Superrandonnée dei 100 Bersaglieri – das bedeutet mehr als 600 Kilometer und 15000 Höhenmeter in nur 60 Stunden, Pausen eingerechnet.
Hier mein Video (6 min):
Mein Geburtstag naht – Hilfe! Schon der 61.– auf Facebook sehe ich, dass wieder mal einer gewagt hat, die Superrandonnée dei Cento Bersaglieri zu fahren. Bisher haben nur gut zwei Handvoll dieses herausfordernde Abenteuer gewagt, darunter nur eine Frau. Welcher Teufel mich da wohl wieder mal geritten hat, denn spontan beschließe ich, mir damit ein Geburtstagsgeschenk zu machen. Aber, ob ich das schaffen kann? Zäh bin ich ja, aber doch als „lumaca“ wohl zu langsam. Ich verspreche mir, wenn ich nicht durchkommen sollte, dann werde ich mich demnächst zum Seniorenturnen anmelden. Das muss Motivation genug sein. Und wenn ich nur im entferntesten eine Chance haben sollte, dann nur auf Kosten von Pausen und Schlaf.
Um 5 Uhr am 6. Oktober sollte es losgehen. Der Schock bringt macht mich vollends wach: Musseu steht plötzlich und unerwartet vor meinem California, die unausgeschlafene Gabi gnadenlos filmend. Dann wird der Start festgehalten. Ich muss nun nur noch in die Pedale treten und 18 Kontrollstellen abfahren mit massenhaft Höhenmetern dazwischen. Die Fotos soll ich zur Beweisführung sofort auf WhatsApp schicken. Das Abenteuer kann beginnen.
Und was in den kommenden zweieinhalb Tagen (60 Stunden) auf mich zukommen wird, bekomme ich auf den ersten Kilometern im Kleinen zu spüren, es geht nämlich gleich schön steil einige Hügel hinauf. Musseu bezeichnete das vorher mit „spaccagambe“ – eine direkte Übersetzung gibt es nicht, spaccare bedeutet „zertrümmern“, gambe sind die Beine.
Im steten Auf und Ab bin ich nicht besonders schnell am Gardasse, wo ich mir doch gedacht hatte, die paar Kilometer werde ich schnell runter spulen – das Höhenprofil- hat mich da schändlich an der Nase herumgeführt. Klar, gegen das was mir bevorsteht, sind diese paar „Hügel“ Pipifax. Na warte, Gabi!
Kurzes Verschnaufen am See entlang, wenig Verkehr, sehr schöne Morgenstimmung. Plötzlich werde ich bleich, die Kinnlade fällt mir runter vor Schreck. Der Musseu wird doch wohl nicht … Nicht weit vor mir die Punta Veleno, die als härtester Anstieg am Gardasee gehandelt wird. Eine durchschnittliche Steigung von 14,6% mit Spitzen von 20%. Und es gibt keine Atempause. Zu meinem Glück muss ich früher abbiegen. Das Glück währt nur kurz, denn ähnlich wie bei der Punta Veleno geht es nur mit bis zu 18% Steigung hinauf nach Lumini. Später wird man mir sagen, dieser Anstieg wird unter Insidern „la sorella piccola“ – die kleine Schwester der Punta Veleno genannt.
Abfahrt und ich suche vergeblich den nächsten Kontrollpunkt „die Platane der 100 Bersaglieri“. Die Bersaglieri waren ein Korps der italienischen Armee, ursprünglich der piemontesischen Armee, die später zur Königlichen Italienischen Armee wurde. Anscheinend hatten sich im Zweiten Weltkrieg einige Soldaten in den Ästen der monumentalen Baumes versteckt. Ich habe keine Zeit mich im Schatten dieses Baumes, der wohl im 14.Jahrhundert aus einem Samenkorn gesprossen ist, auszuruhen. Ich bin am Baum vorbei gefahren und muss nochmal ein paar Kilometer zurück für das Beweisfoto. Pech, wo ich doch keine Zeit zu verlieren habe.
Nun geht es auch wieder stramm nach oben. Keine beinfreundlichen Prozentangaben auf meiner Garmin … Hoch über mir sehe ich Spiazzi. Ich beschließe zwar nicht Wallfahrten zu gehen (in der Nähe ist das spektakulär in den Fels gehauene Kloster Madonna della Corona), aber mich doch mit Cola und einer Fiamma zu stärken, einem mit Schokolade überzogenen Schoko-Mousse-Törtchen. Wasser fassen muss ich auch. Dann weiter – weg vom Touristen-Rummel. Dass Flämmchen gibt nicht lange Kraft, das merke ich bald.
