1250 Kilometer: Verona – Ljubljana – Verona
Tarvisio. 3 Uhr nachts. Ich bin alleine. Hermann hatte nach seiner Italy Divide keine Lust auf über 1200 Kilometer Rennrad. Kreisverkehr. Stockfinster ist es, bis auf den gleißend weißen Bildschirm meines GPS-Geräts. Violett schlängelt sich mein Weg, dem ich nach Ljubljana folgen sollte, über das Display. Wohin soll ich fahren? Rechts, links oder geradeaus? Versuch 1 – Irrtum, also zurück. Auch Möglichkeit 2 erweist sich als falsch. Ärger. Nummer 3 auch. Ratlos versuche ich es nochmal mit der ersten Ausfahrt. Doch richtig. Wie soll ich aber den Weg nach Timau und zum Plöckenpass finden, wenn nicht im Schneckentempo durch den Ausfall der Funktionen meines Geräts? Hilfe!! Aus- und Einschalten hat auch keine Wirkung. Dass ich so hilflos sein würde, hatte ich mir am Start wohl nicht ausmalen können.
2 Nächte und einen Tag zuvor …
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Hier ein Kurzfilm (am Ende der Seite der 6-Minutenfilm)
Mittwoch-Nacht / Donnerstag: Nacht & Tag 1
485 km/ 3550 m D+
20:30 Uhr. Start an der Arena von Verona. An die 80 Personen setzen sich in Bewegung, darunter zwei Handvoll Frauen. Vier Tage später werden zwei Drittel wieder zurück sein, darunter 5 Frauen.
Wir fahren in die Dämmerung hinein, vor uns 1200 Kilometer Weg. Die Gruppe lasse ich nach etwa einer Stunde ziehen, das mörderische Tempo mag ich nicht mehr mitmachen. Wissen die nicht, dass wir noch ein paar Kilometer vor uns haben?
Erste Kontrolle am Gardasee. Dann geht es den See entlang nach Norden. Es ist Schlafenszeit und langsam fange ich an zu gähnen. Ich schließe an ein Grüppchen auf, das ist mir jedoch zu stressig und unrhythmisch. Ich beschleunige und fahre vor, gemütlich auf meinem Triathlonlenker lümmelnd. In der steilen Steigung nach Nago hinauf überholen mich die Jungs. Dann aber bin ich die restliche Nacht allein. Vielleicht durch Red Bull, einem grauenhaft süßen Getränk, habe ich keine Müdigkeitsattacken, vielleicht aber auch durch den spannenden Krimi, den ich mir via Hörbuch reinziehe.
Lichtblick die Kontrollstelle beim Bicigrill in Faedo. Latte Macchiato und ein leckerer Kuchen motivieren mich zum Weiterfahren. Nun geht es zudem Richtung Heimat, ich kenne nahezu jeden Meter.
Vor Klausen wird es hell. Kontrolle Nummer 2. Hier halte ich mich nicht auf, trinke nur einen überteuerten Minibecher lauwarmen Tee. Brixen ist gleich erreicht. Frühstück!!! Dann folgt die nächste Steigung nach Elvas. Von der nun folgenden Strecke über den idyllischen Radweg durch das Pustertal bis nach Bruneck kenne ich jeden Meter. Auch die weitere Strecke durch das enge Rienztal und weiter über Olang und den gleichnamigen Stausee bis nach Niederdorf ist mir gut bekannt. Kontrolle Nummer 3 ist beim Sportplatz. Die Jungs vom Sportverein leisten super Arbeit. Sie warten mit einer leckeren Gemüsesuppe auf, grad das richtige für uns Radreisende: Flüssigkeit und Vitamine, ich gönne mir noch ein paar Nudeln, ein Brot mit Orangenmarmelade und zum Abschluss ein Joghurt.
