Frau + Karbon = Randonneur(in) - aber nicht nur ...

VGG-Verona-Garda-Gravel

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VGG500 – das steht für Verona Garda Gravel 500, einer 540 Kilometer-Runde durch den oberitalienischen Raum unter der Federführung von Giorgio Murari, alias Musseu, Sport Verona. Wer mal ein Event bei ihm mitgemacht hat, der weiß, es ist etwas Besonderes. Dachte ich diesmal, die NUR 540 km würden wohl ereignislos verlaufen, so wurde ich eines Besseren belehrt …

Zuerst mein Video:

Donnerstag/Freitag, Nacht 1:

Traumhafter Sonnenuntergang Mitte März, nicht weit vom Gardasee. Ein kleiner Plausch mit einigen ciclisti, die ich schon von anderen Events kenne. So früh im Jahr sind schon ziemlich einige aus ihrem Radl-Winterschlaf erwacht … 540 Kilometer für den Anfang ist nicht wenig. Am Stück ist mir das zu viel, ich schleppe deshalb etwas mehr mit mir herum: meine vier Wände, sprich Leichtzelt, Matte, warmen Schlafsack. Schon zu wissen, dass ich eine Schlafpause machen kann, wann ich will und wo ich will – auch schon in der ersten Nacht- lässt mich gelassen starten. Naja, gelassen, beim Briefing betont Giorgio „Musseu“ Murari, dass es ideal wäre, mit leichtem Gepäck zu fahren. Zu spät.

Aber in meinem Kopf beginnt es zu rumoren, was wird da wohl auf uns zukommen? Die Handschrift Musseus bei der Streckenplanung lässt wohl nichts Gutes ahnen. Habe ich zu viel Ballast mit? Ich wüsste nicht, was ich weglassen könnte – aber ob 20 kg oder 25 – was soll’s? Mir kommen auch Zweifel, ob ich mit meinem MTB nicht besser dran wäre … Zudem warnte Musseu, dass aufgrund der vielen Regenfälle in den vergangenen Wochen wohl etwas Matsch auf den Wegen liegen würde – eine leichte Untertreibung. Zu 50 geht es los auf die große Runde durch den oberitalienischen Raum. an das Ufer des Gardasees, den Mincio entlang, dann weiter nach Verona, durch die Colli Euganei nach Abano Terme, weiter nach Vicenza, durch die Colli Berici und Richtung Westen, zurück über unzählige „Berge“. Anfangs flach, dann mit ordentlich Höhenmetern garniert (7600m sollten es am Ende sein).

Beim Losfahren vermute ich, die Fahrt würde vielleicht etwas ereignislos werden, egal, dann würde die Geschichte benutzerfreundlich kurz … Aber …

Schon auf den ersten Kilometern zum Ufer des Gardasees macht mein Vorderlicht schlapp. Durch das Gerüttel auf dem Gravel-Untergrund kippt die Lampe plötzlich nach unten und ich sehe auf einmal nur noch Schwarz vor mir. Vollbremsung. Rad an eine Mauer lehnen, Werkzeug rauskramen und die Lampe fest anschrauben. War ich wohl zu schlampig beim Montieren gewesen zuhause. Fazit- alle anderen sind nun weg, nicht ein einziges Rücklicht sehe ich mehr. Auf schottrigem und schlammigen Untergrund gravele ich entlang des Canale Virgilio. Die kleine Fußgängerbrücke übersehe ich. Verhauer. Zurück.

Schlagloch. Hart drückt es meinen Allerwertesten in den Sattel. Ein Gedanke schießt mir plötzlich in mein Hirn, das jetzt im Dunkeln keinerlei Ablenkung hat: Ich habe meine neue Colombier-Radhose von Skinfit an, mit einem ganz ganz dünnen Gelpolster. Na und? Ja, aber ich habe als Wechselhose nur die andere neue Hose ohne Radeinsatz mit, auch ungetragen. Wie unvernünftig! Was, wenn …? Selber schuld, wenn ich mich ab Kilometer 100 oder so mit Sitzproblemen rumquälen muss. (Blick in die Zukunft: Es gibt keinerlei Probleme!!! Aber hier würde die Überschrift passen: Unvernunft löst sich in Wohlgefallen auf …)

Einer Radler-Gruppe (ach, sind da doch noch welche hinter mir?) rufe ich noch „sbagliato strada“ zu, aber die ignorieren mich. Mit etwas Schadenfreude (ich hatte es ihnen ja gesagt!) sehe ich wie sie den Canale an der anderen Seite folgen, dann verloren sich ihre Lichter im Wald, sie fahren bergauf … Immer wieder Pfützen und Schlamm, in den sich mein Vorderrad bohrt. Ich sollte wohl etwas langsamer fahren, um einem Sturz vorzubeugen.