Wenige Kilometer, aber einige Höhenmeter später lädt mich ein Bänkchen zur Brot-Ess-Pause ein. Ich kann nicht mehr. Es ist sowas von heiß, dass man glauben könnte wir haben Hochsommer, nicht seit zwei Wochen Herbst. Wenn ich jetzt schon schlapp mache, nach nicht mal 100 Kilometern und 3000 Höhenmetern … wie wird das sich wohl weiter entwickeln? Bis zum geplanten Schlafplatz habe ich noch fast 150 km und nochmal 3000 Höhenmeter. Ich sehe schwarz, obwohl es hier blendend hell ist. Nachdem ich mein Brot hinuntergeschlungen habe, Wasser zum Nachspülen ist auch schon wieder aus … lege ich mich kurz flach auf die Bank zu einem Powernäpchen. Der Schlaf will aber nicht kommen und als mir eine Buchecker auf den Kopf fällt, fahre ich entnervt weiter. Motivation ist was anderes.
Es wird jetzt megasteil und ich steige vom Rad und schiebe einen Kilometer lang. Ich überlege mir schon, dass ich das Etschtal nicht überqueren werde, sondern dass ich dort in Richtung Norden nach Hause abbiegen werde oder doch besser nach Süden und das Auto hole. Die 100 Bersaglieri sind absolut nichts für mich! Es wird wieder flacher und eine kraftschöpfende Miniabfahrt bringt mich bis zum Beweisfoto zum Rifugio Graziani unter dem Altissimo-Gipfel. Rasant geht es nur viele Kilometer abwärts.
Im Tal unten wartet das Bicigrill Ruota Libera auf mich. Ich sitze dort gemütlich im Schatten und überlege. Was tun? Bringt es das, sich so zu schinden? Es ist schon Nachmittag und wer weiß, wann ich meinen Schlafplatz aufschlagen kann. Die Nacht durchfahren und womöglich die nächste auch? Unmöglich! Macht das ganze Unterfangen überhaupt Sinn? Ich komme doch unmöglich pünktlich nach Verona ins Ziel. Warum sich dann weiter schinden? Die Schatten sind nun schon länger, die Hitze ist vorbei, ich beschließe dem Ganzen noch eine kleine Chance zu geben. Die Peri-Fosse will ich noch hinauf. Runterrollen kann ich immer noch.
Es ist nun etwas kühler und die 11 Kehren duch den lichten Buschwald hinauf gehen mir relativ leicht von der Hand. Nach jedem Kilometer „zwinge“ (Scherz!) ich mich kurz zum Trinken stehen zu bleiben. Auch die kurze Passage mit 15%-Steigung fast am Ende der Strecke, deren Existenz mir unterwegs brennend einfällt, ist nicht so schlimm. In Fosse wieder Cola & Eis -Pause. Aus dem Pausieren komme ich wohl heute gar nicht raus … Naja, egal, nach Verona schaffe ich es eh nicht. Weiter geht es.
Hinauf auf die Lessinische Hochebene muss ich. Die Bar liegt schon hinter mir, da fällt es mir ein: Ich habe zu wenig Wasser. Nur noch eine kleine Flasche voll. Wer weiß, wann ich am nächsten Tag den nächsten Brunnen finden werde … Habe ich einen Radkollegen belächelt, der wegen Sonnencreme, Wasser und Klogang an Haustüren klingelt, so erscheint es mir jetzt die einzige Lösung zu sein: Ich muss an einem der letzten Häuser von Fosse fragen. Ich klingle. Eine nette Seniorin öffnet mir, sie versteht anscheinend nicht ganz, was ich möchte, aber als ich ihr meine Trinkflasche hinhalte, versteht sie. Glück gehabt! Denn danach kommt wirklich sehr lange kein Wasser mehr.
Motiviert überwinde ich nun auch ein unangenehmes Schotterstück und schraube mich nach oben Richtung Malga Lessinia. Es dämmert nun langsam. Der Himmel ist traumhaft rot gefärbt. Am nahen Horizont tauchen zwei große Gestalten auf, zwei Hirsche, die sich gleich erschrecken wie ich und von dannen springen. Die Bäume werden spärlicher, dafür das kühle Lüftchen stärker. Auf dem höchsten Punkt ziehe ich meine dünne Daunenjacke an. Kurze Abfahrt und dann muss ich nochmal hoch zur Malga San Giorgio.
