Zuerst das Video …
6:30 in Isarnähe in München bei Latte Macchiato, Brezel, Vollkorn-Schnitten, Marmelade, Kuchen, Käse, Wurst, Hummus und das in interessanter Umgebung, im 3MILLS Cycling & Coffee, im „Radladen“ mit Verkauf, Service und Verleih für Renn-, Gravel- und Crossräder und eben auch Café. Ein toller Ort, die Startunterlagen für die Chiemsee-Rundfahrt zu holen und Randonneure zu treffen. Ein Hallo mit Jörg und Igor von der ARA MUC, die das Brevet organisieren. Ein großes Hallo mit Sara, die ich von der Schottergaudi kenne und die ich im vergangenen Jahr mit meinem Northcape4000-Fieber anstecken konnte und die deshalb auch unter den wenigen Frauen war, die die 4700 Kilometer vom Gardasee zum Nordkap radelten. Ich treffe Horst, der aber bei der Pfaffenwinkel-Runde mitfährt, die auch heute startet, da war ich aber schon mal dabei vor Covid und auch bei der 600 Kilometer langen Voralpen-Rundfahrt, beides sehr schöne Veranstaltungen. Fast vergesse ich beim Frühstück, Schlemmen und Quatschen ist angesagt, vergessen, dass 300 Kilometer vor mir liegen.
In einer großen Runde soll es von hier bis zum Chiemsee und zurück gehen.
Start und Ziel ist der Röcklplatz, von hier ist das Isarufer und über diesen ist der Stadtrand von München bald erreicht. Die Randonnée führt über Radwege und Nebensträßchen verkehrsarm durch ländliche Gegend. Nette Dörfer werden durchfahren oder tangiert und sonst viele Wälder, Felder und Wiesen.
Irgendwie bin ich dann auch in Gedanken noch nicht ganz da – beim Radfahren, als ich um 8 Uhr zwei Ecken weiter beim Röcklplatz starten soll. Ich hantiere noch mit der digitalen Brevetkarte, um meine Position zu bestätigen und ein Foto hochzuladen, das sind sie schon weg … fast alle.
Die Ausgabe 2022 ist geprägt durch viel Regen. Das nagt an der Moral. Meine Gedanken nach etwa 50 Kilometern, die mir gefühlsmäßig schleppend langsam vergehen, sind genau so düster wie die dunklen Regenwolken über mir, die mal mehr mal weniger Wasser über mich ausschütten. Inzwischen bin ich bis auf die Haut nass. Werde ich durchhalten? Anfangs ist es noch kurzweilig, ein Schwätzchen mit Andreas K., dann holen wir eine Radgruppe vor uns ein. Das Wasser spritzt mir ins Gesicht. Wir plaudern grad über die Banane als praktisch verpackten Snack auf einer Radfahrt, eine Radlerin hat nämlich drei Stück hinten irgendwo festgemacht, da kommt Bewegung in den Radfahrer vor mir. Dieser macht ein scharfes Ausweichmanöver. Zu spät für mich. Ich fahre voll drüber über das Hindernis, es holpert, mein Bike wirft mich zum Glück nicht ab. Was war das? Ein Blick zurück. Hahahhaaaa, oje, das war der Snack, über den wir grad noch diskutiert hatten. Nun halt wahrscheinlich nur noch Bananenbrei … ist vielleicht eh leichter verdaulich …
Regen, Regen, es liegen noch 250 Kilometer vor uns. Wieder eine größere Gruppe, auch Ulrich, mein Gastgeber in München, ist dabei. Ich überhole, denn hinten am Rad von irgendwem kleben ist eine nasse Angelegenheit durch das Spritzwasser. Nur weniger sind mit Kotflügeln ausgerüstet. Dann zig Kilometer allein. Irgendwie scheinen keine Teilnehmer mehr um mich rum. Sind die vielleicht alle vernünftiger gewesen und ausgestiegen? Von Zweifel geplagt ziehe ich weiter. Irgendwann sind die 100 Kilometer voll. Vor mir eine Umleitung, auch das noch. Ein Unfall. Hoffentlich ist kein Radfahrer verwickelt. Auf Umwegen finde ich zusammen mit Wolfgang, der gerade aufgeschlossen ist, wieder auf die Strecke. Dort bin ich aber sofort wieder allein. Bin ich so langsam? Naja, Wolfgang hat nicht so viel Ballast. Sehr minimalistisch und das bei diesem Wetter: Rad, Hose, Trikot, Jacke, 3 Flaschen und das war’s schon. Ich werde ihn noch öfters treffen heute. Er ist zwar viel schneller als ich, aber er verfährt sich öfters. 😊
Etwas Abwechslung von Wiesen und Feldern und Wäldern bietet das Städtchen Wasserburg, dessen Altstadtkern sehr malerisch in einer Inn-Schlinge liegt. Meine Garmin glaub ich ist auch irritiert von dem Hin und Her durch die Stadt und so verfahre ich mich gleich dreimal, bis ich eine Ansammlung von Rennrädern vor einer Bäckerei entdecke. Die sind sicher auf demselben Weg wie ich, wer schwingt sich denn an so einem Tag sonst aufs Rennrad? Wasser auffüllen, aufs Klo, ein kleiner Plausch, ein leckeres süßes Teilchen erstanden und schon geht es weiter. Noch ein Erinnerungsfoto von der Innbrücke mit der Wasserburger Skyline schießen, dann einhändig fahren und Gebäck essen, versuchen Gleichgewicht zu behalten, denn es geht nun langsamer, denn bergauf.
