Mein Gravelbike, ein Selbstbedienungsladen – nicht nur für mich … 😊
Mutig war ich allemal, als ich mich für das Race around Rwanda anmeldete. Dass das Abenteuer Afrika ein ganz besonderes werden würde, ahnte ich schon.
In Kürze, es geht in einer 1000 Kilometer langen Runde um dieses ostafrikanische Land am Äquator, dabei sind gut 18.000 Höhenmeter zu überwinden. Nicht umsonst wird Ruanda „Das Land der 1000 Hügel“ genannt.
Neugierig geworden? Hier zunächst mein Video über das gesamte Rennen. Wer den Bericht lesen möchte, jeder Tag beginnt mit eine kurzen Video.

Tag 1:
Start in Kigali – CP1 Lake Muhazi – Gasange
210 km/ 2850 Hm
Zeit in Bewegung: 11:30h
Verstrichene Zeit: 14:07h
Hier zunächst das Video – Tag 1
Race day morning:
Meine Aufregung steigert sich. Für uns ist im Café Tugende ein wunderbares Frühstück bereitgestellt. Letzte Vorbereitungen bis zum Start. Jemand teilt mir mit, mein Tracker erscheint auf der Legendstracking-Seite als nicht vollständig geladen, also hänge ich ihn nochmal an die nächstbeste Steckdose; daneben hatte jemand wohl dieselbe Idee. Ein letztes Mal aufs Klo, Tracker eingepackt und in die Startlinie eingereiht. Ein fröhliches Geblinke der roten Rücklichter, blau das des Polizeiwagens, der uns auf den ersten Kilometern aus der Stadt hinausbegleitet. Countdown … es geht los! Die Anspannung fällt mit den ersten Pedalumdrehungen ab. Jetzt gibt es kein Zurück mehr … Komme, was kommt!

23 Kilometer Asphalt, unterbrochen von etwa zwei Kilometern grobem Kopfsteinpflaster. Hier zeigt sich, wer seinen „Hausrat“ nicht richtig befestigt hat. Ein Rücklicht, eine Sonnenbrille, Trinkflaschen verlieren ihre Besitzer, mich rüttelt es nur richtig durch, aber alles bleibt dran.
Kurz vor sechs wird es hell. Das bedeutet hier in Äquatornähe innerhalb von Minuten von Stockdunkel zu Sonnenaufgang, fast so, als ob jemand einen Lichtschalter umlegt. Nur ist es 12 Stunden hell und dann dasselbe Schauspiel umgekehrt. Also gut in die Pedale treten, ich hatte mir vorgenommen nur bei Helligkeit zu fahren. Als Frau alleine fürchte ich mich doch etwas im Dunkeln einsam zu radeln, auch wenn Ruanda als eines der sichersten Länder weltweit gehandelt wird.

Und bei Tagesanbruch geht es auf die erste Gravelstrecke. Diese wird von Simon als „smooth“ beschrieben. Ab und zu ist es aber ziemlich ruppig, wie werden wohl die Abschnitte ohne diese Beschreibung sein?
So früh am Morgen, überhaupt ist heute auch noch Sonntag sind schon sehr viele Leute unterwegs: zu Fuß am Straßenrand, mit hochbepacktem Rad und auch Moto-Taxis gibt es hier – wie ÜBERALL. Das wird sich auch in den nächsten Tagen nicht ändern. Es gibt kaum einmal einen Kilometer, auf dem niemand unterwegs ist.

Ich grüße links, ich grüße rechts mit „Salama“ … glaubte ich doch, das hieße soviel wie „Hallo“. Erst zuhause teilt mir die KI auf meine Frage mit, dass „Salama“ als Gruß oder Ausdruck für Wohlbefinden genutzt wird, ähnlich wie „Alles gut?“ oder „Bleib gesund“ und stammt eigentlich aus dem Swahili. Die Leute sind trotzdem immer überrascht, wenn ich so grüße und antworten fröhlich – mit was auch immer … manchmal mit „Komera“, was „sei stark, habe Kraft“ bedeutet oder mit „Yego„- Ja!
Rotbrauner gestampfter Erdboden begleitet mich über fast 60 Kilometer. Obwohl es trocken ist oder gerade deshalb sind meine Beine bald völlig von einer rötlichen Staubschicht bedeckt, ein klebriges Gemisch mit Schweiß und Sonnencreme. Auch die Farbe meiner Kleidung ist bald nicht mehr eindeutig zu erkennen. Ich nähere mich also schon am ersten halben Tag den Leuten und vor allem den Kindern an, deren Kleidung auch nicht immer makellos rein ist. Wasser wird anscheinend vielerorts für wichtigere Dinge gebraucht als Waschen und Körperpflege und ist nicht immer verfügbar, so wie wie wir es kennen – Wasserhahn auf und das kühle Nass sprudelt. Nein, hier muss es oft von weit her geholt werden. Frauen, Männer, Kinder sieht man häufig mit gelben Kanistern. Die vollen Behälter werden nach Hause geschleppt, oft auf dem Kopf, auch mit hoch beladenen Rädern, die von ihren Fahrern schweißtreibend den Berg hochgeschoben werden.
Bei CP1 sehne ich mich nach einer kleinen Katzenwäsche, die Abkühlung und saubere Beine, Arme und Gesicht versprechen. Aber Fehlanzeige, Wasser ist wohl wie fast überall im Land Mangelware, sagen wir mal für so banale Dinge wie sich des Staubs zu entledigen. Ist das überhaupt wichtig? Ich werde in den nächsten Tagen lernen, dass es viel wichtigere Dinge gibt, zum Beispiel Wasser zum Trinken.

Nach fast 80 Kilometern wechseln wir wieder auf Asphalt und ich halte kurz am Straßenrand bei einer kleinen Gruppe von Kindern: sie bieten Bananen feil. Ein ganzer Strunk oder wie man das nennt für 300 ruandische Franc. Ich brauche nur drei Bananen und bezahle mit 1000 Franc. Das Geld wird mir aus der Hand gerissen und verschwindet, Wechselgeld bekomme ich keines. 1000 Franc haben grad mal den Gegenwert von 70 Cent. Die Kinder umzingeln mich fragen gleich noch nach weiterem Geld. Ich ziehe von dannen.
Kurz darauf eine Radfahrer-Hotspot: Hier muss es was geben und ja, ein Shop!

Alle paar Kilometer gibt es kleine Straßendörfer und hier sind nicht nur noch viel mehr Leute, sondern es gibt kleine „Shops“, die detailliertere Planung hätte ich mir als sparen können. Shop? Hier gibt es, was es gibt: Wasser immer, Fanta auch immer, wobei hier unterschieden wird in Fanta Orange, Fanta Lemon oder Fanta Cola, manchmal auch Fanta Ananas. Irgend eine Art Kekse gibt es auch immer oder Chapati und Mandazi. Dieseostafrikanischen Teigwaren werden oft als Snack oder Beilage gegessen und wohl von den Frauen frühmorgens gebacken und in durchsichtigen großen Eimern zum Bestimmungsort „Shop“ getragen. Chapati – ist ein flaches Brot, das in der Pfanne gebraten wird, Mandazi leicht gesüßte, frittierte Teigkugeln. Anfangs hatte ich etwas Bedenken, diese Energie-Snacks zu probieren.

Ich fülle meine Wasserreserven auf, es ist inzwischen nämlich sehr warm geworden und der Durst größer als normal. Auch eine Cola gönne ich mir. Ich mache eine Entdeckung: mein kleiner weißer Plüschbär, der alle meine Bikepacking-Abenteuer mitgemacht hat, hat mich VERLASSEN. Sprich, ist wohl bei meinem Stopp bei den Kids abgerissen worden. Ich hoffe, er macht ein ruandisches Kind glücklich! Tschüssi Bär!
Nach einer rasanten Abfahrt gibt es wieder Gravel. Smooth und flach. Mit etwas Rückenwind düse ich durch die flache Landschaft. Sie ist auch eine der am tiefsten gelegenen und deshalb eine der heißesten Abschnitte der Strecke, zudem gibt es so gut wie keine Verpflegungspunkte mehr. Es ist etwa Mittagszeit, der Fahrtwind kühlt etwas.
Das wird sich nach den knapp 50 Kilometern ändern. Nun heißt es einige Steigungen zu überwinden. Also nichts mehr mit Fahrtwind und die pralle Sonne bei 38° im Schatten machen mir, die aus dem Winter kommt, ganz schön zu schaffen. Mein Kopf fühlt sich jedenfalls wie eine glühende Kugel an.
Ein Erlebnis lässt mich nicht mehr so unbeschwert durch die Gegend radeln:
Vor mir sitzen vier Kinder (sagen wir mal fast Halbwüchsige) auf der Straße , mit gespreizten Beinen eine Barriere gebildet. Als ich bremse, springen sie auf und umzingeln mich. Sie fragen in etwas aggressiverem Ton nach „money“ und als ich weiter fahren will, ziehen und zupfen sie an meinem Rad, wollen meine Wasserflasche rausholen. Ich reiße mich los und flüchte.
Erst am Abend werde ich in der WhatsApp-Gruppe lesen, dass einigen ihre Rücklichter abhanden gekommen sind. Aha, das wollten die Kids … Meine Lichter waren aber mit Kabelbindern gesichert, nicht gegen Kinder, sondern gegen das Verlieren …
Sonst aber nur fröhliche Gesichter, alle grüßten zurück, manche Kinder riefen „give me money!“ oder auch nur „good morning“ und „how are you?“

Irgendwann ist das auch geschafft und gegen 15 Uhr trudele ich im ersten Kontrollpunkt ein. Ein Crewmitglied kommt informiert mich gleich, dass mit meinem Tracker was nicht in Ordnung ist und gibt mir einen neuen, auch Lars informiert mich, dass ich laut Legends-Tracking immer noch in Kigali sei. Da werden sie sich zuhause wohl Sorgen machen. Ich will gleich via WhatsApp alle beruhigen und merke, dass ich keinen Internet-Empfang habe.
Ich bin ausgehungert und mache mich erst mal daran mich durch das Sortiment an Mittagessen zu futtern: Gemüse, Reis, Nudeln, Soße, Pommes, Wasser und wieder mal Fanta. Zudem möchte ich mich etwas waschen. Fehlanzeige, es gibt ein einfaches WC, aber kein fließendes Wasser.
Es wird langsam Zeit sich um eine Schlafquartier zu kümmern, ist der Nachmittag doch schon vorangerückt. Hatte ich zuhause mir einige Optionen aufgeschrieben, so muss ich mit Entsetzen feststellen, dass diese Strukturen alle ausgebucht sind. Was tun?