In der Ferne über mir erscheint das beleuchtete Castello Scaligero, wunderschön. Hier in Valeggio muss ich weg vom Mincio. Durch Olivenhaine und Weingärten pedaliere ich nun Richtung Osten. Ab und zu überhole ich einen nächtlichen Radfahrer.

Ich fahre durch Villafranca mit seinen schön beleuchteten Stadtmauern und dem Schloss. Im Schlosspark finde ich zum Glück eine Wasserstelle, ich habe nur eine Flasche und es ist fraglich, wann ich wieder Wasser finden würde.

Dann das nächtliche Verona. Mein Track geht geradeaus. Straßensperre. Eine Menge an Polizisten und Militär steht herum. Nanu? War ich zu schnell und bin in die Tempofalle getappt? Ich scherze. Sperre, weil um die Ecke die Arena di Verona sei. Da wird wohl gerade ein Event zu Ende sein.

Ich suche mir eine Ausweichstrecke. Ein erster ernsterer Berg liegt vor mir. Sehr steil folge ich nun in Einsamkeit den Mauern des Castello San Felice, mit etwas schlechtem Gewissen, ich habe mich nämlich an einem Sperrschild vorbeigezwängt. Zwischen zwei Festungsmauern geht es durch, komplette Finsternis. Als es wieder abwärts geht und auf meinem Track aber kein Gefälle angezeigt wird, rauschen ein paar Radfaher an mir vorbei. Ich folge ein Stück. Das kann doch nicht stimmen. Ich schiebe mein Bike steil zurück. Da! Unscheinbar eine bogenförmige Öffnung in der Mauer, versperrt mit einem großen Stein. Da soll es durchgehen? Ich muss mein voll bepacktes Rad über das Hindernis hieven. Erinnerung an die GBDuro kommen auf. Uff! Dann ein schmaler Weg der Mauer entlang durch den Wald. Ob das wohl stimmt. Doch!

Bald sause ich runter in Richtung Montorio. Sause ist zu viel gesagt, denn ein unregelmäßiges Kopfsteinpflaster wirkt sich doch ziemlich auf meine Geschwindigkeit aus. Den Kanal, dem ich ab Montorio folge, kenne ich schon. Tagsüber sehr idyllisch zwischen den beiden Wasserläufen zu radeln. Nun etwas unheimlich, links und rechts die tiefschwarzen glänzenden Bänder, Nebelschwaden, ein Käuzchen oder etwas Größeres ruft und sind das Frösche, die da quaken? Frieren die nicht? Mir kriecht die feuchte Nebelluft überall hinein. Schnell weiter, damit mir wieder warm wird.

Zum Glück nun zwei kleine Berge, dann Ebene bis zu den Colli Euganei.
Soave bietet Abwechslung. Auf dem beleuchteten Platz vor den Stadtmauern eine Überraschung, die nach einer Fotosession ruft. Eine riesige pinkfarbene Schnecke mit Kind. Und ich die „lumacagabi“. Lumaca bedeutet Schnecke auf Italienisch, ich nämlich langsam, aber ausdauernd. Filippo und Luca (?), denen ich in den nächsten Stunden und am nächsten Tag mehrere Male über den Weg fahren würde, bringen geduldig meine Bilder in den Kasten. Dann weiter, eine kleine Gruppe startet. Ich hänge mich nicht dran, das Fahren in der Gruppe ist nicht so meins. Ich möchte ungebunden sein und möchte nicht, dass sich Leute für mein Fortkommen verantwortlich fühlen müssen und in den Anstiegen auf mich warten.

