liebe!

Das hatte ich nicht auf dem Schirm. Wirklich, die letzten 10 Kilometer waren Gehgelände, zumindest die Hälfte. Und dabei war es auch nicht leicht, den richtigen Weg zu finden. Da es jetzt auch langsam dunkel wurde, bin ich nicht unfroh nicht alleine zu sein.

Es ist wieder spät, als wir Garrigill erreichen.

Und hier, juhu, eine funktionierende heiße Dusche, Möglichkeit die Kleider zu waschen, leckeres Essen und nicht zuletzt schlafen, 5h sollten es sein, welcher Luxus. Mein Zelt muss ich im leichten Regen aufstellen und unter Mückenplage. Die Biester sind schrecklich. Millionen umschwirren und peinigen dich, gehen vor allem auf Augen und Ohren los. Ohne Mückennetz ist man machtlos. Die Aussicht auf saubere Kleidung ist auch klasse, der Trockenraum aber bis auf die letzte Ritze behängt. Mehr als  Halbweg ist geschafft.

Zu betonen ist, wie nett die Crew der Kontrollstelle uns umsorgt haben! Vielen Dank noch einmal!

Und nun geht eigentlich mehr oder weniger alles -um es mit einer Redewendung zu sagen- den Bach runter …

Stage 3 : Garrigill to Fort Augustus, Inver Coille Camping, Loch Ness

Tag 7, Tag 8 und 9
510 km/ 6500 Hm

Tag 7

Nach dem reichhaltigen Frühstück und nach Zusammenpacken unter Mückenplage fühle ich mich wie neu. Die Strecke führt auf einem idyllischen Radweg entlang einer stillgelegten Bahnlinie. Ein kleines Hindernis bringt mich nicht aus der Ruhe, der Track verlässt den Radweg und führt über eine ruppige Weide mit anschließendem Über-den-Zaun-heben – wieder mal. Kurz danach die nächste Erschwernis. Es bleibt frau auch wirklich nichts erspart: Vor einem wunderschönen alten Viadukt muss man ab von der Strecke, das Bike über unzählige glitschige hohe Stufen runterheben und dasselbe auf der anderen Seite wieder hoch (20kg sei Dank = Schwerstarbeit). Im nächsten Örtchen, Alston, ist erst mal Einkaufen angesagt. Beziehungsweise, versuche ich erstmal einen Radmechaniker zu erreichen, der sich meine Schaltung mal anschauen kann. Langsam habe ich den Verdacht, dass es nicht mehr lange bis zu einem Kabelriss dauern kann. Verständnisschwierigkeiten am Telefon. Dann fahre ich halt so weiter. Ich besuche noch kurz ein Café, in dem ein Mitarbeiter des Mechanikers arbeitet, der aber hat keine Zeit. Beim Einkaufen im Supermarkt sucht mich netterweise der nette Herr, mit dem ich am Telefon gesprochen hatte und gibt mir eine Kontaktadresse, aber das ist wiederum der vom Café. Nette Geste, aber leider vergeblich. Ich mache mich nach dem Einkauf und Costa-Latte mit meinem um einiges schwereren Rad auf den Weg. Es stehen an die 200 Kilometer ohne Versorgungsmöglichkeiten an.

Es geht weiter easy durch ländliches Gebiet, nach einem Verkehrsschild „Red squirrels“ – Achtung Eichhörnchen, wird es ein paar mal wieder unerträglich steil. Dann wieder Schotter, stundenlang durch den Nationalpark Kielder Water, aber leichtes Gelände. Irgendwann ein Durchfahrtverbot wegen schwerer Waldarbeitsgeräte. Was nun? Zurück- unmöglich. Ich schiebe mein Rad durch Matsch in Richtung der Arbeitenden. Die Räder der Maschinen sind enorm hoch. Hoffentlich sehen die mich. Ich komme unbeschädigt weiter.

Etwas später holt mich Steve ein. Die nächste Steigung bewältigen wir gemeinsam. Nach einer rasanten Gravelabfahrt ein Kleintransporter am Wegesrand. Er wartet auf Oliver, der hier aussteigen will, leider wieder einer weniger um mich herum. Und noch etwas weiter holt uns Christophe aus Belgien ein, der Führende der zweiten Stage. Wieso denn das? Freilaufschaden, er hat nur noch 2 Gänge zur Verfügung. Weit und breit keine Möglichkeit das zu reparieren auf den nächsten 200 Kilometern. Schade, er wäre Anwärter auf den Sieg gewesen. Nun sind die Führenden beider Stages raus, denn Alex hat aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen. So schnell kann es gehen … Das werde ich in den nächsten Stunden auch erfahren … (Christophe und Alex waren Teil unserer Fahrgemeinschaft nach Land’s End).