Eigentlich hatte ich geplant auch den nächsten „Berg“ noch hochzufahren, aber es ist schon fast 10 Uhr und ich beschließe nur noch bis Selva di Progno zu rollen, denn an einem Tag mehr als 6000 Höhenmeter scheint mir doch etwas übertrieben. Und vielleicht fällt das kommende „giftige“ Steigungsprofil am frühen Morgen leichter.
Die letzte Abfahrt an diesem Tag führt über eine neu asphaltierte Straße. Was hab ich für ein Glück! Mit Karacho geht es hinab. Aus den Augenwinkeln eine Bewegung und schon rollt (?) ein dicker grauer Kloß auf mich zu. Ich höre Krallen auf dem Teer klicken, da ist das Ding auch schon neben mir, ich mache einen Schlenkerer und schaffen gerade noch auszuweichen. Was war das denn. Es dämmert mir, das war ein ausgewachsener Dachs. Mit zitternden Knien nehme ich wieder Fahrt auf. Nun aber rolle ich nur noch in verhaltenem Tempo. Wer weiß, was da des Nachts noch alles unterwegs ist. Schade, dass ich hier im Dunkeln durch komme. Anscheinend ist es hier recht spannend, ich sehe Felswände neben mir und große Steine, eine Schlucht vielleicht? Eigentlich nicht meine beliebte Art zu Radeln, denn ich schaue mir die Landschaften lieber tagsüber an.
Die Nachpause ist kurz, gegen 4 sitze ich wieder auf dem Sattel. Zwei Anstiege (wie vermutet „giftig“) und ich rolle Richtung Recoaro Terme, das an den Ausläufern der kleinen Dolomiten liegt. Frühstücks-Zeit! Dann wird es ernst, 1200 Höhenmeter soll es hoch gehen bis zum Rifugio Campogrosso unter den schönen Gipfeln der Carega-Gruppe. Die dunkelrote Farbe auf dem Höhenprofil kündigt zudem Böses an. Die Steigung in der immer wärmer werdenden Sonne ist wieder unerbittlich und lässt mich zum x-ten Male zweifeln.
Aber das Leiden geht vorbei und die nächste Abfahrt und Einkehr am Passo Xomo wirkt Wunder. Bis zum Aufstieg auf die Hochfläche der Sette Comuni ist es auch noch ein Stück, zunächst Abfahrt, dann ein, wie der Italiener sagt „falso piano“, man meint nur, dass es flach ist … Die unzähligen Kehren hinauf zu den 7 Comuni sind zwar in sengender Hitze, aber dafür in moderater Steigung. Irgendwie muss man sich das Positive einreden. Beweisfoto in Rotzo (witziger Name, in dieser Sprachinsel wird zimbrisch gesprochen). Für die Gnocchi-Spezialitäten, die hier oben angeboten werden ist es leider eine halbe Stunde zu früh, aber einen leckeren Tost mit Asiago-Käse gönne ich mir. Dann bald mal Supermarkt-Stopp, ich muss mich noch eindecken, denn am nächsten Tag ist Sonntag. Das Kefir, das ich interessanterweise nur bei langen Radfahrten trinke, erfrischt mich sofort. Mein Körper braucht das irgendwie. Und auf seinen Körper soll frau hören, naja, zumindest in dieser Beziehung. Hätte ich gestern schon auf meine Körper gehört, wäre ich jetzt wohl nicht hier … der hatte mir ja schon nach 100 Km und 3000 hm zu verstehen gegeben „Gabi, du spinnst!“
Toll, jetzt geht es fast flach flott über die Hochfläche, unter anderem durch Asiago. Den Verkehr hier finde ich allerdings weniger angenehm. Am anderen Ende der 7 Comuni dann Abfahrt und die Valsugana und auf der anderen Seite bei Primolano gleich wieder hoch, vorbei an den Festungswerken aus dem Ersten Weltkrieg.