Die Wege werden immer matschiger. Zum Glück sehe ich mein Rad im Dunkeln nicht so gut … es ist vermutlich schlammverspritzt. Egal. In Gedanken an die nächste Radreinigung und vermutlich habe auch ich einiges abbekommen fahre ich durch eine Unterführung – und stecke fest, im Schlamm. Hier hat sich das Wasser gesammelt. Fuß von den Pedalen runter und auch der steckt fast knöcheltief fest. Mit einem saugenden Geräusch ziehe ich meinen Radschuh aus dem Matsch. Das wäre es dann gewesen mit sauberen Schuhen. Der Weg verliert sich nun in einer Wiese. Die Ruine eines verfallenen Hauses trägt zur gruseligen Stimmung bei. Mir fallen auf einmal Szenen aus dem Hörbuch-Thriller ein. Mein Navi spielt verrückt. Ich kann nicht ausmachen, wo ich mich im Vergleich zur korrekten Spur nun befinde. Ich fahre zurück. Da! In der Ferne kann ich zwei Rücklichter erkennen, die in die andere Richtung radeln, ich hinterher. Meno male! Zum Glück! Ich bin wieder auf der richtigen Spur.

Es ist nun schon weit nach Mitternacht, genau halb drei Uhr. Schon seit einiger Zeit gähne ich an einer Tour, im nächsten Schritt werde ich irgendwelche Dinge sehen, die gar nicht da sind und dann … Sekundenschlaf! Ich kämpfe innerlich mit mir, soll ich? Soll ich nicht? Wenn, dann … Will heißen, soll ich mein Zeltchen aufstellen? Dann werde ich wohl völlig abgeschlagen sein und dem Feld am nächsten Tag hinterherfahren … Aber was soll’s … ich fahre an einer kleinen Kapelle vorbei, umgeben von einem kleinen Rasenstück. Das ist es! Mein Campingplatz! Rad an das Kirchlein gelehnt und die Zeltunterlage rausgezogen. Leider ist unter dem spärlichen Gras der Boden nahezu flüssig. Matsch auch hier! Aber mein Hirn möchte nun nicht mehr zurück. Dann muss ich später wohl verdreckte Utensilien zusammenpacken. Ich verkrieche mich in meinem Schlafsack, auf Zahn- und Körperpflege verzichte ich. So bin ich halt gleichmäßig schmutzig. Igitt! Unruhig ist mein Schlaf. Immer wieder höre ich das Surren vorbeifahrender Fahrräder.

Obwohl ich den Schlafsack am Hals gut zusammenziehe, fröstelt es mich immer wieder. Zweieinhalb Stunden liege ich so, dann beschließe ich aufzustehen. Ob ich viel geschlafen habe, ist fraglich. Das Zelt ist innen und außen klatsch nass. Die Luftfeuchtigkeit ist fühlbar sehr hoch hier in der Ebene. Und gleichzeitig ist es kaum wärmer als 2-3°C. Ich packe meine nassen und klammen Schlafutensilien in meine Taschen und radle los, Vögel fangen an zu zwitschern, es dämmert. Natürlich fahre in die falsche Richtung. Man gönnt sich ja sonst nichts. Den Irrtum gemerkt und umgekehrt trete ich nun ordentlich in die Pedale, damit mir warm wird.  Auf der SeteTrack App sehe ich, dass hinter mir wohl kaum mehr jemand ist. Am Abend jedoch werden die meisten anderen wohl eine längere Schlafpause bei Vicenza einlegen, da werde ich Plätze gut machen, vermutlich.  

Freitag, Tag 1:

Ich erreiche bei den ersten Sonnenstrahlen, die sich durch die dichte Nebeldecke fressen, Montagnana mit seinen mittelalterlichen Stadtmauern, der gotischen Kathedrale und den wunderschönen Palazzi. Frühstück-Stopp mit Brioche und Lattemacchiato. Ich verschwinde zuerst mal im Bagno – mindestens eine halbe Stunde Körper- und Kleiderpflege und ein komplett versautes und überflutetes Bad. Halbwegs sauber erscheine ich, nachdem ich auch noch Boden und Waschbecken das Bades notdürftig gesäubert habe, im Gastraum.