Irgendwann bin ich am Chiemsee, hier ist Halb-Weg. Hilfe, erst die Hälfte … das bedeutet nochmal mindestens 6 Stunden. Und wenn ich Pech habe – im Regen. Die Kontrollstelle Strandbad – trostlos – im Regen und geschlossen. Die paar Minuten, die ich stillstehe mit dem Händeln der Online App zum Erfassen meiner Position, reichen schon, dass ich anfange zu zittern durchnässt, wie ich bin.
Der Gedanken noch viele Stunden so durchnässt und durchfroren auf dem Rad zu sitzen lässt wieder Zweifel aufkommen. Was wäre, wenn ich mit einer Panne länger stillstehen müsste? Wenn mir jetzt schon so kalt ist? Wo ist denn bitte der nächste Bahnhof? Ich könnte doch … Nix da, Gabi! Weiterfahren! Gedacht, getan und siehe da, nach einigen Kilometern wird es mir wieder einigermaßen warm. Besonders in den ganz schön giftigen Steigungen, die jetzt in unregelmäßigen Abständen immer wieder im Weg liegen. Auch die Hände in den klatschnassen Handschuhen sind keine Eiszapfen mehr. Auch bei der nächsten Kontrollstelle, an einer Tankstelle, ist wieder ein willkommene Grund eine kleine Pause einzulegen: Brezel und Latte Macchiato (mit 2x Zucker logo).
An Rosenheim geht es nun vorbei. Der Blick auf die Berghänge ist eingeschränkt durch Nebel.
Ich freue mich auf die Kontrollstelle in Holzkirchen, bei McDonald’s. Ist zwar nicht grad mein Lieblingslokal, aber ich beschließe mich drinnen etwas aufzuwärmen. Auf dem Parkplatz eingebogen eine La-Ola-Welle durchgeführt von – zwei – Leuten. Hä? Wer kennt mich denn da? Überrascht schaue ich zurück. Aha, die gilt gar nicht mir, hinter mir biegt Wolfgang in den Parkplatz ein. War er sich wohl schon wieder verfahren. Ich wärme mich bei einer riesigen Tasse heißer Schokolade und einem zuckersüßen Donut auf, dann fahre ich langsam in die Dämmerung hinein.
Bis München ist es nun nicht mehr weit, es geht durch ausgedehnte stockfinstere Forste. Wäre es zu noch späterer Stunde, vielleicht wäre es eine sekundenschlafverdächtige Fahrt, da das Sträßchen schnurgerade ohne viel Ablenkung durch den Wald geht. Oder … sind das nicht gerade diese Gegenden, die die Gänsehaut auslöste bei der Sendung XY, deren ich in meiner Jugendzeit keine versäumt hatte? Oder … gibt es in diesen Wäldern vielleicht Wölfe? Was, wenn … Schluss mit den Gedanken, da vorn lichtet es sich irgendwie und schon bin ich raus aus dem Gruselwald. Noch zweimal verfahren und dann ist auch schon die Strecke auf meiner Garmin beendet. Hmmhmmm … wo ist denn jetzt das 3Mills? Ich blicke mit ratlos um und will schon Dr. Google auf dem Smartphone befragen, der doch alles weiß … Da erblicke ich hinter Hecken ein beleuchtetes Schaufenster. Endlich da!!! Das war heute wohl Überlebenstraining für die GBDuro (Gravel-England-Schottland-Längsdurchquerung) im August.
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