Ich beschließe mit einigen anderen, die dasselbe Problem haben, erst mal weiter zu fahren. Piotr möchte bis nach Byumba weiterfahren, das bedeutet von CP1 noch 90 Kilometer, mehrere kleine und einen langen Anstieg von knapp 1000Hm. Das ist mir definitiv zu lang.
Unterwegs löse ich erst mal mein Internet-Problem und fahre einen der gelben Sonnenschirme, die es in jedem Dorf gibt, an. Darauf das Emblem der Telefongesellschaft deren Sim-Card wir vom Veranstalter bekommen haben. Ich versuche mich verständlich zu machen, dass ich kein Internet habe. Nach einigem Bemühen der Dame unter dem Schirm wird meine eigene Dummheit in technischen Belangen wieder mal enthüllt: ich hatte schlichtweg das Daten-Rooming deaktiviert.
In diesem Punkt erleichtert fahre ich weiter. Und kurz darauf ein Piepton, dass mich eine Nachricht erreicht hat, ich habe ja wieder Empfang … Lars schreibt, er habe im nächsten Dorf eine Unterkunft ausgeforscht. Kurz darauf bin ich dort und wir inspizieren das Gebäude. Zuvor schreibe ich noch Hermann, dass ich unterwegs bin und nicht mehr in Kigali.

Die Räumlichkeiten erschrecken mich zunächst. Das „Bad“ besonders: Ein Abtritt aus Kunststoff, gelber Kanister daneben soll wohl die Klospülung sein. Zwei Zimmer, die Bettwäsche zerwühlt und nicht ganz sauber. Es gibt zumindest Wasser, einen Wasserhahn neben der Eingangstür. Der Herr des Hauses hat wohl seine Familie ausquartiert? Keine Ahnung, denn persönliche Gegenstände gibt es außer einer Hautcreme keine. Es wird uns versprochen, dass die Betten frisch bezogen werden. Wenn wir ein Mückennetz wünschen, dann steigt der Preis von 15.000 auf 40.000 Franc (1000 RWF = 0,70 €). Wir wünschen. Auch ein Dinner kann uns serviert werden. Ich unterstreiche, dass ich gerne nur richtig durchgekochte Speisen möchte. Alles klar.

In meinem Zimmer gibt es kein Licht, eine neue Glühbirne soll installiert werden. Mann verschwindet, wir sollen nach ihm zusperren und niemandem aufmachen. Es vergeht eine Weile und Mann kommt mit einem Kollegen zurück. Es wird gewerkelt. Strom bekomme ich keinen, aber ein Mückennetz. Etwas später kommt auch frische Bettwäsche und ich muss sagen, ich könnte mein Bett mit Laken nicht so fachgerecht aufbetten, wie unser Vermieter das macht. Ich konnte mich inzwischen mit einem Eimer Wasser behelfsmäßig mit meinem Lappen „waschen“. Irgendwann dann kommt das Essen, siedend heiß: Bohnen, Kartoffeln, Nudeln und Gemüse – und billig, umgerechnet nicht mal 4 Euro. Unsere Gastgeber verabschieden sich. Wir hatten vereinbart, wir rufen an, wenn wir das Haus verlassen, zwecks Schlüsselübergabe. Mit Schrecken entdecke ich, dass ich immer noch nicht auf Legendstracking als Punkt vertreten bin und komme drauf, dass mein Tracker ausgeschaltet ist. Zu blöd: Was denken sich denn die Beobachter des Rennens?
Lars und ich buchen in weiser Voraussicht schon mal zwei Zimmer in einem Hotel in Ruhengeri, dem Ort der nächsten Kontrollstelle, bei dem ich voraussichtlich knapp vor Dunkelwerden ankommen würde.
Ich schlafe mäßig gut, denn das Mückennetz versucht zwar seinen Zweck zu erfüllen, aber das geht nur leidlich, wenn sich Mücken innerhalb des Netzes befinden. Ich gehe also mehrfach auf Jagd und entdecke dabei, dass das Mückennetz nicht neu, sondern blutbefleckt ist, wohl von anderen Kammerjägern. Hoffentlich erfüllt meine Malaria-Prophylaxe ihren Dienst.
Tag 2:
Gasange – Lake Muhazi – Byumba – Ruhengeri (CP2)
161 km/ 2500 Hm
Zeit in Bewegung: 11:23h
Verstrichene Zeit: 13:51h
Zunächst mein Video Tag 2

Gegen 5 Uhr machen wir uns wieder auf den Weg. Lars ist bald hinter der nächsten Biegung verschwunden, ich rolle sehr langsam bergab Richtung Muhazi See, die Gravelabfahrt verlangt meine volle Konzentration. Von „smooth“ keine Rede. Steine, Löcher, Rillen, das volle Programm, um bei einer kleinen Unaufmerksamkeit ausgehebelt zu werden.

Bei Dämmerung radle ich am See entlang. Die Morgenstimmung ist wunderbar. Alleine bin ich auch nicht, immer wieder überhole ich hoch bepackte Radfahrer mit ihren Stahlrädern, auch zu Fuß sind schon eienige unterwegs. „Black Ich komme am Kingfisher Ressort vorbei. Hier hatte ich ja keinen Platz mehr bekommen. Die Rezeption ist auf dieser See-Seite, das Hotel selbst auf der anderen Seeseite wird mit einem Boot angefahren. Nächstes Mal dann …
Ein Rad-Team steht am Straßenrand neben einem Moto. Moto-Taxi? Nein, der hat eine große Holzkiste hinten drauf und darin … frisches Brot. Ich greife zu! Wer weiß, wann ich wieder was bekomme.

Bei der nächsten Abzweigung soll es einen Shop geben. Ich brauche Wasser-Nachschub. Eine Menge Menschen stehen herum, der Shop ist geschlossen. Also weiter. Nun fahre ich auf Asphalt, aber hoch nach Byumba sind es noch knapp 30 Kilometer und fast 1000 Höhenmeter. Ich ziehe im Windschatten einen Radfahrer mit Stahlrad, ein Fahrrad-Taxi, ein sogenannter „Boda-Boda“: Das ist die preiswerte Alternative in Ruanda, vor allem in ländlichen Gebieten. Eine zehnminütige Fahrt kostet etwa 100 RWF, etwa 7 Cent. Diese Taxis bestehen aus robusten Fahrrädern, oft „Made in China“, die für den Transport von Passagieren und schweren Lasten angepasst wurden. Ein charakteristisches Merkmal dieser Fahrräder ist ein verstärkter Gepäckträger, der mit einem gepolsterten Sitz ausgestattet ist, um den Komfort für den Passagier zu erhöhen. Oft verfügen sie über dekorative Elemente, alle möglichen bunten Teile, die von den Fahrern hinzugefügt werden, um ihre Fahrräder zu personalisieren.

Wahrscheinlich hat mein „Mitfahrer“ gerade jemanden von Byumba hinunter gebracht und muss nun wieder zurück. In der Steigung fällt er etwas zurück, ich glaube diese Räder sind Single Speeds …, aber im Flachen schließt er immer wieder auf, strampelt unermüdlich. So geht das über viele Kilometer. Zwischendurch wechseln wir ein, zwei Worte.

Stopp schon vor Byumba an einer Straßenkreuzung. Hier lehnen schon einige Fahrräder an einem beige getünchten Lehmziegelbau mit ein paar Stühlen davor. Ein „Restaurant“. Bekomme ich hier einen Kaffee? Fehlanzeige, aber Cola und Wasser gibt es. Was zu essen? Einer der Männer verschwindet und kommt mit einer Papiertüte voller Chapatis, eine Art Fladenbrot zurück, ich nehme ihm drei ab. Andere bringen Ziegen-Fleisch-Spießchen, da traue ich mich nicht dran.

Gibt es eine Toilette? Nein, aber gegenüber … Ich entschließe weiter zu fahren und bei Gelegenheit schnell hinter den Büschen zu verschwinden. Die Frage ist nur, wo finde ich einen unbeobachteten Ort? Hier, wo kaum mal 100 Meter ohne Leute zu finden sind? Ich finde was in einem kleinen Graben, die Straße rauf und runter kommt grad mal niemand. Unter mir, vielleicht 20 Meter ist eine Gruppe Frauen beim Schneiden von irgendwas, die bemerken mich zum Glück nicht. Kaum die Radhose wieder oben, nähert sich ein Moto-Taxi. Glück gehabt. Nicht auszudenken, wenn man irgendwelche Verdauungsprobleme hätte …

Weiter bis Byumba und dann stürze ich mich in die Abfahrt. Gravel. Und was für einer. Ich fahre im Schritt-Tempo über ausgewaschene Rinnen, über große Steine.
Irgendwann zwei Halbwüchsige am Wegesrand. Beide grüßen nett, ich grüße zurück. Dann springt einer auf und rennt neben mir her. Er kommt immer näher und näher. Plötzlich streckt er die Hand aus, reißt flugs etwas Weißes an sich, dreht um und rennt den Berg wieder hinauf.
Perplex stoppe ich und schaue dem Bengel nach. Er schwenkt was in der ausgestreckten Hand und verschwindet hinter den Eukalyptus-Bäumen. Was hat er bloß entwendet? Ich schaue zu meinem Food Pouch am Lenker. Aha, meine Feuchttücher! Lebenswichtig sind sie zwar nicht, aber doch notwendig für die tägliche Hygiene vor allem im Sitzbereich. Hmmmhmm, nachkaufen kann ich die in Ruanda sicher nicht.