Glücklicherweise ist der Kaffee noch nicht zubereitet worden, er wäre jetzt wohl Eiskaffee … Ich drehe ein paar Runden durch das Städtchen, da ich mich verfahre, dann wieder freie Fahrt entlang des Flüsschens Frassine. Freie Fahrt?
Musseu hatte schon angekündigt, es gäbe hier eine Baustelle und die müsste man großräumig umfahren. Da die Maschinen noch still stehen und ich einige Radspuren im Schotter ausmachen kann, setze auch ich mich über das Fahrverbot hinweg. Anfangs ist auch noch alles easy. Dann wird die Weiterfahrt kniffelig, Umdrehen keine Option, da ich einige Kilometer zurückmüsste. Schwere Maschinen hatten die Asphaltdecke hier auf dem Bachdamm aufgerissen. Ich eiere langsam über den unregelmäßigen Untergrund. Und da ist es schon passiert. Mein Vorderrad rutscht ab und bohrt sich in den tiefen feinen Schotter. Ich fliege über den Lenker. Aua! Nachdem ich meine Gliedmaßen sortiert habe, steige ich mit zitternden Knien wieder auf, bzw. schiebe mein Rad zunächst ein paar Meter. Alles ok bis auf eine Schnittwunde an der Hand, ein aufgeschürftes Knie und vermutlich einen großen blauen Fleck am Oberschenkel. Wie ich aussehe, zählt nicht: Mein rechter Beinling ist völlig verdreckt, die Radhose über meiner rechten Po-Backe ebenso. Oje! Nun passe ich wieder perfekt zu meinem völlig verdreckten Rad. Etwas Gutes hat das ganze jedoch – bei den vielen schlammigen Passagen, die nun vor mir liegen, brauche ich nicht langsam durchzurollen, um den Schade möglichst gering zu halten. Das hat eh keinen Zweck mehr. Also mit Vollgas durch!

Mir fällt ein, dass ich eigentlich meine Lampe, gespeist durch den Nabendynamo, nun langsam mal ausschalten könnte. Nanu? Was ist das? Wo ist der Schaltknopf meiner Edilux? Da wo der Drehbogen zum Ein- und Ausschalten war, ist nichts außer einer leeren Rille. Wie das? Kann das abgehen? Ich hole mein Werkzeug raus und will versuchen, das Ding manuell auszudrehen. Geht nicht. Beim kurzen Telefonat mit Hermann zuhause, erfahre ich erst mal einen Tadel: „Mit den Lampen da hast du es wohl …“, damit spielt er auf mein Erlebnis bei der GBDuro an, bei der die Lampe abgebrochen war bei meinem Sturz und ein Kurzschluss dann noch den Pufferakku außer Gefecht gesetzt hatte. Was sollte ich nun tun?

Zumindest erfahre ich nun, dass das Ding durch einen Magneten an- und ausgeschaltet werden könne. Und den hatte ich ja verloren. Bliebe die Lampe an, wäre das ja kein Problem. Allerdings könnte ich dann keine Geräte mehr laden. Ohne Licht käme ich auch nicht weit in den nächsten beiden Nächten, denn auch die Lupine Piko auf meinem Helm wäre irgendwann am Ende ihrer Leuchtkraft. Was nun? Ich fahre mal weiter, vielleicht gibt es eine Lösung bei der Kontrollstelle beim Bikeshop Aloha 1 in Abano Terme.

Es wird nun sehr warm, mein Wasservorrat geht wieder mal zu Neige. Ein Brunnen kommt zurecht. Hier versuche ich notdürftig mich und mein Rad zu säubern. Ob das viel Sinn macht, ist fraglich, vermutlich werden die Wege vor mir deshalb auch nicht besser und schlammfrei. Ich besuche hoch oben am Berg noch das Wohnhaus von Francesco Petrarca, einem der wichtigsten Vertreter der frühen italienischen Literatur. Dann wieder Abfahrt.

Durch den Kopf schwirrt mir immer wieder die Lampe. Vielleicht könnte ich irgendwo einen Magneten bekommen, den ich an der Lampe festkleben kann … Ja, das muss so gehen! Und wirklich, Ricardo vom Bikeshop Aloha, CP1, verschwindet in seinem Shop, um mit einem Stück Metall zurückzukehren und einem langen Stück Powertape. Wir probieren, wie sich das magnetische Metall auswirkt, wenn man es an verschiedene Stellen der Lampe hält. Und siehe da. Leicht links geht die Lampe an, weiter rechts geht sie aus. Ich stecke das Stück Metall ein und bekomme auch noch ein langes Stück Powertape. Die nächste Nacht kann kommen. Nachdem Ricardo auch noch meine Kette geölt hat (mille mille grazie, Ricardo!), starte ich wieder.

Ein Drittel der Fahrt liegt nun hinter mir. Alle Höhenmeter aber noch vor mir. Es ist nun fast Freitag Mittag und das Wetter herrlich. Nun geht es sofort in die ersten ernsteren Berge, bei Sossano geht es in die Colli Berici. Die Steigungen sind ungnädig. 26% – das kann ich nicht im Sattel bewältigen. Vor mir schiebt auch wer. Elena! Wir schieben und fahren einige Kilometer miteinander, bis ich die Gelegenheit nutze zu einem Stopp – heiße Schokolade und was Süßes. Bald aber sehe ich Elena wieder vor mir – schieben. So geht es über drei Berge. Und wieder Salami-Brotstopp, Elena startet, als ich ankomme. Auf den 30 Kilometern Ebene vor Vicenza bin ich -gelehnt auf meinen Triathlonlenker- ordentlich schnell. Elena verliere ich dabei. Sie wird, da sie die dritte Nacht durchfährt, etwas vor mir im Ziel sein.