Haben viele der Teilnehmer drei Gepäckbeutel abgegeben und nun an 5 Stellen Zugriff darauf, habe ich mich entschieden alles selbst mitzunehmen, so ist mein Bike nun nicht gerade leicht mit Biwakzeug und allem möglichen anderem beladen, was man als Frau so zu brauchen glaubt. Nun rolle ich es über den beliebten Radweg nach Toblach und Innichen und dann hinunter nach Lienz. Rollen. Das fordert seinen Tribut. Der Schlafentzug beginnt sich signifikant zu äußern. Ich gähne an einer Tour. Eine kurze Rast ausgestreckt auf einer Bank bringt auch den ersehnten Powernap nicht. Die unzähligen vorbeibrausenden Radler verhindern ein Wegnicken. Apropos – die vielen Hobbyradler, die diese Strecke mit Kind und Kegel bevölkern, sind nicht ungefährlich. Sie verhalten sich oft unberechenbar, scheren aus, halten plötzlich an. Bin ich froh, als Lienz erreicht ist. Zwischendurch der erste Regenguss. Das Wetter soll unstabil bleiben mit Gewitterneigung. Oje, ich Angsthase habe schreckliche Angst vor Blitz und Donner und immer wieder äuge ich misstrauisch nach oben.
Entlang der Drau wird es nun sehr einsam. Es geht oft über Schotterpisten und zudem immer wieder auf und ab. Bei Kontrolle 4 in Oberdrauburg gönne ich mir einen Latte Macchiato (wie immer mit 2x Zucker) und ein belegtes Brot. Ein Schwätzchen mit Valentina Rocca, die meine Brevetkarte abstempelt. Und weiter geht’s. Ich hatte vor noch bis Tarvisio fahren und dort etwas zu schlafen. Bis dorthin sind aber noch 70 Kilometer flach zu fahren und dann noch die berüchtigte Windische Höhe zu überwinden, die anschließenden 20 Kilometer zählen wahrscheinlich kaum. Es ist schon späterer Nachmittag und am Himmel bräut sich was zusammen.
Die 70 sind gefühlt relativ rasch runtergespult, dann wird es ernst. Berüchtigte Windische Höhe, genau, und das ist sie. Es geht gleich mit 15% Steigung los und weniger wird es kaum mal.
Später im Anstieg geht es dann auch los. In der Ferne blitzt es, ich zähle bis 7, aha, das Gewitter ist etwa 2 km weg … Mir sträuben sich schon die Haare, ich bin hier mitten im Wald, einsam. Schnell weg ginge nur nach unten. Aber die mühsam erkämpften Höhenmeter will ich keinesfalls ein zweites Mal machen müssen. Also mit zitternden Knien weiter. Das Gewitter verzieht sich wieder. Gefühlt wird es immer steiler. Mir scheint, dass mich mein Gepäck nach unten zieht. Ein LKW naht. In mir steigen die Grausbirnen auf in Erinnerung an die Erlebnisse bei der NC4K. Ich steige vom Rad und ziehe es an den Straßenrand. Ein Wieder-Aufsteigen in dieser Steigung? Unmöglich. So schiebe ich ein paar Hundert Meter. Angenehm nach fast 450 Kilometern nonstop. Ein weißes Auto kommt entgegen, das Fenster wird runtergekurbelt und eine Frau und ein Mann blicken mir besorgt entgegen. Ob ich Probleme habe? Nein, meine Beine haben allerdings was gegen diese mörderische Steigung. Ach so. Das Auto wendet und verschwindet wieder. Das habe ich in meinem Radfahrerinnenleben auch noch nicht erlebt. Das Auto hatte mich überholt, kam wieder zurück, um mir Hilfe anzubieten. Nun gibt es eine kurze Abfahrt. Sehr steil. Es fängt wieder an leicht zu regnen. Blitz! Oje, was mache ich jetzt? Die letzten Häuser waren vor der Abfahrt. Da wieder hoch? Etwas weiter ein Haus. Schaut unbewohnt aus. Ich stelle mich unter. Irgendwann kommen zwei Radfahrer vorbei. Ich traue mich noch nicht weiter zu fahren, es grollt immer noch in der Ferne oder doch nicht so fern? Langsam wird es dunkel.