Die nächsten 75 Kilometer Gravel sind mal etwas einsamer, durch wunderschöne hügelige Landschaft, mal so steil, dass ich schieben muss, mal wieder säumen Menschen, vor allem Kinder die Wege. Einiges ist so steil, dass ich schieben muss. Zum Glück werde ich hier nicht verfolgt. Kinder rennen gewöhnlich weite Strecken neben den nicht alltäglichen Radfahrern her. „Good morning“ zu jeder Tag- und Nachtzeit. Was heute neu ist, die Kinder fragen im selben Atemzug „give me money“ oder „give your money“ oder „put my oder your money“, … alle möglichen Variationen gibt es.

Zwischendurch ein Stopp bei einem kleinen Shop, von denen es in jeder kleinen Siedlung einen gibt. Manchmal sind diese Mini-Läden schwer zu erkennen: die Lehmziegelhäuser schauen alle gleich aus, oft ist eine Tür offen, oft sind Leute davor. Welches aber ist ein „Shop“? Ich orientiere mich wieder mal, ob andere „Muzungus“ vor Ort sind. Da ist nämlich meist eine ganze Menschentraube rundum. Für mich gibt es wieder mal Wasser, Fanta Ananas und ein paar Kekse. Der Besitzer lässt stolz seinen Nachwuchs ablichten. Ein Gummibärchen für den Kleinen wird von diesem ratlos beäugt.
Der Himmel verdunkelt sich. Bis jetzt hatte ich Glück, ich bin nicht so sicher, wann genau die Regenzeit beginnt. Die lange Regenzeit soll nicht fern von jetzt beginnen und dauert von März bis Mai – in dieser Zeit gibt es häufige und starke Regenfälle. Ist die Abgrenzung überhaupt ganz klar? Auf jeden Fall beginnt es leicht zu tröpfeln, in der Ferne hört man einen Donner. Oje, ich fürchte mich im Freien unheimlich vor Gewittern.

Ich halte unter einem großen Baum an, hier sind mal keine Menschen, wahrscheinlich haben sich alle einen Regenunterstand gesucht. Beim Anziehen einer dünnen Regenjacke und der kurzen Regenhose nutze ich die Zeit und mache ein paar Bissen von meinem Brot, das ich am Morgen beim „fliegenden“- äh motoradfahrenden Händler erstanden hatte. Wie aus dem Nichts steht plötzlich ein etwas molligeres Mädchen in grauem Kapuzen-Shirt neben mir, zeigt auf mein Brot und auf ihren Bauch, der nicht klein ist. Hunger? Ich gebe ihr die Hälfte meines Brotes ab, sie reißt es mir aus der Hand und läuft laut lachend weg, einem Mädchen nach, das mit einem Regenschirm nicht weit von uns geht. Die haben sich wohl über mich lustig gemacht. Ein bisschen verstimmt radle ich weiter.
Zumindest hört es auf zu nieseln. Der Weg ist etwas rutschig geworden, könnte aber schlimmer sein. Aber zu früh gefreut …

Wenig später erreiche ich eine kleine Siedlung und höre schon von Weitem großen Lärm, wie von Baumaschinen. Darauf bin ich schon vorbereitet, habe aber nicht mehr „auf dem Schirm“, dass das mich schon heute trifft.
Straßenbau! Riesige Laster und Bagger manövrieren hier. Und es geht gleich in die Vollen: knöcheltiefer Matsch wickelt sich in Sekundenschnelle um meine Reifen und blockiert diese. Ich springe vom Rad und gehe ein paar Schritte. Sofort habe ich 10 Zentimeter hohe „Stöckel“ unter meinen Sohlen. Das kann ja heiter werden. Schieben geht nicht, ich trage mein mindestens 60 Kilo schwere Bike ein paar Meter. Zumindest meine Füße finden am Rand einen festgetrampelten Weg.

Immer wieder gewaltig große Baumaschinen, manche fräsen den Wegesrand ab und verbreitern die Straße fast auf Autobahnbreite. Nahe den Maschinen sitzen vereinzelt gelb behelmte Leute gemütlich im Schatten, mit einem roten Fähnchen in der Hand und winken mich halbherzig weiter und auch die vielen Menschen, die gerade hier mit oder ohne Last auf dem Kopf unterwegs sind. Ich kann nicht erkennen, ob die behelmten Leute überhaupt im Bilde sind, was die Maschinen gerade machen. Argwöhnisch achte ich selbst drauf, dass ich nicht überfahren werde.
Nach einem festgewalzten Stück, als ich schon erleichtert aufatmen möchte, wieder dasselbe Schauspiel wie zuvor. Der Untergrund ändert sich alle paar hundert Meter.

Vor mir ein RaR-Team. Sie sprechen gerade mit einem Chinesen, der wohl der Bauleiter der Riesenbaustelle ist. Dann schauen sie entsetzt auf ihr Navi. Auf meine Frage meinen sie, sie suchen jetzt eine Umleitung, das hier sei eine Zumutung. Die Baustelle sei 16 Kilometer lang und bei einem Schnitt von 5 km/h, wären wir um Mitternacht wohl noch nicht beim CP2 in Ruhengeri. Oje, oje! Kurz darauf wieder ein Schlammstück. Vor mir kommt einer der beiden Fahrer ins Rutschen, schafft es nicht aus den Klickpedalen und schlägt der Länge nach hin. Voll in den roten Matsch. Der Arme! Ich „eiere“ vorsichtig weiter.

Und es geht einige Kilometer auf toll gewalzten Terrain bergab. In der Ferne höre ich wieder Maschinen und dann folgt dasselbe Schauspiel wie schon einige Male zuvor. Ich füge mich in mein Schicksal. Stop & go!
Dann plötzlich eine Schranke. Dahinter ein steiler langer Hang, von dem bedrohliche Geräusche kommen. Steinschlag! Der Bewacher der Schranke zeigt hoch und sagt, da könne man jetzt nicht durch. Jenseits der Schranke werden einige schwer bepackte Stahlräder hochgeschoben. Auf der anderen Seite gibt es wohl kein Stopp. Ich habe Zeit mir das Schauspiel anzusehen. Eine Serpentinenstraße führt hoch den Berg hinauf. Die Laster quälen sich schwer beladen diesen Berg hoch und leeren das Aushubmaterial der Baustelle einfach den Abhang hinunter, Teile davon landen mit ohrenbetäubendem Gepolter wieder genau hier: auf der Straße. Das nennt man „Problemverlagerung“.
Misstrauisch äuge ich immer wieder auf meinen Tacho. Die 16 Kilometer müssten nun wohl bald zuende sein. Und wirklich. Ich nähere mich einem Dörfchen und einem riesigen Fußballplatz, auf dem angefeuert von sehr vielen Zuschauern, zwei Mannschaften um den Sieg kämpfen. Anscheinend haben die Schüler frei bekommen für dieses Ereignis, denn unzählige Kinder in bunter Uniform tummeln sich um den Platz.
Kurz darauf noch ein kurzer sehr steiler Anstieg und ich habe die Asphaltstraße erreicht. Die Teilnehmer von RaR 2026 dürfen wohl mit 16 Kilometern mehr Teer rechnen.
Noch knapp 30 Kilometer bis zum Kontrollpunkt 2 in Ruhengeri. Es rollt super. Glatter Asphalt und rasante Abfahrten unterbrochen von kurzen Bergaufpassagen. Das habe ich mir jetzt wohl verdient. Massenhaft Leute sind am Rand unterwegs. In zweiter Reihe die üblichen Fahrräder mit Fracht oder als Taxi. Dann viele Moto-Taxis und einige Autos und große Laster. Nachdem ich in rasender Fahrt erst in letzter Sekunde auf ein knietiefes, fast badewannengroßes Loch im Asphalt aufmerksam wurde, verlangsamte ich etwas und fokussiere ich meinen Blick konzentrierter auf den Untergrund. Und mir fällt auf: mein Rad schaut schrecklich aus. Die Farbe ist vor lauter getrocknetem Schlamm kaum wiederzuerkennen. Unwahrscheinlich, dass sie mich so ins Hotel lassen. Was tun?

Kurz vor Ruhengeri fahre ich eine Tankstelle an. Es ist nicht zu erkennen, ob es eine Waschanlage gibt, aber ich frage mal nach, beziehungsweise ich zeige dem Tankwart mein schmutziges Rad. Er zeigt hinter das Gebäude und dort ist eine kleine Truppe gerade dabei einen SUV zu reinigen. Sofort bin ich umzingelt und alle gehen sofort auf meinen Bike-Wasch-Wunsch ein. Eine Muzungu kommt wohl nicht alle Tage. Während sich drei um mein Rad kümmern, spüre ich plötzlich etwas an meinen Beinen. Huch, was ist das denn? Vor mir kniet ein Junge und schrubbt mit Seifenwasser lange und ausgiebig meine rotverkrustete Haut ab. Was für ein Service …
Ich zahle meine Schulden mit einer Bagatelle, gebe ein Trinkgeld und bin wenige Kilometer später am CP1, ich hole mein Gastgeschenk ab, einen kleinen hölzernen Gorilla-Anhänger. Mir wird bewusst, dass ich mein Geschenk bei CP1 nicht geholt habe, ich wusste davon schlichtweg nichts oder ist es eine Ausrede um nicht zusätzliches Gewicht durch die Gegend zu tragen? Spaß beiseite, ein kleiner süßer Stoffelefant wird Tage später im Ziel seinen Weg zu mir finden und ersetzt meinen kleinen Plüschbären. Fast zeitgleich kommt Lars an. Wir essen hier noch etwas und machen uns auf ins Hotel. Wir hatten ja am Abend zuvor dasselbe gebucht.
Herrlich ist die warme Dusche und ein weiches gemütliches Riesenbett unter einem Moskito-Netz. Auf das Waschen meiner Kleidung verzichte ich. Ist nicht so schlimm. So fällt man nicht so auf als wenn ich als „geschniegelte“ Muzungu durch die Gegend radle.
Tag 3:
Ruhengeri (CP2) – Volcano Belt – Gishwati Forest – Muhanga
167 km/ 3400 Hm
Zeit in Bewegung: 12:04h
Verstrichene Zeit: 14:16h
Am Morgen gibt es extra für uns schon um halb fünf ein leckeres Frühstücksbuffet mit Früchten, Ei, Toast, Marmelade, Honig und vor allem Kaffee mit Milch, ich bin wohl doch ein wenig kaffee-süchtig …

Heute geht es gleich zweimal auf über Quote 2800m NN hoch. Insgesamt sind über 3400 Höhenmeter zu überwinden, das Gelände soll auch nicht einfach sein.
Die ersten Kilometer verlaufen zwar bergauf aber angenehm auf Asphalt. Von allen Seiten strömen Kinder in blau-bunten Uniformen und Heften in der Hand herbei und gehen in meine Fahrtrichtung. Aha, die Schule beginnt wohl bald. Irgendwann kommen die Schulkinder mir entgegen, da bin ich wohl an der Schule schon vorbeigefahren.
In der Ferne ragen hohe Bergkegel in den Himmel, beschienen von der gerade aufgegangenen Sonne. Ich nähere mich dem Volcano-Belt, dem Vulkangürtel. In nicht mal 50 Kilometern Luftlinie, in der Demokratischen Republik Kongo, steht der Nyiragongo, ein 3470 m hoher Stratovulkan, der als einer der aktivsten Vulkane der Erde gilt.