Unterwegs mache ich noch einen großen Umweg entlang eines Kanales. Die Brückenbauer lassen mich leider nicht durch und schicken mich ins Gelände. Um auf die Straße zurück zu kommen, lässt mich ein Bauer gnädigerweise durch seinen Privatgrund. Die Hunde des Nachbarn sind nicht sehr erfreut.

Ich mache mir Gedanken, wo ich was zu Abend essen könnte. Finde ich ein Lokal bei Vicenza, wo ich mein Rad sicher abstellen kann und wo ich auch so schmutzig Einlass bekomme? Da! Ein Schild kündigt eine Pizzeria an: Ristorante e Pizzeria Giorgio & Chiara. Wo ist der Eingang? Ich irre im Innenhof herum und treffe auf jemanden, der mich von oben bis unten etwas argwöhnisch beäugt. Ja hier sei ein Lokal und in 10 Minuten öffneten sie. Ich warte vor dem Haus und entdecke einen Gartenschlauch. Notdürftig reinige ich meine Kleidung, wische die Schlammspritzer von meinem Gesicht. Ich frage, ob ich mein Rad etwas abspritzen darf. Darf ich! Und ich darf es nun auch auf der Terrasse etwas versteckt abstellen. Noch bin ich einziger Gast. Darüber bin ich froh. Ein Blick in den Spiegel zeigt mir nämlich, dass die Katzenwäsche draußen nicht so viel gebracht hat. Ich komme ins Gespräch mit den Chefleuten. Sie staunen über meine Fahrt. Die Welt ist zudem klein. Gemeinsam haben wir einige Radfreunde. Auch sportmäßig gibt es Anknüpfungspunkte: Triathlon, wir fachsimpeln, im August werde ich Giorgio beim Inferno Triathlon von der Ferne verfolgen und in Erinnerungen schwelgen … Ich werde mit einer der köstlichsten Pizzas ever verwöhnt und gönne mir auch noch eine Crema Catalana. Ungern verlasse ich den feinen Ort. Inzwischen hat sich die Dämmerung über den Vorort Vicenzas gelegt.

Die anderen Radfahrer haben nun wohl schon ihre Hotelzimmer bezogen. Die haben es gut … Beim Weiterfahren fällt mir auf, dass es in den Senken bitterkalt ist und sobald man etwas an Höhe gewinnt, wird es spürbar wärmer. Ich werde meinen Schlafplatz wohl dementsprechend auswählen. Aber noch ist es nicht soweit. Ich möchte noch am Lago di Fimon vorbei und über mindestens zwei Berge. Meine Lampe geht irgendwann von alleine an – Spuk? Fragt mich nicht wie … Ich bin sowas von erleichtert, ich habe Licht. Vorbei am Fimonsee, dann wird es sehr ernst, eine Steigung, die nicht nur steil, sondern steinig wie sie ist, mich aus dem Sattel zwingt. Das Hike a Bike, geht nicht nur hoch, sondern auch runter. Ich schimpfe innerlich wie ein Rohrspatz mit dem Streckenkonstukteuer Musseu. Mit meinem MTB wäre ich hier viel besser dran gewesen.  

Freitag/ Samstag, Nacht 2:

In der anschließenden Steigung finde ich auch meinen nächsten Traum-Schlafplatz: wieder am Vorplatz einer kleinen Kapelle. Als ich beim Zeltaufbau bin, kommt Alessandro vorbei, nach einem kleinen Schwätzchen schiebt er weiter. Etwas Wegabwärts höre ich ein Auto und sehe Scheinwerfer durch die Bäume irrlichtern. Dann wieder Stille. Das beunruhigt mich etwas. Mir ist mulmig zumute. Das hier ist ein Forstweg und eigentlich nicht für Autoverkehr geeignet. Wer ist da hochgefahren? Und warum nicht weiter? Was, wenn jemand kommt und mir das Rad klaut, während ich schlafe oder so …? Sobald ich in meinen Schlafsack sinke, schlafe ich sehr gut, ich wache erst kurz vor dem Wecker gegen 5 Uhr auf, mein Rad ist noch da und mir nichts passiert. Kurz vor 6 geht es weiter. Zelt abbauen und packen muss ich unbedingt noch üben und dabei schneller werden. Vielleicht in der kommenden Nacht?  