Wieder kommt ein kleines Grüppchen vorbei, nun fahre ich mit. Ich kann Aurora und Maria Grazia erkennen und ein paar Jungs. Es ist so steil, dass Aurora die ganze Straßenbreite nutzt. Auf einmal Reifenquitschen. Ein Auto legt eine Vollbremsung hin, das Rad am Rand seiner Fahrbahnseite hat wohl sehr irritiert. Die haben aber auch einen Karacho drauf hier. Der höchste Punkt ist erreicht. Nun folgt die Abfahrt, vor der der Veranstalter gewarnt hatte. Verschlimmert wird es durch die Regennässe. Die Fahrbahn ist ein Flickenteppich, mitunter geht es mit über 18% Gefälle hinunter. Die Gruppe fährt schneller als ich, sodass ich nach der Grenze Italien/ Slowenien wieder alleine bin. Ich verfahre mich mehrmals und muss zurück. Meine Garmin reagiert mit Streik. Der Bildschirm wird weiß, keine Karte ist hinterlegt. Wo bin ich? Wie finde ich nun nach Tarvisio? Es wird wieder sehr steil. Zu Fuß irre ich durch die Dunkelheit, meine Reaktionsfähigkeit ist auch nicht mehr die beste. Ich bin nun seit über 27 Stunden ohne Schlafen unterwegs und mag nicht mehr. Warum bin ich hier? Ich sollte wohl in naher Zukunft in „Sportpension“ gehen … Eine so alte Tante hat hier wohl nichts mehr zu suchen. Ich kann zwischen den Bäumen ein Licht erkennen. Eine Kirche.
Ich öffne die Strecke auf dem Smartphone. Ganz falsch bin ich wohl nicht. Und nicht mehr weit und ich bin da … die Kaserne in Tarvisio empfängt die Teilnehmer der Randonnée mit Essen, Schlafen und – Duschen. Gegen halb zwölf beziehe ich dann endlich mein Feldbett und nachdem ich mit meinen Ohrenstöpsel einen sinnlosen Kampf ausgefochten habe, falle ich auch ohne in einen tiefen Schlaf. Gefühlt nicht lange und die ersten beginnen mit Radschuhen rumzugehen, mit Plastiktüten zu rascheln und den Rest erledigen die lauten Schnarcher. Gabi ist wieder hellwach. Also raus aus dem Schlafsack, alles zusammengepackt, ich ziehe meine klammen Sachen wieder an, die nassen Socken duften unbeschreiblich, eine Kleinigkeit gefrühstückt und wieder raus in die Morgendämmerung.
Freitag: Tag 2
235 km/ 2200 m D+
Auf dem Programm stehen die 120 Kilometer nach Ljubljana und dasselbe wieder zurück. Es ist ungemütlich draußen, die Straßen nass. Die Radschuhe sind auch noch klitschnass. Die Strecke verläuft nun fast 50 Kilometer auf einem schönen Radweg ganz leicht bergauf. Finde ich gut, denn am Abend kann ich hier dann abwärts düsen. Ab Kranjska Gora bis Bled kenne ich die Strecke von meiner Northcape4000 vom Vorjahr. Wunderschöne Landschaften hier im Triglav-Nationalpark. Die Steigung geht schnell vorüber abgelenkt mit Quatschen mit Aurora und Maria Grazia, die ich an der Slowenischen Grenze wieder getroffen hatte. Und die lange Abfahrt durch das Tal des Flusses Radovna hatte mich schon letztes Jahr begeistert. Wir fahren um den Bleder See. Frühstückszeit. Es dauert etwas, bis wir eine geöffnete Bar gefunden haben und alle einverstanden mit der Wahl sind. Ich bestelle und zahle gleich, denn ich ahne, als Gruppe dauert alles etwas länger. Und wirklich, die anderen haben grad erst ihre Bestellung bekommen, da suche ich schon das Weite. Bis Ljubljana werde ich alleine durch die von Landwirtschaft geprägte Gegend radeln.