Die Straße geht nun nahtlos über in Gravel und zwar in eine sehr steinige Piste, wir wurden schon vorgewarnt, dass es stundenlang ziemlich ruppig sein würde. Ich hoffe, dass ich keine Panne haben werde. Aber der Weg kann noch so erodiert, voller ausgewaschener tiefer Rinnen sein und mit Schlaglöchern durchzogen, Moto-Taxis gibt es auch hier. Sie suchen sich die beste, die glatteste Linie und nicht selten komme ich ihnen dabei in die Quere, auch auf der Suche nach einer guten Spur …
Nach kurzer Zeit Gerüttel über die großen und spitzen festgebackenen Lavasteine schmerzen meine Hand-Gelenke, trotz des meines Redshift ShockStop-System am Vorbau. Und weitere 30 Kilometer „Schüttelpiste“ liegen noch vor mir.
Immer wieder habe ich Begleiter*innen. Anscheinend müssen nicht alle Kinder zur Schule trotz Schulpflicht. Glaube ich mich mal allein und atme vor der nächsten unmenschlichen Steigung erleichtert auf, kommen aus dem Nirgendwo plötzlich wieder ein paar Handvoll Kids und schlappeln neben mir her. Stehenbleiben und verschnaufen oder mal was essen – Fehlanzeige. Reden, fragen, fordern … Ich komme an Markus vorbei, der sich auf einem Stein am Wegesrand niedergelassen hat und „vespert“ – um sich eine Menschentraube, nein, eine „Kinder“-Traube. Ich fahre fast unbemerkt vorbei und werde in Ruhe gelassen.

Ich suche aber ein unbeobachtetes Plätzchen, um mal hinter den Büschen zu verschwinden. Ich glaube diesen gefunden zu haben und nun heißt es sich zu beeilen, bevor aus irgendeiner Richtung wieder jemand auftaucht. Hose runter … da bemerke ich aus den Augenwinkeln, dass ich doch nicht unbeobachtet geblieben bin: in der Kurve unter mir steht eine Frau in buntem Kleid und Harke auf dem Kopf abgelegt und schaut interessiert in meine Richtung. Hmmm … egal, das muss jetzt sein. Anschließend fahre ich verlegen grinsend an ihr vorbei, freundlich grüßend. Nur soviel zur Pipi-Platz-Suche. Wohl in ganz Ruanda ein Ding der Unmöglichkeit mal einen Platz für ein größeres Geschäft zu finden … und man will ja auch dieses saubere Land nicht verschmutzen …

Irgendwann, nach einer für mich schneckenhaften Abfahrt bei all diesen Rinnen und Steinen, geht es auf die Umleitung: Wegen der sich neu zuspitzenden Konflikte zwischen der kongolesischen Armee und der Rebellenmiliz M23 im Grenzbereich Ruanda und der Demokratischen Republik Kongo zu. Die ursprüngliche Strecke hätte uns durch Gisenyi geführt, die an der Grenze liegt und seit Kurzem im Brennpunkt der Auseinandersetzungen liegt. Der Konflikt zwischen dem Kongo und dem Nachbarstaat Ruanda schwelt seit Jahren: Es geht um Bodenschätze. Hinzu kommen ethnische Spannungen zwischen den Tutsi und Hutu.

Die Strecke führt nun etwas weiter südlich über den Gishwati Forest, mit fast 3000 Meter Höhe einer der höchsten Punkte der der Runde.
Schon als es abgeht in den nächsten Gravelabschnitt merke ich, dass sich etwas geändert hat. Die Leute scheinen hier ärmer zu sein. Die Gesichter oft verhärmt, auch Erwachsene fragen mitunter um Geld. Die Behausungen wirken ärmlicher, es laufen mehr Kinder in Kleidung herum, die kaum noch am Körper hängt, viele Kinder tragen große Lasten.

Am Wegesrand ein super Fotomotiv: Im Bach schwimmen hunderte grell-orange Karotten und werden von mehreren im Wasser stehenden jungen Männern gewaschen. Ich zücke mein Smartphone, da winkt einer der Männer ab, nur gegen „Money“. Ich fahre weiter, dann halt kein Bild, meine Geldbörse möchte ich nicht zücken vor all den Menschen …
Die Landschaft ist wunderschön, alles ist tiefgrün, Teeplantagen säumen den Weg. Dieser steigt immer steiler an, irgendwann muss ich absteigen und schieben. Fast biege ich falsch ab, denn der Track verläuft kerzengrade durch den Berg. Irgendwas stimmt da wohl nicht.

Ich folge einfach dem Weg und irgendwann stimmen Weg und Track wieder überein. Zum Glück! Je höher ich komme, desto einsamer ist es. Leute sind hier oben mal keine mehr. Die Landschaft schaut fast so ähnlich aus, wie zuhause: Nadelwälder und weiter oben vergleichbar mit unseren Almen.
Ich glaube es kaum, nach meinem Fußmarsch bin ich am höchsten Punkt angelangt und hier treffe ich auf eine Teerstraße. Diese werde ich nach vielen Kilometern Abfahrt und noch einigen längeren Bergaufpassagen nicht mehr verlassen bis zu meinem heutigen Schlafplatz in Muhanga.

Unterwegs komme ich wieder durch wohlhabendere Zonen. Bunt und ordentlich gekleidete Frauen und Männer, zu Fuß, auf Fahrrad- oder Moto-Taxis, viele Bananenplantagen, fruchtbares Land und hübsche Häuser.
Marktag scheint vielerorts zu sein. Die Leute sind mit allem Möglichen unterwegs: Ziegen, Hühner, Schweine, Bananenstauden, Maiskolben, Ananas und andere Früchte, Getreide, Eimer mit Mandazis, in Fett gebackenen Teigkugeln und vieles mehr.
Leid getan haben mir besonders ein lebendes Schwein, eingepfercht in einer engen Holzkiste, auf einem Fahrrad oder das Dutzend Hähne, die ebenfalls lebend mit den Füßen am Rad festgegurtet wurden.

Der Nachmittag schreitet langsam fort, kurze Pause bei einem Shop zum Cola- und Wasserkauf. Beim Bäcker nebenan gibt es leckeres ofenwarmes frisches Brot. Hier treffe ich auf einige von uns. Auch Lars ist hier. Wir vereinbaren, dass wir uns bei der Abzweigung nach Muhanga treffen, um das Hotel zu suchen, denn die Zimmer sind ja seit dem Vorabend schon gebucht.

Dann fehlen nur noch 20 Kilometer, aber es geht nochmal fast 900 Höhenmeter bergauf. Die Sonne ist zum Glück nicht mehr so stark. Ein LKW fährt an mir vorbei, hinten festgekrallt ein ruandischer Radfahrer. Abgesehen von der Gefährlichkeit beneide ich ihn in diesem Moment schon ein wenig, muss ich doch mein ganzes Gepäck und Rad selbst hochbewegen und das ist mit über 20 Kilo nicht wenig.

Die Sonne geht unter, nun wird es in Kürze dunkel werden. Die Kreuzung ist erreicht. Nachdem Lars und ich uns heute mehrmals gegenseitig überholt haben, treffen wir hier wieder aufeinander. Nun sollten wir bald am Ziel sein, in Muhanga, das einige Kilometer abseits der Strecke liegt. Verkehrsmäßig ist hier die Hölle los, die Straße mit Schlaglöchern gesäumt. Autos blenden mich. Ich hoffe die hinter uns fahrenden Autos erkennen uns. Mehrmals verfahren wir uns auf der Suche nach unserem Hotel. Es befindet sich nicht dort, wo es auf Google Maps angezeigt wird. Wir fragen einen Polizisten. Dieser meint, wir müssten noch etwa drei Kilometer weiter fahren. Entnervt geben wir auf. Vor uns das Splendid-Hotel, das einen guten Eindruck macht. Wir fragen, ob es noch zwei Zimmer gebe. Volltreffer!
Eine funktionierende warme Handbrause habe ich auch, wasche heute mal meine Radklamotten und nach einem leckeren Abendessen, Fisch mit Reis, Gemüse und frittierten Bananen, sinke ich müde in mein feines Bett unter dem Moskitonetz-Himmel.
Tag 4:
Muhanga – Kibuye (CP3) – Kirambo/ Kagano
149 km/ 2800 Hm
Zeit in Bewegung: 09:25h
Verstrichene Zeit: 11:44h
Ich schlafe schlecht, liege ab 2 Uhr wach. Je mehr ich mir die Dringlichkeit einer guten Nachtruhe vor Augen führe, desto wacher bin ich. Wie jeden Tag Frühstück um halb fünf -übrigens sehr lecker- und los geht es. Zunächst soll der CP3 in Kibuye, am Kiwu-See angefahren werden, dann ohne Gravel-Intermezzo bis nach Kirambo. Hotels gibt es dort wenige und Lars und ich haben 10 Kilometer abseits zwei Zimmer im Maravilla Kivu Ressort gebucht.