Ich überfahre nun irgendwo die schottische Grenze. Nach einem Berg kommt bekanntlich wieder ein Tal, in dem es „flutscht“. Angenehme Steigung, Asphalt, was will frau mehr. Ein Moment der Unachtsamkeit und ab nun geht so ziemlich alles schief: Mein Vorderrad kommt von der Straße ab, der Straßengraben rast auf mich zu, ich stürze und mein Bike verkeilt sich unter der Leitplanke. Der Lenker ist verbogen, ich habe mir zum Glück außer ein paar Schrammen, nichts getan. Minutenlang versuche ich das Rad wieder freizubekommen und den Lenker mit meinem Tool aufzuschrauben und grade auszurichten. Dann bin mit zitternden Knien wieder on the road. Erst später werde ich draufkommen, dass die Lampe nicht mehr funktioniert und ich über den Nabendynamo auch nicht mehr laden kann. Katastrophe. Das Ziel rückt in weite Ferne. Wie soll ich dann ohne Lampe und ohne Stromversorgung nach JOG finden? Kommunikation und Streckenverfolgung ohne geladenen Akku unmöglich. Vermutlich bin ich wohl auch bald raus. Ich erreiche Hermann. Er sitzt einige viele Kilometer weiter in einem Pub beim Abendessen und verspricht zu warten. Ich steigere die Geschwindigkeit, die Kilometer ziehen sich, mein Garmin macht Mätzchen, das Problem löst sich zum Glück durch einen Neustart des Geräts. Die Dämmerung bricht herein, es wird bitterkalt, auf einmal habe ich eine Art Erscheinung: „Gabi, hier warst du schonmal! Nein, du gute Frau, du spinnst wohl, das ist sicher wieder mal ein Zeichen von Übermüdung …“ Später werde ich draufkommen, dass ich hier bei der LEL (London-Edinburgh-London) vorbeigekommen bin. Ich trudle im Tushielaw Inn ein. Die Küche ist leider schon zu, aber mein enttäuschtes Gesicht erweicht den Chef des Hauses und ich bekomme noch ein Sandwich und kann mich mit einem heißen Getränk aufwärmen.

Auch Steve und Simon finden hierher und zusammen bilden wir eine lebhafte Gesellschaft, lustig, wenn meine Gedanken nicht verdüstert wären durch mein drohendes Ausscheiden. Was könnte der Grund des Nicht-Funktionierens meines Ladegeräts sein? Hermann meint, es liege vielleicht an einem Kurzschluss, da der Lampenkabel beschädigt sei, die Kupferdrähte waren freigelegt. Kurzerhand wird das Lampenkabel gekappt und wie durch ein Wunder kann ich wieder laden. Ich plane nun, wie ich vorgehen könnte: Mit geladenem Reservelicht käme ich 2 Stunden weit. Wenn ich unterwegs irgendwo eine akkubetriebene zusätzliche Beleuchtung kaufen könnte, wäre ich gerettet.

Hermann und ich fahren einige Kilometer gemeinsam weiter. Es wird immer kälter und fängt auch wieder an zu tröpfeln. Es findet sich kein geeigneter Biwak-Platz, ein höherer Berg stand an. Irgendwo dann eine steinige Weide und wir beschließen aufgrund der Kälte beide in mein Mini-Zelt zu schlüpfen, etwas zu ruhen und bald wieder aufzubrechen. Wecker stellen wir fatalerweise keinen. Und Schock, es ist schon 6 Uhr als wir aufwachen, nicht 4 wie geplant. Mein Finish rückt in immer weitere Ferne. Ich würde die kommende Nacht durchfahren müssen, um den CP3 Fort Augustus pünktlich zu erreichen. Wie sollte das aber gehen ohne ordentliche Beleuchtung? Und mit einer Lampe, die nach spätestens 2 Stunden ihren Geist aufgibt?

