Solstizio d’inverno … es ist wieder soweit gut 200 km von Arco in einer Schleife zum Toblino-See im Norden und dann um den Gardasee. Diesmal nicht nachts, sondern den Covid-Bedingungen geschuldet auch tagsüber und im Modus „Random“, das bedeutet Startmöglichkeit an allen Kontrollstellen. Bisher fuhr ich das Event also immer nachts, diesmal entschied ich mich für die „angenehmere“ Variante und wählte gleich den ersten Startzeitpunkt um 8 Uhr morgens.
Mein Allerliebster folgte seinen Pflichten und entschied sich seine Holde allein ziehen zu lassen. Zwischen Verärgerung (das sch… Büro) und Mitleid (dem Armen entgeht was) zog ich also gen Süden. Hermann meinte, ich schaffe es nach dem Frühstück locker vor acht am Start zu sein – mit dem Auto. Ich möchte nicht wissen, wie schnell er immer unterwegs ist … ich war nämlich erst gegen halb neun in Arco.
Hier machte ich mich nach dem Scan des QR-Codes allein auf den Weg – Richtung Norden. Fabio – der Organisator – hatte zwar empfohlen, die Schleife zum Toblino-See besser später am Tag anzugehen, aufgrund möglicher morgendlicher Vereisungen und Reif an schattigen Stellen. Aber Frau ist stur. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt das weniger Angenehme an den Anfang … Vorsicht ist geboten … aber ich habe ja keine Eile. Meine Bestzeit von 7:30 hatte ich nicht vor zu unterbieten, wollte ich doch auch Fotos machen unterwegs, denn nachts war in dieser Beziehung das Angebot immer recht mager ausgefallen.
Einsam stehe ich am Startpunkt. Es gibt eine virtuelle Brevet-Karte und nach dem Scan des QR-Codes und dem OK der ICRON- Plattform zog ich los. Auf dem Radweg Richtung Norden durch die Maroche di Dro, einem gewaltiges Bergsturzgebiet, treffe ich ebenfalls keine Menschenseele. In den Steigungen wird mir gleich warm. Traumwetter heute. Langsam eiere ich über einige bereifte Stellen, aber nichts Dramatisches. Fotopause am Toblino-See. Ein einsamer Radfahrer fährt an mir vorbei. Das war doch … Ja, Umberto, ein Randonneur-Kollege. Lange nicht mehr gesehen. In Santa Massenza, der ersten Kontrollstelle quatschen wir ein wenig, dann geht es die knapp 25 Kilometer zurück nach Arco. Den Rückweg wähle ich kurzentschlossen über die Originalstrecke vorbei am Lago die Cavedine und von Dro über den Ponte Romano.
Nun folgt das Sahnestückchen des Brevets: die Fahrt um den winterlichen Gardasee und zwar im Uhrzeigersinn. Immer wieder muss ich stehen bleiben und knipsen. Hermann wird mir nachher sagen, naja, so erklärt sich deine laaaangsame Zeit. Stimmt und ein weiterer Grund, ich fahre den ganzen Tag alleine, also nix mit Windschattenfahren. Allerdings kommen mir tausende Radfahrer entgegen – anscheinend gibt es keine Winterpause für die Rennräder hier unten. Es überholen mich verhältnismäßig wenige Radgruppen, die aber sah ich nicht lange von hinten und somit null Chance sich dranzuhängen. Aber das macht mir auch keinen Spaß. Sich voll auf ein Hinterrad zu konzentrieren bedeutet für mich nur Stress und die Landschaft gleichzeitig zu bewundern birgt Gefahren.
Vorbei an Malcesine, Garda, Bardolino, Lazise, die schön weihnachtlich geschmückt sind, aber das nächtliche Lichterflair fehlt natürlich, dafür funkelt die riesige Weihnachtskugel vom Himmel. Gardaland saust vorbei, hier ist sogar was los an diesem Wochenende. Nein, danke! Nicht ganz mein Fall. Weihnachtsmusik tönt aus den Lautsprechern und die Melodie sollte wie ein Ohrwurm in Endlosschleife durch meinen Tag klingen.
