Hier Minivideo (2 Minuten) und dann meine Eindrücke …
Ralph Nöth, Gründer und Chefredakteur von @kurbelfest.de mit Peter von der Velowelt Murnau luden schon zum zweiten Mal ein:
Wetterstein-Karwendel-Brevet, an die 200km und 3500Höhenmeter sollten es sein. Rennrad? Auf keinen Fall, die Strecke ist fahrbar nur mit MTB oder höchstens einem Gravelbike mit passender Bereifung, mindestens ein 45er mit gutem Profil sollte es schon sein … . Ich wählte meinen Gravel-Traktor, wohl ahnend, dass es teilweise nicht sehr lustig würde, zum Beispiel die Abfahrt vom Karwendelhaus zum Kleinen Ahornboden.
Startort Murnau. Am Morgen entdeckt Hermann, dass seine Ehegattin seine Packtaschen nicht eingepackt hatte. Ja, ja, Schuld an allem haben immer die Frauen … Irgendwie behilft er sich mit zwei Feedbags, ganz einfach „Fressbeutel“ für den Lenker und einen Beutel-Rucksack, so ein dünnes Ding mit Schnüren … Es tat mir zwar leid, aber ich fühlte mich keiner Schuld bewusst.
Nach der Entdeckung hatte ich auch keine Zeit mehr an sein Missgeschick zu denken, denn ich entdeckte mein eigenes: Die Halterung für mein GPS-Gerät war wohl auf dem Triathlon-Aufsatz geblieben, den ich zuhause abmontiert hatte … Nun war guter Rat teuer. Beim super tollen Frühstück fragte ich ein paar Mitradler, ob jemand zufällig eine zweite Halterung mit hatte. Fehlanzeige, aber mir wurde Powertape und Isolierband angeboten … So klebte ich meine Garmin mit Powertape quer auf den Lenker und sicherte sie mit noch ein paar Umwicklungen Isolierband. Die Sicht auf das Display wurde etwas eingeschränkt und die Touchmöglichkeiten ebenfalls. Aber Ärger blieb aus. Vielleicht beschäftigten mich noch die fehlenden Apidura-Bags meines Göttergatten … nein, kein schlechtes Gewissen!
Unterwegs merkte ich bald, dass die Navigation am Tag eine ganz interessante Herausforderung würde für mich … Das Gerät war nämlich normalerweise um 90° gedreht montiert. Durch die Klebestreifen fand ich die Einstellmöglichkeit nicht, den Bildschirm zu drehen … und somit musste jedem Richtungswechsel für mich eine gewaltige Denkleistung vorangehen: Pfeil an der waagerechten Linie nach links bedeutete „geradeaus“, Linie in Fahrtrichtung nach oben hieß „rechts“ und in Fahrtrichtung nach unten war ganz einfach „links abbiegen“ Ja, ganz einfach … Gehirn-Jogging hatte ich mir eigentlich nicht erwartet bei diesem Brevet. Aber es lenkte definitiv von meinen Sorgen ab, wie ich vom Karwendelhaus zum Ahornboden runter kommen sollte mit meinen 35er Reifen ohne nennenswertes Profil … Und meine Sorgen sollten durch einen MTB-Fahrer zu Beginn der Abfahrt noch potenziert werden …
Auf dem Sattel, bevor wir uns „in die Tiefe stürzen sollten“, starteten zeitgleich auch zwei Mountainbiker. Wie habe ich diese beiden Männer um ihr Gig beneidet. Jetzt ein MTB – da wäre ich alle Sorgen los … Ich eierte den beiden Fahrern im Schneckentempo hinterher, es ging schließlich auf grobem tiefen Schotter nahe am Abgrund vorbei. Naja, Abgrund ist etwas zu groß aufgetragen, aber ein steiler Hang war es schon …
Was war denn das? Irgendwas lief da schief. Der mit dem blauen Shirt kam mit Vorder- oder Hinterrad, so genau hab ich es nicht gesehen, vom Wegesrand ab. Der rechte Fuß suchte vergeblich nach Untergrund, denn der befand sich etwa 45° weiter unten … Und schon überschlugen sich Mann und Bike … einmal, zweimal, dreimal? Das MTB legte sich auf den Fahrer. Zum Glück krabbelte der nach ein paar Schrecksekunden unverletzt unter seinem Gefährt hervor und über den Hang hinauf. Meiner Moral hat das jedoch nicht so gut getan. Wenn das einem MTBiker passiert, um wie viel vorsichtiger muss ich mich denn auf meinen beiden dünnen Reifen Richtung Tal bewegen?
War dann alles nicht sooo schlimm. Ich habe überlebt, sturzlos … Alle paar Kehren musste ich allerdings stehen bleiben und meine schmerzenden Bremshände schütteln. Und mein Göttergatte wartete und wartete, immer wieder …
Mit Grinsen berichtet mir Hermann zuhause nach der Auswertung der Tourendaten: „Woasch du, dass i a dreiviertel Stunde schneller wor als du?“ Das muss wohl ein Fehler des Garmin Gerätes sein … Naja, manchmal habe ich schon Zeit verloren, wenn ich zum x-ten Male stehen blieb, um ein Foto zu schießen … und in den Abfahrten nichts riskieren wollte und schneckengleich über dicken gröberen Schotter runter ge-eiert bin.
Mein Schreckgespenst die Abfahrt vom Karwendel-Haus hatte mich schon lange vorher gesorgt. Aber nein, deshalb wollte ich den letzten Anstieg nicht hinauszögern … ging eh nicht so langsam, immerhin überholte ich welche, die zu Fuß gingen …
Oder in der Dunkelheit im Eschenlaine-Tal wollte ich, nachdem ich einige kleine braune Frösche langsam dahinkrabbeln sah, ein vertrocknetes Blatt nicht mit einem solchen zu verwechseln. Oder waren das schon die ersten Anzeichen von Müdigkeitsattacken? Hirngespinste? Die Blicke Hermanns sprachen Bände, wenn er wieder mal warten musste … „Wo bleibt DIE denn schon wieder?“ Oder war er einfach schneller, weil er weniger Gepäck hatte – fehlernder Packtaschen wegen??? *Grins*
Danke an Ralph und Peter von der Velowelt Murnau für die Organisation. Das Frühstück vor dem Start war fabelhaft wie auch die ganze Strecke. Ihr hattet einen guten Draht zu Petrus, es war ein traumhafter Tag. Die null Grad am Morgen wechselten sich mit fast sommerlichen Temperaturen … Nett war auch die Gesellschaft. Wiedersehen mit alten Bekannten und Kennenlernen neuer „Verrückter“ …
Tourenlänge: 197 km/ 3500 Hm Ausgangspunkt: Murnau Gelände: viele Schotter-Wege (Radwege, Forstwege), wenig
Radtyp: Mountainbike oder zumindest Gravelrad empfohlen Zeit: etwa 12 h
Von Murnau durch das Murnauer Moos nach Eschenlohe. Nun folgt die erste kleine Steigung über Höllenstein. Kurz nach Oberau wird es dann so steil, dass ich aus dem Sattel muss. Ein kleiner schöner Wanderweg führt runter nach Farchant. Dann geht es auf dem Radweg an Garmisch vorbei bis kurz vor den Eibsee. Die erste lange Steigung beginnt. Wir fahren auf breitem feinen Schotter, dann auf etwas groberem Belag am See vorbei bis zur Hochthörle-Hütte. Eine rasante Abfahrt nach Ehrwald folgt. Von hier folgen wir einem hübschen Plattenweg durch die Wiesen bis zum nächsten Aufstieg. Dieser führt zur Ehrwalder Alm. Gar einige Radfahrer schieben teilweise. Es geht ganz schön zur Sache, mehrere Kilometer 15% und mehr Steigung. Bald nach der Alm beginnt eine lange Abfahrt. Bis in den Talgrund der Leutascher Ache ist zunächst etwas Vorsicht auf dem unregelmäßigen Schotter angesagt, dann geht es flott immer der Ache entlang idyllisch bis hinaus nach Leutasch. Ein kurzes interessantes flaches Asphaltstück und dann Abfahrt nach Mittenwald. Leider haben wir nicht Zeit für eine Wanderung durch die Geisterklamm, die an unserem Weg liegt. Ab Mittenwald folgt der Radweg auf Schotterbelag dem Lauf der Isar zum Riedboden und weiter nach Scharnitz. Wir überqueren die Straße und hinein geht es auf feinem Schotterweg ins Karwendeltal immer unter der spektakulären Kulisse der Karwendelberge. Nach über zehn Kilometern beginnt die Steigung zum schon von Weitem sichtbaren Karwendelhaus, das wie ein Adlernest hoch oben unter den Felsen zu kleben scheint. Nach einem kurzen Aufstieg ist der höchste Punkt erreicht. Eine traumhafte Sicht auf die Laliderer Wände ist der Lohn für alle Mühen. Die nun folgende Abfahrt auf den Kleinen Ahornboden hat es in sich. Grober Schotter, spitze Steine, die fest im Boden verankert sind, dann wieder kleine zusammengeschobene Steinhaufen erfordern vollste Konzentration. Ab dem Kleinen Ahornboden ist der Untergrund wieder etwas besser. Wir fahren ab bis auf die Risstal-Landstraße. Dort biegen wir nicht rechts ab nach Eng, sonder links und leicht abwärts auf Asphalt geht es vorbei an Hinterriß bis nach Vorderriß. Hier biegen wir links auf die leicht ansteigende Mautstraße entlang der wilden Isar bis wir Wallgau erreichen. Hier geht es auf dem Radweg Richtung Walchensee. Kurz Einsiedl am Südwest-Ufer des Walchensee zweigen wir wieder links ab ins Eschenlaine-Tal. Zunächst geht es auf gutem Schotteruntergrund aufwärts, dann wird der Weg immer schlechter. Kleine Felsstufen zwingen oft zum Absteigen, lose Steine, manche Wurzel verlangen einiges vom Fahrer. Nach einer steilen Abfahrt steht man vor einem Bachbett, das problemlos durchfahren werden kann, wenn der Bach nicht zu viel Wasser führt. Wer nicht durchfahren mag, ein kleiner Pfad führt rechts zu einer kleinen Brücke. Das Tal scheint endlos. Irgendwann ist man aber angelangt in Eschenlohe und von dort geht es die letzten Kilometer gemütlich auf einem Radweg zurück nach Murnau.
Laaaaaang und laaaaaaaaaaaaaaangsam, so mein Motto in den letzten beiden Jahren. Was will man als „ältere Dame“ denn sonst noch …
Montigglman, 10-jähriges Jubiläum … Hmmmhmm. Soll ich? Oder soll ich nicht? Den Supersprint habe ich als ich noch jung war (so vor zwei, drei Jahren *lol*) schon ein paar Mal gefinisht. Stress pur für mich: nur 400m Schwimmen, 13 km MTB und 3 km Run. 15 Frauen am Start, alle viel jünger als ich.
Wettervoraussichten – besch…. wollte natürlich schreiben „besch…eiden“.
Einige Überlegungen … ich soll!!! In Anbetracht meines fortgeschrittenen Alters natürlich gemütlich … geht auch nicht anders mangels fehlendem Schwimm- und Lauftraining. Wie schreibt der Organisator? Jetzt ist es zu spät den fehlenden Trainingseinheiten nachzujammern …
Wie ist es doch aufregend dem Start entgegenzufiebern … Immer dasselbe, auch nach vielen Wettkämpfen immer das gleiche Lampenfieber. Gefühlt hundert Mal den Wechselplatz kontrollieren. Zum Glück bin ich nochmal hin: die Radhandschuhe stecken nicht mehr an den Lenkerenden, das Handtuch praktischerweise auf den Laufschuhen ist auch nicht mehr an seinem Ort. Gestrenge Kampfrichter!!
Briefing. Ich höre zu, aber nicht so ganz genau … kenne ich doch den Ablauf. Denkste! Bei der Schwimmaufstellung schießt es mir plötzlich in den Kopf: Wie ist das noch mit der Laufstrecke? (ich weiß auch nicht warum, muss eine plötzliche Eingebung gewesen sein …) Ich frage nach, erhalte Auskunft, verstehe aber nicht, warum ich durch den Kanal laufen muss, der zwischen Wechselzone und Badesee liegt, der Laufausgang ist doch am anderen Ende durch ein Gatter im Zaun???? Ich stehe auf der Leitung. Fast schon müssen wir Frauen ins Wasser (10 Minuten nach den Männern), bis der Groschen fällt: die Laufrichtung war geändert worden gegenüber früheren Events.
Startschuss!
SWIM: Das Schwimmen fühlt sich gut an, ich folge meinem Rhythmus. Allerdings viele kraulende Arme sehe ich weit weit vorne. Das bedeutet laut Adam Riese. Ich bin doch etwas abgeschlagen … wer weiß, ob hinter mir überhaupt noch jemand ist?