Und schon wieder eine aufgestellte Ebene, 15% zeigt mein GPS-Gerät. Ein Regenwurm ringelt sich mitten auf der fast trockenen Straße. Der Arme. Ich steige vom Rad. Mal eine verlorene Seele retten. Wieder aufs Rad steigen. Allerdings erweist sich die Steilheit der Straße nicht gerade als regenwurmrett-freundlich. Aufsteigen – unmöglich. Anlässlich beginnt es in meinem Kopf zu arbeiten. Warum ist mein Rad so schwer? Zuviel Gepäck!
Und in dem Moment schießt die Erkenntnis durch meine Gehirnwindungen. Was zum Teufel machen Biwaksack, Matte und Schlafsack an meinem Rad??? Den Schlafsack brauchte ich in Tarvisio und dann erst wieder am Abend zurück am selben Ort. Warum habe ich mein Gepäck nicht dort gelassen? Die Nachlässigkeit bei der Planung wird sich heute noch bitter rächen, denn solche Steigungen werden noch diverse folgen. Ich könnte mich selbst ohrfeigen. Warum habe ich eigentlich nicht mehr Equipment an die Kontrollstellen schicken lassen? Warum wollte ich alles selbst mitschleppen?
Das muss ich nun büßen. Es ist wolkenlos heute. Sogar die Schuhe trocknen. Auch heute gibt es einige Schotterpassagen. Ich hoffe auf pannenfreies Durchkommen. Ich erreiche nach endlosem Auf und Ab den Stadtrand von Ljubljana. Auf dem Track sehe ich die Kontrollstelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ich muss aber noch 7 Kilometer bis ins Zentrum fahren. Nicht gerade angenehm, denn durch einer Ampel nach der anderen ist es ein ständiges Stop and Go. Bürgersteigkanten hoch und runter ohne Ende. Eine Runde durch das Zentrum der Stadt, ein paar Bilder geknipst, wie einen der Bronzeungeheuer der Drachenbrücke. Nur zu Fuß komme ich über den Marktplatz. Betörende Düfte umwabbern mich. An den Ständen am Platz Pogačarjev trg in Ljubljana kann man jeden Freitag leckere Gerichte aus aller Welt probieren. Aber dazu habe ich heute leider keine Zeit. Bei der Kontrollstelle empfangen mich Elena und Paolo mit wunderbaren Tortellini mit Butter und Parmesan. Ich wasche Radhose und Trikot. Mein Rad wird kurzerhand in einen mobilen Wäscheständer verwandelt. Als ich weiter fahre, kommt gerade Maria Grazia zur Kontrolle, auch sie hatte die Gruppe verlassen. Die Hitze ist extrem, ich komme nicht weit und eine Eispause muss sein. In Kranj. Die Überlandfahrt und die mörderischen Steigungen überwinde ich mit Rechnen: Wie viele Kalorien verbrauche ich mit meinem „Übergewicht“? Wie viele Knoppers mehr darf ich essen? Apropos Knoppers: Die Schoko-Riegel sind echt lecker und waren in der ersten Nacht auch der ideale Tröster, aber jetzt am brüllend heißen Nachmittag drücke ich nur noch verschmierte Waffeln aus der Verpackung, die Schokolade hat sich verflüssigt und läuft mir über die sonnenverbrannten Waden runter. Igitt, das klebt. Die Kalorien nützen so rein gar nichts.