Eine weitere Krise ereilt mich: Ich nähere mich Caupo, Startpunkt der Auffahrt auf den Monte Grappa. Hier war ich schon mal. Aber ich bin damals natürlich am frühen Morgen hinauf gefahren. Jetzt hingegen ist es kurz nach 18:00 und es dämmert schon langsam. Ich erinnere mich, dass wir damals in Seren del Grappa in einer kleinen Pizzeria gegessen und dort auch ein Zimmerchen mieten konnten. Ich könnte ja das Schicksal herausfordern und da mal kurz anrufen? Falls sie ein Zimmer frei hätten … dann könnte ich morgen gemütlich frühstücken und anschließend über den schönen Radweg nach Bassano del Grappa rollen, anstatt jetzt bei Dunkelheit über den Berg … Soll ich?
Eigentlich hatte ich ja vor den Monte Grappa zu überqueren und dann irgendwo ein Zimmer nehmen. Das würde sich wohl nicht mehr ausgehen, denn bis ich auf der anderen Seite wieder am Fuß des Berges sein würde, ist Mitternacht hundertprozentig schon vorbei. Au weh! Kann ich mir ein paar Schlafstunden überhaupt leisten? Und wie gesund ist das denn? Nach 400 Kilometern und über 12.000 hm dem Körper keinen Schlaf zu gönnen? Und was wird mit der Abfahrt vom Monte Grappa? Über 20 Kilometer … werde ich mit der Müdigkeit kämpfen müssen?
Ich überlege lang hin und her und inzwischen bin ich schon richtig abgebogen. Hier beginnt der längste Anstieg zum Rifugio Bassano mit fast 29 Kilometern verteilt auf 1600 Höhenmeter. Ich kann ja mal ein Stück hoch und dann wieder runter rollen … Während ich rechne und rechne … für einen Kilometer brauche ich mehr als 8 Minuten, wie lange bin ich dann bis zum Gipfel unterwegs? Oje, viel zu lange! Während mein Gehirn “joggt“ – also mit Gehirnjogging beschäftigt ist, Rechnen geht nach so vielen Strapazen nicht mehr leicht von der Hand, also während ich rechne und rechne, habe ich die ersten 8 Kilometer schon hinter mir.
Ich mache eine kurze Ess-Pause und dann ist es gar nicht mehr so böse. Kurze schlimme Steigungen wechseln mit flachen Passagen.
Da! In der Dunkelheit hält plötzlich ein Wagen vor mir. Das Fenster wird hinunter gekurbelt. Ob ich was gehört oder gesehen hätte. Der Fahrer hatte am Nachmittag seine zweijährige „femmina“, ein Mädchen, verloren und hier gebe es Wölfe … Das ist ja schrecklich, wie kann ein Kind verloren gehen? Ich drücke noch mein Entsetzen aus. Beim Weiterfahren dämmert es mir, die „femmina“, war eine junge Hundedame. Aber trotzdem, die Arme! Und Wölfe? Hier? Ich lege einen Zahn zu.
Irgendwann bin ich dann an der Abzweigung zum Gipfel. Die knapp drei Kilometer ziehen sich noch wie Kaugummi, aber dann bin ich oben! Und es ist erst halb zehn Uhr, früher, als ich mir erhofft hatte. Hier bläst ein strammer Wind und reißt mir fast das Rad aus der Hand. Trocken umgezogen, fahre ich sofort wieder abwärts. Hatte ich anfangs Angst, dass mich bei der nächtlichen Abfahrt Sekundenschlafattacken heimsuchen würden, so bin ich noch relativ frisch, als ich in Bassano ankomme.
Die „Herbergsuche“ erweist sich als wenig erfolgreich zunächst, ein Park ist zu hell und Blicken ausgesetzt, ein Hotelgarten würde wohl abgesperrt werden und sonst gab es außer Straßen und Bürgersteigen nichts. Kurz vor dem nächsten Anstieg dann der perfekte Schlafort. Eine Kirche mit versteckter Parkanlage. Ich richte mein Lager her und will mich gerade in meinen Schlafsack zwängen, da höre ich Schritte. Zwei Männer biegen um die Ecke und streben einem Eingang in meiner nächsten Nähe zu. Oje, was mache ich jetzt, unsichtbar bin ich ja nicht und Reflektoren an meinem Rad spiegeln das plötzlich angehende Licht. Ich frage zaghaft, ob ich hier schlafen dürfe. Einer der beiden Männer, ich vermute es sind Pfarrer und Messner, bejaht bereitwillig und sperrt mir sogar einen Veranstaltungsraum auf, in dem ich das WC und Waschbecken benutzen darf. So nett!