Samstag, Tag 2:

Meine Schaltung macht Probleme, ich kann nicht mehr auf die großen Gänge vorne schalten, aber wer braucht auf diesem Parcours denn große Gänge? Es geht in einer Tour hoch und runter. Angst habe ich nur, dass das Vorbote eines Schaltkabel-Risses sein könnte. Lieber nicht mehr versuchen vorne zu schalten … Bei Morgen-Dämmerung komme ich an einem Burgfelsen vorbei, der Rocca dei Vescovi, dann verfahre ich mich wieder mal, denn wer glaubt schon, dass das große Eisengitter Durchschlupf erlaubt. Gleich darauf wieder ein Verhauer. Ich fahre einen Bauernhof an, anstatt außen herum.

Wieder auf dem richtigen Weg mache ich eine erstaunliche Entdeckung: auf einer Wiese steht ein Sammelsurium an alten Flugobjekten aus dem letzten Weltkrieg. Schauriger Anblick, wie die Läufe der Artillerie-Geschütze in den düsteren Himmel drohen. Panzer und Motorflieger stehen hier herum. Seltsame Sammelleidenschaft.

In Altavilla, im nächsten Tal, locken Latte Macchiato und Gipfele mit Vanillecreme. Gestärkt fahre ich weiter in den Tag hinein. Mal sehen, was kommt. Nach der ausgiebigen Nachtruhe gehe ich ausgeruht in die Steigungen, die ihrem Namen alle Ehre machen. Viel-prozentig geht es hoch, oft hike a bike und oft so schlammig, dass auch geringere Steigungs-Prozente mich aus dem Sattel zwingen. Ich schimpfe -nicht immer leise- vor mich hin. Aber die schönen Abschnitte überwiegen.

Es gibt einen Extra-Aufstieg zu den Castelli di Romeo e Giulietta, hoch über Montecchio Maggiore.

Kurz vor Ende des zweiten Strecken-Abschnitts falle ich in einem Supermarkt ein. Ich hatte zuvor keinerlei Möglichkeit, meine Kleidung, Gesicht, geschweige denn das Rad zu reinigen. Ich schäme mich nicht, die Leute gucken trotzdem. Ich sammle rasch das Notwendigste zusammen und zahle. Vor dem Geschäft gibt es zwar keine Sitzgelegenheiten, aber eine Kinderschaukel tut gute Dienste. Ich bemerke, dass ich vergessen hatte, Wasser zu kaufen. Die Supermarkt-Chefin kommt heraus und ich frage, ob es rund um den Shop zufällig eine Wasserleitung oder so gäbe. Sie verneint und meint ich solle einen Moment warten. Kurz darauf kommt sie mit einer Mineralwasserflasche heraus und schenkt diese mir. Wahrscheinlich schaue ich so abgerissen aus … vermutlich regierte das Mitleid mit dieser armen schmutzigen Frau, die vermutlich schon wochenlang durch die Gegend fuhr … Oder wollte sie einfach nicht, dass ich das Geschäft nochmal betrete?

Immer wieder hike a bike, Steine, Schlamm, … Irgendwann platzt mir der Kragen, als ich innerlich wieder und wieder Musseu „verfluche“, scheibe ich in der WhatsApp Gruppe, dass ich das nächste Mal lieber mit dem Club Alpino wandern gehen würde, aber ohne Fahrrad an der Hand. Dann werde ich wieder besänftigt durch wunderschöne Abfahrten. Verschämt lösche ich meinen Eintrag wieder. Hoffentlich hat ihn niemand gelesen.

Einen ewig langen Buckel geht es hoch durch Olivenhaine und Weinreben. Auf einmal sichte ich Plakate mit den Namen der teilnehmenden Mädels, u.a. „Vai, Gabi!“ Ich muss grinsen, bei der Verona Garda Gravel extreme vor zwei Jahren hatte das Giancarlo auch gemacht, cool! Mittag bin ich in Campiano, hier hatte ich schon vor zwei Jahren mit Hermann bei der Verona Garda Gravel Extreme gegessen. Ich treffe hier auf Alessandro, Stefano und Roberto und lasse mich zu hausgemachten Nudeln mit Tomatensauce nieder. Sehr lecker.