Ich schaffe es bis Bled. Dort Supermarkt-Stop mit Kefir, Cola und Salzmandeln. Nach der Stärkung fahre ich zurück auf die Strecke. Minuten später kommt mir eine Gruppe entgegen, eine Frau macht irgendwelche Handzeichen, die Unverständnis darstellen sollen. Hähhh? Wer war denn das? Aurora? Maria Grazia? Wieso fahren die Richtung Ljubljana? Ich folge weiter meiner blauen Line auf dem Gerät. Komisch, die Straßenkreuzung kommt mir bekannt vor, da war ich doch davor. Oder etwa nicht? Ich fahre zurück, dort geht es zum See hinunter oder etwa nicht? Falsch! Ich fahre im Kreis. Jetzt dämmert es mir. Bei der Ausfahrt aus dem Supermarkt hatte ich die falsche Richtung gewählt. Alles gut. Die anderen sind nun schon weg. Als ich um den See fahre, fängt es an zu schütten. Zum Glück hört es bald wieder auf. Nun das lange Tal des Radovna hinauf. Im Talgrund lauern die 150 Höhenmeter mit 18% Steigung. Ich hatte mir geschworen, dass ich die zu Fuß bewältigen werde. In der Ferne jedoch höre ich ein Donnergrollen und wie durch ein Wunder pedalieren meine Beine die Steigung hoch als wäre es flach. Ich fühle mich wie Asterix bei den Goten. Meine Beine drehen so schnell und sind von der Seite sicher als kreisförmige Scheibe sichtbar- wie beim flitzenden Asterix. Wäre die Situation nicht so ernst, müsste ich jetzt laut lachen. Richtung Kranjska Gora nieselt es leicht, dann die ersehnten 10 Kilometer Abfahrt nach Tarvisio. Nun sind auch meine Schuhe wieder nass – wie gehabt. Es dämmert nun stark, als ich die Kaserne erreiche. Wie am Tag zuvor Essen, Dusche, Feldbett.
Samstag: Tag 3
260 km/ 3800 m D+
Ich wache auch heute wieder ohne Wecker auf, bzw. die Wecker sind menschlicher Natur. Ärger. Aber egal, heute stehen Hammeretappen an. Wahrscheinlich schaffe ich es eh nur bis Niederdorf. Die detaillierte Planung hatte sich schon am Vortag verabschiedet, hatte ich doch vorgehabt noch bis Timau weiter zu fahren – an die 80 Kilometer. Die Frage hatte sich jedoch am Vorabend nicht mehr gestellt.
Das Grüppchen um Aurora und Maria Grazia hatten sich schon verabschiedet, ich war noch beim Packen. Überraschung bei der Abfahrt: Das Display meiner Garmin ist genau so bleich wie wahrscheinlich mein Gesicht im ersten Schreckmoment. Ich sehe nur weiß und mittendrauf in dunkelviolett meinen Track, dem ich folgen sollte. Mittendrauf das kleine Dreieck, nämlich ICH. Im ersten Kreisverkehr fahre ich bei der ersten Ausfahrt ab, falsch. Zurück. Versuch und Irrtum auch die nächsten beiden Versuche. Dann wohl doch zurück zu Nummer eins. Stimmt doch. Irgendwie lande ich dann richtig auf dem Radweg in Richtung Tolmezzo. Nach etwa einer Stunde Fahrt ist auch die Karte wieder da. Hat wohl verschlafen, hahahhaaa! Als es dämmert, welch Spektakel, kann man erkennen, wo der Radweg verläuft, nämlich auf einer alten Bahntrasse und durch ein enges schluchtartiges Tal. Gewaltig schön. Dann ist der Radweg auf einen Schlag zuende, mitten in den Büschen. Links geht ein grobsteiniger schmaler Weg ab. Ich fahre ein paar Hundert Meter zurück. Falsch. Also doch den steinigen Weg. Dieser mündet zum Glück bald in ein ungepflegtes schmales Asphaltsträßchen und dann irgendwann auf eine richtige Straße.