In Peschiera fahre ich bei Mc Donalds, der Kontrollstelle, vorbei und schicke meinem Göttergatten mal wieder eine Nachricht – zum Gluschtn (auf gut Deutsch, damit er mich beneidet oder so ähnlich). Seltsam, dass er noch nie zurückgeschrieben hat heute, er wird doch wohl nicht angefressen sein, dass ich allein losgezogen bin, anstatt Heimchen hinter dem Herd zu spielen? Ich blicke auf das Symbol in der Menüleiste und ich glaube ich werde leicht blass um die Nase: Flugmodus. Hat da der Scan in den Kontrollstellen überhaupt funktioniert? Nein, eben nicht …! (Und Hermann erzählte mir später, dass er sich Sorgen gemacht hatte, er habe mich auf der Verfolge-App nicht gefunden und auch sonst keine Nachricht von mir bekommen. Er sei besorgt nach Hause gefahren und habe nachgesehen, ob ich mein Smartphone liegen gelassen habe …)
Aber jetzt ist ja alles gut. In Peschiera schwirrt mir im Kopf herum, dass Manuel Jekel mal gemeint hatte, es wäre schön, wenn beim Bike-Hotel Enjoy die Kontrolle wäre. Kurzerhand greife ich die Idee auf und mache einen kleinen Schlenkerer zum Hotel, bei dem wir regelmäßig unsere Zelte aufschlagen und dem Radvergnügen frönen. Alberto und Nicola, selbst begeisterte Radfahrer sind immer für ein paar Ideen gut oder für eine gemeinsame Ausfahrt. Etwas verschwitzt stehe ich in der Hotel-Lobby. Fragende Blicke. Ich erkläre. Gerne könne ich einen Latte-Macchiato haben, darf mich mit ein paar von den leckeren Keksen von Mama Valenti stärken. Das geht natürlich aufs Haus … ist mir ganz peinlich … Aber man sieht sich ja bald wieder, unterwegs -mich wieder abstrampelnd- träume ich von einem Verwöhn-Wochenende noch in diesem Jahr oder im Frühling.
Nun geht es parallel zum südlichen Gardasee-Ufer nach Desenzano. Dann geht es leider nicht durch die Halbinsel nach San Felice und Manerba, sondern weiter der Hauptstraße. Und hier gibt es viel Verkehr, was mir gar nicht zusagt. In der Nacht war es in dieser Beziehung angenehmer.
Nach Saló werden die Schatten immer länger. Wusste ich es doch, dass ich es vor dem Dunkelwerden nicht nach Arco zurück schaffe. Die Gardesana Occidentale zeigt sich von ihrer schönsten Seite. Immer wieder muss ich anhalten Fotos zu schießen. Hinter mir geht die Sonne unter.
Über mir thront der Monte Pizzocolo, vor ein paar Jahren war dort oben das Ziel des Duathlon. Zu Toscolano-Maderno, zu seinen Füßen habe ich sowieso einen besonderen Bezug, hier konnte ich mich 2018 beim XTerra Italy qualifizieren für das XTERRA World championship auf Maui/ Hawaii. 5 Jahre nach dem IM auf Kona ging ein weiterer Traum in Erfüllung.
Aus meinen Tagträumen … oder sagt man Nachmittagträumen oder Frühabendträumen werde ich jäh gerissen: Nach Campione lasse ich nämlich zufällig den Blick nach oben schweifen und der Anblick lässt mich die Bremsen durchdrücken. Über mir thront die „Terrazza del Brivido“, eine Restaurantterrasse, die über den Abgrund kragt. Mein Rad nimmt mir das übel, das Hinterrad bricht aus und mein roter Flitzer schlingert, so dass nicht mehr viel gefehlt hätte zum Abflug. Nach der Rutschpartie fahre ich ganz zahm weiter. Hatte Fabio doch recht gehabt, dass es rutschig werden könnte. Aber meine Gedanken gehen zurück zur Alpi4000, bei der wir hinauf nach Tremosine mussten und auf der Terrasse in die schwindelerregende Tiefe schauten.