Tag 8

Hermann fährt ab, ich muss noch das Zelt wegpacken. Der erste Berg bringt schwierigeres Gelände in der Auf- und Abfahrt, dann geht es über die nächste Erhebung, hier ist wieder mal Schieben angesagt. Runter ist fahrbar, aber auch nicht ganz leicht. Das schwere Rad, ein Drittel meines Gewichtes ist nicht so leicht manövrierbar und so reißt mich das Bike einige Male um. Bei einem der Stürze lande ich auf dem Rücken aber weich im Farnkraut. Beim Aufstehen sehe aus den Augenwinkeln ein Stück gelbes Drainage-Rohr. Im Tal, etwa 250 Höhenmeter tiefer, ich hatte gerade einen Bauernhof passiert, merke ich, dass mein Smartphone weg ist. Schock! Kopflos lege ich mein Rad neben die Straße und laufe den Weg zurück hinauf. Unterwegs treffe ich auf Simon, der hat aber nichts gefunden unterwegs. Ich stapfe in meinen Radschuhen weiter und merke zu spät, dass ich vom richtigen Weg abgekommen bin.

Durch das Farnkraut suche ich den richtigen Weg zu erreichen, das Garmin Gerät steckt am Rad, das hätte mir die Suche erleichtert. Etwas weiter oben die Erkenntnis, dass der Sturz nicht so weit oben war. Also wieder hinunter. Ich suche nach dem Rohr. Nichts. Ich stieg bis zu einem kleinen dichteren Farnwäldchens ab. Im Kopf das Szenario: Ich kann niemanden mehr kontaktieren. Ich weiß auch keine Telefonnummer auswendig. Schrecklicher Gedanke. Was tun? Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als nochmal hochzugehen, bis an den höchsten Punkt. Hier hatte ich nämlich das letzte Foto geschossen. Oben dann trifft mich eine weitere Erkenntnis wie ein Blitzschlag: Ich hielt nach diesem Drainagerohr Ausschau. Gelb und mit Rillen. Die zum Teil gelben Blätter des Farnkrauts schauten ähnlich aus. Vielleicht war das Rohr nur ein Hirngespinst? Ich drehte also jede der gelben Blätter unterwegs um. Nichts. Als ich mich zum zweiten Male dem Farnwäldchen näherte, leuchtet mir links was entgegen: Das Rohr und daneben – mein SMARTPHONE. Gerettet!!! Erleichtert fasse ich es und renne den Berg hinunter. Unterwegs ein neuer schlimmer Gedanke: Was, wenn mein Rad nun nicht mehr da wäre? Ich hatte es nicht abgesperrt und hatte Geld und Dokumente einfach so zurückgelassen. Erleichterung, als mein Gravel-Traktor noch dort liegt, wo ich ihn zurück gelassen hatte. Später wird mir Simon erzählen, dass der Farmer beim Rad stand und ihn gefragt habe, ob das sein Rad sei. Hahhhaaahhaa, GBDuro mit zwei Rädern fahren … Simon hat dem Farmer die Sachlage erklärt.

Falkirk Wheel

Dieser Zu-Fuß-Ausflug hatte mich wohl mindestens weitere zwei Stunden gekostet, eineinhalb Mal den Berg hoch, ca. 300 Höhenmeter und 4 Kilometer Fußmarsch. Das wird jetzt wohl das wirkliche Ende sein!

Mein Mut wird etwas gehoben, da es jetzt recht einfach weiter geht Richtung Falkirk mit seiner Attraktion „Falkirk Wheel“, einem spektakulären Schiffshebewerk.

Unterwegs überholen Simon und ich uns gegenseitig mehrmals. Dann bei einem Windpark wieder einmal ein gesperrtes Gitter. Darüberheben ist angesagt. Simon steigt auf der anderen Seite gerade wieder auf sein Bike. Keine Anstalten, mir zu helfen. Genau – das hatte ich ja vergessen – das Rennen ist streng SELFSUPPORTET – das gilt genauso für uns Frauen! Minutenlang stehe ich erst mal wie ein dummes Schaf vor der neuerlichen Aufgabe meinen Traktor da drüber zu wuchten und kann die Tränen gerade noch zurück halten. Obwohl nun Ebene angesagt, muss ich anschließend trotzdem schieben, der Weg ist „gepflastert“ mit einem bunten Gemisch an Scherben, da traue ich mich nicht drüber zu rollen.