Mit Alessandro fahre ich dann weiter, kurzweilig beim Quatschen gehen die nächsten Steigungen (es gibt noch 5 lange) von der Hand. Oder muss man sagen „vom Fuß“?   Ein Brunnen, ich verlasse den Track ein paar Meter. Das war wohl mein größter Fehler an diesem Tag, denn das Unheil folgt stante pede: Als ich nämlich losfahren will, spielt mein Garmin-Navi verrückt, wieder mal. Streik!

Die Karte wird nicht in Fahrtrichtung angezeigt, sondern erscheint genordet. Das bedeutet für mich Gehirnjogging pur: Fahre ich nach Norden, ist alles normal. Nach Süden ist es auch noch easy, da kommt mir der Richtungs-Pfeil einfach entgegen. Es ist auch leicht nachzuverfolgen, wenn die Strecke rechtwinklig nach links oder rechts abbiegt, da muss ich einfach in die Gegenrichtung abbiegen. Schwierig wird es allerdings, wenn es Richtung Süd-Westen, Nord-Osten oder noch schlimmer Nord-West-Nord oder so ähnlich geht. Völlig verwirrt biege ich immer wieder falsch ab. Jetzt am hellichten Nachmittag geht das ja noch halbwegs, aber was, wenn es dunkel wird und wenn  ich  die Konzentration nicht mehr aufbringe?  

Samstag/ Sonntag, Nacht 3:

Alessandro und ich gönnen uns eine Pizza-Pause im Örtchen Avesa. Anschließend starte ich, während Alessandro sich noch für die Nachtfahrt richtet. Natürlich kommt mein Gehirn bei der Ausfahrt aus Avesa nicht so rasch in die Gänge. An zig Abzweigungen fahre ich logisch in die verkehrte Richtung. Ich bin nicht weit von Verona und der Verkehr ist dementsprechend dicht. Samstagabend – Partytime. Bin ich froh, als es wieder ins Gelände geht.

Hier holt mich Alessandro ein und gemeinsam radeln wir weiter bis Domegliara, wo der CP2 in der Bar La Prua ist. Wir gönnen uns eine heiße Schokolade, dann geht es weiter. Bei dem nun folgenden Abschnitt auf einem schmalen Pfad direkt an der Etsch entlang, bin ich froh, dass ich hier nicht alleine bin. Da der Abend nun schon sehr fortgeschritten ist, beschließe ich bei nächster Gelegenheit mein Nachtlager aufzuschlagen. Es sind zwar NUR noch rund 65 Kilometer bis ins Ziel und Alessandro meint, das sind gut 3 Stunden auf dem Rad, ich hatte aber wohl einen guten Riecher, dass ich mir das nicht antue.

Ich sollte am nächsten Tag erfahren, dass Alessandro nur ein paar Stunden vor mir angekommen war, also nichts da mit 3 Stündchen. Ich selbst werde noch 6 Stunden inklusive Frühstück, Flussüberquerung und diverser Fotosessions brauchen. Kurz nach Cavaion scheint sich mir der ideale Zeltplatz zu bieten: Ein kleiner Olivenhain in  der Nähe der großen Windräder. Der Platz ist etwas höher gelegen und außerhalb der eisigen Kaltluftseen, die es auch heute gab.

Ich beginne mit dem Zeltaufbau. Auf einmal summt es in meinen Ohren: ein ohrenbetäubender hochfrequenter Ton. Was ist denn das? Ich vermute, dass der Bauer mit einem Gerät irgendwas abwehren möchte. Aber was? Unerwünschte Camping-Gäste? Wird in Kürze der Olivenbauer hier erscheinen und mich verjagen? Ich ziehe mein Zelt auf der Unterlage drei Oliven-Bäume weiter. Der Lärm verstummt (zuhause  google ich das Erlebte: es  ist ein Ultraschall-Tiervertreiber). Kaum ist mein Zelt aufgestellt und ich habe mich in meinem Schlafsack verkrümelt, da ist es mit windstill vorbei und das große Windrad in nächster Nachbarschaft beginnt sich zu drehen. Es wird laut. Das und das Wissen, dass ich hier wohl unerwünscht bin, lassen mich nur sehr leicht und unruhig schlafen.  

Sonntag, Tag 3:

Bei Dämmerung packe ich meine Sieben-Sachen (ich bin sage und schreibe 10 Minuten schneller als nach den letzten beiden Nächten, also kann man sagen Übung macht den Meister!)