Ich möchte mir nun 3 Stunden Schlaf gönnen, mehr ist nicht drin, denn ich habe noch einiges vor mir und um Punkt 17:00 muss ich in Verona sein, um in die Randonneur-Wertung zu kommen. Für die Tourist-Wertung hätte ich insgesamt 8 Tage Zeit, am Montag muss ich jedoch arbeiten. Ich schlafe gut, viel zu früh klingelt mein Wecker und gegen 3 Uhr habe ich meine Sachen zusammengepackt und radle weiter.
Nun steht noch ein erster ernstzunehmender Berg vor mir mit etwas mehr als 1000 Höhenmetern, dann noch 6, ich nannte sie zu der Zeit noch „Hügel“. Heute sollten es nicht mehr wie 4500 Höhenmeter mit knapp 150 Kilometern werden. Erst jetzt erkenne ich, dass ich nun wieder auf die 7 Comuni – Hochfläche muss. Die Straße schraubt sich im Dunkeln nach oben. Ab und zu kommt mal ein Auto entgegen. Was machen die denn so früh. Ich hoffe, dass die mich sehen, ganz verschlafen, wie sie wahrscheinlich sind.
Irgendwann fühle ich, dass ich unbedingt was essen muss und mache eine kleine Pause. Kurz darauf komme ich durch ein Dorf und kann es kaum glauben, jetzt um halb fünf Uhr stehe ich vor einer hell erleuchteten Bar, aus der Musik und lautes Gröhlen ertönt. Nanu? Haben die schon offen? Ich brauche unbedingt einen Latte Macchiato mit zweimal Zucker!! Nein, die haben nicht „schon“ offen, sondern „noch“! Meinen Kaffee bekomme ich und lasse mich in ein Gespräch verwickeln, ungläubiges Staunen, wo ich herkomme so früh. Ein Luciano erzählt mir, dass seit gestern abwechselnd jeder mal eine Runde spendiert, lustig sind sie ja alle. Luciano kann mein Unternehmen kaum glauben, er meint sogar, mir ein Zimmer anbieten zu müssen, da ich wohl dringend Schlaf brauche. Nein, danke, ich muss nämlich vielmehr dringend weiter. Leicht ist es nicht, sich zu verabschieden.
Dann aber radle ich wieder durch die kühle Nachtluft Richtung höchsten Punkt. Einsamer Wald. Da! Ein Auto hinter mir, bremst, fährt an, bremst und hält schließlich neben mir. Fenster aufgekurbelt meint Luciano, das mit dem Zimmer gilt noch. Er wolle mir helfen. Ich sage ausdrücklich „nein danke!“ und das Auto fährt weiter. Kurz darauf kommt mir ein Wagen entgegen, kurze Zeit später wieder ein Auto hinter mir, bremst, fährt an, bremst, … dann überholt es mich und ist weg. Ich atme erleichtert auf, dachte ich doch, dass das wieder derselbe Hilfebietende sei. Und hatte ich gedacht, die Autofahrer hier sind Frühaufsteher, so wurde ich eines Besseren belehrt: Da sind Leute unterwegs, die dürften mit ihrem Alkoholpegel eigentlich gar nicht mehr Auto fahren …
Zum Glück muss ich nun abbiegen bei der Bocchetta Galgi mache ich mich schnell bereit für eine rasante Abfahrt. Unterwegs wird es hell und zu früher Stunde finde ich eine geöffnete Bar voller Jäger. Hier decke ich mich ordentlich mit Brioches ein. Gestärkt geht es weiter.
Der erste Hügel ruft. Hätte ich über das, was nun vor mir liegt nicht so abschätzig gedacht, die paar Hügel … Mir wird bei den ersten Anstiegsmetern klar, das sind keine Hügel, sondern „Giftzwerge“! Unbarmherzige Steigungsprozente machen die 300 bis 400 Höhenmeter langen Aufstiege zur Qual. Zudem brennt die Sonne bald erbarmungslos hernieder. Jeden möglichen steilen Berg hat Musseu da noch hinten dran gehängt. Ich komme vom Rechnen nicht weg … Schaffe ich es bis 5 Uhr?