Die letzten Kilometer geht es unterhaltsam nicht schwierig über eine Downhillstrecke. Ich hatte in Falkirk auch einen Bikeshop entdeckt, merke aber am Ende der Strecke, dass ich schon 3 Kilometer zu weit bin. Also zurück und das auch noch aufwärts. Der nette Mitarbeiter richtet meine Schaltung, tauscht die Bremsbacken, schmiert die Kette und das Wichtigste, hier kann ich ein Vorderlicht erstehen. Allerding werde ich beim Einsatz merken, dass das Licht eher dazu gedacht ist, gesehen zu werden und nicht als sinnvolle Leuchtquelle dient. Ich blicke nun aber wieder positiver auf die Strecke vor mir.

Es ist nun schon wieder später Nachmittag, wie schnell die Zeit vergeht … Die nächsten Kilometer gehen leicht, ein nächster Supermarkt-Stopp ist angesagt, da wieder über 150 Kilometer nichts sein wird. Meine Wahl fällt auf Morrison, nicht so gut, da es hier nur übergroße Packungen gibt. Meine Packtasche bekomme ich anschließend kaum zu. Gestärkt mache ich mich auf den Weg. Ich verfranse mich x-mal, muss wohl etwas aufmerksamer sein. Nach dem hübschen Örtchen Stirling dämmert es. Mich holen die düsteren Gedanken ein, denn der Wetterbericht droht mit Regen. Ich spiele mit dem Gedanken, hier aufzuhören. Das wäre ein idealer Ort sich am nächsten Tag abholen zu lassen, eine Weiterfahrt würde das wieder komplizieren. Mehrmals bleibe ich stehen und überlege. Pro und Contra wäge ich ab. Dann siegt die abenteuerlustige Gabi: Weiter, mal sehen, was kommt.

Nun liegt gemischtes Terrain vor mir. Im Dunkeln radelt Steve an mir vorbei, ich bin wohl jetzt Allerletzte. Es fängt an zu regnen, in kurzer Zeit bin ich völlig durchnässt. Also weiterfahren, das gibt etwas warm. Ich scheine auf einem Radweg zu sein. Es geht irgendwann auf Mitternacht zu, die Müdigkeit holt mich ein. Ich werde immer langsamer, friere, am liebsten würde ich mich jetzt irgendwo hinlegen. Aber hier im strömenden Regen? Irgendwann vor mir ein Dorf: Killin. Mitternacht ist lang vorbei, es geht auf Halbzwei zu. Ein Ambulanzwagen vor einem beleuchteten Restaurant. Ich klopfe. Nein, nicht offen, ich kann mich auch nicht kurz aufwärmen. Ich schlingere übermüdet und frierend weiter. Was mache ich hier? Ich hätte aufgeben sollen und das schon Kilometer zuvor. Den Tränen nahe trete ich weiter. Ein Haus mit Garten und dort steht wer. Und wenn ich hier einfach frage? Ich sehe keinen Ausweg mehr und muss mich schleunigst etwas aufwärmen. 6° und ich klatschnass. Ich frage den großen wie ein englischer Adeliger aussehenden Kerl, mit nicht kleiner Wiskey-Fahne, ob er nicht einen Platz hätte, an dem ich mich kurz aufwärmen könnte, eine Garage, ein Gartenhäuschen oder so. Was macht er eigentlich hier um diese Zeit, frage ich mich, aber meine Verzweiflung war riesengroß, keinesfalls könnte ich jetzt noch weiter fahren. Er schaut mich lange an, dann sagt er, er wollte mir helfen, führt mich in einen winzig kleinen überfüllten Raum. Er wohne hier im Moment, da er sein Haus wegen eines Events im Dorf vermietet habe. Ich kann mich umziehen, er bietet mir ein Glas Wiskey an, ein Feldbett wird aufgeklappt. Etwas mulmig wird mir schon, als er die Tür mit einem riesigen Schlüsselbund absperrt, über mich drüber klettert und in seinem Schlafsack verschwindet.

Tag 9

Nach einer Stunde des Aufwärmens bin ich schon wieder auf dem Weg, alles gutgegangen, der Herr wachte nicht mal auf, als ich meine Siebensachen zusammensuche.