BIKE: Aus dem Wasser torkeln. Bike suchen. Helm auf. Zumachen. Startnummer um. Socken an. Laufschuhe an. Leider war ich zu nachlässig und habe keine Schnellverschluss-Litzen eingezogen. Die Idee war … Schon höre ich den Moderator: „Und los, Gabi Winck. Da sieht man wieder mal die ERFAHRENEN Triathleten … ein Schuhlöffel!!“ Hahahaaaa. Den ironischen Unterton nehme ich mit Humor. Zefix!!! Der rechte Fuß will nicht in den Schuh … Das Schuhband ist wohl zu eng für meinen nassen Fuß … „Hopp hopp, Gabi Winck!!“, höre ich wieder. Ich „strirkle“ verzweifelt mit dem Schuhlöffel rum, keinen Millimeter geht es weiter. Gefühlte zwei Minuten vergehen, bis ich endlich mit meinem Mountainbike an der Hand aus der Wechselzone renne.
Vor lauter Stress habe ich nicht geguckt, wie viele Räder noch neben meinem hängen …
Aber warum auch. Ich bin ja hier um Spaß zu haben und nicht um mir irgendeine gute Platzierung auszurechnen … Hatte ich mir zumindest eingeredet.
Die Radstrecke. Zwei Runden durch den Montiggler Wald. 13 km – an die 300 Höhenmeter. Rutschige Passagen über Wurzeln und nasse Steine wechseln sich mit schottrigen kurvigen Stücken ab. Richtig schnell traue ich mich nur in den Anstiegen zu fahren. Hahahaaa!! Ich überhole zwei junge Italienerinnen. Ich hatte befürchtet schrecklich zu frieren mit dem nassen Body. Aber mich packt der Ehrgeiz und ich rase durch den Wald … fühlt sich zumindest so an. Puls 500. Mindestens!!!
Und da passiert es. Beim Schalten blockiert plötzlich die Kette. Kurble vor und zurück. Mist sie steckt fest. Sekunden sind verloren!! Eine der beiden jungen Bikerinnen zieht wieder vorbei. Ich schalte zurück und zum Glück löst sich das Problem. Weiter mit Vollgas. Kurz darauf das nächste Missgeschick: Ich sause (verhalten … weil nass) einen betonierten Weg hinunter, Abzweigung scharf nach links auf einen steilen Waldweg. Und hier passiert es, mein Hinterrad schleift durch und mich wirft es vom Rad. Ich renne mit dem MTB an der Hand hechelnd hinter dem Mädchen vor mir her. Langsamer bin ich gar nicht, aber verliere sie aus den Augen, als ich wieder auf meinen Drahtesel steige.
Als ich auf die zweite Runde gehe (inzwischen haben mich auch die ersten drei Männer überholt, die zukünftigen Sieger!), ruft Christian „bravo!!“ Ich vermute, er meint das wohl mitleidig …
Die zweite Rad-Runde verläuft ohne Zwischenfälle. Übermütig rufe ich zwei männlichen Teilnehmern zu, die dasselbe Schicksal ereilt hat auf dem rutschigen Waldweg: „Dai ragazzi! Pedalare!“ Fluchen hinter mir … Da habe ich wohl am männlichen Ego gekratzt!
RUN: Ich fürchte mich schon vor dem Laufen. Wann war ich nochmal das letzte Mal in Laufschuhen unterwegs? Keine Ahnung … Der Moderator sagt was von der dritten Frau, verstehe aber nicht, wen er meint … wahrscheinlich nähert sich die dritte Frau schon dem Ziel … Boah, wie schnell die sind …
Auf der zweiten Runde überholt mich eine schnelle Läuferin, aber ich kann wirklich nicht mehr schneller. Ich schnaufe schon wie ein Dampfross. Zudem habe ich Angst auf dem unregelmäßigen Untergrund umzuknicken. Tja, so ist das halt, wenn man das Lauftraining dem Rad opfert … Ich laufe, glücklich alles überstanden zu haben, ins Ziel.
Fazit: Die dritte Frau war ich, zumindest bis zur zweiten RAdrunde, da verlor ich diesen Platz. Eine Läuferin überholte mich noch beim Laufen. War aber knapp: die absolut Zweite hat etwas 1 Minute Vorsprung. die Dritte etwa 40 Sekunden, die Vierte nur 15 Sekunden (das waren wohl die verlorenen Sekunden von der Schuhlöffel-Episode …hahhahaaaa). Ich bin jedoch super zufrieden, hatte ich mir doch den letzten Platz ausgerechnet. Quatsch, das vielleicht nicht, aber doch eine Platzierung weiter hinten. In der Altersklasse der Frauen 51+ durfte ich als Siegerin, eine riesige Holzkiste mit Biogemüse und -obst mit nach Hause nehmen. Die Anstrengung hat sich allemal gelohnt, kann ich so doch zum Familienunterhalt beitragen (Ausrede für die besorgten Eltern: Warum machst du das denn? Was hast du denn davon?) und konnte wieder mal viele alte Bekannte wieder sehen und neue kennen lernen.
Danke, Läuferclub Bozen!!!
In Kürze: (genaue Streckendaten – bitte etwas nach Unten scrollen!) Ende September starten fünf Handvoll „Ciclisti“ beim von Giorgio Murari sehr schön organisierten Brevet (mit Frühstück und Pasta Party). Da Hermann kurzfristig nicht mit kann, bin ich alleine. Und das ist auch gut so, dann kann ich meinen Rhythmus fahren und etwas in der wunderbaren Umgebung rumschauen, ohne ständig den Reifen meines Vordermannes im Focus haben zu müssen. Allerdings- die ersten flachen Kilometer bis Bozen lasse ich mir nicht nehmen, im Windschatten einer Gruppe quasi „mitgesaugt“ zu werden. Und unterwegs treffe ich immer mal wieder auf ein paar Leutchen zu einem „Ratscherle“, im Gewitter bei Landeck bin ich froh, dass ich nicht alleine unterstehen muss, sondern mir die Zeit mit Elena, Dorina und Michele vertreiben kann. Da ich mich entscheide durchzufahren, bin ich einen Tag und eine Nacht im Sattel, von Landeck zum Reschen wieder mal im Regen … Die Müdigkeits-Attacken am frühen Morgen sind leicht vergessen, von Meran bis Faedo treffe ich auf Flavio und Heidi, Matteo und noch ein paar, die durchgemacht hatten. So geht die Zeit mit Quatschen schnell um. Und der Bicigrill erwartet uns schon mit vielen leckeren Sachen, einer Dusche und dem wohlverdienten Schläfchen. Strava download
Tourenlänge: 460 km/ 3800 Hm Ausgangspunkt: Bicigrill Faedo (wunderschöner Bike-Rastplatz mit großem Parkplatz) Gelände: Radwege, auch geschotterte Wege, Straßen mit wenig Verkehr Zeit: etwa ein Tag und eine Nacht (oder mit Übernachtung 2 Tage) Strava
Beschreibung: Auf dem schönen Radweg Via Claudia Augusta, bis nach Bozen flach, geht es sanft ansteigend hinauf zum Brenner. Von dort Abfahrt, unter der Europabrücke hindurch, bis kurz vor Innsbruck. Um den Stadtverkehr zu vermeiden, biegen wir links ab, mit einer kurzen Steigung nach Mutters und Natters. Schon wieder geht es hinunter, wir erreichen rasch den flachen, urtümlichen Inn-Radweg mit einigen Schotter-Abschnitten, die aber auch mit dem Rennrad problemlos zu fahren sind. Unterhaltsam geht es bis nach Landeck. Von hier aus geht hinein in das schöne Oberinntal, immer auf dem Fahrradweg. Am Reschenpass angekommen und nach dem obligatorischen Foto mit dem Kirchturm im See fahren wir den Vinschgau-Radweg bis Meran, dann an der Etsch entlang bis Bozen. Einen Abstecher zum Kalterer See lassen wir uns nicht nehmen und dann geht es weiter auf dem Radweg durch das Unterland zurück zum Bicigrill in Faedo.
Kurz-Urlaub am Wolfgangsee. Bitte gerne! Gabi fährt aber mit dem Rad hin… Ab Innsbruck führt werden Erinnerungen wahr, denn ich bin im umgekehrten Sinne auf unserer diesjährigen ThreePeaksBikeRace-Strecke unterwegs. Ich habe zwei Tage Zeit und fahre gefühlt 99% auf Radwegen. Diese sind großteils geschottert, deshalb fällt meine Wahl auf mein Gravelbike (TREK, Checkpoint SL6). Allein und ohne Stress hat auch was für sich … Einzig das Wetter stresst mich etwas, Regen – von mir aus, aber bitte kein Gewitter!!! (313km/ 3250Hm). Einziger Wermutstropfen, im Mohrenwirt in Fuschl am See ist kein Platz mehr … stravakomootDownload
Tag 1: Brixen – St. Johann in Tirol (190km/ ca. 2000 Hm)
Von Brixen über den Radweg auf den Brenner-Pass. Von dort leider bis Matrei auf der Straße fahren. In Matrei rechts abfahren und über die Nebenstraße durch die Dörfer Pfons, Ellbögen, Patsch, Lans bis nach Innsbruck. (Variante: In Lans empfehle ich allerdings nicht auf meinen Spuren zu bleiben, sondern rechts weg über Sistrans, Rinn bis nach Volders abzufahren). Im Inntal den Tafeln „Inn-Radweg“ folgen. In Wörgl dann wechseln auf den R14 bis nach St. Johann. Schöner Rad-Weg, der aber meist auf Schotter führt. In St. Johann habe ich im Hotel Zur schönen Aussicht übernachtet.
Tag 2: (120km/ 1200Hm)
Die Loferer Bundesstraße habe ich noch in sehr unangenehmer Erinnerung vom ThreePeaksBikeRace. Deshalb wollte ich diese Straße völlig vermeiden. Das ist mit dem Gravel-Rad gut möglich, denn Salzburg kann man auf Radwegen erreichen. Der Mozart-Radweg verläuft zudem landschaftlich wunderschön, oft entlang des Flusses Saalach bis kurz vor Salzburg. Die Stadt zu durchqueren ist nicht so angenehm, aber es gibt immer einen Radfahrer-Streifen. Ab Salzburg bewegt man sich auf dem Radweg entlang der Grazer Bundesstraße B158. Zwar immer auf dem Radweg, aber der führt immer neben der stark befahrenen Bundesstraße, vorbei am Fuschl-See. Am Südufer des Wolfgangsees wird es dann ruhiger. Um nach St.Wolfgang zu kommen muss man fast den ganzen See umrunden, man könnte von St. Gilgen auch mit dem Schiff fahren oder mit der Radfähre von Reith etwa 10km (um den Abersee) abkürzen.