Dann starte ich auf die letzten Kilometer. Kurz darauf werde ich in meiner Fahrt jäh gestoppt. Ein Bach fließt über den Weg. 5-6 Meter breit, etwa zwanzig Zentimeter tief, linker Hand ein kleiner Wasserfall. Der Untergrund besteht aus faustgroßen Kieseln. Da durchfahren? Wohl lieber nicht, wenn ich nicht nasse Füße bekommen möchte oder noch schlimmer ein Vollbad (das ich aber eigentlich dringend nötig hatte). Traue ich mich zu fahren? Nein, absolut NEIN! Schuhe, Socken aus und rüber schieben, schön an der Kante des Abbruches entlang. Hatte ich die Füße bisher kalt, so bewirkt das eiskalte Bachwasser, dass meine Zehen in kürzester Zeit direkt heiß werden. Toll!

Keinen Kilometer weiter schon wieder ein Bach. Diesmal gibt es aber schmale wackelige Latten, über die man balancieren kann.

Kurze Zeit später, in Caprino, der übliche Lattemacchiato-Stopp (mit 2 Zucker, wie immer). Die Baristin meint, sie bringe mir das Bestellte hinaus. Das sagt wohl alles aus … die „abgerissene“ Person, ICH, werde nicht mal vor die Wahl gestellt, ob ich meinen Kaffee drinnen oder draußen genießen möchte. Über Radwege und nette Trails geht es vorbei an Costermano.

Durch das Valle Lunga führt wohl ein beliebter MTB-Trail, denn immer wieder überholen mich als Hike-a-Bikerin Leute mit ihren E-Bikes und ich ernte mitleidige Blicke. Ich will trotzdem keines – E-Bike – meine ich.

Und dann taucht er plötzlich auf: der blitzblaue Gardasee, tief unter mir. Am Hang entlang mit Blick auf den See, durch schöne Olivenhaine geht es nun Richtung Süden. Nach der Punta San Virgilio geht es nach einem fast unüberwindbaren Hindernis direkt an das Ufer des Sees. Das Hindernis stellt sich mir als ein Fußgängerdurchgang in den Weg. Die Spaziergänger können sich rechts durch einen schmalen Durchgang zwängen, mit einem Rad unmöglich. Kein Mensch weit und breit, ich mit meinem schweren Rad alleine. So was hatten wir doch auch unzählige Male bei der GBDuro in Schottland, dort in Form von versperrten Viehgattern. Ich wuchte das Vorderrad hoch, hebe es über die Stange, schiebe mit der Schulter das Hinterrad mit der schweren Tasche nach, wenig rückenfreundlich muss ich das ganze nun auf der anderen Seite langsam runterlassen. Geschafft!

Nun am Ufer entlang bis Garda. Viele Fußgänger und Zuschauer der Regata delle Bisse, die heute stattfindet, lassen mich nur langsam weiterkommen. Nach Garda geht es wieder ins Gelände, zum Glück, denn die Uferpromenade wäre heute wohl nicht ratsam gewesen.

Einen kurzen Kaffee-Stopp in Peschiera, im Bikehotel Enjoy, lasse ich mir nicht nehmen.

Dann geht es ins Ziel beim Agriturismo Le Fornase in Castelnuovo. Bei einem leckeren Teller Bohneneintopf und anderer Leckereien und nach „chiacchierate“ mit anderen Radfahrern findet das Abenteuer VGG langsam ein Ende.

Schade, zweieinhalb Tage durch die Gegend graveln sind leider viel zu schnell vergangen. Höhen und Tiefen sind allzu schnell vergessen. Aber das nächste Abenteuer kommt bestimmt …

Danke Stefania und Giorgio für das Erlebnis VGG. Schön war es durch neue schöne Landschaften zu fahren, Giogio, alias Musseu, überrascht immer wieder … und nette Rad-Bekanntschaften zu machen.

Leider gibt es nur wenige Frauen, die an solchen Events teilnehmen. Deshalb: Cicliste – traut euch!!! Vielleicht animiert mein Bericht und das Video euch ja …  

GPX-files:
VGG500: Teil 1Teil 2Teil 3

2 Kommentare

  1. nottegar claudio ex scudiero di musseu

    Bellissimo video. Non so se sei piu brava come ciclista o come regista.

    • Gabi Winck

      Grazie, Claudio! No, no, sono video amatoriali. Li faccio per passione e per avere un bel ricordo. I momenti belli si dimenticano così in fretta…

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