Bei Dunkelheit fahre ich raus aus Muhanga, Lars verschwindet gleich meinem Blickfeld. Ich bleibe stehen und kontrolliere nochmal ob an meinem fahrenden Wäscheständer alles gut befestigt ist. Leider war meine „frische“ Kleidung am frühen Morgen noch nicht ganz trocken.
Die Asphaltstraße vom Tag zuvor geht sofort hintere Muhanga über in eine anfangs mit Löchern übersäte Erdpiste, die bald in Straßenbaustelle übergeht. Über mir schweben ein rotes und grünes Blinklicht. Eine Drohne im Stockdunkeln? Unheimlich. Mein Gedankenkarussell beginnt zu rotieren: Werde ich gefilmt? Werden Daten weiter geleitet an wen, der Böses im Schilde führt? Und wirklich, Minuten später tauchen aus dem Nichts in meinem Scheinwerferlicht vier Männer auf, die nebeneinander die Straße entlang gehen und diese völlig blockieren. Ich schrecke aus meinen Gedanken auf und unzählige Szenarien tauchen vor meinem inneren Auge auf. Ich nähere mich und drücke mich an der Seite vorbei, grüße mit brüchiger piepsiger Stimme. Der Gruß wird fröhlich erwidert. Ich atme auf.

Ich sehe kaum mehr etwas vor mir. Nanu? Es ist nebelig und zudem haben die feuchten Tröpfchen meine Brille beschlagen. Bei Dämmerung sehe ich etwas besser. Nun sind wieder einige Menschen unterwegs und tauchen gespenstisch aus dem Nebel auf.
Mein Rücklicht hatte ich schon ausgeschaltet, Rachel (sie wird ein paar Stunden als zweite Solo-Frau im Ziel ankommen) informiert mich, dass ich im immer dichter werdenden Nebel nicht gut sichtbar bin. Also Licht wieder an.
Irgendwann geht die breite Piste über in Asphalt, der Nebel lichtet sich und ich fahre in den ersten „Berg“. Fast 1000 Höhenmeter sind zu überwinden, die Steigung moderat, aber ich merke, meine Beine sind nicht ganz frisch. Bei zunehmender Sonneneinstrahlung und keinem kühlenden Lüftchen fallen mir die Kilometer heute schwer.
Irgendwann überhole ich Lars, dem geht es ähnlich. Aber nach jeder Steigung kommt wieder eine Abfahrt und die bringt mich flott dahinrollend endlich an den herbeigesehnten Kiwu-See und den dritten Kontrollpunkt in Kibuye.

Der Kivu-See gilt als gefährlichster See der Welt. Die Nordufer liegen am Fuße des aktiven Vulkans Nyiragongo. Die Tiefen des Sees enthalten sehr viel Methan, aus dem Ruanda ein Drittel des Stroms erzeugt. Würden aber die Magma-Kammern unter ihm ausbrechen, könnte dies das Leben in der Zwei-Millionen-Stadt Goma auslöschen. Es könnte sich eine ähnliche Katastrophe ereignen wie im zentralafrikanischen Kamerun 1986. Der Nyos-See, ein ein Kratersee,setzte damals schlagartig und unerwartet Tonnen von CO2 frei. Das Gas strömte in zwei Täler und tötete Menschen und Tiere in bis zu 30 km Entfernung vom See. Damals erstickten fast 2000 Menschen und unzählige Tieren in wenigen Augenblicken.
Das Kiwu-Seeufer ist unendlich schön, ich denke an den Artikel im Geo-Heft. Eine solche Katastrophe wird sich wohl nicht jetzt abspielen, wenn ich hier entlangfahre … Meine Gedanken fliegen immer wieder zu dem Unheimlichen, das hier in der Tiefe schlummert.
Es ist sommerlich heiß. Meine Arme sind krebsrot, an den Handgelenken haben sich weiße Bläschen gebildet, trotzdem ich mich regelmäßig einschmiere. Also ich muss schon sagen, die dunkelhäutigen Menschen rund um mich sind allemal schöner anzusehen als unsereins mit verbrannter „weißer“ Haut.

Endlich darf ich einbiegen in die Zufahrt zum CP3, Olivier von der Crew empfängt mich und führt mich zum Hotel. Es gibt noch Frühstück mit Früchten, Cupcakes und Eierspeise. Ich schlage mehrfach zu. Auch Lars kommt an, wir klagen uns gegenseitig unser Leid, dass es heute bisher sehr mühsam war und kommen überein, keinen überflüssigen Kilometer fahren zu wollen. Lars informiert sich bei unserem Ressort, ob sie uns ein Taxi schicken könnten nach Kirambo, wo wir die Strecke verlassen müssen. Sie können.
Nach viel zu langem Aufenthalt im Kontrollpunkt muss ich endlich aufbrechen. Vor mir liegen nicht mal mehr 100 Kilometer auf Aspalt, die müssten bis zum Beginn der Dämmerung machbar sein.
Die Karte zeigt mir, dass die Strecke parallel zum Seeufer verläuft. Also wohl tendenziell flach. Fehlanzeige! Es geht am Hang entlang, von einem Fjord zum nächsten, ständig über irgendwelche Hügel hinauf und auf der anderen Seite hinunter.
Immer wieder Traumausblicke, manchmal mehr, manchmal weniger Menschen. Gegen 16:00 wohl Schulschluss, mit einem Mal wieder viele schuluniformierte Kids in allen Altersstufen, die manchmal fordernd ihre Hände ausstrecken.
Bei einem Foto-Stopp am Straßenrand kommt mir ein Hund entgegen, der einzige bisher in Ruanda. Er hat sichtlich Angst vor mir und trottet in großem Bogen um mich herum.
Wolken brauen sich über mir zusammen und schon beginnt es zu regnen. Nicht stark, aber immerhin so, dass ich in Erwägung ziehe meine Regenjacke hervorzukramen und bei der Gelegenheit auch meinen „Wäscheständer“ abräume, das Zeug soll ja nicht wieder nass werden. Unter einer großen Palme beschließe ich Schutz zu suchen und den Guss auszusitzen. Fein mal die Beine ausruhen zu lassen.

In der kommenden Steigung läuft ein Schüler in beiger Uniform neben mir her. In der Hand einen Stock, mit dem er einen ausrangierten MTB-Reifen vor sich hertreibt und ich staune nicht schlecht: eingeklemmt zwischen den Seitenwänden ein Schreibblock oder Ähnliches aus zerfleddertem Papier. Ich frage ihn, ob er von der Schule kommt und ob das seine „Schoolbag“ sei. Er bejaht lachend.
Unter mir ein Parcours mit ausgefahrenen Spuren, wie ich sie schon öfters gesehen habe, und Leuten, die mit ihren fahrbaren Untersätzen, sprich Fahr- und Motorrädern um die Markierungshütchen kurven. Am Rand jemand mit Warnweste und einem Schreibblock in der Hand. Hier findet wohl eine Abnahme von Fahrprüfungen statt. Anscheinend darf nicht jeder, der ein Gefährt hat, einfach Menschen herumchauffieren, sondern braucht hierzu eine Genehmigung.

Wieder treffe ich auf viele Menschen, die Lasten auf dem Kopf tragen oder aufgetürmt auf dem Rad hochschieben. Besonders leid tut mir ein eng auf einem Gepäcksträger festgebundenes Schwein.
Die Leute sind hier etwas ärmer, scheint mir, die Kleidung nicht ganz sauber und oft mit Rissen und Löchern gesäumt, nur wenige haben ein Smartphone in der Hand. Als es ziemlich steil wird und ich dementsprechend langsam, kommen mir zwei Fahrrad-Taxi-Fahrer, die den Berg hochschieben ziemlich nahe, einer links einer rechts von mir, und rufen ziemlich forsch „five me water!“ und wollen nach meiner Flasche greifen. Ich lege trotz der Anstrengung bergauf noch einen Gang zu.

In manchen Gegenden sind die Leute sehr nett, freundlich, fröhlich, grüßen, … in anderen möchte ich bei Dunkelheit als Frau nicht unbedingt alleine fahren.
Ich erzähle Lars später, als wir uns kurz vor Ende unserer Tagesetappe vor einem kleinen Shop treffen von meinem Erlebnis mit den Männern zuvor, er berichtet, er habe auch ein ungutes Gefühl gehabt. Auf jeden Fall sind wir beide froh, dass wir hier beim Einkaufen zusammen sind. Das Straßendorf hier macht einen wenig gepflegten Eindruck und es sind sehr viele Menschen hier. Wir müssen aber Wasser und Vorräte auffüllen, denn am nächsten Tag auf dem Weg in den Nyungwe Regenwald gibt es wohl kilometer- und stundenlang gar nichts.
Die Sonne steht noch am Himmel, als ich in Kirambo ankomme, gemeinsam mit Lars war ich die letzten Kilometer gefahren. An der Kreuzung telefoniert Lars nochmal mit dem Taxifahrer. Er ist unterwegs. Um uns scharen sich in Sekundenschnelle unzählige Kinder. Die Polizei schickt uns auf die andere Straßenseite, da wir hier ein Verkehrshindernis darstellen.

Die Menschentraube folgt uns auf die andere Seite. Wir sind komplett umzingelt, können uns kaum umdrehen. Nur, wenn ich mein Smartphone oder meine GoPro zücke, um das Gewimmel abzulichten, kommt Bewegung in das Menschenmeer. Fotografieren ist wohl nicht so erwünscht. Aber das müssen die Leute meiner Meinung nach in Kauf nehmen, wenn sie uns so auf den Leib rücken. Eine halbe Stunde vergeht, eine weitere halbe Stunde. Vom Taxi keine Spur. Ein weiteres Telefonat, der Fahrer startet jetzt wohl erst. Die Sonne geht unter, endlich hält ein Auto vor uns. Ja, ein Auto. Trotz Rückversicherung, der Wagen könnte leicht zwei bepackte Räder aufladen, ist dem nicht so.