Hier findet ihr Touren rund um den Wolfgangsee:
1 Schwarzensee-Attersee-Bad Ischl
2 Wanderung auf den Schafberg
3 Mondsee-Irrsee-Fuschlsee
4 Salzkammergut Trophy Gravelstrecke
Blitz! Eins-zwei-drei-vier KRACH!!! 1200m ist das Gewitter entfernt. Der nächste Blitz könnte in nächster Nähe einschlagen. Dass Blitze sich keinen Radfahrer aussuchen – ein Ammenmärchen. Es hat nur 4° Celsius. Und zudem bin nass bis auf die Haut. Und Ich lege noch einmal einen Zahn zu. Das Gebäude dort muss ich vor dem nächsten Blitz erreichen. Davor stehen zwei voll bepackte Rennräder. Durch die beschlagene Scheibe kann ich zwei winkende Gestalten erkennen. Schnell stelle ich mein Rad ab. Der Raum ist heimelig warm. Ich geselle mich zu Brian und Pieter, die beiden haben dasselbe Ziel. Wie konnte ich mich schon wieder in so eine Situation bringen? Normalerweise ist man bei einem solchen Wetter nicht auf dem Weg zum Ordino Arcalis in den Andorranischen Pyrenäen. Wir – wo Hermann bleibt? müssen noch ganz hinauf. Der Arcalis ist der dritte Kontrollpunkt des Three Peaks Bike Race. Organisiert von Michael W. (=Adventure Bike Racing). Das Langstrecken-Radrennen führt von Wien nach Barcelona. Dieses Jahr haben etwa 100 Verrückte diese Herausforderung angenommen die etwa 2100 Kilometer lange Strecke in möglichst kurzer Zeit zurückzulegen. Die günstigste Streckenführung kann selbst gewählt werden. Auflage dabei ist drei Kontrollpunkte anzufahren: Peak 1: Stilfser Joch an der Grenze Südtirol/ Lombardei Peak 2: Colle delle Finestre im Susatal bei Turin Peak 3: Ordino Arcalis in Andorra
Und da sitze ich nun. Hermann kommt auch. Zum Glück. Er hat die Ruhe weg. Wir brechen wieder auf, denn seit einer Weile ist es ruhig. Nur der Regen prasselt nach wie vor auf den Asphalt. Vor uns liegen noch etwa 200 Höhenmeter und 12 Kehren. Donner grollt in der Ferne. Das Gewitter zieht hin und her. Jederzeit kann es wieder über uns hereinbrechen. Ich beschleunige. Keine Unterstände mehr in Sicht. Was Panik ausmachen kann. Ich lasse die Männer weit hinter mir. Meine Gedanken sind im Hier und Jetzt. Was nachher kommt ist ausgeblendet. Und endlich oben! Gerettet! Foto und rein in das Restaurant. Die folgende Abfahrt möchte ich möglichst weit von mir weg schieben. Es schüttet immer noch in Strömen bei plus vier Grad. Wir sind völlig durchnässt. Andere sind aber noch schlechter dran. Brian hat unterwegs eine Reifenpanne. Mit den klammen Händen schafft er es kaum die Luftpumpe zu bedienen. Bei diesen Temperaturen kühlt man bei Stillstand sofort aus. Wie soll ich die etwa 20km lange Abfahrt überleben? Ich habe eine glorreiche Idee: Die Rettungsdecke zerschneiden und Alufolienstreifen um die Körperteile wickeln. Und alles drüber ziehen, was sich in der Packtasche finden lässt. Trotzdem klappere ich mit den Zähnen, zittere ich am ganzen Körper und schaffe es kaum, das Rad ruhig zu halten – das Zittern überträgt sich auf den Lenker. Ich muss doch grinsen. Eine Fahrt der Gegensätze: Wie war das noch am Tag vorher? Die Strecke Avignon-Nîmes-Montpellier in der Mittagshitze. Etwa 40° Gluthitze. Inständig bitte ich immer wieder, dass bald ein Brunnen auftaucht. Tauchbad. Für ein paar Kilometer ist es dann erträglicher durch die weiten Ebenen zu radeln. Bis die Kleidungsstücke wieder trocken sind … Ablenkung durch Kraft der Gedanken, ich muss wieder lachen, obwohl die Situation todernst ist. Um der extremen Hitze (vielleicht) zu entgehen, hatten wir die Idee die Variante „Meer“ einzuschlagen. Wir folgen also der geladenen Strecke. Nach etwa 15km dann ein Fahrverbot für Radfahrer. Das kann doch nicht sein? Was nun? Die ganze Strecke zurück? Nein! Komoot hat die Linie vorgeschlagen. Die Straße scheint relativ neu zu sein. So tun, als ob wir das Schild nicht gesehen haben?… und weiter? Einige Kilometer weiter mündet unsere Straße in eine andere. Autos rasen mit Affenzahn vorbei. Wir warten einen günstigen Moment ab und überqueren die Fahrbahn. Und sind ratlos. Wo sind wir denn da gelandet? Mit einem Mal wird es uns klar: eine Schnellstraße. Zurück ist nun keine Option mehr, zu gefährlich nochmal zu queren. Wir schieben unsere Räder am Straßenrand entlang. Wann wird wohl die Polizei auftauchen? Informiert von besorgten Autofahrern? „Radfahrer auf der Autobahn gesichtet …“ Wie kommen wir wohl aus dieser haarsträubenden Situation wieder raus? Ein Schotterweg mündet nicht weit entfernt in die Schnellstraße. Gerettet. Der Weg führt uns zu unserem Radweg. Das Glück war wohl größer als der Verstand …
Und so fing diese Fahrt der Gegensätze an. Mit einigen Fehlentscheidungen …
Wien, 19.07.19 Mein Rad steht voll bepackt da. So viel Zeug … Kann man da nicht gewichtmäßig noch was optimieren? Ich konsultiere das x-te Mal den Wetterbericht und vergleiche die Voraussagen der verschiedenen Wetter-Websiten. Das Wetter verspricht gut zu bleiben. Also raus mit Regenhose, Helm-Regenschutz, warmem langärmeligen Pulli. Auch eine zweite Garnitur Ärmlinge und Beinlinge müssen raus, auch die leichte Daunenwindjacke. Nun ist die Packtasche leichter zu schließen. Stolz bin ich auf meine Entscheidung. Hermann hatte mich davor schon belächelt, dass ich –typisch Frau- viel zu viel Zeug mitschleppte.
Nach den Startvorbereitungen im Café Velobis geht es auch schon los. Nachmittags um vier gibt Michael uns das OK zum Start. Wir wollen die Nacht durchfahren. Zunächst geht es leicht kupiert duch den Wienerwald, vorbei an Sankt Pölten, Amstetten, Ybbs. Wir hatten uns entschieden wenn möglich Radwegen zu folgen. Manch unangenehme Strecke verlangsamte unsere Durchschnittsgeschwindigkeit. Aber besser als Autoverkehr. Vor Linz ging es statt Donau-Radweg durch das Hinterland. Kilometer konnten so eingespart werden, allerdings hatten wir nicht damit gerechnet, dass es unendlich oft rauf und runter ging. Die Detailplanung war wohl doch nicht so sorgfältig gewesen. Bei Enns gönnen wir uns ein nobles Essen im Restaurant. Dann weiter durch die Dunkelheit. Hin und wieder begegnen wir bepackten Radfahrern. Wo die hinwollen? Braucht man um diese Uhrzeit gar nicht zu fragen … Ab und zu am Wegesrand Gestalten eingemummt im Biwaksack. Ach hätte ich doch auch einen solchen mit … In der Ferne andauernd Wetterleuchten. Da braut sich wohl was zusammen. Und irgendwann höre ich auch den ersten Donner. Wir sind wieder mal auf einem Radweg, der wohl eher für MTB geeignet wäre. Pfützen überall, abgerissene Blätter und Zweige. Und dann ist auf einmal kein Weiterkommen mehr. Ein riesiger Baum liegt quer über dem Weg. Das Unwetter vor uns hatte wohl ganz schön gewütet. Irgendwie schaffen wir es durch das dichte Geäst zu klettern mit unseren Rädern.
Langsam wird es wieder hell. Das Wetter scheint nicht so schlecht. Wir bewegen uns jedoch auf eine dichte Wolkenschicht zu. Kilometer vor Salzburg -erste Regentropfen. Jetzt ist wohl der Zeitpunkt gekommen die Regenkleidung anzulegen. Regen? Das hatte der Wetterbericht aber nicht vorausgesagt. Und welche Regenkleidung? Außer der Regenjacke hatte ich ja nichts. Mein Göttergatte hingegen ist fein heraus: Regenhose, Helmschutz, lange Handschuhe … Bibbernd fahre ich weiter, innerhalb kurzer Zeit völlig durchnässt. Fünf Stunden im Regen. Wir treffen Sonia aus Spanien, auch sie ist ähnlich spärlich ausgerüstet wie ich. Die folgende Strecke ist zudem verkehrsmäßig fürchterlich. Die Loferer Bundesstraße. Da Teilstrecken gesperrt sind, wälzt sich der ganze Verkehr von Bad Reichenhall über den Thumsee. Erst ab Sankt Johann ist es wieder ruhiger – auf dem Radweg. Gegen Abend erreichen wir über den Inntalradweg Innsbruck.
Eigentlich hatten wir damit gerechnet bis zum Abend noch Landeck zu erreichen. Die Regenfahrt hatte unsere Detailplanung nun gleich am ersten Tag verschoben. Bis zum Ende der Tour werden wir der Planung immer ein paar Stunden hinterherfahren. In Pettnau werden wir in einem sehr einfachen Hotel aufgenommen. Das teuerste auf der gesamten Fahrt. Leider gibt es zum Duschen kein Shampoo. Damit hatte ich nicht gerechnet, denn sowas hatte in meiner Packtasche leider nicht mit. Nach vier Stunden Schlaf machen wir uns wieder auf den Weg.
Es geht auf dem schönen Radweg durch das Oberinntal, bei der Kajetanbrücke nach Martina und weiter nach Nauders und zum Reschensee. Eine rasante Abfahrt nach Prad und schon stehen wir vor dem ersten ernsten Anstieg: das Stilfser Joch.
In der ärgsten Mittagshitze. Die 48 Kehren legen wir also nicht in Rekordzeit zurück, aber die spektakulären Blicke lenken ab und nach knapp vier Stunden sind wir auch oben. Kurz vorher überrascht uns Michael zum Fototermin. Wir wollen noch an Bormio vorbei und irgendwo Richtung Como-See einen Schlafplatz suchen. Der ursprüngliche Plan bis zum Anfang des Como-Sees zu kommen, geschweige denn nach Como hatte sich ja schon lang zerschlagen.
In Tirano finden wir Unterkunft im Hotel Corona. Wir beschließen noch eine Kleinigkeit essen zu gehen in der benachbarten Bar. Und welche Überraschung: Davor stehen zwei bepackte Räder – drin sitzen bei Cola und Foccaccia Torsten Frank (schaut mal rein auf seinen berühmten Blog!!!) und Malte. In fröhlicher Runde beenden wir den Abend. Am Morgen die Überraschung: Wir kommen nicht aus dem Hotel. Aufzug und Tür zum Ausgang funktionieren nicht. Wir quetschen uns durch ein Hotelfenster. Der nächste Schreck: Das Gitter zur Garage scheint zu zu sein. Ein Rütteln daran … zum Glück nur angelehnt.
Die Weiterfahrt im Dunkeln ist recht mystisch. Es geht entlang des Valtellina-Radweges. Allerhand Tiere kreuzen unseren Weg. Aufgeschreckt – beidseitig. Irgendwann im Stockfinsteren ein Geräusch. Ein Radfahrer und noch einer … Dunkle Hautfarbe und kein Licht. Das sind wohl „Schwarzfahrer“ im doppelten Sinne. Der Como-See wird im Morgendämmern erreicht. Die Weiterfahrt entlang des West-Ufers ist kriminell. Die Straße ist relativ schmal, es gibt keinen Seitenstreifen, aber sehr viele LKWs, die sich ohne zu bremsen an uns vorbei drücken. Um die Mittagszeit ist dann Como erreicht. Nach einer Supermarkt-Pause geht es in der Gluthitze weiter. Auf einmal überholt uns eine Gruppe rot-weiß gekleideter Rennradler. Und dann noch eine Gruppe. Es hört nicht auf. Da muss wohl irgendwo ein Nest sein … Ich schwätze mit einem Fahrer. Sie sind aus Hall in Tirol und auf der Fahrt nach St. Tropez. Sie wollen unterwegs die Tour de France sehen. Später stellt sich heraus, ich hatte mit Kurt Matzler gesprochen (Mehrmaliger RAAM-Finisher). Welch ein Zufall. Der Verkehr ist zum Teil horrend. Ich bin erleichtert, als es wieder auf einen Radweg geht. Zu früh gefreut. Die Streckenführung entlang des Flusses Olona entlang einer alten Bahnlinie ist zwar wunderschön, aber nicht grad gut geeignet für unsere Rennräder. Und eine Ausweichroute finden wir so schnell auch nicht. Bei Busto Arsizio darf ich drei Kilometer zurück fahren, da Hermann eine Reifenpanne hat und ein Taschenmesser braucht, das ich mitführe. Hmmhmmm!
Vor Novara sehenswert das mittelalterliche Castello Sforzesco in Galliate. Vercelli. Chivasso. Settimo Torinese. Die Straße zieht sich unendliche durch Reisfelder. Es ist viel Verkehr. Mir ist langweilig. Ich beginne ein Spiel zu erfinden, das mir die Zeit auf allen verkehrsreichen Straßen vertreiben wird und mich ablenkt von meiner Angst unter die Räder von irgendeinem LKW oder sonstigem Fahrzeug zu geraten. Ein Schwerfahrzeug naht? Kann ich aus dem Geräusch lesen, ob er einen oder gar zwei Anhänger hat? Oder bei kleineren Verkehrsteilnehmern … sagt der Ton was über die Farbe aus? Hahahaaa … Welche Hirngespinste!! Oder: Wenn fünf weiße Autos in Folge an mir vorbeifahren, dann finden wir ein hübsches Hotel. Oder …
Nach Turin beginnen wir bei einer Pizza mit der Herbergsuche. Anstatt wie geplant in Bussoleno oder gar nach dem Colle delle Finestre (die Diskussion hatten wir ja schon) drängt die Zeit schon kurz nach Turin, am Eingang des Susa-Tales. Wir werden auch bald fündig. Der Agriturismo „La Sforzata“. Ein wunderbares Ensemble. Ein umgebauter und sehr modern eingerichteter „fienile“. Die Wirtsleute nehmen uns trotz später Stunde sehr freundlich auf. Das Frühstück ist sagenhaft. Hierher müsste man mal mit mehr Zeit zum Genießen kommen. Früh um fünf rollen wir über das Susa-Tal ein. Dann wird es ernst. Die Anstiegsrampe zum Colle delle Finestre hat ganze 16%. Aua!! Über die folgenden unendlich vielen Kehren geht es gemütlicher. Dann Schotterpiste über mehrere Kilometer. Die Piste verlangt volle Konzentration. Nicht nur einmal schmeißt es mich von meinem Drahtesel, wenn die Räder sich wieder mal ein einen Steinhaufen gebohrt haben. Irgendwann dann sind wir oben auf unserem Peak 2. Feine Abfahrt, Einkehr zu Foccaccia und Cola. Die weitere Streckenführung habe ich nicht so im Kopf. Und werde unangenehm überrascht. In der Mittagshitze folgt ein weiterer Berg. Nach Sestriere. Dann Abfahrt nach Cesana Torinese und noch ein Berg. Von weitem sehe ich schon die Straße sich den Hang hinaufschlängeln und Galerien sind zu erkennen. Überraschend angenehm ist der Aufstieg, denn für die Radfahrer gibt es einen eigenen Tunnel. Bald ist Mongenèvre erreicht. Boulangerie-Pause. Abfahrt nach Briancon. Ein großes Stück Richtung Embrun
geht es nun auf einer stark befahrenen Straße weiter. Zum Glück gibt es einen relativ breiten Seitenstreifen. In der Ferne braut sich ein Unwetter zusammen. Die Strecke führt uns über einen Radweg genau auf das Wir müssen das Ärgste in einem Bushäuschen abwarten. Dann wählen wir eine Strecke über einen Radweg. Der klingende Name „les balcons de la durance“ verspricht schon wieder einige Höhenmeter. Ich fürchte mich vor den Blitzen. Embrun ist erreicht, wir finden noch einen geöffneten Supermarkt. Nun ist es wieder an der Zeit eine Unterkunft zu suchen. Aber Fehlanzeige. Die Menschenmassen im Ort, Autos mit Aufschriften von Fernsehsendern lassen es uns erahnen. Die Tour de France hat uns erreicht. Am Nachmittag war der Tross in Gap angekommen. Embrun sollte am nächsten Tag durchfahren werden von der Tour. Die Anfrage in einigen Hotels lässt unsere Ahnung zur Gewissheit werden. Wir müssen weiter ohne etwas gefunden zu haben. Wir treffen Rinaldo Toson, dessen Teampartner „das Handtuch geschmissen hatte“.