Es hatte inzwischen aufgehört zu regnen. Ein nächster gut fahrbarer Berg wärmt mich auf. Auch die Abfahrt ist fein und es geht weiter durch ein Tälchen, sehr einsam. Hin und wieder ein Haus, dann ein Café an der Strecke, leider noch geschlossen. An der Abzweigung zum nächsten Aufstieg, die Sonne war gerade aufgegangen, treffe ich wieder auf Steve, im Gespräch mit einem Herrn, der mit drei Hunden unterwegs ist. Ich drücke gerade meine Enttäuschung aus, dass ich nun ohne Frühstück weiter muss in unbestimmte Endlosigkeit, da fragt der nette Herr, er lüde uns ein zum Kaffee, sein Anwesen sei grad mal 400 Yard weg. Steve und ich strahlen um die Wette. An der Tür ziehen wir unsere Radschuhe aus, sofort verbreiten sich unsere Sockendüfte in der ganzen Küche. Hier ist der Tisch reichhaltig gedeckt. Es gibt Porridge für uns mit Obst und heißen Kaffee. Herrlich.

Sehr dankbar brechen wir wieder auf. Der nächste Berg ist wieder unangenehmes Gelände. Aber irgendwann erreiche ich Loch Rannoch und damit wieder einige Kilometer Asphalt. Hier ist gerade ein Radrennen in Gange.

Anschließend 48 Kilometer Rüttelgelände, das heißt die Steine sind so groß, dass ich und mein Rad so richtig durchgeschüttelt werden und kein Ende in Sicht. Irgendwas kratzt an meinem Oberschenkel, da fällt auch schon eine Schraube zu Boden. Zum Glück habe ich es gemerkt. Ich pule das Ding wieder an seinen Ort, Abdeckung drüber und weiter. Langsam fällt wohl mein Rad auseinander. Dieses Rennen stellt wohl nicht nur an die Fahrer*innen, sondern ganz besonders auch an das Material riesengroße Ansprüche.

Loch Ossian, hier geht die Strecke auf einem super schnellen Gravel-Untergrund weiter und ich sause durch die Landschaft. Es macht richtig Spaß wieder. Auf einmal scheint es mir, dass mein Bike nicht mehr so leicht manövriert werden kann, schaue nach unten und sehe, dass Dichtmilch aus meinem Hinterreifen spritzt. Eine Panne? Ich fahre weiter, vielleicht verschließt sich das Loch ja wieder. Fehlanzeige, bald ist der Reifen ganz platt. Auch das noch! Mir bleibt auch gar nichts erspart. Aufpumpen hilft nichts, der Reifen springt von der Felge. Schei … Tasche runter, Werkzeug raus, Reifen runter, Dichtmilch rausputzen, Reifen auf Splitter kontrollieren, Schlauch rein, aufpumpen.

Inzwischen hält ein Geländefahrzeug. Ich bin erleichtert, als der Fahrer mir anbietet, falls ich in einer Stunde immer noch hier sei, mich mitzunehmen. Also ist das Ende der Welt wohl doch nicht so am Ende. Der Gedanke, dass hier für mich Schluss sei, tut mir nun doch wieder leid. Ein Mann und zwei Frauen halten. Nein, ich brauche keine Hilfe, sie warten aber ab, falls doch. So nett alle …

Dann wieder alles aufgepackt und weiter. Nur noch 60 Kilometer trennen mich von der nächsten Kontrollstelle. Diese gehen sehr schleppend, mein Reifen ruckelt, ist wohl nicht in sein Felgenbett gerutscht. Einer der höchsten Berge liegt noch vor mir, das sorgt mich etwas. Fast 500 Höhenmeter, das wären bei uns eigentlich sehr wenig, aber was ich bisher erlebt hatte, lässt mich schon ahnen, dass es nicht leicht würde.

Endlich bin ich dann wirklich in der Steigung und es läuft nicht rund. Das Gebiet ist sehr wasserreich und das bedeutet alle 50 Meter eine befestigte Wasserauskehre quer über den steinigen Weg. Unendlich oft muss ich absteigen, das Rinnsal überqueren, wieder aufsteigen. Endlos. Dann wird es ganz steil. Schieben angesagt. Die letzten Serpentinen quäle ich mich hoch. Dann ist endlich Abfahrt angesagt. Über einen steinigen steilen Weg. Höchste Konzentration ist angesagt. Nur kein Sturz! Die Handgelenke schmerzen höllisch vom krampfhaften Bremsen, trotz gefedertem Vorbau. 20 Kilometer schwierige Abfahrt. Irgendwann wollen die Tränen kommen, Tränen ohne Tränen, geht das? Ich führe mit mir Selbstgespräche. Maßregle mich, das habe ich so gewollt, jetzt solle ich gefälligst still sein. Es wird langsam dunkel. Und nun kommt meine Reservelampe zum Einsatz. Diese scheint nicht so schlechtes Licht zu geben, wenn ich nicht zu schnell fahre. Und wie lange, das wird sich zeigen. Irgendwann in der Ferne Lichter von Fort Augustus am Loch Ness. Die wollen aber nicht näher kommen. Endlos. Irgendwann dann angekommen, nun sind es nur noch 7 Kilometer bis zum Camping-Platz mit CP3. Es geht nun wieder bergauf. Interessanterweise liegen hier auf dem Weg dattelgroße braune Gebilde. Was? Hier wachsen Datteln? Da spielt mir wohl meine Müdigkeit wieder Streiche.