Das nächste Hindernis jedoch schon kurz danach: Die Brücke, über die der Track führt ist verbarrikadiert. Kein Durchkommen, Drüberheben oder Durchschlüpfen möglich. Wieder zurück und der Umleitung folgen. In den letzten Stunden war ich mutterseelenalleine unterwegs. Wo sind denn die anderen alle? Tolmezzo ist bald erreicht, mich dürstet nach einem Kaffee, aber es ist noch zu früh. Dann halt in den nächsten Anstieg ohne Frühstück. In einem der nächsten Dörfchen werde ich dann fündig, es gibt aber leider nichts zu essen. Der Latte Macchiato hat aber meine Lebensgeister erweckt und ein Blick auf die SeteTrack-Plattform zeigt mir, dass ich nicht alleine auf der Welt bin, einige Radkollegen sind nicht weit vor mir. Die gefürchtete Steigung nach Timau unterm Plöckenpass ist sehr angenehm zu fahren, Andrea schließt auf und wir quatschen etwas. Bald bin ich an der Kontrollstelle im ristorante da Otto. Endlich ein leckeres Frühstück. In endlosen Serpentinen steigt die Straße nun bis zur Passhöhe. Die Strecke angenehm und die Aussicht klasse, ABER: in beide Richtungen reiht sich ein Auto an das nächste. Vor allem deutsche Targen. Die Leute wählen wohl die Abkürzung über den Plöckenpass, um schnell nach Süden zu gelangen. Zum Glück bin ich schnell oben.
Rasante Abfahrt hinunter nach Kötschach. Zum Glück habe ich null Ahnung, was nun auf mich zukommt. Endlos windet sich die Straße durch das Lesachtal nach oben. Hitze. Dann wieder verliert man die gerade mühsam erkämpften Höhenmeter durch kurze steile Abfahrten. Supermarktstopp. Es gibt am Samstagmittag kein Brot mehr. Die Dame an der Theke belegt mir ein gefrorenes Brötchen. Kefir, Pfirsiche, Cola, das ganze Programm. Weiter. In Obertilliach große Überraschung:
Plötzlich steht Hermann vor mir auf seinem bepackten Rennrad. Er war am Morgen daheim gestartet, nun wollte er über den Plöckenpass und ein paar andere Pässe, um mich am nächsten Tag irgendwo einzusammeln. Ich mache eine Pause bei Eis und Apfelschorle, Mario leistet mir mit einem Eis Gesellschaft. Er fährt los. Ich mache mich noch etwas frisch, sprich, hinterlasse im Bad eine Pfütze beim Versuch mich von oben bis unten mit kaltem Wasser zu benetzen, eine Dusche wäre praktischer gewesen. Der Kartitscher Sattel ist bald erreicht. Abfahrt nach Sillian. Dann mühsame 30 Kilometer leichte Steigung im Gegenwind. Unterwegs großes Hallo, als mir Maria Grazia und ihre Begleiter entgegen kommen auf ihrem Weiter-Weg nach Cortina.
In Niederdorf bewirten uns die Jungs vom Sportverein in voller Frische, als hätten sie ihren Dienst gerade erst begonnen. Im Hintergrund motivierende Klänge von Metallica. Super! Nach einer belebenden Dusche und Waschtag für Hosen, Shirt usw. (die Socken vergaß ich leider – die stinken weiterhin fürchterlich vor sich hin …) futtere ich mich durch die gesamte Speisekarte: leckere Gemüsesuppe, Maccheroni, Tortellini, Joghurt, Äpfel. Aurora kommt an und beschließt hier etwas zu schlafen. Ich ziehe weiter. Das heißt zurück nach Toblach und dann Richtung Cortina. Unterwegs obligater Fotostopp mit Blick auf die Drei Zinnen. Cortina ist rasch erreicht, dann geht es abwärts nach Tai di Cadore. Unterwegs dämmert es und ich treffe auf Mario.
Gemeinsam fahren wir die letzten Kilometer und essen in der Kontrollstelle, der Locanda alla stazion eine leckere Kartoffelsuppe. Gemeinsam schlagen wir unser Biwak auf der Terrasse der geschlossenen benachbarten Bar auf. Um drei klingelt der Wecker. Packen angesagt. Ich finde meine Stempelkarte nicht mehr und suche noch endlos lange. Mario fährt inzwischen.
Sonntag: Tag 4
280 km/ 2000 m D+
In der Dunkelheit folge ich nun der Radstrecke auf der alten Straße durch das Piave-Tal. Bei Longarone wird es langsam hell. Misstrauisch äuge ich hinauf zur Staumauer des Vajont. Aber keine Sorge, die Staumauer ist zwar noch vorhanden, der See ist aber nicht mehr aufgestaut. Bei der Katastrophe vom Vajont 1963 gab es einen Bergsturz in den Stausee.