Wir fahren gemeinsam in die Dämmerung hinein. Ich halte Ausschau nach einer Möglichkeit unser Nachtlager aufzuschlagen. Wir haben nicht mal eine Minimalausrüstung. Das kann ja heiter werden. Übermüdet bin ich allemal. In den letzten Nächten hatten wir ja auch je nur eine Mütze voll Schlaf. Am Straßenrand bieten sich Stoppelfelder an, wahrscheinlich wenige angenehm. Parks ziehen vorbei in grellem Scheinwerferlicht, auch wenig einladend. Kilometerweit nichts nichts nichts. Da! Ein kleiner Park neben einer Kirche, Büsche, eine kleine Rasenfläche. Wie wäre es damit? Kurz entschlossen entfalten wir unsere Notfall-Decken und wickeln uns in die knisternde Aluminiumfolie ein. Es fröstelt mich bald mal, denn eine unangenehm kühle Brise bläst immer wieder durch meine Alu-Zudecke. Zwei Stunden, dann geht es weiter. In Kürze müssen wir uns entscheiden: entweder das Durance-Tal weiter, 30 km mehr, dafür kaum Höhenmeter oder rechts ab und durch den hügeligen Luberon Nationalpark.
Wir entschließen uns für Letzteres. Kein Auto weit und breit. Die Landschaft im Dunkeln lässt sich nur erträumen. Erträumen? Die Müdigkeit holt mich ein. Ein Mäuerchen muss als Bett herhalten. In der Dunkelheit seltsame Geräusche. Irgendwas galoppiert vorbei. Wir ziehen weiter. Düfte umwehen uns. Was ist das? In der Dämmerung kann ich es erkennen: Lavendelfelder. Ach ja, wir sind ja in der Provence. Ein nächster Anstieg. Ich bin wieder so schläfrig. Ich habe plötzlich das Gefühl, dass ich was geträumt habe. Eine Sekundenschlaf-Attacke? Wir erreichen die Anhöhe des Col de l’Homme Mort. Wenn ich mich jetzt vor der Abfahrt nicht kurz die Augen zumachen kann, dann muss der Pass wohl umbenannt werden in Col de la Femme Mort …
Auf der Weiterfahrt tritt plötzlich ein hoher weißer Berg vor unser Auge. Wouw! Der Mont Ventoux. Der „Gigant der Provence“ hat im Radsport eine große Bedeutung und gehört mit dem Col du Galibier, dem Col du Tourmalet und dem Anstieg hinauf nach L’Alpe d’HUez zu den „heiligen Bergen“ der Frankreich-Rundfahrt. Zum Glück aber auch ein wenig „leider“ müssen wir da nicht hinauf. In Sault tritt das ein, was ich schon lange erwartet hatte: Hermann und ich verlieren uns. Das passiert manchmal schon wenige Meter von der Haustür entfernt … Zum Glück gibt es Handy und Empfang. Hermann muss leider ein paar Kilometer und Höhenmeter zurück fahren zum Frühstück mit Gabi. Anschließend geht es am Fuße des Ventoux entlang. „Route fermée“ – oje! Wo sollen wir denn jetzt lang, wenn die Straße gesperrt ist? Einige Radfahrer, die aus der anderen Richtung kommen geben Entwarnung. Man kommt gut durch. Aber wie … Die Straße ist über zig Kilometer mit feinem Split bedeckt. Das bedeutet voll konzentriert nahezu im Schritt-Tempo fahren. Und es wird heißer und heißer. Endlich erreichen wir wieder eine normale Straße und ein Dorf. Es ist unerträglich heiß. Avignon mit seiner wunderbaren Kulisse lassen wir hinter uns. Den restlichen Tag werden wir uns von Brunnen zu Brunnen hangeln und die Episode „Meer“ erwartet uns. Ordentlich schlafen werden wir nach unserer abeteuerlichen Meeranfahrt und anschließender Radwegodyssee. Hermann hat in Sète am Etang Thau ein Hotel ausgemacht. „Nur“ noch 40 km trennen uns von unserm Bett. Bis 22 Uhr sollten wir dort sein. Bei Sonnenuntergang wird der Radweg bevölkert von Hundertschaften von Badegästen, die nach Hause wollen und von uns. Durchkommen schwierig. Langsam fahren bedeutet zudem Opfer von Millionen hungriger Moskitos zu werden. Ich bekomme langsam Stress. Das schaffen wir nie in der Zeit. Als Hermann irgendwann mal auf mich wartet, geraten wir uns das einzige Mal auf der langen Fahrt in die Haare. Ich murre, er solle doch nicht warten, sondern vorausfahren zum Hotel, ich könne den Weg mit meinem GPS schließlich alleine finden. Verärgert zieht mein Teampartner von dannen. Als ich Sète erreiche irre ich lange durch die Straßen. Mit Google Maps stehe ich wohl auf Kriegsfuß. Es führt mich immer wieder kreuz und quer. Erst als ich mich mit Händen und Füßen bei den Passanten durchfrage, lande ich an der richtigen Adresse. Die Frau an der Rezeption war so nett gewesen fast eine Stunde auf uns zu warten.
Wieder geht es weiter in aller Frühe. Die Catalanischen Pyrenäenausläufer liegen vor uns. Entlang des Flusses La Têt folgt nun der letzte lange Anstieg vor Andorra. Durch das Tal verläuft auch eine spektakuläre Bahnlinie, scherzhaft die „Pyrenäenmetro“ genannt. Vorbei an hoch liegenden Klöstern und durch malerische Dörfchen bin ich so abgelenkt, dass ich gar nicht bemerke, dass wir in Richtung einer bleischwarzen Wolkenwand fahren. Und schon beginnt es zu regnen. Ich mit meiner mageren Ausrüstung bin wieder mal arm dran, denn ein kalter bissiger Wind beginnt uns schnell auszukühlen. Ich beginne mir langsam Sorgen zu machen, dann abgesehen davon, dass wir schon wieder sehr spät dran sind für eine Unterkunft, hat Hermann inzwischen recherchiert, dass es den gesamten nächsten Tag regnen würde. Unser Aufstieg zum Arcalis im Regen? Wie wird die Temperatur auf über 2000m Meereshöhe sein? Wird das ein DNF werden? In La Seu d`Urgell finden wir Unterkunft im Hotel Nice. Nachts regnete es zwar, aber am frühen Morgen bei unserem Aufbruch sieht es nicht mal so schlecht aus. Bald passieren wir die Grenze zu Andorra. In Andorra la Vella ist gegen 6 Uhr morgens noch die Hölle los. Alle jungen Leute der Gegend scheinen noch auf den Beinen zu sein. Wir finden den richtigen Weg nicht. Vor dem Tunnelportal ein Verbotsschild für Räder. Als gebrannte Kinder reagieren wir nun sensibel auf Verbotsschilder. Also zurück und weiter zum anderen Tunnel. Auch hier ein Verbotsschild. Ratlosigkeit. Was tun? Der Radweg hört hier auf … Das bedeutet, Radfahrer werden hier doch weiter fahren können, oder? Wir tauchen ein in den Tunnel. Mindestens drei Kilometer ist er lang. Das schlechte Gewissen wird schwächer und schwächer, kein Auto weit und breit. Auf der Weiterfahrt nach Ordino wird der Himmel immer schwärzer. Und es fallen die ersten Regentropfen. In der Ferne grollt es … wie es nun weiter geht, habt ihr ja schon am Anfang gelesen …
Nach dem Arcalis-Schlechtwetter-Abenteuer wurde das Wetter immer besser je weiter wir nach Süden fuhren. Und als dann die Sonne wieder herauskam war es heiß wie eh und je. Hinter uns häuften sich die Wolken und vor uns blauer Himmel. Landschaftlich wunderschön und mit relativ wenig Verkehr ging es entlang des Oliana-Stausees. Die Abzweigung Richtung Solsona brachte eine mühsame Steigung. In dem Örtchen wollten wir eine Supermarkt-Pause einlegen. Und das war super geplant, denn genau bei Erreichen der Ortschaft hatte sich hinter uns eine Wolkenfront zusammengebraut und ein starkes Gewitter legte los. Der Spuk war jedoch bald vorbei und wir konnten weiter nach Manresa. Dort begann nämlich die letzte Etappe und diese war vom Veranstalter vorgegeben. Aber in ständigem Auf und Ab zieht sich der vorletzte Streckenabschnitt noch ziemlich. Bei Dämmerung erreichen wir den Fuß des Monserrat-Gebirges. Ein wunderbares Schauspiel bietet sich uns. Und voller Hochgefühle nur noch 88 Kilometer zum Ziel zu haben macht es uns im Moment gar nichts aus schlaflos in die Nacht hineinzufahren. Zu schön die Ausblicke auf die gewaltigen Felsen. Erste Ermüdungserscheinungen folgen dann auf der Abfahrt nach Monistrol de Monserrat. Und der folgende Anstieg scheint nicht mehr enden zu wollen. Sorgen macht mir vor allem die kommende Abfahrt. Sobald die Beine nicht mehr strampeln, ist die Gefahr eines Sekundenschlafes groß. In Terrassa am Fuße des Berges machen wir eine kurze Pause. Kaum hat Hermann sich hingelegt für eine Minischlafpause, ich war noch beim „Herumknestern“ in meinem Gepäck, da kommen zwei Radfaherer des Weges. Es ist Philipp mit einem befreundeten Radfahrer, der in Barcelona lebt. Wir schließen uns den beiden an, heilfroh, dass uns jemand durch die Großstadtstraßen führt. Das Fahren durch die unzähligen Kreisverkehre und Ampelregelungen hätte mich nämlich total überfordert. Der letzte Berg, das
Wahrzeichen Barcelonas, der Tibidabo, ist schnell erklommen. Ein Traumblick auf die nächtliche Stadt belohnt uns für alle unsere Entbehrungen in den vergangenen sieben Tagen. Ein Katzensprung noch zum Ziel unter dem Arc de Triomf. Michael W. vom Adventure Bike Racing erwartet uns mit einem kühlen Bier zum Fototermin. Ein super schönes Event ist schon zu Ende. Danke Michael! Danke an meine bessere Hälfte Hermann, dass ich mit ihm diese Verrücktheiten machen kann!! Danke auch an alle Mitfahrer. Es war wie immer schön neue Leute kennen zu lernen, die dieselbe Leidenschaft haben. Ein Schwätzchen hier und dort (mitunter unter Zuhilfenahme von Händen und Füßen – was während des Radfahrens schwierig ist …) hat mir aber wieder mal gezeigt, dass es höchste Zeit ist besser Englisch zu lernen … das ist vermutlich für mich die größere Hürde wie 2000 Kilometer mit dem Rad zurück zu legen … … und 2020 … vielleicht könnten wir das wieder? (Ja, wir waren Wiederholungstäter … HIER: Der Schmerz vergeht, der Stolz bleibt …)
„… und irgendwann bleib i dann dort …“ – Der Liedtext geistert in Endlosschleife als Ohrwurm durch meinen Kopf. Jetzt allerdings bin ich hier. Die Leute unten am Bach haben ihren Spaß und denen ist sicher nicht so heiß wie mir. Das Asphaltband flimmert unter den beiden dünnen Reifen. Der Schweiß läuft mir trotz Stirnband in die Augen. Es geht zwar abwärts durch das Tal des Santerno, der Fahrtwind aber kühlt überhaupt nicht. Wie konnte ich mich nur wieder in diese Situation bringen?