Tunnel um Tunnel geht es nun Richtung Ziel. Verkehr gibt es wenig … Oder? Was ist das für ein Geräusch? Das erinnert mich doch … Neiiiin! Doch!! Kommt das „Brüllen“ von vorne oder von hinten? Das Brausen wird lauter und lauter. Hektisch schaue ich über die Schulter nach hinten. Bilder vom Nordkap Tunnelen (Northcape4000) tauchen vor meinem inneren Auge auf. Grausbirnen steigen mir auf (auf gut Deutsch: mir wird unheimlich). Hilfe, ich will weg hier, mache mich ganz klein. Da ist er auch schon vorbei – der Autobus. Und als hätte er das schwarze Tunnelloch verstopft, hintendrein zwei Händevoll Autos. Bald ist der Spuk vorbei und die Luft wieder rein. Aufatmen.
Als ich bei Limone das das spektakuläre Stück Radweg hoch über den Wellen entlangrolle, blitzt urplötzlich ein helles Licht über den Altissimo, den gegenüberliegenden Bergkamm. Der Mond geht in Sekundenschnelle auf und spiegelt sich silbern in den Fluten des Sees unter mir. Ein atemberaubender Anblick, der auf dem Kamerabild gar nicht so wirkt. Und wieder sind ein paar Minuten weg … Ich höre schon meinen Göttergatten: „Ja, kein Wunder, dass du nicht schneller bist … wenn du alle paar Kilometer stehen bleiben musst …“
Aber ich bin ja bald da. Bei Riva wird der Verkehr sehr dicht, ich weiche auf den Radweg aus, den ich mir mit Fußgängern und -innen, Rollerfahrern und vielleicht auch Rollerfahrerinnen, Hunden und Hündinnen, … teilen muss. Wieder einige Minuten Verlust – Schuld sind sicher die ganzen -innen.
Endlich angekommen. Weihnachtsmarktflair in Arco – für mich, die ich kein unbedingter Weihnachtsmarkt-Fan bin. Der Scan ergibt ein OK, was das seltsame Ergebnis am nächsten Tag auf der ICRON-Plattform nicht erklärt, dort bin ich nämlich nie in Arco angekommen.
Ich treffe einen einzelnen Radfahrer und frage, ob er noch auf die Toblino-See-Schleife muss. Nein, er starte jetzt auf die 200km. DAS sind die wahren Helden. Solstizio d’inverno bei Nacht – wie das Original. Und nicht als Weichei, wie ich eines bin – tagsüber. ABER ich bin doch froh, dass ich jetzt alles hinter mir habe. Und der kommende Tag verspricht wunderbar sonnig zu werden und es zieht mich hinaus in den Pulver-Schnee. Aber das ist eine andere Geschichte. Und ein dickes Lob geht an meinen Daheimgebliebenen: Es erwartet mich eine wunderbare Gemüsepfanne mit Feta …
Danke, Fabio, dass du wieder ein Winter-Sonnenwende-Brevet organisiert hast. Und irgendwie kann ich sagen, dass ich alle Events seit 2013 bisher mitgemacht habe – bis auf eines. Aber dafür war ich bei der Edition Zero 2012 dabei- 8 Männer & 1 Frau (wer wohl?). Dieses Brevet war auch meine Feuertaufe in Bezug auf Langstrecken-Radfahren (Francesco sei Dank) und ein lustiges Anekdötchen lässt sich auch noch erzählen, von wegen „Frau & Technik“ …
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