Fraglich ist, ob überhaupt eines hineinpasst und wenn ja, dann ist sowieso nur noch der Beifahrersitz für einen Menschen frei. Ich verziehe ungehalten mein Gesicht, wäre ich doch schon vor einer Stunde mit dem Rad losgefahren. Ich drehe mich um und fahre einfach los. Diskutieren bringt nichts, dadurch wird das Auto nicht größer und ich muss los, denn die Dämmerung hat begonnen und die dauert bekanntlich nur etwa 15 Minuten, bevor es stockdunkel ist.
Ich rase den Berg hinunter, das Ressort liegt direkt am Seeufer. 7 Kilometer sind ruckzuck abgehakt, dann eine Abzweigung. Jetzt geht es wohl durch die Halbinsel in den See hinaus, bis an deren Ende. Ein Schild: noch 2,8 km bis zum Ressort. Es ist inzwischen Dunkel, aber geschockt blicke ich auf die Piste vor mir. Große grau-schwarze Steine festgebacken und lose zieren die Piste. Ich holpere hinunter, zweimal verliere ich meine vorher erstandene Eineinhalbliter-Wasserflasche, die ich kopfüber in meine Seitentasche gesteckt hatte.
Teilweise ist an Fahren nicht zu denken, ich schiebe mein Rad. Lars schreibt mir „Fahr da nicht hinunter!“ Irgendwann kommt mir der Taxifahrer entgegen, will mich auf den letzten Metern transportieren. Ich fahre mit starrem Blick an ihm vorbei, immer noch stocksauer. Irgendwann bin ich am Ziel und werde hier in der Rezeption erst nochmal meinen Frust los. Zur Besänftigung bekomme ich einen frischen Ananas-Smoothie. Ich frage gleich nach, ob sie nicht für 5 Uhr morgens einen Pic-Up oder Ähnliches organisieren könnten. Denn den Weg wieder zurück wäre eine Katastrophe, der nächste Tag sollte so schon fordernd genug sein. Sie versprechen es.
Mein Zimmer. Ziemlich teuer, aber wunderschön. Hier sollte man mal Urlaub machen dürfen. Beim Abendessen leiste ich mir einen „Tilapia“ in Tomatensauce, eine Fischart, die im Kiwu-See gezüchtet wird. Sehr lecker, garniert mit Kartoffelpüree und Gemüse. Dazu einen weiteren Ananas-Smoothie. Ich sinke in mein superbequemes Bett und schlafe heute sehr gut. Zuvor hatten Lars und ich zwei Zimmer in Kibeho, einem kleinen Pilgerort, gebucht.
Tag 5:
Kagano – Nyungwe Rainforest – Kibeho
112 km/ 3000 Hm
Zeit in Bewegung: 09:55h
Verstrichene Zeit: 11:41h
Nach einem sehr leckeren Frühstück wartet unser Taxi auf uns. Beide Räder werden auf die Ladefläche gehievt. Lars wollte hinten drauf mitfahren, entschließt sich aber kurzfristig doch für eine bequemere Fahrt vorne.
Dann geht das Geruckel los. Für die 10 Kilometer werden wir über 45 Minuten brauchen. Das erste Stück im Schritt-Tempo.

An unserem Ausgangspunkt von gestern ist es noch tiefschwarze Nacht. Man muss genau an der Stelle wieder auf die Strecke, an der man sie verlassen hat. Ich steige aus und verhandle ich mit dem Taxifahrer den Preis; das sollte man zwar vor Antritt der Fahrt machen, aber wir zahlten nicht viel.
Dann heben wir die Räder von der Ladefläche. Lars fährt gleich los. Ich bemerke, dass am Rad etwas anders ist, die Oberrohrtasche schaut irgendwie schmal aus. Ich öffne sie: LEER! Ich schaue nochmal auf die Ladefläche, dort liegen meine Malariapillen und ein kleines Brieflein mit Salz. Rausgefallen? Wo sind dann die anderen Sachen, meine Snickers, Knoppers, das Säckchen mit Gummibärchen, die Nüsse und Datteln? Kurz – mein Proviant für den einsamen Aufstieg in den Nyungwe Regenwald. Alles weg! Auch meine Keego Wasserflasche ist nicht mehr da und als ich weiter kontrolliere, auch der kleine Leatherman ist nicht mehr da. Das gibt es doch nicht. Wie
Ich finde auf den ersten Kilometern meinen Rhythmus nicht, bleibe mehrmals stehen, um nachzusehen, ob auch noch andere wichtige Sachen fehlen. Zum Glück nicht.

Ich versuche zu verstehen. Es gibt zwei Theorien: entweder ist unterwegs beim Schritt-Tempo jemand aufgesprungen: Lars hatte beobachtet, dass der Fahrer mehrmals in den Rückspiegel schaute. Allerdings fehlt bei Lars nichts und sein Rad lehnte auf meinem. Oder hat jemand im Dunkeln von der anderen Autoseite aus auf die Ladefläche gegriffen, als ich mit dem Fahrer verhandelte? Und dort war mein Rad in Griffweite.
Fakt ist, ich habe nichts zu essen und wenig Wasser, bin irgendwie ganz durcheinander und kann mich noch nicht so ganz auf den heutigen Tag einlassen und dabei beschreibt Simon den Streckenabschnitt als einen der schwierigsten: Löcher, steinig, schlammig, vermutlich einiges an hike&bike.

Von Anfang an fahre ich auf der gestampften roten Lehmerde. Es bietet sich hier in der Dämmerung sogar noch ein Platz kurz zu verschwinden hinter einem Busch. Das muss ich ausnutzen. Aber viele Menschen sind hier auf dem Weg in den Nationalpark nicht unterwegs. Die Natur ist wunderschön. Alles sehr grün, Vogelgezwitscher, zweimal fliegt ein handtellergroßer türkiser Schmetterling an mir vorbei.

Die Steigungen sind moderat, es wird immer einsamer. Das gefällt mir sehr. Ich habe zwar nichts zu essen und mein Wasser ist fast aufgebraucht, aber das vergesse ich fast vor lauter Staunen. Der Weg ist flach, aber ich muss höllisch aufpassen, immer wieder kleine „Brücken“ aus unregelmäßigen sehr rutschigen Holzbohlen und immer wieder Matschpassagen.
Dann wieder etwas mehr Leute. Da muss wohl ein Dorf in der Nähe sein. Ich biege um die nie nächste Kurve, am Wegesrand steht Lars über sein ausgebautes Hinterrad gebückt. Ich verstehe irgendwas mit den Bremsen ist nicht ok. Er wird wohl neue Bremsbacken einbauen.

Kurze Zeit später die ersten Lehmziegelhäuser. Ein Mann kommt auf mich zu. Was will der denn? Einerseits neugierig, andererseits in Abwehrhaltung blicke ich ihm entgegen. Er fragt mich, ob ich etwas zu trinken oder zu essen brauche und führt mich in seinen nahen „Shop“. Gerettet! Habe ich doch nichts mehr zu trinken und zu essen. Ich decke mich mit Bananen ein, mit Keksen, mit Cola und mit Wasser. Die Colaflasche hat einen etwas dickeren Bauch und kann meine Keego-Flasche im Flaschenhalter gut ersetzen.

Ich zahle wieder mal nur eine Bagatelle im Vergleich zu unseren Preisen daheim und mache mich auf den Weiterweg. Von meiner Strecken-Grafik dräut eine dunkelrot eingefärbte Steigung. Oje, jetzt wird hike&bike anstehen.
Und wirklich, es geht so steil hoch auf einem feucht lehmigen glatten Boden, dass sogar ein Mototaxi seinen Passagier absteigen lassen muss. Ich wandere ein paar hundert Meter, der Boden ist ziemlich rutschig, ich stemme mein Rad mit aller Kraft weiter. Bald aber wird es wieder flacher und gut fahrbar. Ich bestaune die Vielfalt der Vegetation, sind wir doch weit über Quote 2000 ü.NN.

Eine Frau radelt an mir vorbei. Ist das Rachel? Nein, es ist Kate, deren Teampartnerin aufgegeben hatte. Rachel ist am Morgen früher gestartet, mein Start hatte sich durch den Transfer vom Hotel ja verzögert. Mit diesem Zeitguthaben schafft es Rachel noch bis CP4, muss aber die Gravelpassage nach Kibeho im Dunkeln zurücklegen, dazu später. Ich verschwende an diese Gegebenheit keinen Gedanken, ist mir die Platzierung so unwichtig wie nie. Ankommen gilt und schöne Bilder nach Hause bringen.

Schneller als erwartet gelange ich auf die Aspaltstraße, die durch den Regenwald führt. Sie ist die einzige Straße und verläuft nahe an der Grenze zu Burundi. Alle paar Kilometer stehen je drei schwer bewaffnete Soldaten. Ein mulmiges Gefühl, aber sie sind ja für die Sicherheit zuständig. Ich halte bei den ersten kurz an und frage, ob ich ein Bild machen darf. Nein, darf ich natürlich nicht!
Etwas später bekomme ich zu spüren, dass das Fotografieren wirklich nicht erlaubt ist. Ich fahre ein paar Meter mit einem Team mit, ich glaube Dennis und Jorn. Gegenseitig machen wir Fotos, sie von mir, ich von ihnen. In dem Moment als sie auf mich zufahren und ich auf den Auslöser drücke, taucht hinter der Kurve ein Militärwagen auf, darauf ein paar Bewaffnete.

Ich stehe noch immer mit dem Smartphone vor dem Gesicht da. Das gepanzerte Auto macht neben mir eine Vollbremsung. Vom Beifahrersitz schaut ein grimmiges Gesicht. Es scheint ein höheres „Tier“ zu sein. Ich stottere, nein, ich hätte nur ein Bild von den Radfahrern gemacht. Ich will schon meine Fotogalerie für den Beweis öffnen, da fahren sie schon weiter. Uff!
Etwas später bekomme ich doch mein ersehntes Bild: Hinter einer Biegung stehen einige Fahrzeuge, Militär und Polizei. Am Rand der Straße ein großer LKW – auf der Seite liegend. Ich fahre vorbei und knipse zurück. In dem Moment fühle ich mich wie eine „Katastrophen-Touristin“, ein bisschen nagt das schlechte Gewissen schon. Gleichzeitig bin ich etwas durch den Wind durch den Schock den dieser Anblick lieferte. Ich fahre auf der linken Straßenseite und überlege, ob das wohl richtig ist … mein Gehirn ist wohl auch nicht mehr ganz fit. Schnell auf die richtige Seite, denn es kommen immer wieder große Laster entgegen.
Noch 25 Kilometer zum nächsten Ort und nach einigem an Auf und Ab erreiche ich Kitabi. Meinem Wunsch nach wollte ich hier am Ende des 4. Tages übernachten, durch die Streckenänderung wegen des Konfliktes mit Kongo, ging sich das leider nicht aus und das würde vor allem auf den nächsten Tag Auswirkungen haben.

In einer Art „Schnell-Imbiss“ treffe ich auf einige RaR-Fahrer. In verchromten Wannen ist das Essen ausgestellt. Ich wähle Reis, Nudeln, Gemüse, eine Art Spinat und ein paar Pommes, dazu ein Fanta Pinapple, auf das angebotene Fleisch verzichte ich lieber.
Ich entdecke eine WhatsApp-Nachricht von Lars. Er muss leider aufgeben, bekommt seine Hinterbremse nicht repariert. Schade! Später lese ich, dass er Kitabi erreicht, die Nacht hier verbringt und noch alles versucht, um sein Rad wieder in Gang zu bekommen.
Ich mache mich wieder auf den Weg. Und jetzt liegt eines der schönsten Teilstücke vor mir. Das kräftige Grün der gepflegten Teeplantagen bildet eine tolle Kulisse und immer wieder muss ich anhalten für ein Foto.
Dann geht es durch eine recht einsame Gegend, die Gravel-Straße entwickelt sich von „smooth“ zu ziemlich ruppig. Und einige Steigungen liegen auch im Weg. Ich schiebe einige Male.

Ein ärmlich gekleideter Mann mit einem Stein auf dem Kopf bettelt mich um Geld an. Was ist, wenn der mir jetzt nachläuft? Ich komme unbewusst auf die linke Straßenseite. Plötzlich sehe ich aus den Augenwinkeln was Giftgrünes auf mich zurasen und kann grad noch zur Seite springen. Ein Rad, eine „Black Mamba“ mit einem Bub und viel Gepäck drauf. Er ist in der Abfahrt, wer weiß, ob seine Bremsen funktionstüchtig sind. Ein Crash wäre für mich nicht gut ausgegangen.
Dann plötzlich wieder Asphalt und ich rolle auf Kibeho zu, einem Pilgerstädtchen.
Gleich zu Anfang ein kleiner Shop mit Souvenirs, Christus- und Madonnenfigürchen und es gibt auch Getränke und diese frittierten Kugeln. Ich kaufe zur Flasche Wasser ein Cupcake und ein Chapati. Vor dem Laden sitzt Dennis, er wartet auf seinen Teampartner, der auf Herbergsuche ist. Ich bin noch unschlüssig, ob ich noch weiter fahren sollte bis zum nächsten Kontrollpunkt. Aber in einer halben Stunde wird es dunkel. Besser hier bleiben, das Hotel ist ja schon gebucht. Den letzten Anstoß, dass das richtig ist, liefert Dennis: Ein Freund habe ihm dringend abgeraten die nächste Gravelpassage im Dunkeln zu fahren.

Ich suche mein Hotel, habe aber den Namen und die Adresse nicht und lande im falschen, in einer großen Pilgerherberge. Das Zimmer ist riesig, eine heiße und funktionierende Dusche gibt es auch. Auf das Abendessen im Hotel verzichte ich, habe ich doch mein Gebäck und noch eine Avocado, die ich schon seit zwei Tagen mit mir rumschleppe. Fraglich, ob die überhaupt noch genießbar ist, ist diese Frucht doch sehr Druckempfindlich und machte in diesen Tagen in der Tasche wohl einiges mit. Aber überraschend intakt ist das grüne Ding und superlecker.
Dann rolle ich das Moskitonetz runter und ab geht es ins Bett. Der Hotelinhaber hat mir versprochen ein Frühstückspaket vor meiner Tür abstellen zu lassen. Und versichert mir, dass ich um drei das Haus verlassen kann. Ich frage als gebranntes Kind gleich mehrfach nach.
Bei einem letzten Blick auf Legendstracking sehe ich, dass ein paar Häuser weiter wohl mein gebuchtes Hotel sein musste, denn dort befanden sich einige der Dots, so nennt man die Punkte von uns Fahrern auf der Landkarte.
Tag 6:
Kibeho – CP4 – Kigali (finish line)
210 km/ 3450 Hm
Zeit in Bewegung: 14:28h
Verstrichene Zeit: 16:35h
Der Wecker klingelt um kurz vor drei. Wenig später bin ich aus der Tür und stolpere fast über mein Frühstück, das auf einem Stuhl vor meiner Türe steht. Ein paar hartgekochte Eier, Kuchen und Bananen. Was will man mehr.

Ich verabschiede mich an der Rezeption und bin draußen in der kühlen Nacht. Nun führt die Strecke erst mal etliche Kilometer auf einer asphaltierten Straße. Wie aus dem Nichts tauchen immer wieder Menschen auf, werden von meinem Scheinwerfer bestrahlt und verschwinden wieder im Dunkel der frühen Morgenstunden. Auch Fahrräder sind unterwegs. Kein einziger ist mit Beleuchtung unterwegs. Gespenstisch. Man hört oft ein Quietschen, dann werden die Lastenräder von meinem Licht eingefangen. Laut Straßenverkehrsordnung in Ruanda ist das erlaubt, uns RaR-Fahrern schreibt die Organisation vor, dass wir mit Rück- und Frontlichtern ausgestattet sein müssen.

Mein Plan ist heute in CP 4 frühstücken und dann gleich weiter nach Kigali zu fahren. Vermutlich werde ich dort eher später ankommen. Und an die ganze Strecke darf ich gar nicht denken … Über 200 Kilometer und fast 3500 Höhenmeter. Schlimmstenfalls muss ich halt nochmal irgendwo übernachten. Aber wirklich wollen tue ich das nicht.
Nun stehen erst mal 20 Kilometer Asphalt an, dann etwa 50 Kilometer Gravel, es soll durch ein einsames wildes Tal gehen, auf rutschigen Wegen, das was mich gestern vom Weiterfahren abgehalten hatte. Jetzt denke ich erst mal daran etwa zu Mittag CP4 zu erreichen.
Ich starte. Es ist fein, ohne immer im Mittelpunkt zu stehen, durch die Nacht zu radeln. Nach einigen Kilometern sehe ich im Dunkeln vor mir einen Mann in der Dunkelheit am Straßenrand gehen. Ich fahre vorbei und da beginnt an meinem Rad irgendwas streifende Geräusche zu machen. Oje, ich muss stehen bleiben. Einer der Verschlüsse meiner Taschen hatte sich geöffnet und das Band streift die Speichen. Sowas könnte schlimm enden. Ich behebe das Problem und schiele zurück zu dem Mann. Er ist nicht mehr da. Vermutlich war ihm bei der nächtlichen Begegnung genauso unheimlich zumute, wie mir und er macht einen großen Bogen um mich.
Etwas weiter plötzlich aus dem Dunkeln ein „How are you?“ Was für ein Schreck. Und noch etwas weiter taucht vor mir im Scheinwerferlicht eine Gruppe Radlastenfahrer ohne Licht.
Ich treffe auf Markus, wir schwätzen etwas. Ich erzählte, dass ich alleine in der Pilgerherberge übernachtet hatte, während mehrere andere Fahrer im Hotel etwas weiter Unterkunft gefunden hätten. Markus sagte, alleine nicht, denn er wäre auch dort gelandet, nachdem er nichts anderes gefunden hatte. Seinen Dot hatte ich allerdings nicht gesehen, vermutlich ist er angekommen, als ich längst geschlafen habe.
Ich mache vor dem Anfang der Gravelpassage eine Frühstückspause, vielleicht wird es inzwischen hell. Markus fährt weiter.
Bei der Abfahrt dann in das „wilde Tal“ mit dem rutschigen Downhill mache ich dann aber trotzdem noch im Dunkeln. Wirklich wie angekündigt ein rutschiger Weg mit immer wieder tiefen Rinnen, äußerste Konzentration ist angesagt. Bei Dämmerung bin ich im Talgrund angelangt. Der breite Weg wird irgendwann zum schmalen Pfad.

Sehr schön grün, viele Felder, nicht viele Leute sind hier unterwegs, außer einige auf dem Weg zur Arbeit.
Ohne mir Gedanken zu machen, radle ich dahin. Plötzlich ein komisches Geräusch. Es kommt von meiner vorderen Felge. Ich bleibe stehen, drehe das Vorderrad, es klackt seltsam. Ist da etwas mit einem Lager? Ist das das Ende meiner Fahrt? Tausend Gedanken gehen in meinem Kopf herum, jetzt bin ich bis hierher gekommen, es wäre so schade, jetzt aufgeben zu müssen. Ich baue das Vorderrad aus, weiß aber als technische Niete nicht, was ich tun kann. Als ich es ratlos wieder einbauen will, an einem Arm das Fahrrad, die Felge in der anderen Hand, reißt mich das schwer bepackte Rad mich fast um.
In dem Moment kommt Markus vorbei. Nanu, wo bin ich denn an ihm vorbei? Er bleibt stehen und bietet seine Hilfe an. Oh, gerne! Ich klage ihm mein Leid, dass da ein komisches Geräusch sei und drehe die Felge nach dem Einbau. Er meint, das klinge nach etwas, das an den Speichen streift und in dem Augenblick sehe ich es, der Kabel, der vom Nabendynamo nach oben führt, hatte sich durch die andauernden Schläge aus dem Fließbändchen gelöst … So einfach war die Lösung, puh!! Markus meinte, es sei besser die Enden mit Tape zu fixieren. Das mache ich, dann rolle ich weiter.