Bei der Hitze Pässe ohne Ende? Das ist die Randonnée 300km „La via del latte“:
2x die Vetta Le Croci, Monte Morello, Croci di Calenzano, Passo della Futa, Passo della Raticosa, Passo del Paretaio, Passo Carnevale, Passo dell’Eremo, Passo Peschiera, Passo del Muraglione.
Freitagabend Ende Juni. Soll ich mich zum Raduno Nazionale Randonneur in Mugello anmelden? Hermann verzichtet dankend: „Nein, keine Lust zu einer weiteren Nachtfahrt, ich muss arbeiten“. Ich melde mich an. Dann halt alleine. Auf dem Programm eine Randonnée über 320 Kilometern mit satten 5500 Höhenmetern. Die Aussicht, mit dem Rad über den Autodromo bei Scarperia zu fahren, reizt mich weniger. Mehr freue ich mich auf die beiden großen Schleifen durch Mittelitalien.
Start um Mitternacht. Statt des versprochenen Feuerwerks in San Piero dürfen wir zum Glück eine halbe Stunde früher los, den Sternenhagel sehen wir dann unterwegs von Weitem, auch schön. Einziger Kritikpunkt meinerseits an der sonst perfekten Organisation: Hätte ich doch statt der Warterei auf das Feuerwerk drei Stunden vorschlafen können …
Vor uns 11 Pässe in Toskana und Emilia Romagna und die Aussicht auf einen brütend heißen Tag.
Jetzt radeln wir durch die Nacht. Wunderbar. Bei Fiesole ein Traumblick auf das nächtliche Lichtermeer Florenz. Hier oben war ich auch schon mal, beim legendären 100km-Lauf „Passatore“ von Florenz nach Faenza. Ich treffe auf Flavio. Wir kennen uns vom 600er-Brevet Verona-Reschen-Verona. Ein Schwätzchen hier und dort, man radelt gemeinsam ein Stück und tauscht sich aus. Das ist das Schöne an den Brevets. Um die Zeit geht es nur insofern, dass man inerhalb eines Zeitfensters im Ziel sein muss.
Bei Morgendämmerung treffe ich wieder in Scarperia ein. Stempel und weiter. Aber wohin muss ich? Habe ich mich zu wenig informiert vorher. Mein Garmin ist mir auch keine große Hilfe, da ich hier schon war und eine blaue Linie den Track überdeckt. Nochmal zurück und fragen.
Bald treffe ich auf die Gruppe um Annalisa Dina Mite, Rosanna und Marina und natürlich ihre besseren Hälften. Ich nenne mal nur die Frauen, da diese heute wie meistens in absoluter Minderzahl sind – wie oft bei „verrückten“ Unternehmungen. „Verrückt“ in den Augen der anderen versteht sich. Für uns ist es irgendwie ganz normal.
Der Lago di Bilancino. Ich erinnere mich: Hier war ich schon zweimal bei den Italienmeisterschaften im Olympischen Triathlon. In Barberino wird es das erste Mal so richtig ernst. Es geht rauf zum Passo della Futa. Erst in gemütlicher Steigung. Alessandro P. vor mir hat die Wildschweine, die neben mir durch den Wald galoppierten, nicht gesehen. Passend nun aber aus seiner Trikottasche markige Jagdhornklänge oder Ähnliches. Alessandro muss stehen bleiben, seinen Handywecker zum Schweigen zu bringen. Schmunzelnd radle ich weiter.
Irgendwann nach der nächsten Kontrollstelle gesellt sich Flavio zu mir.
Mit viel Geduld wartet er nach jeder Steigung. Meine Beine laufen in der Hitze nicht so rund. Irgendwann mache ich ihm den Vorschlag sich von mir nicht einbremsen zu lassen und ruhig sein Tempo weiter zu fahren. Nein, er meint, dass er Gesellschaft liebe und gerne rede. Hahhaaaaa, ich rede auch gerne und viel. Aber jetzt gerade ist mir nicht unbedingt danach. Ich habe nicht mal Lust darauf durch gelegentliches „si“ oder „mhmm“ mein Interesse zu signalisieren. Bin ich so fertig?
Auf einmal ist Flavio in einer Nische verschwunden. Ein Brunnen, meine Rettung. Das eiskalte Wasser ist megaerfrischend. Flavio hält mir sein Smartphon vor die Nase. Ein Filmchen mit Wasserplätschern, besockte Füße im kühlen Nass. Er war am Tag zuvor schon mal hier. Der Verrückte ist nämlich von Meran mit dem Rad gekommen…
Bei Firenzuola ein „controllo a sorpresa con ristoro“, überraschend gibt es vor dem folgenden Anstieg eine geheime Kontrolle und Essen und Trinken. Ich trinke schon den ganzen Tag, habe aber keine Lust zu essen bei der Hitze. Die Aprikosen kommen wie gerufen. Ich frage Flavio, ob er auf seine Kollegen Fausto und Loris warten möchte. Wie kommt denn das rüber? Will ich ihn loswerden? Nein, überhaupt nicht. Ich will nur nicht, dass er meint, er müsse unbedingt bei mir bleiben.
Nun rollt es. Das ist mein Favorit unter den Streckenabschnitten: Entlang des Flusses Santerno. Aber wie gesagt, sehr motivierend sind sie nicht die vielen planschenden Leute dort unten am sich im Talgrund dahinschlängelnden Fluss.
Und vor uns liegt nun der Passo del Paretaio. Ein Brunnen am Beginn der Steigung. Ich bade fast in dem erfrischenden Nass. Kommt niemand? Noch schnell etwas Creme auf die vier Buchstaben geschmiert. Ich schwärme zwar ständig von meinem ISM-Sattel, aber heute irgendwie fühlt sich etwas anders an. Hoffentlich keine Scheuerstelle? Flavio kommt nach und zieht vorbei. Ich werde ihn erst im Ziel wieder treffen. Auch ich schwinge mich wieder in den Sattel. Was ist das? Im Bereich des Sattels brennt es höllisch. Ich stehe auf und fahre im Wiegetritt einen gefühlten Kilometer. Dann versuche ich mich vorsichtig wieder hinzusetzen. Aua! Das brennt so! Wieder im Stehen fahren. Ist das die Creme? Vielleicht schon zu alt? Im Behälter war nur noch ein Rest. Den entsorge ich wohl lieber. Irgendwann lässt der Schmerz nach. Nun fangen meine Sohlen an zu brennen. Ich sollte wohl wieder etwas Zehengymnastik machen. Schmerz lass nach! Das Gute daran, als ich wieder halbwegs schmerzlos bin, ist der halbe Pass schon erledigt. Meine Garmin gibt mir was zu rechnen. Runde 44; 44 x 5km =? Es vergehen 10 Minuten, bis ich den aktuellen Kilometerstand kalkuliert habe. Das Gehirn wohl auch in Warteschleife … Endlich oben. Abfahrt.
Ein weiterer kleiner Pass vergeht im Fluge. Ich schwätze mit Gabriele.
Palazzuolo dul Senio. Ich treffe Antonella – wie bei jeder Kontrollstelle. Hier sitzen motivationslos eine Menge Randonneure im Schatten einer Bar. Oder vielleicht eher besorgte Randonneure? Der San Eremo liegt vor uns. Der heute wohl härteste Pass. 10km und 600Hm in der prallen Sonne.
Ich mache mich auf den Weg. An einem Brunnen wieder die Prozedur des Kleider-nass-machen. Ein bisschen hilft es, zumindest auf den ersten Kilometern. Denn das Zeug trocknet viel zu schnell. Auch scheine ich nicht zu schwitzen. Der Schweiß verdunstet sofort und bringt keine Kühlung. Ich eiere von einem Baumschatten zum Nächsten. Die Fahrt ist sehr unrhythmisch: In der Sonne schnell schnell schnell, im Schatten laaaaaangsam. Ich nehme mir vor auf Halbweg Hermann anzurufen.
Ein Auto fährt vorbei. Ein gelb-blauer Aufkleber „corsica ferries“. Wie schön wäre es jetzt an einem Strand in Korsika zu realaxen. Das 3Peaks Bikerace in drei Wochen … Stattdessen 10 Tage Sonne, Strand und Meer? Ich verbiete mir die Gedanken.
Nach 5 Kilometern kein Empfang. Also weiter. Ich erreicht Hermann. Er erzählt mir, dass er daheim im Kühlen vor dem Fernseher sitzt und sich die Hitzeschlacht Ironman Germany in Frankfurt anschaut. Aha, da gibt es andere, die es noch schlechter getroffen haben jetzt. Unser Kollege Peter S., der sich gerade bei über 38°C über die Laufstrecke am Main quält. Der Arme. Hier auf dem Weg zum San Eremo hat es kühle 36°… Ich kichere über meine Gedanken … Ist das schon die Vorstufe zum Sonnenstich?
Ich suche mir einen anderen Zeitvertreib: Walderdbeeren zählen. „Eins, …“ Es gibt keine weiteren. Tja, den Walderdbeeren ist es wohl auch zu warm. Ergiebiger ist es die bunten Schmetterlinge zu zählen, die auf der Straße liegen. Die armen mussten dran glauben und während sie arglos vor sich hin schaukelten mit bösen Autokarossen kollidierten. Doch Sonnenstich? Einsam leide ich alleine weiter vor mich hin. Noch drei Kilometer ohne Schatten.
Oben, juhu, das Auto der Orga mit Wasser. Der Doppelgipfel ist bald geschafft. Nun fehlt nur noch der Passo Muraglione. Erschreckend. Gleich weit und gleich hoch wie der Eremo. Warum haben die anderen den nicht erwähnt, sondern nur den Passo Eremo als Schreckgespenst?
Und wirklich, die Muraglia- Pass-Straße liegt weitgehend im Schatten. Lästig nur die vielen Autos und Motorräder.
Ich hole unseren Capitano Giuseppe Leone ein. Er schaut auch nicht mehr ganz frisch aus. Und große Worte spuckt er auch nicht mehr.
(Auf fb wird er Folgendes schreiben: „Der Capitano wartet auf alle … oder fast …“)
Bei der Abfahrt nach Dicomano kommt brütend heiße Luft aus dem Tal entgegen. Ich werde plötzlich müde. Mal was essen? Keinen Hunger. Zwei Aprikosen gehen. Endlich unten. Das Dorf habe ich von der Turnhallen-Schlafstelle bei der 1001Miglia in keiner guten Erinnerung, ich konnte nämlich nicht schlafen.
Jetzt ist das Ziel in Scarperia knapp vor Augen, noch 24 km in der Ebene bis dorthin. Diese erscheinen mir in der Vorstellung endlos. Der Gegenwind bringt zwar keine Kühlung, aber auf dem Triathlonlenker gelehnt, bremst er mich jedenfalls nicht merkenswert ein. Gemeinsam mit Gabriele erreiche ich am späten Nachmittag das Ziel vor der Kulisse des imposanten Palazzo dei Vicari. Randonneé und ich, erledigt. Nun geht es zum Angenehmen: Dusche und Tortelli!!!
Danke an die vielen Freiwilligen, die sich sehr bemüht haben uns diesen heißen anstrengenden Tag so angenehm wie möglich zu machen. Wir haben nur noch in die Pedale treten müssen …
600 km – knapp 11.000 Hm – 60 Stunden Zeit Info italianostrava Die Strecke: Brixen -Ritten – Penser Joch – Jaufen – Timmelsjoch – Kühtai – Buchener Sattel – Kesselberg – Achensee – Brenner – Brixen
Zunächst mein Video (4 min)
Pfingsten 2019. Einen Tag vor unserer geplanten Abfahrt wird das Timmelsjoch freigegeben – unserer Superrandonnée steht nichts mehr im Weg. Der erste Tag würde etwas anstrengend, aber wohl locker machbar, der zweite schon nicht mehr so schlimm und der dritte würde wohl nur noch Heimrollen sein von München nach Brixen. Dachte ich mir …
TAG 1
Ritten: Nach 18km geht es schon hoch. Der Ritten ist unser erster Berg. Die kurzen steilen Passagen stecke ich noch leicht weg. Dann geht es flott durch das Sarntal – mit Rückenwind.