Inzwischen hat meine Garmin Edge für sich entschieden, dass nun genug sei … Der Bildschirm zeigt nicht mehr in Fahrtrichtung, sondern ist genordet. Was das bedeutet, wünsche ich niemandem. Ist mein armes Radlerhirn nicht schon gepeinigt genug, so stehe ich nun vor einer schier nicht mehr zu leistenden Aufgabe: Fahre ich nach Norden, dann ist alles gut, mein Pfeil zeigt in die richtige Richtung. Fahre ich gegen Süden, dann kommt mir mein Streckenpfeil auf dem Bildschirm entgegen. Auch noch leistbar. Verzwickt wird es aber, wenn ich an eine Abzweigung komme. Ist meine Fahrtrichtung Süden so bedeutet das, dass nach Rechts fahren muss, wenn der Pfeil auf dem Gerät nach Links zeigt. Oh je, oh je. Was kostet mich das Zeit. Ganz besonders schlimm ist es, wenn ich nach Südwesten abbiegen muss oder nach Südosten … Ich glaube ich habe meine Leser nun genug verwirrt … Die Garmin ist zwar immer meine treuer Begleiterin, aber so einen Brocken am Stück darf ich wohl nur mir zumuten, nicht aber meinem Gerät.
Irgendwann dann trotz allem der vorletzte Anstieg. Den kenne ich, allerdings nicht von dieser steilen Seite. Dann fehlt nur noch Castel San Pietro, der wunderbare Aussichtspunkt hoch über Verona. Beweisfoto und nun rolle ich nur noch abwärts. In meiner Freude verpasse ich natürlich das Ziel. Ich hatte die fixe Idee, Endpunkt sei Negrar, wo ich gestartet bin. Bis ich draufkomme, habe ich mich schon völlig verloren in den Gassen von Verona. Das Garmin-Problem ist mir nun auf keine Hilfe, ich habe keine Ahnung, wo ich bin, Google muss helfen.
So verplempere ich eine ganze Stunde, bis ich zur letzten Kontrollstelle finde. Egal, ich bin immer noch eine Stunde und 15 Minuten vor meinem „Zielschluss“ da … Endlich.
Das Abenteuer endet mit einem Riesen-Eis mit 4 Kugeln … Die habe ich mir wirklich verdient!!!
Rückblickend bin ich megastolz auf mich, 600 Kilometer mit 15.000 (!!!) Höhenmetern … da habe ich mich wohl total naiv in dieses Abenteuer gestürzt und kann es heute immer noch nicht glauben, dass ich es geschafft habe, auch zeitlich – und dass ich nun doch noch nicht zum „Seniorenturnen“ muss …
Fazit: Ich kann die Superrandonnée dei 100 Bersaglieri nur jedem empfehlen, der ein bisschen (viel) leidensfähig ist …
Danke, Musseu! Als ich davon das erste Mal gehört hatte, da dachte ich bei mir: So was Verrücktes, auf jeden Fall nichts für mich … Keine Ahnung, welcher Teufel mich dann geritten hat …
Respekt liebe Gabi,
Toller und einfühlsamer Bericht.
Dieses SR kommt auf meine bucket list.
Ich habe zwar einen Höllenrespekt vor diesen Höhenmetern und dem 60h Zeitlimit, allerdings ist das auch reizvoll.
Weist du zufällig ob sie relaxed sind mit dem tatsächlichen Startdatum?
Wenn z.B. wegen des Wetters sich das Startdatum kurzfristig ändert, lkangt dann eine kurze Notiz?
Liebe Grüße, Gerhard
Hallo Gerhard, ja da kannst du sicher ziemlich flexibel sein … wie ich Giorgio kenne … habe mich erst einen Tag vor Start angemeldet, hatte dann halt das Plastik-Schild für Rad nicht .. Die 60h sind für mich relativ knapp, aber mit Verzicht auf viel Schlaf und viele Pausen geht es …
Hast du die Ötztal-Rundfahrt mal gemacht oder toll auch die Lombardia Extreme
Kennen wir uns eigentlich von irgendeinem Event?
LG
Kompliment Gabi! Kenne die Gegend gut, aber nur am Tag und nur Tagestouren. Das alles an einem Stück ist schon gewaltig!
Danke, Konrad, dachte mir vorher, dass ich das nie und nimmer schaffen kann … GlG
Liebe Gabi, krass mal wieder. 15.000 Höhenmeter auf 600 Kilometer, was für eine Zahl. Danke fürs Teilhaben lassen und Bekanntmachen mit dieser Superrandonnée! Und auch noch herzlichen Glückwunsch, wann auch immer der Geburtstag nun war oder ist 😉
Vielen Dank, Eva, die SP ist wirklich ein guter Tipp … Sehr schöne Gegend … Danke für die Glückwünsche, bin am Geburtstag gestartet …
GLG