Es scheint mir, dass ich kreuz und quer durch den Wald schlingere. Wo ist CP3? Ich verfahre mich zig-mal. Irgendwann dann ein Licht zwischen den Bäumen. Hermann! Es hätte ein Hinweisschild gegeben, aber das hat mein „ersterbendes“ Licht leider nicht erfasst.

Geschafft, das hätte ich in den letzten beiden Tagen wohl nicht erwartet … Ich bin megaglücklich. Lagerfeuer, ich bekomme noch Pizza, Dusche, Zeltaufbau und der lang ersehnte Schlaf.  

Stage 4: Fort Augustus to John O’Groats

Tag 10 und 11
400 km/ 4100 Hm

Tag 10

Allerdings ist dieser nach 5 Stunden schon wieder vorbei. Frühstück und Aufbruch zur letzten Stage. Knapp 400 Kilometer stehen an und dafür nur 2 Tage Zeit. Wer am zweiten Tag beim Abendessen um 20 Uhr vor Ort sein würde, der konnte sich FINISHER nennen. Und wie die Ausfall-Liste zeigte, würden maximal 18 von den 47 Eingeschriebenen in John O‘ Groats ankommen.

Drei Berge gleich nach Abfahrt. Und es ging gleich in die Vollen. Äußerst steiler Anstieg. Dann wunderbar hoch über Loch Ness durch Heidelandschaft, dann ein Downhill und auf zum nächsten Berg. Auf einmal kann ich nicht mehr schalten. Nein!!! Nicht schon wieder ein Problem, jetzt das Ende in greifbarer Nähe. Ich schiebe etwas, dann wird es flacher. Das Schalten scheint wieder zu gehen, nur der erste Gang lässt sich nicht mehr schalten. Abfahrt. Supermarkt-Stopp mit Latte-Pause, Hermann fährt gerade wieder ab. Danach gibt es lange nichts, außer man schafft es zeitlich bis Contin, dort gibt es einen Tankstellen-Shop, der bis 19 Uhr offen hat. Ob ich das schaffe? Keine Ahnung, deshalb besser vorgesorgt, was wieder mehr Gewicht bedeutet. Essen und Wasser.

Ich komme nicht weit. Der Reifen hinten ist wieder platt. Ein Entsetzensschrei meinerseits. Wieder die gleiche Prozedur wie am Tag zuvor. Luft einpumpen. Geht nicht! Ich versuche den inneren Gummiring etwas zu schmieren, jetzt geht garnichts mehr. Ein Lieferwagen hält. Der kann mir auch nicht helfen, aber nette Geste. Pumpe kaputt! Aus der Traum. Ich schreibe Hermann, dass ich nun endgültig raus bin und google, wie ich hier weg kommen könnte.

Hermann ist schon 11 Kilometer weiter und halb den nächsten Berg hoch und gut in der Zeit das Finish zu schaffen. Und was macht der Kerl? Er dreht um und bringt mir seine Pumpe.

Gemeinsam fahren wir weiter. Ein schwieriger Berg, eine schwierige Abfahrt, aber wir schaffen es bis zur Tankstelle, um uns ein letztes Mal zu versorgen, ab hier nämlich 260 Kilometer bis zum Ziel keine Einkaufmöglichkeit mehr.