Penser Joch: Das hatte ich nicht erwartet, schon ein paar Kilometer unter der Passhöhe wartet der Mann mit dem Hammer. Nanu? Jetzt schon? Dachte eigentlich, der würde mir erst in Richtung Timmelsjoch begegnen. Mein Käsebrot rettet mich auch nur kurz. Ich finde immer wieder eine Ausrede kurz stehen zu bleiben. Die Abstände dazwischen werden immer kleiner. Wie soll ich die nächsten beiden Passhöhen heute noch erreichen, wenn ich jetzt schon eine solche Krise habe? Ich spiele ernsthaft mit dem Gedanken, in Sterzing rechts abzudrehen und die paar Kilometer heim zu rollen. Eigentlich aber schade, ich hatte mich so auf die Fahrt gefreut. Und dann das. Nach nicht mal 100 Kilometern schon so weiche Knie … Fotos gibt es keine vom Aufstieg. Warum soll ich mein voraussichtliches DNF auch noch knipsen? Die Ankunft auf dem Joch bringt eine weitere Enttäuschung. Kuchen und Cola leider Fehlanzeige: Der Alpenrosenhof ist noch geschlossen.
Jaufen-Pass: Nach einer kleinen Stärkung mit Eis, Latte Macchiato mit zweimal Zucker und einer Cola sieht die Welt anders aus. Ich habe beschlossen, dass ich mir noch eine Chance gebe. Ich werde mal ein Stück die Pass-Straße hochfahren. Umkehren und zurückrollen kann ich ja immer noch. Und -siehe da- es geht gar nicht mal schlecht. Die angenehme Steigung und die Aussicht auf die Einkehr im Jaufenhaus motivieren mich. Und dann noch mein persönliches Doping: Hörbuch. Die spannende Geschichte lässt mich vergessen, dass noch ein weiterer Pass auf uns wartet heute. Der Wunsch, nachhause abzukürzen, hat sich im Moment verflüchtigt. Nudelsuppe mit Rindfleisch und Cola. Normalerweise kann man mich damit vergraulen. Aber heute lechtst mein Körper genau danach. Und noch ein Latte Macchiato mit zweimal Zucker.
Timmelsjoch: In Sankt Leonhard versichere ich mich per Telefon im , ob das mit unserem Zimmer im Gasthof Hochfirst in Ordnung geht, auch wenn wir etwas später eintrudeln sollten. Die erste Steigung bis Moos in der spät-nachmittäglichen Hitze sind etwas mühsam. Kurz kommt wieder mal der Gedanke auf nachhause abzukürzen: ganz einfach raus nach Meran rollen und locker nach Brixen pedalieren. Aber das Schlaflager lockt, es ist sicher schneller erreicht, als die 90 km zurück nach Hause. Etwas wehmütig passiere ich das Hotel Schönau. Von hier sieht man das etwas höher gelegene Hochfirst. Warum habe ich nicht hier eingebucht? Also weiter. Wir kommen früher oben an als ich mir erwartet hatte. Es ist noch nicht einmal dunkel. Die heiße Dusche – welche Wohltat und dann das kuschelige Bett erst. Die Augen schließe ich, allerdings will der ersehnte Schlaf nicht kommen. Ich liege die ganze Nacht wach und lasse die letze Woche Revue passieren: Meterhohe Schneewände auf dem Timmelsjoch und immer wieder das „Nein“ der Lawinen-Kommission. Dann das OK für das Wochenende. Vorfreude und dann die Dämpfung auf dem Weg aufs Penser Joch. Und jetzt nicht schlafen können … Nach dem Kühtai werde ich wohl endgültig nachhause abkürzen müssen …
TAG 2
Um halb sechs sind wir wieder im Sattel. Wunderschöne Morgenstimmung und kein Verkehr. Das Timmelsjoch ist erst ab 7 Uhr geöffnet.
Kühtai: Ab Ötz wird es wieder ernst, sogar sehr, denn die Steigung tut schon etwas weh. Ochsengarten winkt mit Cola, Apfelstrudel und Latte Macchiato mit zweimal Zucker. Dann wird es bitterböse mit 17% Steigung. Aber ich habe überlebt, wieder mit Hörbuch-Doping. Nur kurz streift mich der Gedanke, dass ich von hier doch nach Hause abkürzen könnte. Aber das ist nun keine ernsthafte Option mehr.
Buchener Sattel: Bei Telfs der nächste Anstieg. Diesmal in der prallen Sonne. Ächtz!
Bis München: Kein ernster Berg mehr. Aber viele schöne Landschaften auf Nebensträßchen. Highlight am Weg ist der Walchensee. Hier ist allerdings die Hölle los. Menschenmassen sind unterwegs und schätzungsweise Millionen von Autos, die sich von der Kesselberger Höhe runterwälzen zum Kochelsee und wahrscheinlich nach Hause oder ins Urlaubsquartier nach einem Sonntag am See. In Kochel am See kehren wir wieder im Hotel Postillon ein, das wir schon vom Jahr zuvor vom 600er Brevet, der Allgäu-Rundfahrt der Aramuc kennen. Wieder sind wir entsetzt über die Miniportionen und die Mega-Preise. Naja, klar, wir sind halt in einem Tourismus-Ort. Vorbei am imposanten Kloster Benediktbeuren genießen wir die Streckenführung. Es geht durch Wiesen und Felder, dann entlang der Isar und bis Deisenhofen, vor den Toren Münchens. Hier schlagen wir im Hotel Abendruhe unser Lager auf, einem netten Garni in Oberhaching. Der riesengroße Vorteil, wir können ganz unkompliziert ankommen, wann wir wollen und ebenso abfahren. Und das Gartenhäuschen wurde vor unserer Ankunft kurzerhand in ein Carport, äh Bikeport umfunktioniert. Danke!
TAG 3
Achensee: Dieser Tag würde wohl eine Regenerationsfahrt werden nach all den Strapazen … Dachte ich … In aller Frühe, es regnet leicht, brechen wir auf. Die 70 km bis zur ersten Kontrollstelle ist doch ein Klacks. Dachte ich mir. Wir brauchen gefühlt ewig für die paar Kilometer. Es geht rauf und runter, hin und her, durch Dörfchen und das ohne Frühstück. Unterwegs auch kein offenes Lokal. Die Bäckerei Adler in Achenkirch hat zwar offen, aber nur noch eine Viertelstunde und so müssen wir uns mit einem Mini-Frühstück begnügen. Aber meine Lebensgeister sind erwacht nach Latte Macchiato mit zweimal Zucker.
Brenner: Die rasante Abfahrt nach Jenbach. Ein Moment der Unachtsamkeit und wir sind weg von der Strecke. Nochmal hoch fahren? Nein danke! Machen wir halt einen kleinen Umweg. Hermann braust davon. Ich beschließe die stark befahrene Straße zu meiden und biege nach Wiesing ab. Vermutlich treffe ich im Talboden wieder auf Hermann. Fehlanzeige. Ich schreibe ihm eine Nachricht. Auch er ist auf dem Weg zur Originalstrecke. In Jenbach warte ich bei der Kirche, Hermann ist laut seiner Aussage hinter mir.
Als er nach einer Viertelstunde noch nicht da ist, frage ich mal nach: Mein Göttergatte ist schon in Stans!!! Das heißt 6 km weiter. Mich wundert es eh, dass wir uns auf dieser Fahrt noch nie verloren haben, das passiert nämlich auf viel kürzeren Ausfahrten regelmäßig und manchmal schon wenige hundert Meter nach Start von zuhause. Hahahhaaaaa! Das ist schon legendär und zeugt von unseren beiden Dick-Köpfen … Ich bin einfach nicht das Weibchen, das seinem Gatten treu und kopflos folgt, sondern will meinen regelmäßig durchsetzen … und mein Göttergatte berücksichtigt nicht immer, dass mehrere Wege nach Rom führen und ich manchmal nicht so schnell nachkomme und somit eigene Wege gehe… äh radle. Von Jenbach zunächst auf der Südseite des Tales, dann bei Volders Wechsel der Talseite. Bei der Karlskirche, einer Klosterkirche im Rokoko-Stil, wird es bitterernst.
Die ersten Kilometer überschreiten nicht selten die 10%-Steigung. Das tut weh! Am Westhang des Patscherkofels geht es nun über Igls, Lans, Ellbögen, Pfons nach Matrei. Bei einer Einkehr beim Tuxerbauer in Tulfes wecken wir unsere Lebensgeister mit den angebotenen Köstlichkeiten. Nein, nicht mit den Produkten der hofeigenen Schnapsbrennerei, sondern mit den Leckereien der Bauernkuchl und Cola und was wohl? Ja, Latte Macchiato mit zweimal Zucker. Und dann? Auf der Weiterfahrt Schaltkabel-Riss bei Hermanns Rad. Und wie kommen wir jetzt von Matrei auf den Brenner und dann noch heim? Ich wäre „aufgeschmissen“ …, Hermann bastelt etwas rum und kommt mit seinen zwei Gängen gut weiter. In ebenen Passagen pedaliert er zwar wie verrückt, um halbwegs flott weiter zu kommen, dafür ist er bei den Anstiegen auf und weg … Den Brenner erleben wir wieder mit Kuchen und Latte Macchiato mit zweimal Zucker für mich. Als wir weiter wollen entdecken wir mit Schrecken die bleiernen Wolkentürme, die sich zusammengebraut haben. Kurz vor Pflersch fängt es an zu schütten und zu gewittern. Ich schreie mir hinter Hermann die Seele aus dem Leib, damit er anhält und nicht weiter in das Unwetter hinein fährt. Es vergehen einige Hundert Meter, bis er anhält. Er hatte gedacht, sein Rad quietscht. Haha! Nach kurzer Zeit im Unterstand ist der Spuk vorbei. Die Weiterfahrt bringt uns noch einen Platten und ersten Test der Maxalami. Nach ein paar Minuten sind wir schon wieder auf dem Weg. Am frühen Abend sind wir wieder zuhause. Die gemütliche Heimfahrt am dritten Tag war wohl nix … Einmal wieder ein typischer Fall von „Denkste!“
Danke Jörg und Igor, dass ihr euch um Brixen als Startort der Superrandonnée „Ötztal-Rundfahrt“ bemüht habt! Die Superrandonnée hat ihren Namen zurecht verdient. Die Härte hat mir mehrmals mental einiges abverlangt. Aber aufgeben gibt es nicht … wenn ich mir die „Abkürzung“ auch ein paarmal in den schönsten Farben ausgemalt hatte.
Meine Gedanken gehen im Kreis. So ähnlich, wie mir im Moment die Streckenführung erscheint. Ohne GPX-Track hätte ich wohl schon die Orientierung verloren. Von Feltre Richtung Belluno. Es sind mit dem Auto etwa 20 Kilometer, wir haben gefühlt mindestens das Doppelte: Es geht tendenziell nach Osten, aber gefühlt wechselt die Richtung alle paar Hundert Meter. Über jeden Hügel, der im Weg steht, müssen wir drüber. Im Moment sticht die Sonne (endlich) vom Himmel und auf mein umnebeltes Hirn. Die Beine haben schon längst keine Lust mehr. Und das nach noch nicht mal 400 Kilometern. Ich rechne und rechne. Ob wir es im Hellen wohl schaffen nach Niederdorf, wo ein gemütliches Bett wartet? Das nächste Dutzend Kilometer vergeht, bis ich mir fast gewiss bin, dass durch Cadore und Lunga Via delle Dolomiti, der Radweg auf der alten Bahntrasse nach Cortina und die Fahrt nach Toblach mindestens bis nach Mitternacht dauern würde. Ich zweifle: Ob die Idee wohl gut war, statt von Verona am Morgen schon am Vorabend zu starten? Das würde nun nämlich die zweite durchradelte Nacht. Weiter gehen die negativen Gedanken. Ich könnte heulen. Wenn ich nach nicht mal 400 km schon „cotta“ (wörtlich übersetzt „durchgekocht“, erledigt, ausgebrannt) bin, was ist dann mit meinen sommerlichen Plänen. Ich schließe in Gedanken schon mit 3Peaks Bikerace ab. Unmöglich. Nicht zu schaffen. Und was mit dem Plan in zwei Wochen die Superrandonnée Ötztal-Rundfahrt zu fahren? Mit vier großen Alpen-Pässen am ersten Tag? Wenn sich meine Beine jetzt schon so platt anfühlen nach beinahe keinen Höhenmetern? … Der nächste Aufstieg vor uns. Mein Tacho zeigt nur 5% an – gefühlte 15% im Moment. Und gemein: die nächste Abfahrt mündet in eine Straße, sodass der Schwung jäh abgebremst werden muss. Meine Gedanken drehen und drehen weiter. Mein Göttergatte ist mir auch keine Hilfe. Schweigsam fährt er durch den Tag. Geteiltes Leid ist halbes Leid? Ich biete Hermann, der auch nicht mehr ganz frisch aussieht, zehn Tage in einem Hotel an der Adria an, statt im Sommer von Wien nach Barcelona zu radeln. Adria? Die Verzweiflung muss schon groß sein. Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob diese ganze Aktion Rando 600 nicht kontraproduktiv war … wenn nicht physisch so doch psychisch.
Wie es weiter geht …:
21:00 Uhr in Tai di Cadore beschließen wir schweren Herzens hier zu übernachten. Denn eigentlich haben wir ja schon ein Zimmer in Niederdorf gebucht (bei Pension Kühbacher). Aber die Gefahr mit Sekundenschlaf zu verunglücken in zweiter Nachtfahrt ist einfach zu groß. Camilla und Paolo, ein sehr nettes Paar nimmt uns um diese nachtschlafende Zeit noch auf in seinem nagelneuen und wunderschönen B&B Ca‘ Milla. Um vier Uhr am Morgen raus aus den Federn, damit wir es schaffen pünktlich um 11:00 in Brixen zu sein. Es regnet leicht. Die Beine scheinen besser, auch die Motivation. Ich darf allerdings nicht an die 140 km vor uns denken, dann sinkt mein Mut wieder. Erst mal nach Cortina, dann weiter denken. Von Niederdorf sind es noch etwa 60 Kilometer. Wir sind etwas knapp dran. Zum Glück führt die Strecke hier nicht über den Radweg. Wir brettern mit einem Affenzahn nach Bruneck. Der Tacho zeigt um die 35 km/h. Die Beine? Ich spüre die 500km hinter uns kaum. So muss sich ein Pferd fühlen, das zum Stall zurück prescht. Im Geschwindigkeitsrausch denke ich an den Sommer – die Herausforderungen können kommen. Wie das? War das gestern alles nur Kopfsache?
Und so fing es an: Eigentlich könnte eine 600er Rando ein gutes Training sein für unsere sommerlichen Vorhaben. Die Randonnée „Dolomiti“ im Vierfachpack von Simonetta und Giorgio angeboten als Qualikationsbrevets für die PBP führt mit 600km durch wunderschöne Gegenden Norditaliens. Der Startort ist wie bei allen der vier „Villa Guerrina“ in Montorio, eine venezianischen Villa mit wunderschönem Garten und integrierten Sportanlagen (auch Schwimmbad). Eine Kontrollstelle ist praktischerweise eine Pizzeria in unserer Nachbarschaft.
Meine Idee:
Verzicht auf das Auto, um ein Zeichen zu setzen. Wir müssten nur pünktlich um 5h in Montorio beim Start sein. Nachtfahrt somit programmiert. Und damit fing es eigentlich an.
Hochmut kommt vor dem Fall? Fakt ist, die Anfahrt nach Verona war zu knapp geplant. Das bedeutete, dass wir den Start versäumten und über eine Stunde hinter dem Feld starteten. Erst in Feltre und dann in Tai di Cadore werden wir die letzten Teilnehmer treffen.
Ich sitze nun hier beim Schreiben und finde die Entscheidung auf das Auto zu verzichten und der Umwelt was Gutes zu tun war goldrichtig. Aber immer gibt es ein kleines ABER:
Am Wichtigsten: Wir trafen unsere ganzen Radler-Freunde leider nicht.
Unsere Verspätung beim Start ließ uns fast den ganzen Tag alleine radeln
Wir mussten auf bereitgestelltes Frühstück und Pasta Party verzichteten
Verlassen der Komfortzone: Die Runde ist vermutlich härter, wenn man zuerst die leichteren Kilometer fährt und bei den etwas anspruchsvolleren Kilometern immer langsamer wird
Nach einer durchradelten Nacht in die zweite Nacht kommen ist nicht ungefährlich. Sekundenschlaf-Attacken führen nicht selten zu schlimmen Unfällen.
Aber es gibt noch ein ABER:
Im Gegensatz zu allen anderen Teilnehmern hatten wir so gut wie kein „Wasser“ von oben.
Wir fuhren sozusagen am Morgen dem Regen hinterher. Pausierten, als es ein „diluvio“ gab (Ein Teilnehmer schrieb, er habe nie so viel Wasser von oben gesehen …) und fuhren dann wieder dem schlechten Wetter nach. Die paar Tröpfchen, die wir sahen, sind nicht der Rede wert.
Die Strecke:
Von der Villa Guerrina in Montorio bei Verona fahren wir auf wenig befahrenen Sträßchen nach Osten. Bei Bassano geht es entlang des Flusses Brenta durch die Schlucht der südlichen Valsugana. Man taucht ein in die Dolomitenvorgipfel. Auf Radwegen und wenig befahrenen Straßen kommen wir an Feltre, Ponte delle Alpi vorbei und bewegen uns auf der alten Alemagna-Straße vorbei an Longarone, mit seiner trgischen Geschichte des Staudammbruch vor vielen Jahren. Von Pieve di Cadore bewegen wir uns auf dem wunderbaren Radweg entlang der ehemaligen Bahntrasse (Lunga Via delle Dolomiti) wieder Richtung Westen nach Cortina. Von hier geht es nach Toblach und über den Pustertaler Radweg und Etschtalradweg, mit kleinem Umweg über den Kalterer See, zurück nach Verona.
Fast 60 Stunden im Sattel. 1200 Kilometer mit 14.000 Bergaufmetern. Langsam komme ich von Wolke 7 herunter. Der Alltag hat mich wieder. Die Erinnerungen sind verschwommen und ich weiß eigentlich gar nicht, was ich schreiben soll …
Deshalb zuerst mein Video (9:30min)
Nur soviel …
Die Strecke: Etwa die Hälfte (617km) führt durch Sardinien, die andere ist eine große Runde (591km) auf Sizilien, je mit sehr wenig Schlaf. Dazwischen Fährenüberfahrt und hier wird ordentlich Schlaf nachgeholt bzw. „vorgeschlafen“ …
Landschaft: Ein Traum. Küsten mit azurblauem Meer, karge Täler, üppiges Grün, Blütenpracht, felsige Gipfel. Bunte Kleinstädte, mittelalterliche Dörfchen auf Hügeln. Vergessen möchte ich die Großstädte mit für mich horrendem Verkehr.
Menschen: Nette Helfer, denen oft das Erstaunen ins Gesicht geschrieben ist, wie man so weit fahren kann und das auch noch freiwillig. Wiedersehen mit Radfreunden. Unterwegs quatschen. Ich höre immer wieder „Ciao, Gabi!“ Die Männer sind im Vorteil, es gibt wenige Frauen. Unsere Namen kann man sich leicht merken. Mein Gedächtnis ist löchrig, zumindest nach einigen Hundert Kilometern … Ich muss immer wieder nach den Namen fragen. Das wird langsam peinlich. Aber mit Helm und Brille und dann wieder ohne … verflixt … die Gesichter kenne ich, aber wie war gleich nochmal der Name? Vielmals um Entschuldigung, wenn ich nächstes Mal schon wieder frage … Egal, wichtig ist, man hat Spaß miteinander. Man hilft sich gegenseitig. Das ist auch der Unterschied zum Radrennen, bei dem die Konkurrenten sich ausspielen. Hier unterstützt man sich gegenseitig. Hat jemand eine Krise, dann wird er/sie moralisch aufgebaut. Eine Panne? Man hilft sich mit Werkzeug und Fachwissen.
LA SARDEGNA: Start um Mitternacht von Cagliari, genauer vom Stadtteil Quartu Sant Elena. Es geht die ersten 10 km mit Motorradbegleitung nach Norden. Dunkelheit. Es geht durch das Vallico Arcu e Tidu. Ich kann mir nichts vorstellen, habe das Gefühl ich fahre durch Wald hinauf. Dann geht kurvig rasant abwärts. Es ist noch dunkel, als wir die erste Kontrollstelle erreichen: Torre di Bari nach 124km. Hier überraschen uns die lokalen Köstlichkeiten zum Frühstück: Ricotta (ein süßer Quark) und verschiedene Honigsorten. Lecker. Wir fahren nun in den dämmernden Tag hinein. Es geht wieder aufwärts bis auf den Passo di Genna Silana. Immer wieder muss ich stehen bleiben und fotografieren … Landschaftlich geht es wunderschön durch Macchie und Felslandschaften. Dann sind wir in Dorgali. Von hier startet nun eine große Runde über Nuoro wieder zurück. Wenn alles gut geht, sollten wir um Mitternacht wieder hier sein. Es gibt Schlafstellen im Zelt, aber ein Zimmer ist schon gebucht, damit mein Schlaf gerettet ist. Die Strecke führt duch landwirtschaftlich genutzte Gegenden. Aber nicht direkt nach Nuoro, nein die Strecke macht einen Schwenker nach Südwesten. Wir müssen hoch nach Orgosolo. Der Ort liegt im Zentrum des zerklüfteten Supramonte-Gebirges im Herzen der Barbagia. Wir bewundern die Murales, die Wandmalereien an den Häuserwänden. Die Werke spiegeln nationale, sozialkritische und historische Inhalte wider. Hier erwartet uns, die brav dem GPX-Track nachfahren, eine Überraschung: Im Dorf zweigt eine Gasse ab, der wir folgen sollen: Ich schaffe es nach kurzer Zeit nicht mehr mich im Sattel zu halten und lege eine Zu-Fuß-Passage ein. Ein argwöhnischer Blick auf meinen Tacho: 25% Steigung!! Bis Nuoro geht es nun auf und ab. Einsam. Und kein Verkehr. Super. Die Kontrollstelle bei Kilometer 274 überrascht mit einem Spezilalitäten-Tisch, leckeren Pecorino & Co. Mmmmhmmm! Noch 140 km und dann Schlafen. Aber 140 km sind ganz schön lang. Anfangs ist die Gegend ein Traum. Große runde Steine eingebettet in Steineichenwälder. Überall ist es grün und blüht es. Schafe. Dann eine lange Abwärtspassage durch ein Tal. Dann steigt die Strecke wieder. Es ist sommerlich warm. Die Kilometer vor uns drücken auf mein Gemüt. So weit noch. Hunger. Durst. Das Dorf Bitti. Eine Bar ist unsere Rettung. Cola und Eis. So gestärkt gehen wir die nächsten 100 km an. Wir fahren in einer Gruppe, auch Aynur und Hajo sind mit dabei. Jemand erzählt mir vom Dorf Orgosolo, das wir Stunden zuvor passiert haben: Früher war das Dorf sehr arm. Es wird erzählt, dass dort fremde Passanten ausgeraubt wurden. Na, gute Nacht, da haben wir ja noch mal Glück gehabt. Auch wenn ich in meinem Zu-Fuß-Anstieg bei +25% ein gutes Opfer abgegeben hätte. Aber wahrscheinlich war mein finster blickendes Gesicht (siehe Film) ein guter Abwehrmechanismus. Fakt ist, Wikipedia erzählt, dass in meinem fernen Geburtsjahr 1962 ein englisches Ehepaar dort ermordet wurde. Nun aber zu positiveren Gedanken. Heller Tag. Sonne. Einsamer Anstieg, ohne Autos, wunderbare Bergwelt. Dann Abfahrt und noch 60km flach. Wir lassen die Gruppe fahren. Es ist uns zu hektisch. Gemütlicher gondeln wir gegen Dorgali. Die letzten 10 Kilometer geht es nochmal hoch. Muss das sein? Im Dunkeln ziehen sich die Aufwärtsmeter zudem. Eine Qual. Aber das Bett wartet. Im Hotel dann die Nachricht, unser Zimmer ist ein Vierbettzimmer. Es gibt keine Diskussion. Und es kommt, wie es kommen muss. Ich bin gerade eingeschlafen, da kommt der dritte Mann. Er bewegt sich zwar vorbildlich leise, das höre ich sogar durch meine Ohrenstöpsel, aber mit meinem Schlaf ist es vorbei. Schnelles Frühstück mit allerhand Köstlichkeiten und auf geht es. Die nächste Nacht lockt. Die Fährenüberfahrt mit ausreichend Schlaf – hoffentlich. Aber es gilt noch pünktlich um 16.00 in Cagliari anzukommen. Nicht auszudenken, die Fähre zu versäumen. Ab Dorgali geht es dieselbe Strecke zurück und ich staune. Ganz anders als in meiner Vorstellung in der Finsternis der ersten Nacht. Zunächst müssen wir wieder auf den Passo di Genna Silana. Da wir einige Höhenmeter ja schon vor der Mini-Schlafpause erledigt haben, sind es nur noch an die 600 m. Hermann ist noch mit seiner Packtasche beschäftigt und so fahre ich schon mal voraus. Stockfinster. Die Steigung angenehm. Hätte mir nicht gedacht, dass es so leicht geht. Weiter oben beginnt Wind zu blasen. Und zwar ganz schön stark. Die Straße schlängelt sich nach oben. Je nach Fahrt-Richtung muss ich schauen, dass ich auf dem Bike bleibe. Die Hände krampfhaft am Lenker überlege ich nach dem ersten Fast-Abwurf schon, ob ich nicht zu Fuß gehen sollte. Dann bin ich oben. Hermann hat aufgeschlossen. Bei der Abfahrt fängt es an leicht zu regnen. Das hatte der Wetterbericht aber nicht vorausgesagt. Bis auf eine Regenjacke habe ich nichts mit. Es kommen zum Glück nur sporadisch ein paar Tropfen. In Torri di Bari gibt es wieder das leckere sardische Frühstück mit Obst, Käse, Ricotta, Artischockenaufstrich, Honig, Orangenmarmelade und nicht zu vergessen das „pane carasau“, ein hauchdünnes Fladenbrot. Ich bin begeistert von den Angeboten an den Kontrollstellen. Hermann wird schon leicht nervös, als er meinen hoch beladenen Teller sieht. Wie lange wird denn diese Pause? Weiter, die Zeit drängt. Noch 124 km und der lange Anstieg durch das Vallico Arcu e Tidu und zuvor noch irgendein Mugel, aber etwa 90 km Abfahrt und flach. Unser Weg ist gesäumt von Hunderten von Kaktussen. Hohe mit riesengroßen Ohren. Und großen spitzigen Stacheln. Ab und an liegt schon mal so ein abgebrochenes Ohr auf der Straße. Hoppala, wenn man da darüberführe, dann ist die Reifen-Panne wohl vorprogrammiert. Mein Rad schießt mit den grünen Riesen einen Pakt: Lasst ihr mich in Ruhe, dann lasse ich euch in Frieden. Sonst haue ich euch in Stücke oder sagen wir mal fahre ich euch ein Ohr ab. Ich bin ruhiger – ich fahre Tubeless. Das Arcu e Tidu-Tal haut mich fast um. Die Straße schlängelt sich in angenehmer Steigung durch Felswände. Dann die letzte Abfahrt und noch ein paar Kilometer flach, die mir reichlich auf die Nerven gehen. Endlich da. Wir haben etwa eine Stunde Zeit, bevor wir zum Hafen aufbrechen müssen. Duschen verschiebe ich auf die Fähre und bepacke meinen Drahtesel mit dem Notwendigen für die nächsten 600 Kilometer.
SCHLAFPAUSE AUF DER TIRRENIA-FÄHRE ARIADNE: Unsere Belegung der Viererkajüte sammelt sich um gemeinsam die 16 km zum Hafen zu fahren. Ich freue mich schon. Duschen, dann etwas chillen, dann Abendessen. Beim Briefing war erwähnt worden, dass wir auf dem Schiff vollständig einchecken müssen. Nein, stopp, unser dritter Mann fehlt. Irgend jemand weiß, dass dieser noch gemütlich duschen möchte und sich kurz aufs Ohr legen. Am Hafen dann die bittere Wahrheit: Die Klein-Gruppen dürfen wirklich nur vollständig an Bord. Ein großes Chaos bricht aus, denn die meisten wissen nicht mal, wer ihr Schlafpartner ist. Wir drei auf jeden Fall braten fast zwei Stunden in der Sonne und warten, warten, warten. Ich kann nur sehnsüchtig auf die Grüppchen blicken, die sich glücklich zum Check-In aufmachen können. Irgendwann taucht dann unser Vierter gelassen auf, versteht unsere Aufregung nicht ganz. Nachdem wir unsere Drahtesel in den „Stall“ gebracht haben und angehalftert – die Räder werden mit Stricken an ein Geländer gebunden, dass es keinen „Umfall“ gibt bei gelegentlichem hohen Seegang. Duschen. Frisch anziehen. Dann dränge ich meine Mitbewohner JETZT zum Abendessen zu gehen. Das geht recht relaxt vonstatten. Die Auswahl ist nicht übel. Dann Abmarsch ins Bett. Ich staune: vor dem Büfett eine fast kilometerlange Schlange. Mitradler erzählen am nächsten Tag, sie seien fast zwei Stunden angestanden. Puh! Glück gehabt! Um neun Uhr lagen wir alle vier nämlich schon in den Kojen. Ich glücklich mit neuen perfekt sitzenden Ohrenstöpseln versorgt – von unserem vierten Mann … das versöhnt mich und schenkt mir ganze neun Stunden Schlaf. Sizilien kann kommen.
LA SICILIA: Nach dem Schiffs-Frühstück und kurzer Rad-Anfahrt zum Hotel geht es nahtlos auf die Strecke. Aus Palermo raus ist für mich Chaos pur. Autos links und rechts mit Beulen in der Karosserie (Radfahrer?), schlechte Straße, Hektik pur. Nach etwa 10 km wird es ruhiger und bald geht es ins Landesinnere. Die ersten beiden Etappen mit 100 km und beide an die 2000 Höhenmeter haben mir schon im Vorfeld Angst gemacht. Aber die Landschaften sind so vielfältig und wunderschön, dass die Strapazen (fast) vergessen werden. Die Natur gibt alles. Blütenpracht rundherum in sattem Grün. Ich frage mich, wie es hier im Sommer sein wird. Wir passieren Dörfer, sich auf Hügel duckend und an Felswände geklebt. Mittelalterliche Reisende hatten sich dieselben Aussichten. Vor der ersten Kontrollstelle beginnt Wind, besser gesagt starke Windböen. Erwischen sie einen an der Breitseite, gibt es das Gefühl geschubst zu werden. Ich verlangsame und fahre teils in Schritt-Tempo. Zum Glück kommt der Wind meist von hinten. Nicht auszudenken, wenn der uns von Vorne ausbremsen würde. Kalt ist er zudem auch noch. Ich wage nicht an den nächsten Tag an der Küste zu denken, wenn wir dem Lüftchen die Stirn bieten müssen. In Castellana Sicula werden wir von Helfern in wunderschön bunter Tracht empfangen. Und es gibt leckere Nudeln. Allerdings keinen Nachschlag. Noch hungrig ziehen wir weiter. Vorbei geht es in stetem Auf und ab an spektakulär gelegenen Dörfern Petralia Soprana, Gangi, Sperlinga. In Nicosia gönnen wir uns eine Eis-Pause in einer pasticceria. Ausgehungert stürzen wir uns auf Pizza und das leckere traditionelle Gebäck, die Cannoli. Auf unserer Weiterfahrt taucht auf einmal wie aus dem Nichts vor uns der Ätna auf. In Sonnenuntergangsstimmung. Atemberaubend. Wieder fahren wir in die Nacht hinein. Müdigkeit macht sich breit bei mir. Noch ein paar Kilometer durchhalten bis Cesaró. Hier gibt es eine Spezialität: Arancini. Eine Pilzfülle oder anderes wird mit Reis umhüllt und frittiert. Wir stürzen uns auf die hellbraunen faustgroßen Kegel. Sodbrennen bei mir vorprogrammiert. Dann werden wir wieder in die Nacht entlassen. Die Aussicht auf ein Lager lässt uns fest in die Pedale treten. Irgendwann gegen Mitternacht sind wir dann da – in Linguaglossa am Fuße des Ätna. Überraschung, wir sind in einem Kloster untergebracht, haben Zimmer mit Dusche. Noch schnell Essen am Büfett und dann unter die Dusche und in die Heia. Es ist allerdings bitterkalt in den Zimmern und mir reicht eine Wolldecke bei weitem nicht, um einzuschlafen. Bibbernd liege ich wach, der Wind rüttelt zudem an den Fensterläden, irgendjemand schnarcht. Die Ohrenstöpsel sind sicher in der Satteltasche meines Rades verstaut … Irgendwann muss ich doch weggedämmert sein. Werde aber sofort wieder aus dem Schlaf gerissen. Jemand klopft an die Tür. Ist es schon Viertel nach drei? Nein, viertel vor … Ärger! (Daniel erzählt nachher, dass es sein Kollege war, warum auch immer). Offenbar ist Schlaf für mich wohl wieder mal Fehlanzeige, wie auf jeder Randonnée. Die ersten 10 Kilometer Abfahrt eiere ich durch die Nacht. Ich zittere wie Espenlaub und das überträgt sich auf meinen Lenker. Temperatur knapp über dem Gefrierpunkt, 5°C. Etwa bei Taormina wird es wieder Tag und die Temperaturen steigen glücklicherweise. In den Tag hineinfahren hat immer was Magisches an sich. Die Sonne geht über dem Festland Italien auf. Bald wird die Straße schlechter und Verkehr setzt ein. Von Ampel zu Ampel bewegen wir uns in einer Kolonne von etwa 10 Stadt-Bussen. Da ist wohl gerade Dienstantritt. In Messina. Ich freue mich auf die Kontrolle. Frühstück angesagt. Aber es gibt leider nichts bzw. nichts Kostenloses, nur den Stempel. Kurz eine colazione alla italiana mit Cornetto alla crema und Latte Macchiato, dann weiter. Für mich sind die nächsten 50 Kilometer die Hölle pur: Ein Dorf reiht sich an das andere, viel Verkehr, übelste Straßenbeläge. Wenn ich hinter mir ein Auto ahne, erhöht sich sofort mein Puls um gefühlt 100 Schläge, mein ganzer Körper verkrampft sich und ich wähne mich schon unter den Rädern. Die Beulen an der Karosse jeden zweiten Autos sprechen Bände. Vor der nächsten Kontrolle ein saftiger Anstieg nach Tindari. Dieser ist überraschenderweise der angenehmste Teil dieser Etappe. Verkehrsberuhigt. In Marina di Patti gibt es wieder mal was umsonst: Couscus oder überbackene Nudeln mit Melanzane. Lecker, aber wieder mal abgezählt und viel zu wenig. Ein Problem, denn heute ist Sonntag und nachmittags sind keine Geschäfte offen. Hätten wir das gewusst, dass die Verpflegung sizilianischen Kontrollstellen entweder nicht vorhanden ist oder so mager ausfällt, hätten wir vorgesorgt, aber so bleibt der Hunger unser Begleiter, denn in Santo Stefano gibt es nur eine Flasche mit Wasser. Dafür entschädigt uns die Panorama-Strecke. Entlang der Küste mit traumhaften Blicken auf die Meeresbrandung und gegenüber begleitet uns die Aussicht auf die Eolie, die Äolischen Inseln mit Lipari, Vulcano und weiter entfernt Stromboli. Dieser hat ständig ein Wölkchen über seinem Gipfel, schaut aus wie eine Rauchwolke. Fakt ist aber, dass es am Kraterrand halbstündig kleine Eruptionen gibt. Da fliegen die Steinbrocken durch die Luft und bieten vor allem nachts ein feuerglühendes Spektakel. Uns angeschlossen hat sich ein ganzer Trupp und wir düsen die Küste entlang. Ich genieße die letzte Etappe. Zumindest bis Cefalu. Dort eine jähe Unterbrechung: Daniel steht am Straßenrand und deutet auf sein Schaltwerk. Schaltkabelriss. Was nun? Fabio nimmt sich der Sache an. Das Schaltwerk wird mit Kabelbindern fixiert und weiter geht es. Der arme Daniel hat nur noch den höchsten Gang zur Verfügung und es sind noch an die 900 Höhenmeter zu überwinden. Es wird nach einem traumhaften Sonnenuntergang wieder Nacht. Ob wir es in unserer Kleingruppe wohl schaffen bis Mitternacht? Der Verkehr nimmt stark zu. Das sind wohl die Heimkehrer nach einem Tag am Strand. Eine steile Serpentinenpassage in Termini Immerese legt Daniel kurz entschlossen barfuß zurück, im Laufschritt. Verrückt, der Kerl! Auf jeden Fall gewinnt er um Radlängen alle „Bergwertungen“. Die letzten Kilometer hinein nach Palermo stellte ich mir ruhig vor. Wer wird denn Sonntag-Abend noch unterwegs sein … Denkste! Der reine Horror. Vielleicht mache ich mir nicht mehr so viel draus, weil mein Körper nach über 1200 Kilometern nur noch auf Sparflamme funktioniert, da ist für Angst keine Energie mehr übrig. Ich bin dennoch erleichtert, als wir vier, Daniel, Fabio, Hermann und ich, gegen 23 Uhr die Ziellinie überqueren. Eine Traum-Reise ist einerseits glücklicherweise aber auch leider zu Ende. Nachdem ich 2015 nach den 1200 km der Paris-Brest-Paris geschworen hatte „Nie, nie wieder!“ ist das seither schon die fünfte Langstrecke (1200 – 1600km). Und die nächsten schon in Planung. Wer hätte das gedacht? Der Flair aber, der von diesen Unternehmungen ausgeht ist einfach sagenhaft: kein Rennstress, gemeinsames Erleben (immer), gemeinsames Leiden (manchmal), gegenseitige Hilfsbereitschaft, sich in der freien Natur zu bewegen (meistens), einfach eine schöne Gelegenheit Gegenden kennen zu lernen (intensiver als mit dem Auto). Danke an Daniel, der mich in der Nacht vor Cesaró abgelenkt und wach gehalten hat und an Fabio, der nach Daniels Panne uns nicht verlassen hat. Danke an die Organisatoren und alle Helfer, dass ihr uns ein so einmaliges Erlebnis geschenkt habt. Die 6+6 Isole gehört zum Viererkleeblatt L’ITALIA DEL GRAND TOUR mit 1001Miglia, Alpi4000 und 999Miglia. Hermann hat mit der 6+6 nun die Serie abgeschlossen, mir fehlt noch die 999miglia.