Dieser verursachte eine große Flutwelle, die sich über die Mauerkrone in das enge Tal ergoss und das Städtchen Longarone und andere Dörfer vollständig zerstörte. Bei der Katastrophe starben etwa 2000 Menschen.
Ein schöner Radweg führt nun bis kurz vor Belluno, dann geht es weiter durch das Hinterland und über die Hügel. Krise. Null Motivation mehr. Irgendwann dann finde ich doch eine Bar und nach Brioche und Latte Macchiato geht es auch wieder leichter. Bei der nächsten Kontrolle in Feltre treffe ich auf ein paar wenige Radfahrer. Es gibt kaum noch was zu essen. Ich frage mich, wo alle anderen geblieben sind. Nun folgt eine sehr schöne Strecke rund um den Monte Grappa nach Bassano. Der Radweg durch das Val Brenta ist anfangs schön kühl. Kurz vor Bassano aber wendet sich das Blatt. Brütende Hitze wird mich den gesamten Tag begleiten.
Die Strecke windet sich in hunderttausenden Richtungsänderungen durch die Ebene. In Creazzo werde ich von einer Gruppe netter Alpini bewirtet. Als ich losfahre, holt mich Hermann ein. Es ist nun schon späterer Nachmittag, immer noch ist es mega-heiß. Ein Radfahrer im TransAlp Radtrikot kommt uns entgegen. Großes Hallo. Es ist Giancarlo. Er hat das Ziel schon mittags erreicht und war mir nun entgegengefahren. 40 Kilometer!
Vorgeschichte: Bei der Veneto Gravel Extreme 600 hatte Giancarlo Plakate aufgehängt mit motivierenden Aufschriften für Elena und die anderen Mädels. Für mich nicht. In meinem Bericht schrieb ich darüber und Giancarlo meldete sich, entschuldigte sich vielmals, er habe mich nicht gekannt und versprach das wieder gutzumachen … Und jetzt war er da. Ein paar Kilometer weiter das Plakat „Vai Gabi“ und noch weiter „Stop Gabi“ und Giancarlo lud uns zu einem superleckeren Eis ein. Danke schön, Giancarlo!!! Die noch fehlenden 40 Kilometer gingen dann ganz locker, obwohl alle von den Schrecken der vier steilen Steigungen erzählten, die man dort vor sich habe. Steigungen? Welche Steigungen? Das Eis hat ganze Arbeit geleistet. Inzwischen hatten sich am Himmel über den Hügeln dicke Wolken zusammengeballt. Im Regenschauer stelle ich mich kurz unter. Es ist nun nicht mehr so heiß und zum Glück fahren wir dem Gewitter davon. Es ist noch hell, als ich in Montorio ankomme. Leider haben die Masseure schon Feierabend. Aber es gibt noch was zu essen und dann sinke ich nach einer schönen Dusche auf Matte und Schlafsack in den wohlverdienten Schlaf.
Am nächsten Morgen bin ich allerdings froh nicht noch weiter fahren zu müssen. Schön war es! Aber manchmal frage ich mich schon: Warum tut sich frau das an?
Die TransAlp Rando war definitiv Spaß Stufe 1 & 2*
Danke an Simonetta und Giorgio von Sport Verona für das Erlebnis. Und vielen Dank auch an die vielen freiwilligen Helfer, ohne die ein solches Event nicht möglich ist.
*Zur Erklärung
Spaß Stufe 1: Man unternimmt etwas und hat zu jederzeit Spaß dabei
Spaß Stufe 2: Man unternimmt etwas, unterwegs hat man nicht nur Spaß dabei, aber rückblickend war es Spaß.
Spaß Stufe 3: Das Unternehmen macht in keinem Moment Spaß und so sieht man es auch rückblickend
Mein 6-Minuten-Video: