Meine Gedanken gehen im Kreis. So ähnlich, wie mir im Moment die Streckenführung erscheint. Ohne GPX-Track hätte ich wohl schon die Orientierung verloren. Von Feltre Richtung Belluno. Es sind mit dem Auto etwa 20 Kilometer, wir haben gefühlt mindestens das Doppelte: Es geht tendenziell nach Osten, aber gefühlt wechselt die Richtung alle paar Hundert Meter. Über jeden Hügel, der im Weg steht, müssen wir drüber. Im Moment sticht die Sonne (endlich) vom Himmel und auf mein umnebeltes Hirn. Die Beine haben schon längst keine Lust mehr. Und das nach noch nicht mal 400 Kilometern. Ich rechne und rechne. Ob wir es im Hellen wohl schaffen nach Niederdorf, wo ein gemütliches Bett wartet? Das nächste Dutzend Kilometer vergeht, bis ich mir fast gewiss bin, dass durch Cadore und Lunga Via delle Dolomiti, der Radweg auf der alten Bahntrasse nach Cortina und die Fahrt nach Toblach mindestens bis nach Mitternacht dauern würde. Ich zweifle: Ob die Idee wohl gut war, statt von Verona am Morgen schon am Vorabend zu starten? Das würde nun nämlich die zweite durchradelte Nacht. Weiter gehen die negativen Gedanken. Ich könnte heulen. Wenn ich nach nicht mal 400 km schon „cotta“ (wörtlich übersetzt „durchgekocht“, erledigt, ausgebrannt) bin, was ist dann mit meinen sommerlichen Plänen. Ich schließe in Gedanken schon mit 3Peaks Bikerace ab. Unmöglich. Nicht zu schaffen. Und was mit dem Plan in zwei Wochen die Superrandonnée Ötztal-Rundfahrt zu fahren? Mit vier großen Alpen-Pässen am ersten Tag? Wenn sich meine Beine jetzt schon so platt anfühlen nach beinahe keinen Höhenmetern? … Der nächste Aufstieg vor uns. Mein Tacho zeigt nur 5% an – gefühlte 15% im Moment. Und gemein: die nächste Abfahrt mündet in eine Straße, sodass der Schwung jäh abgebremst werden muss. Meine Gedanken drehen und drehen weiter. Mein Göttergatte ist mir auch keine Hilfe. Schweigsam fährt er durch den Tag. Geteiltes Leid ist halbes Leid? Ich biete Hermann, der auch nicht mehr ganz frisch aussieht, zehn Tage in einem Hotel an der Adria an, statt im Sommer von Wien nach Barcelona zu radeln. Adria? Die Verzweiflung muss schon groß sein. Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob diese ganze Aktion Rando 600 nicht kontraproduktiv war … wenn nicht physisch so doch psychisch.
Wie es weiter geht …:
21:00 Uhr in Tai di Cadore beschließen wir schweren Herzens hier zu übernachten. Denn eigentlich haben wir ja schon ein Zimmer in Niederdorf gebucht (bei Pension Kühbacher). Aber die Gefahr mit Sekundenschlaf zu verunglücken in zweiter Nachtfahrt ist einfach zu groß. Camilla und Paolo, ein sehr nettes Paar nimmt uns um diese nachtschlafende Zeit noch auf in seinem nagelneuen und wunderschönen B&B Ca‘ Milla. Um vier Uhr am Morgen raus aus den Federn, damit wir es schaffen pünktlich um 11:00 in Brixen zu sein. Es regnet leicht. Die Beine scheinen besser, auch die Motivation. Ich darf allerdings nicht an die 140 km vor uns denken, dann sinkt mein Mut wieder. Erst mal nach Cortina, dann weiter denken. Von Niederdorf sind es noch etwa 60 Kilometer. Wir sind etwas knapp dran. Zum Glück führt die Strecke hier nicht über den Radweg. Wir brettern mit einem Affenzahn nach Bruneck. Der Tacho zeigt um die 35 km/h. Die Beine? Ich spüre die 500km hinter uns kaum. So muss sich ein Pferd fühlen, das zum Stall zurück prescht. Im Geschwindigkeitsrausch denke ich an den Sommer – die Herausforderungen können kommen. Wie das? War das gestern alles nur Kopfsache?
Und so fing es an:
Eigentlich könnte eine 600er Rando ein gutes Training sein für unsere sommerlichen Vorhaben.
Die Randonnée „Dolomiti“ im Vierfachpack von Simonetta und Giorgio angeboten als Qualikationsbrevets für die PBP führt mit 600km durch wunderschöne Gegenden Norditaliens. Der Startort ist wie bei allen der vier „Villa Guerrina“ in Montorio, eine venezianischen Villa mit wunderschönem Garten und integrierten Sportanlagen (auch Schwimmbad). Eine Kontrollstelle ist praktischerweise eine Pizzeria in unserer Nachbarschaft.
Meine Idee:
Verzicht auf das Auto, um ein Zeichen zu setzen. Wir müssten nur pünktlich um 5h in Montorio beim Start sein. Nachtfahrt somit programmiert. Und damit fing es eigentlich an.
Hochmut kommt vor dem Fall? Fakt ist, die Anfahrt nach Verona war zu knapp geplant. Das bedeutete, dass wir den Start versäumten und über eine Stunde hinter dem Feld starteten. Erst in Feltre und dann in Tai di Cadore werden wir die letzten Teilnehmer treffen.
Ich sitze nun hier beim Schreiben und finde die Entscheidung auf das Auto zu verzichten und der Umwelt was Gutes zu tun war goldrichtig. Aber immer gibt es ein kleines ABER:
- Am Wichtigsten: Wir trafen unsere ganzen Radler-Freunde leider nicht.
- Unsere Verspätung beim Start ließ uns fast den ganzen Tag alleine radeln
- Wir mussten auf bereitgestelltes Frühstück und Pasta Party verzichteten
- Verlassen der Komfortzone: Die Runde ist vermutlich härter, wenn man zuerst die leichteren Kilometer fährt und bei den etwas anspruchsvolleren Kilometern immer langsamer wird
- Nach einer durchradelten Nacht in die zweite Nacht kommen ist nicht ungefährlich. Sekundenschlaf-Attacken führen nicht selten zu schlimmen Unfällen.
Aber es gibt noch ein ABER:
Im Gegensatz zu allen anderen Teilnehmern hatten wir so gut wie kein „Wasser“ von oben.
Wir fuhren sozusagen am Morgen dem Regen hinterher. Pausierten, als es ein „diluvio“ gab (Ein Teilnehmer schrieb, er habe nie so viel Wasser von oben gesehen …) und fuhren dann wieder dem schlechten Wetter nach. Die paar Tröpfchen, die wir sahen, sind nicht der Rede wert.
Die Strecke:
Von der Villa Guerrina in Montorio bei Verona fahren wir auf wenig befahrenen Sträßchen nach Osten. Bei Bassano geht es entlang des Flusses Brenta durch die Schlucht der südlichen Valsugana. Man taucht ein in die Dolomitenvorgipfel. Auf Radwegen und wenig befahrenen Straßen kommen wir an Feltre, Ponte delle Alpi vorbei und bewegen uns auf der alten Alemagna-Straße vorbei an Longarone, mit seiner trgischen Geschichte des Staudammbruch vor vielen Jahren. Von Pieve di Cadore bewegen wir uns auf dem wunderbaren Radweg entlang der ehemaligen Bahntrasse (Lunga Via delle Dolomiti) wieder Richtung Westen nach Cortina. Von hier geht es nach Toblach und über den Pustertaler Radweg und Etschtalradweg, mit kleinem Umweg über den Kalterer See, zurück nach Verona.
Wieder einmal ein sehr schöner Bericht. Ich habe mich am Wochenende öfters gefragt, ob Ihr bei dem Wetter wirklich unterwegs seid. Im Gegensatz zu den anderen Teilnehmern habt Ihr ja wenig Regen gehabt. Also alles richtig gemacht.
Das B&B Ca‘ Milla ist ja der Hammer.
Bei Simonetta und Giorgio muss ich nächstes Jahr auch mal unbedingt fahren. Das scheint ein wirklich toller Brevet-Standort zu sein, den ich ohne Dich nicht kennen würde. Danke!!!
Freut mich, dass meine Erlebnisse Anregung sind … LG Gabi