Kurze Zeit später kann ich die Hilfe vergelten. Eine der Brücken aus unregelmäßigen Holzbohlen stellt sich uns in den Weg. Markus hat schon einen Fuß aus den Klickpedalen gelöst und will so halb auf dem Rad sitzend irgendwie das etwa fünf Meter lange Hindernis überwinden. In dem Moment rutscht sein Radschuh auf dem runden feuchten Holz aus, das linke Bein verschwindet im Zwischenraum zwischen zwei Balken, das Rad kippt über den Mann drüber. So eingeklemmt kann sich Markus kaum rühren. Ich ziehe und zerre sein Rad nach oben und er kann sich befreien. Außer einem blutenden Schienbein ist nichts passiert.
Ich steige lieber vom Rad und balanciere vorsichtig über die abenteuerliche Konstruktion.
Etwa einen halben Kilometer später trifft es dann mich: Auf einer etwas erhöhten Grasnarbe rutscht mein Vorderrad weg und ich falle im Zeitlupentempo um, ohne etwas dagegen tun zu können, da ich durch ungünstige Belastung nicht schnell genug aus den Klickpedalen komme, also quasi mit den Schuhen festhänge. Schnell stehe ich wieder auf, reinige meine erdbeschmierten Beine und die Hose. Um mich herum einige staunende Kinder. Mit wohl hochrotem Kopf scherze ich laut: „Muzungu bum bum!“ und fahre lachend weiter.

Für eine Weile kann ich mich irgendwie nicht mehr gut konzentrieren und komme noch etliche Male in seltsame Situationen, als könne ich nicht mehr radfahren. Der Weg biegt nun scharf nach links ab, eher unwegsam, ich schiebe ein paar Mal. Dann das Aha-Erlebnis: Ich stehe vor der angekündigten Hängebrücke, auf der man das breite Bachbett statt des River-Crossings überwinden konnte. Etwas weiter sehe ich aber, dass die Leute alle die „Direttissima“ durch das seichte Wasser nehmen. Egal, die Brücke muss man gesehen haben.
Irgendwann finde ich glücklicherweise meinen Rhythmus wieder.
Nach einigen steilen Anstiegen in der immer unbarmherzigen herabbrennenden Sonne erreiche ich früher als erwartet den Ort Gisagara und fahre das Hotel an, das die letzte Kontrollstelle beherbergt. Lange werde ich mich nicht aufhalten, ich habe ja noch was vor und zu essen gibt es auch nicht besonders viel.
Schon bin ich wieder unterwegs. Und tauche in den nächsten und vorletzten Gravelabschnitt ein, zunächst rolle ich 10 Kilometer bergab. Die letzte Etappe, von CP4 bis ins Ziel sollte „nahezu flach“ sein, hatte irgendjemand gesagt. Denkste! Ein steiler kurzer Berg folgt dem nächsten, alles in der prallen Sonne. Irgendwann mag ich nicht mehr bergauf fahren. Und Leute mag ich gerade auch mal nicht um mich haben. Ich versuche die hier wieder sehr zahlreichen Kinder mit ihren immer gleich lautenden Forderungen zu ignorieren. Ich fahre mit starr geradeaus gerichtetem Tunnelblick meines Weges.

Nahe einem Dorf, es geht bergauf, laufen sicher 20 Kids hinter mir her. Ich ahne, dass es gleich wieder losginge mit „put my money!“ oder „give me money!“ Um die Kinder davon abzulenken, frage ich, was sie in der Schule lernen, vielleicht auch auf Englisch zählen? Die Kinder hinter mir im Galopp zählen wir nun zusammen laut bis dreißig. Dann lerne ich ihnen auf Deutsch bis fünf zu zählen. Richtig richtig nett war das. Als ich dann bergab schneller werde höre ich ein vielstimmiges bye-bye!
Irgendwann ist auch der vorletzte Gravelabschnitt vorbei und dieser mündet in eine breite perfekte Teerstraße. Meine Garmin spielt auf den ersten Kilometern verrückt. Meine gefahrene Linie folgt nicht dem Track, sondern ist parallel dazu, Kurven werden geschnitten. Ich zweifle, ob ich richtig fahre und kehre sogar nochmal ein paar hundert Meter zurück. Ich lade die Strecke neu, jetzt passt es. Zum Glück gibt es wenig Verkehr und die Anstiege sind angenehm.

Meine Berechnungen ergeben, dass ich es zwar nicht bis zur Dämmerung nach Kigali schaffen würde, aber auf jeden Fall noch heute. Die kurz vor dem Rennen geänderte Strecke „brockte“ uns eine zusätzliche Gravelstrecke ein, die demnächst beginnen sollte und den Weg nach Kigali etwas abkürzte. Ich erinnere mich, dass ich noch kein Hotel für diesen Abend hatte und lege eine kleine Pause im Schatten ein, organisiere das Zimmer und esse was. Ein Team RaR-Fahrer zieht vorbei und ich mache mich auch startbereit.
Kurz darauf biege ich in die rotbraune Schotterstraße ein. Ein letztes Mal viele Menschen, besonders viele Kinder, anscheinend ist die Schule gerade aus. Die 11 Kilometer werden auch noch umgehen. Aber nach 20 Kilometern bin ich immer noch auf diesem Weg. Da muss wohl bei meinen Aufzeichnungen irgendwas schief gelaufen sein. Irgendwann ist dann aber der letzte Gravelmeter geschafft.
Was aber nun kommt, gefällt mir gar nicht. Eine relativ schmale Straße und sehr viel Verkehr. Natürlich ist das so, denn ich befinde mich nun im Einzugsbereich von Kigali. Glücklicherweise kann ich auf den harten Seitenstreifen ausweichen, auf dem aber auch Fußgänger unterwegs sind und der unangenehm holprig ist.
Also weiche ich immer wieder auf die Straße aus, wenn ich in meinem Seitenspiegel freie Bahn sehe. Das Wechseln auf die Fahrbahn ist nicht ungefährlich, da zwischen den beiden ein unregelmäßiger aufgeworfener Rand besteht. Höchste Konzentration ist vonnöten, nach etwa 15 Stunden Fahrzeit heute schon, ist die bei mir nicht mehr so stark gegeben.

Bei Dämmerung mündet diese Straße nahtlos in eine Art vierspurige Schnellstraße und es geht bergauf. Hier fühle ich mich auch nicht sehr wohl und klettere durch die Büsche auf den gepflasterten Fußweg, der parallel verläuft. Mal sind hier mehr, manchmal weniger Leute unterwegs. Ich habe noch 16 Kilometer vor mir. Dann nur noch Abfahrt, ich wechsle auf die Straße und werde vom dichten Verkehr mitgetragen, Autos und unzählige Moto-Taxis brausen an mir vorbei. Wird schon gut gehen. Dann muss ich durch einen Kreisverkehr.
Der Verkehr staut sich, mittendrin ich. Verrückt! Aber die Welle aus roten Rück-Lichtern spült mich einfach mit und spuckt mich dann an der richtigen Ausfahrt wieder aus. Nur noch 2 Kilometer und diese gehen steil hoch. Lionel zieht an mir vorbei und ruft mir was zu. Jetzt einen letzten Sprint, um meine Platzierung von vorher zu halten? Nein, danke!

Bei der Einfahrt zum Cafe Tugende, der finish line, bleibe ich sogar noch stehen, um ein Foto zu machen, inzwischen ist mein Konkurrent sicher weg und richtig, die Ziellinie ist nun frei – nur für mich …
Erleichtert und in Siegerpose reiße ich die Arme hoch und nehme dann mein finisher-Geschenk und ein Skol Panache, eine Art ruandisches Radler entgegen. Noch am Vor-Abend hatte ich es stark bezweifelt auch nur annähernd so früh zurück in Kigali zu sein. Eine mitunter anstrengende aber wunderschöne „Reise“ ist hier zu Ende.
Fazit:
- 110 Starter*innen
- Davon knapp 20 Frauen (6 Solo)
- 87 Finisher*innen
- 23 DNF
- Gabi: 3. Solo-Finisherin/ 50. insgesamt
- Maximalzeit: 163h
- Siegerzeit: 57h 50min
- Gabi: 134:41 (1 Tag vor Finisherparty) – ich vermied Nachtfahrten – nicht nur, als Frau allein, sondern um die schönen Landschaften bewundern zu können
Nachwort:

Ich bin unendlich dankbar, unter Bedingungen leben zu dürfen, die mir jederzeit Zugang zu sauberem Trinkwasser, sanitären Einrichtungen, einer gesunden und abwechslungsreichen Ernährung sowie vielen weiteren Annehmlichkeiten ermöglichen, die ein unbeschwertes Leben ausmachen.
Mein Bikepacking-Erlebnis in Ruanda war einfach unvergesslich! Wunderschöne Natur, atemberaubende Landschaften und eine unglaubliche Sauberkeit, die das Reisen besonders angenehm machte. Dazu kamen die herzlichen und freundlichen Menschen, die jede Begegnung zu etwas Besonderem machten. Ein echtes Abenteuer, das ich jederzeit wiederholen würde!
Zur „Sauberkeit“: Müll am Straßenrand? In ganz Ruanda ist das nahezu undenkbar. Selten mal eine zerquetschte Plastikflasche, aber sonst nichts … Wie kommt das?
Ruanda hat strenge Maßnahmen gegen Plastikmüll ergriffen. Seit 2008 gibt es ein vollständiges Verbot von Einwegplastiktüten, das in den letzten Jahren auf weitere Plastikprodukte wie Strohhalme, Flaschen und Verpackungen ausgeweitet wurde. Die Regierung setzt das Verbot konsequent durch, indem sie Einfuhren kontrolliert, Strafen verhängt und alternative umweltfreundliche Materialien fördert. Diese Politik hat Ruanda zu einem der saubersten Länder Afrikas gemacht, insbesondere in der Hauptstadt Kigali. Zudem gibt es Programme zur Mülltrennung und Recycling-Initiativen, die helfen, Plastikmüll weiter zu reduzieren.

Ich erstand vor dem Start lokale Energie-Bars, verpackt in Bananenblätter. Sehr lecker! Und die Verpackung darf man bedenkenlos in den Straßengraben werfen.
Murakoze cyane, Rwanda und besonders Simon und der gesamten Crew!!!