Die Höhenmeter, die nun anstehen, sind nicht viele, das Gelände in der Nacht ist aber nicht leicht. Ich bin ohne gute Beleuchtung und als es dunkel wird, erkenne ich, wie schwierig es ist. Die bessere Bontrager-Lampe leuchtet grad mal 2 Stunden, die andere Lampe ist kaum brauchbar. Das bedeutet sehr langsames Vorankommen, während die Bontrager auflädt. Untragbar und dann noch die Müdigkeitsattacken in der Nacht. Ich fahre zwischen zwei Zaunstangen durch, erschrecke und ziehe den Kopf vor der Querstange ein, die gibt es allerdings gar nicht, Trugbild, es wäre wohl langsam Zeit zu schlafen. Dachten wir zunächst das Ende des ersten Abschnitts, Rosehall, gegen Mitternacht zu erreichen, wird es 2 Uhr, dann 4 Uhr, schlussendlich sind wir erst gegen 6 Uhr dort.

Tag 11

Ein kurzer Powernap, dann weiter. Die Motivation ist gesunken, Hermann hatte auf der Dotwatcher-Seite gelesen, dass die Beobachter uns schon abgeschrieben hätten, Hermann und Gabi würden es nicht schaffen bis 20 Uhr. Demotivierend.

Die restlichen 200 Kilometer sollten wir nun in knapp 14 Stunden schaffen. Asphalt nur recht wenig darunter. Ein 400 Höhenmeter-Berg mit giftigen Steigungen bringen wir hinter uns. Plötzlich vor uns ein langsamer Radfahrer. Nein, der schiebt ja. Beim Näherkommen erkennen wir Jamie. Freilauf kaputt. Er möchte die 200 Kilometer laufend hinter sich bringen. Ein Held! Er wird aber einige Kilometer später abbrechen. Schade. Das tut mir sehr leid für ihn.

Wir quälen uns weiter. In immer kürzeren Abständen kommt die Müdigkeit, nun auch tagsüber. Zweimal gönnen wir uns noch eine je viertelstündige Schlafpause. Mir geht das Wasser aus. Es gibt auch keine Bäche in der Gegend. Wider Erwartung kommen wir an einem kleinen Campingplatz vorbei. Dort bekommen wir Wasser und ein Eis.

Der nächste Anstieg ist eine ellenlange Rüttelpiste. Muss das sein? Ich bin wieder hundemüde. Auf einmal sehe ich vor mir eine Hütte, sieht aus wie eine bewirtschaftete Bergalm. Trugbild meines erschöpften Gehirns, hier gibt es nur Steine und Gras. Irgendwann ist auch diese Steigung und Abfahrt gemeistert. Die lange Asphaltstrecke zieht sich allerdings. Ich sehe immer wieder komische Dinge, jetzt eine Maschine, die das Farnkraut schneidet, kurz vor mir, ich zucke zusammen und erkenne es ist nur eine Spiegelung des Wassers neben mir.

Irgendwann liegen „nur“ noch 40 Kilometer vor uns und nur noch Asphalt. Nun wird es wieder dunkel und das Problem Beleuchtung ist dasselbe wie in der Nacht zuvor. Ich habe zudem Angst, dass ich von Autofahrern nicht gesehen werde. Schleppendes Vorankommen. Es ist nun 20 Uhr schon vorbei. Aus der Traum!

Die Ankunft in John O‘ Groats, trotz 2 Stunden Verspätung, trotzdem überwältigend. Eine Gruppe um Emily Harper, der Siegerin erwartet uns am nordöstlichsten Punkt Schottlands. Eine wunderbare Geste von der Gruppe, die sicher lieber schon im wärmenden Bett sein wollte. Da wir das Abendessen versäumt und über einen Tag uns nicht versorgen konnten, schenkte uns Emily ihren Reiseproviant, Keks, Orangen, Chips – eine tolle Geste!! Danke,  Emily!! Dann konnten wir in unser ersehntes Bett sinken …

Am nächsten Tag Frühstück mit den Finshern, dann löste sich die Gemeinschaft langsam auf und jeder machte sich auf den Heimweg.

GBDuro war so das Härteste, das ich je in meinem Leben gefinisht habe …
Sehr viele Augenblicke waren Spaß-Stufe 3; aber nicht zuletzt deswegen bin ich mega stolz es bis John O’Groats geschafft zu haben, besonders, wenn man bedenkt, wie viele der Racer aufgeben mussten (über die Hälfte der Gestarteten)

Danke für alles und danke für die vielen netten Leute, die ich kennen lernen durfte, sei es Mitfahrer*innen als auch Dotwatcher und andere Leute an der Strecke!!!
Überraschung: Dotwatcher award – „lanterne rouge“

Was nun auf uns zukommen sollte, ist nicht mehr zu toppen: Horrortripp Heimreise.

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